Der Thron von Melangar

Michael J. Sullivan

Mit "Der Thron von Melangar" liegt der erste Band einer insgesamt sechsteiligen Chronik der beiden Diebe Royce Melborn und Hadrian Blackwater vor. In den USA gehören die Romane zu den erfolgreichsten selbst publizierten phantastischen Serien in den USA. Inzwischen hat er mit einer weiteren, fortlaufenden Serie begonnen, die Jugendabenteuer der beiden Freunde/ Diebe zu beschreiben. 

Im Original heißt das Abenteuer ergreifender und passender "The Crown Conspiracy" und ist Sullivans Debütroman. Auf den ersten Blick erscheint die Reihe Fritz Leibers klassischem Schwerter Zyklus sehr ähnlich. Eine archaisch mittelalterliche Welt mit Magie, die aber eher praktikabel als allgegenwärtig ist. Es gibt verschiedene Konflikte zwischen den einzelnen Reichen und ihren eitlen Adligen. Zwei herausragende Diebe - einer gewandt und leichtwüchsig, der andere eine kräftiger furchtloser Kämpfer - mit einem guten Menschenverstand, einem Interesse an Reichtum, aber auch gutmütigem Charakter nicht nur Frauen gegenüber, sondern den übernommenen Aufgaben. Diese Loyalität über das normale Maß hinaus wird ihnen natürlich mehrfach zum Verhängnis. Wie auch bei Fritz Leibers so einzigartigen Geschöpfen verfügen sie über einen eher dunklen Humor und befreien sich aus im Grunde unmöglichen Situationen mit Witz, Intelligenz und einem flotten Spruch auf den Lippen. Auch in Sullivans Debütroman erfährt der Leser relativ wenig über die beiden Helden. Es finden sich immer wieder Hinweise auf voran gegangene Abenteuer, welche Sullivan in der inzwischen zweiten Reihe scheinbar ausführlich und epochal erzählt.  Es wäre allerdings unfair, von Epigonen zu sprechen, denn Sullivan bemüht sich vor allem in diesem Debütband, seinen beiden Protagonisten sehr individuelle Züge zu geben und sie von Leibers Schöpfungen abzugrenzen. Seiner Vorbilder ist er sich durchaus bewusst. Gleich zu Beginn erledigen sie einen im Grunde unmöglichen Auftrag und stehlen die gerade entwendeten Briefe - in Wirklichkeit geheime Codes beinhaltend - wieder zurück. Nicht zum einzigen Mal im Verlaufe des Romans spielt der Autor mit der Erwartungshaltung der Leser, denn die ihm präsentierten Fakten stimmen nicht mit der ablaufenden Realität über ein. Stattdessen setzt sich in der Phantasie der Leser ein Bild zusammen, das cineastisch seit Urzeiten verwendet worden ist. Hier seien nur die beiden Kanalarbeiter genannt, die unter großen Aufwand während des Showdowns gefangen genommen und in den Kerker geworfen worden sind. Nur der Antagonist mag glauben, dass sein Plan erfolgreich gewesen ist. Kaum wieder in ihrem heimlichen Hauptquartier - einem Bordell - angekommen, erhalten sie einen neuen Auftrag, der gegen eine Reihe von Gesetzmäßigkeiten ihrer Zunft verstößt. Sie sollen unvorbereitet ein wertvolles Schwert stehlen, das ihr Auftraggeber schon in der Abtei des Königsschlosses versteckt hat. Kaum in dem Raum angekommen, entdecken sie die Leiche des Königs und werden selbst als Mörder verhaftet.  

