
1999 veröffentlicht Richard Laymon nach seiner Autobiographie „A Writers Tale“ und neben drei weiteren Romanen mit „Cuts“ (dt. „Die Klinge“) einen sehr ungewöhnlichen, sehr intensiven wie den Erwartungen entsprechend auch brutalen Roman, der sich weniger über die stringente und in diesem Fall sogar abgeschlossene Handlung, sondern die insgesamt nur neun sehr scharf umrissenen charakterisierten Protagonisten definierte. Vieles wirkt wie ein Schmelztiegel seines bisherigen Schaffens, eine Art Abschied von den schnell herunter geschriebenen Horror Romanen, der dem zu früh verstorbenen Amerikaner nie richtig gelungen ist.
Mit Albert Mason Prince verfügt der Roman über einen fast typisch klischeehaften Psychopathen, wie in Laymon so oft und so eindringlich beschrieben hat. Er liebt es, in erster Linie Frauen aufzuschlitzen. Nur wenn er keine Frauen vor seine Klinge bekommt, ermordet er Männer und quält Tiere. Er reist durch die USA und sucht sich seine Opfer. Albert Mason Prince ist kein sympathischer Charakter. Im Vergleich zu einigen anderen Laymon Romanen gibt er seinem Massenmörder keine positive, keine verführerische Seite. Die Grenzen von „gut“ und „böse“ sind klar umrissen und die nicht selten erfolgte Verführung durch nur aus der verzerrten Perspektive eines Psychopathen willigen Frauen entfällt ebenfalls. Prince wirkt fast zu eindimensional und mit dieser eingeschränkten Charakterisierung nimmt er sogar beinahe dem vorliegenden Roman die notwendige Intensität, die Laymons Arbeiten von den ausschließlich brutal perversen Slasher Werken nicht selten wohltuend unterscheiden. Man wünscht dem Antihelden ein brutales Ende. Auf Umwegen scheint Laymon dem Leser und den wenigen überlebenden Opfern den Wunsch zu erfüllen. Nur leidet „Cuts“ wieder unter der für den Autoren leider ebenfalls typischen Schwäche, eine Drehung auf den letzten fünfundzwanzig Seiten einbauen zu wollen, um noch einmal unnötig und stark konstruiert Spannung zu erzeugen. Vorher hat Richard Laymon teilweise vier Handlungsbögen parallel laufen lassen, die überraschend elegant mit natürlich teilweise perversen Zwischentönen zusammengeführt und auf die finale Konfrontation quasi vorbereitet worden sind.
Während die Täterzeichnung wenig erhellend und seine Vorgehensweise erstaunlich simpel gestaltet worden ist, sind es die potentiellen Opfer, welche „Cuts“ trotz dieser stereotypen Handlungsmuster zu einer interessanten Lektüre machen.
Janet Arthur ist eine junge attraktive Lehrerin, die gerade erfahren hat, dass sie schwanger ist. Während sie sich auf ihr Kind freut, ist ihr Freund Dave entsetzt. Er will keine Kinder und wirft ihr vor, ihn in eine Falle gelockt zu haben. Ganz bewusst hat Laymon hier einen sehr starken Kontrast angelegt. Während Janet bei ihrer Freundin Meg - eine Nymphomanin - Unterschlupf findet, etabliert der Autor den Egomannen Dave als zweiten Antagonisten des Buches. In vielen anderen Werken hat Richard Laymon mit diesen Zweite- Klasse- Exzentrikern Ablenkungen erschaffen. In "Cuts" ist das leider nicht der Fall. Dave ist ein Egoist, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Das genaue Gegenteil vom gehemmten Serienkiller Albert Mason Prince.
In einer anderen Stadt - eine grundsätzlich interessante Idee, die einzelnen Familien nicht unmittelbar aufeinander treffen zu lassen - leben Lester und Helen. Lester ist ein klassischer Verlierer, der am Ende nicht selten in diesen Romanen zum Gewinner werden könnte. Lester als netter sehr ruhiger Kerl leidet unter seiner dominanten wie sexuell aggressiven, aber emotionslosen Frau Helen, die nicht umsonst den Spitznamen "Eisberg" trägt. Lester ist nicht als einziger Charakter auf der Suche nach wahrer Liebe, während seine Frau sich möglichst attraktive Studenten zur Befriedigung ihrer Gelüste aussucht.
