Weisser Mars

Brian W. Aldiss & Roger Penrose

„Weißer Mars“ von Brian W. Aldiss in Kooperation mit dem theoretischen Mathematiker und

Physiker Sir Roger Penrose ist der Letzte einer ganzen Reihe von auf dem Mars spielenden Romanen, die um den Jahrtausendwechsel erschienen sind. Während sich Greg Bear um die politische Situation auf dem roten Planeten gekümmert hat, entwickelt Ben Bova als Beginn seiner literarischen Reise durch das Sonnensystem in zwei umfangreichen Büchern die Besiedelung schließlich auch die Unabhängigkeit von der industriellen Erde. Herausragend wie auch schwierig ist in dieser Hinsicht Kim Stanley Robinsons „Mars“ Trilogie, in welcher er ausführlich und detailliert den Terraformungprozess beschreibt und nicht nur die Geduld der Protagonisten, sondern vieler nicht unbedingt wissenschaftlich geschulter Leser strapazierter.

 Positiv wie negativ bietet „Weißer Mars“ eine weitere Alternative. Im Grunde handelt es sich um den Versuch, die Ideale der frühen Utopien in das 21. Jahrhundert zu übertragen auf in mehrfacher Hinsicht auf dem Papier eine perfekte Gesellschaft zu entwickeln. Penrose und Aldiss haben sich für dieses Vorhaben mit Laurence Lustgarten einen Rechtsbeistand geholt, der sich vor allem um die juristischen Probleme bei der Gründung eines neuen Staates jenseits der Erdatmosphäre kümmern sollte.

 Das Problem ist die Struktur des Buches. Die einzelnen Teile harmonieren nicht wirklich miteinander. Brian W. Aldiss hat vor allem in seiner „Heliconia“ Trilogie dargestellt, das er nicht nur exotische Plätze, sondern vor allem über Generationen auch eine soziale Kultur entwickeln und fortführen kann. „Weisser Mars“ wirkt eher wie der Versuch, einzelne Komponente miteinander zu verbinden, ohne wirklich eine Geschichte erzählen zu wollen. Erstaunlich ist dabei, dass es in diesem Buch über viele Seiten wissenschaftliche und theoretische Exkursionen gibt, die vermutlich von Sir Roger Penrose stammen und nicht bedingt, teilweise gar nicht mit der sich langsam, aber stetig entwickelnden Handlung verbinden lassen.

 Der Mars ist Mitte des 21. Jahrhunderts schon besiedelt worden. Es besteht immer noch eine wirtschaftliche Nabelschnur zur Erde, die durch deren wirtschaftlichen Kollaps im wahrsten Sinne des Wortes unterbrochen wird. Bislang lebten die immerhin sechstausend Menschen von und mit dem Konglomerat EUPACUS, das die Transportrechnungen bezahlt und die Kolonie versorgt hat. In einem interessanten Vorgriff auf die Finanzkrisen spielen die Autoren das Szenario eines Zusammenbruchs dieser gigantischen Firma durch innere Korruption inklusiv der Folgen für die Erde, aber indirekt auch die Marskolonie pragmatisch durch. Natürlich stellt sich für den Leser die Frage, ob der Zusammenbruch eines gigantischen Firmenimperiums alleine ausreicht, um die Menschen auf dem Mars zu isolieren und warum in diesem Fall die Regierung oder ggfs. auch die Regierungen eingegriffen hätten, um die Menschen auf dem Mars entweder zu retten oder zu versorgen. Es ist eine der vielen roten Fäden, die im Nichts enden und die Lektüre teilweise so frustrierend oberflächlich machen.   

 Als Anführer wird auf dem Mars Tom Jefferies gewählt. Tom Jefferies verkörpert in der Theorie beide Lager. Er ist ein ausgebildeter Wissenschaftler, aber auch inzwischen ein Philosoph. Nimmt der Leser Penrose als Wissenschaftler, wäre Brian W. Aldiss vielleicht nicht unbedingt der Philosoph, aber angesichts seines umfangreichen Werks der Soziologe.

Diese beiden Positionen lassen sich im Verlauf der Handlung sogar gut erkennen. Anscheinend haben es Penrose und Aldiss eher als intellektuelles Spiel gesehen, ihre jeweiligen Positionen dem Anderen stellvertretend für die Leser darzustellen. Diese Vorgehensweise hätte sich bei einer besseren Konzentration auf den Spannungsbogen sogar funktionieren können.