Betrachtet der Leser "Der Thron von Melangar" von der plottechnischen Seite, so erzählt er auf knapp und kompakt mit einem hohen Tempo eine Geschichte, die nicht unbedingt neu oder originell ist. Vieles erinnert ein wenig an eine Mischung aus "Games of Thron" und den Abenteuerschinken, die Hollywood insbesondere in den vierziger und fünfziger Jahren wie die mißlungene Adaption von "Prinz Eisenherz" produzierte. Der Kreis der potentiellen Verdächtigen schließt sich zu schnell und Sullivan macht auch den Fehler, den Leser anstelle der Protagonisten zu schnell aus dem Dunkel zu holen. Es wäre spannungstechnisch effektiver gewesen, zumindest zwei potentielle gewaltbereite Interessenten für den jetzt verwaisten Thron zu haben. Auf der anderen Seite kann Sullivan durch die Bereinigung der Fronten zum fulminanten Showdown ansetzen, bei dem allerdings Blackwater und Melborn sehr stark durch die Naivität des egozentrischen Antagonisten behindert wird. Da hilft auch nicht der Rückgriff auf den widerwärtigen jungen Herzog, der erst mittels Erpressung die Frauen gefügig zu machen sucht und dann mit den Schutzherren im Hintergrund droht. Von der Struktur her konzentriert sich Sullivan ebenfalls fast sklavisch auf einen interessanten Auftakt und anschließend den allerdings fulminanten, im Grunde fürs Kino geschriebenen Showdown. Dazwischen liegen einige eindrucksvolle Szenen wie im niedergebrannten Kloster, die sich eher positiv über die charakterliche Ebene definieren und Sullivans Universum einen vielschichtigen, über Leiber hinausgehenden Hintergrund geben. Dazwischen liegen Abschnitte, in denen der Autor in erster Linie die Beziehungen zwischen den einzelnen Interessengruppen zu definieren sucht. Durch die anfängliche Flucht und später die Rückkehr in das Schloss erfüllen Teile des Romans auch den Aspekt einer Quest. Die einzelnen Actionszenen sind solide geschrieben, auch wenn die Fähigkeiten der Diebe manchmal ein wenig zu opportun erscheinen. Diesen Hang zur Überdramatisierung, zum staunenden Übertreiben relativiert der Autor während des Showdowns, in dem neben sportlicher Agilität auch Intelligenz beim Lösen einer kniffligen Treppenaufgabe notwendig ist. 

 Die größte Stärke des Romans neben der rasanten Handlung und den überheroisierten, aber niemals unsympathischen Schurkenhelden sind die Nebenfiguren, bei denen Michael J. Sullivan mit sehr viel Gefühl verschiedene Extreme nicht nur beschreibt, sondern ihnen im Verlaufe des Plots ausgesprochen zufriedenstellend Reifeprozesse zugesteht, die anfänglich nicht für möglich gehalten worden sind. Da wären die Königskinder. Mit dem durch die Ermordung viel zu schnell in eine Position der Verantwortung gestoßenen Sohn verfügt Sullivan über eine Figur, die wandlungs- und entwicklungsfähig ist. Vielleicht wirkt manches wie ein Klischee, aber angesichts der Prämissen - die Palastwache greift zwei Diebe und potentielle Meuchelmörder am Tatort auf, die wiederum den Prinzen im Auftrag seiner Schwester entführen - lernt er eher gegen seinen Willen durch passives Zuhören und vor allem Zuschauen. Bei dieser Dreieckskonstellation treffen mit den bodenständigen Dieben und der von seinem Thron geholten Eminenz zwei sehr unterschiedliche Protagonisten Gruppen aufeinander, die ihren gegenseitigen Respekt sich erst verdienen müssen. Es ist kein Zufall, dass Blackwater und Melborn im Grunde an allen wichtigen Entscheidungen des Plots direkt und unmittelbar eingreifend beteiligt sind. Die Stärke des Buches liegt in der Tatsache, dass Sullivan sich nicht scheut, aus dem verweichlichten, schrecklich naiven Thronerben tatsächlich eine Art Held zu machen, der während der Schlacht erkennt, dass sein Volk aus Menschen, aus Individuen besteht, die für ihn und seine Herrschaft leiden. Gut ergänzt wird diese Konstellation durch die Schwester, welche ihren Bruder und damit auch die Herrschaft der Familie zu retten sucht. Auch wenn Sullivan nicht gänzlich überzeugend rote Fäden zu verstecken und falsche Spuren nicht immer überzeugend zu legen sucht. Bei den Helden neben der bodenständigen, hilfsbereiten Adelsfamilie ragt der isolierte Mönch mit einem perfekten Gedächtnis heraus. Seit dem vierten Jahr in einem Kloster eingesperrt ist er verzweifelt, als seine Heimat nieder gebrannt wird. Er verliert dadurch jeglichen Bezug zur Realität und sucht verzweifelt nach einem neuen Ziel im Leben. Seine Begegnungen mit Pferden und Frauen, die er beide nur aus Büchern kennt, sind lustig humorvoll beschrieben, aber die Tragik seines Lebens zeigt sich in der Episode mit dem Eichhörnchenbaum, die sein aufgezwungenes Scheuklappendenken sehr gut unterstreicht. Es sind diese kleinen Szenen, welche "Der Thron von Melangar" aus der Masse von mittelalterlicher Fantasy herausheben.