Ian Collins ist nicht nur ein guter Lehrer, sondern unter Pseudonym auch ein erfolgreicher Autor. Als Evan Chandler schreibt er Mystery Geschichten. Ian gehört zu den Protagonisten, mit denen sich Richard Laymon wahrscheinlich am ehesten identifizieren kann. Ein Schreibtischtäter, der es allerdings im Gegensatz zu ihm zu Verfilmungen seiner Bücher gebracht hat. Vielleicht ist Ian ein wenig offener als Richard Laymon selbst, aber seine Sympathien liegen auf jeden Fall bei dieser Figur, die sich als einzige auf mehreren Ebenen und nach einer Achterbahnfahrt der Gefühle mit dem wahnsinnigen Mörder auseinandersetzen muss. Ian trifft auf die eher verzweifelte Janet und versucht Emily Jean Bonners attraktiver Tochter beim Start der Filmkarriere zu helfen. Auch die ältere Jean Bommer gehört eher zu den Frauen, die nach der Liebe des Lebens denn schnellen Sex suchen. Bis auf Janet - die ist allerdings schwanger vom falschen Mann - gibt es bei Laymon keine normalen Frauen. Das reicht zwar nicht in das Spektrum Hure oder Heilige hinein, aber es ist schon erstaunlich, wie geschickt der Autor seine Figuren aus einer normalen Umgebung abhebt und extrapoliert. Dabei spricht der Autor subtil die kleinen Geheimnisse an, die insbesondere direkt unter der Oberfläche der in diesem Fall normalen Vorstädte liegen. Das wirkt teilweise wie in einer Soap, aber Laymon schwenkt vor den größten Kitschanfällen auf die Serienkillerhandlung um. Vor allem geht es dem Autoren in erster Linie darum, dreidimensionale Figuren zu erschaffen, die von dem vielleicht ein wenig zu simpel, aber niemals nur eindimensionalen Serienkiller auf brutale wie sadistische Art und Weise ins Jenseits gebracht werden. Die Spannung resultiert im Verlaufe des Romans aus der Tatsache, wer dem körperlich nicht unbedingt kräftigen, aber mit dem Messer geschickten und rücksichtslosen Albert das Wasser letztendlich reichen und ihn besiegen kann. Interessant ist, dass die Nichtserienkillerhandlung auch stellenweise nicht nur gewalttätig, sondern provozierend abstoßend ist. Es ein auf nachdenklich stimmend schmaler Grad, auf dem Laymon schließlich die beiden Hauptbögen zusammenführt.
Vielleicht ist das letzte Element weniger eine Überraschung denn eine leichte Enttäuschung, denn neben einigen dummen Handlungen der Protagonisten, die eher aus den Horrorfilm C Produktionen stammen, muss der Autor noch einen kleinen Umweg einbauen, der wie einige Handlungen der Protagonisten selbst in Panik nicht gänzlich logisch erscheint.
"Cuts" ist in mehrfacher Hinsicht nicht nur ein für Laymon typisch gewalttätiges und vor allem neben den zahlreichen erotisch stimulierenden Sexszenen ein gewaltpornographisches Buch. Laymon hat selten auf übernatürliche Angreifer oder eher Fantasy- Attacken zurückgegriffen. Es sind immer Menschen, die unter Schmerzen ums Leben kommen. Mit der direkten Konfrontation mit dem psychopathischen Mörder wird diese Spirale der Gewalt vielleicht im Vergleich zu Laymons Vampirgeschichten noch eine Spur stärker angezogen. Der kompakte Plot, der gute Rhythmus aus Vorstadtleben und Mord fängt die Leser erstaunlich früh ein und hält sie sehr viel länger fest als es ihnen rückblickend gesehen lieb ist. Bei den Charakteren ist "Cuts" tatsächlich eine Ansammlung von verschiedenen Figuren, die der Laymon Fan schon aus früheren Büchern nur oberflächlich variiert kennt. Zusammengefasst vielleicht angesichts einiger kleinerer Schwächen nicht unbedingt ein Einsteiger Laymon, aber zumindest ein solider Roman mit einigen guten Szenen, der in erster Linie seine Fans befriedigen wird.
Originaltitel: Cuts
Originalverlag: Leisure
Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler
Deutsche Erstausgabe
Taschenbuch, Broschur, 432 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-67650-3