 Anstatt aus dieser schwierigen, teilweise unmöglichen Situationen eine dynamischen Überlebensroman zu erschaffen, konzentriert sich Brian W. Aldiss nach der Etablierung der Ausgangsbasis  und des Zusammenbruchs auf endlos erscheinende Diskussionen, in denen alle relevante Themen des Überlebens auf dem Mars zwar gestreift, aber nur im Elfenbeinturm diskutiert werden. Das Spektrum der einzelnen Eckpunkte ist faszinierend und praktisch zu gleich. Es beginnt mit der Idee von Abtreibungen, um die wertvollen Resourcen nicht zu strapazieren bis zur aktiven Sterbehilfe, um wieder die Medikamente zu schonen. Verbrechen sollten oder könnten hingerichtet werden. Absurd wird die Diskussion allerdings, wenn ausführlich das für und wider des Terraforming im Grunde durchgekaut wird. Die sechstausend Menschen sind nicht nur auf dem Mars gestrandet, sie haben sich freiwillig auf den roten Planeten begeben. Das die Technik in der Kolonie nicht stillsteht und eine Art Überlebenssituation abseits der Erde erschaffen werden muss, dürfte allen Siedlern vom ersten Fußtritt auf dem Mars klar gewesen sein. Daher wirkt diese Diskussion nicht nur wie die Quadratur des Kreises, angesichts der handlungstechnischen Entwicklung ist sie schlicht überflüssig.

 Tom Jefferies hätte ein schillernder Charakter werden können. Aber Aldiss wollte unbedingt Mores „Utopia“ und vor allem „Bellamys „Looking Backwards“ folgen, anstatt auf die Ideen eines Frank Capras mit seinem immer wieder über sich hinauswachsenden James Stewart zurückzugreifen und einen menschlichen Protagonisten in eine im Grunde unmögliche Position zu versetzen, aus welcher er sich mit gut geführten Diskussionen und vor allem gescheiteten Argumenten befreien und die Mehrheit hinter sich bringen kann. Brian W. Aldiss ist ein erfahrener Autor, der viele Jahre auch pointierte und doppeldeutige Dialoge geschrieben hat. Auch im Original fällt der Roman in dieser Hinsicht schablonenhaft und flach auf. Tom Jefferies erreicht mit sehr viel Engelsgeduld die meisten seiner Ziele und schafft es sogar, eine in der Theorie perfekte und perfektionierte Gesellschaft auf dem Mars zu etablieren, er reißt aber die Leser nicht wirklich mit.

 Die wenigen Actionszenen wirken wie die zahlreichen wissenschaftlichen Exkursionen wie aus einem anderen Buch entlehnt und einfach in regelmäßigen Abständen über den Verlauf der Handlung platziert. Dadurch verliert der Roman während der im improvisierten Parlament abgehaltenen Diskussionen noch mehr an Fahrt.

 Schwierig wird das Buch, wenn Aldiss zusammen mit Penrose provokative Themen wie Sex – niemals expliziert, sondern tatsächlich als ernst gemeinte Altherrenphantasie – als eine Art Lösung ansprechen. Penrose versucht aus seiner wissenschaftlichen Position verschiedene Theorien zum Sex in Kombination mit einem aufgeweckten Bewusstsein allerdings immer mit sozialer Verantwortung zu formulieren, welche Brian W. Aldiss stilistisch schwach und inhaltlich schwerfällig weder parodiert wie in „Es brennt ein Licht“ oder ins Parodistische extrapoliert wie in seiner Trilogie um einen sehr potenten Soldaten. Brian W. Aldiss schafft es nicht einmal, einzelne Sequenzen erotisch zu beschreiben. Sie wirken wie fast alles in diesem Buch bemüht und eindimensional.

 Wie H.G. Wells in seinem Spätwerk machen Brian W. Aldiss und Penrose den entscheidenden Fehler, das sie ihre Geschichte im Grunde nicht erzählen wollen. Viel mehr wirkt der ganze Plot wie ein ins Endlose überzogener belehrender Diavortrag in einem angestaubten Hörsaal, der vor allem aufzeigt, wie weit weg von jeglicher Realität Penrose Thesen bei einem experimentellen Science Fiction Roman sind. „Weißer Mars“ zeigt nur an ganz wenigen Stellen sein wirkliches Potential. Es sind die Passagen, in denen sich Tom Jefferies einen einzigen Moment von seinen Vordenker More, Bellamy und schließlich Penrose löst, um die alltäglichen Probleme auf einer Kolonie weit entfernt von der Erde und plötzlich auf sich alleine gestellt anspricht. In diesem Moment beginnt das Buch wirklich zu leben, aber diese Geistesblitze kommen zu selten und wenn, werden sie sofort von ausführlichen theoretischen Debatten förmlich erstickt.  

Weißer Mars: Roman

  • Dateigröße : 1476 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe : 369 Seiten
  • ASIN : B08BFX57CY
  • Word Wise : Nicht aktiviert
  • Herausgeber : Heyne Verlag (13. Juli 2020)
  • Text-to-Speech (Vorlesemodus) : Nicht aktiviert
  • Sprache: : Deutsch
  • Screenreader : Unterstützt
  • Verbesserter Schriftsatz : Aktiviert
  • X-Ray : Nicht aktiviert