Mit dem Antagonisten überzeugt Sullivan vielleicht zu wenig. Erstens deckt er spannungstechnisch dessen Pläne zu früh auf und nimmt sich im Mittelteil vielleicht auch ein wenig die Spannung- und Variationsmöglichkeit, zum anderen wirkt diese Figur zu eindimensional, zu selbstverliebt und schließlich zu leicht zu bezwingen. Alleine das Argument, dass erstens die Adligen sich nicht mit den unteren Klassen duellieren wirkt genauso konstruiert wie die Idee, dass einer der Diebe bei der Rettung des Throns vorsichtshalber keinen Adligen töten will, um nicht den Zorn der Anderen auf sich zu ziehen. Insbesondere die Adelsschicht wirkt zu "klein", um einen egomanischen Exzentriker davon abzuhalten, seine potentiellen Fechtkünste nicht an jedem anzuprobieren und der gewandte Dieb besiegt ihn schließlich zu leicht und zu fair, als dass sein Ruf nicht in die letzte Ecke der wichtigen Adelskundschaft gedrungen sein mag. Das hohe Tempo des Romans insbesondere im Schlussviertel überdeckt diese Schwäche. 

Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch einige Schwächen eines Debütromans. Neben dem Hang, möglichst viele noch so kleine Ideen in einer kurzweiligen, sehr eng niedergeschriebenen Geschichte zu verarbeiten, ist seine Welt ohne Frage interessant, aber nicht einheitlich genug. Sie wirkt wie eine Mischung aus mittelalterlichen Tugenden und dem britischen Vorindustrialismus. Natürlich muss man einem Fantasy- Autoren wie Sullivan die Möglichkeit zugestehen, etwas Eigenes zu erfinden, aber nicht alle Sequenzen wirken auch in Kombination mit dem Verhalten der Figuren einheitlich genug.   

Positiv für den ganzen Roman ist, dass Sullivan ihn als einzelnen Band konzipiert und anscheinend auch so niedergeschrieben hat. Die ganze Geschichte inklusiv des entsprechenden Epilogs ist abgeschlossen. Die Thronverschwörung an die Oberfläche gezerrt und die das Reich bedrohenden Mächte mit einer brachialen Drohung, die eher in einen Horrorfilm denn ein Fantasy Epos passt, gewarnt. Die Helden und die Adligen sind beide zufrieden, am Ende ist die Kasse dank mehrerer guter Taten aufgefüllt. Das Tempo ist wie geschrieben sehr hoch und überdeckt einige erzählerische Schwächen. Auf der anderen Seite bietet der Roman insbesondere im Vergleich zu Leibers berühmter Serie zu wenige neue Ideen oder letztendlich überraschende Wendungen. Zumindest macht Sullivan nicht den Fehler, seine beiden Protagonisten alles im Alleingang lösen zu lassen und manchmal müssen ihre nicht immer "treffsicheren" Instinkte gereizt werden, damit sie tödlichen Situationen während ihrer Flucht in letzter Sekunde und unter der oben beschriebenen "Täuschung" der Leser entkommen können.

 

 

1. Aufl. 2014, aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann, 379 Seiten, broschiert, 2 Karten
ISBN: 978-3-608-96012-9

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