Max Allan Collins „Seduction of the Innocent“ ist der dritte Romn um Maggie und Jacob Starr. Die ersten beiden Taschenbücher sind in einem kleineren Verlag erschienen, der die Reihe nicht fortsetzen wollte. In seinem Nachwort hat sich Max Allan Collins die Möglichkeit offen gelassen, weitere Geschichten um den ehemaligen Soldaten, inzwischen mit einer Privatdetektivlizenz ausgestatteten und bei seiner ehemaligen Schwiegermutter im Comicstrip Verlag arbeitenden Jacob Starr zu schreiben. Wie die ersten beiden Bücher ist auch der dritte Teil effektiv und reichhaltig von Comiczeichnern illustriert worden. Die einzelnen zwischen die Kapitel gesetzten Zeichnungen visualisieren wichtige, noch kommende Szenen, wobei sich der Leser fragt, ob diese ein wenig überspitzten Sequenzen wirklich auf den nächsten Seiten so beschrieben werden. Das ist tatsächlich der Fall.
Wie bei den ersten beiden Ermittlungen orientiert sich Max Allan Collins nicht nur an den historisch allerdings auf der zwischenmenschlichen Ebene und hinsichtlich einiger Details veränderten Tatsachen – in diesem Fall der Hetze gegen die jugendgefährdeten Comics - , sondern liefert eine perfekte Hommage vor allem an die Klassiker des Genres wie Rex Stout, A.A. Fair alias Erle Stanley Gardner und schließlich auch ein wenig an Agatha Christie ab. Es ist keine Überraschung, dass am Ende der Detektiv eine Art Geistesblitz hat und alle möglichen Verdächtigen sich in einem Raum versammeln müssen, damit der Täter gestellt wird.
Damit schließt sich auch der handlungstechnische Kreis, denn durch die Aufzeichnung einer Fernsehsendung in genau den Räumen des Starr Gebäudes wird der Roman auch eröffnet. Durch die hitzige Diskussion führt Max Allan Collins nicht nur eine Handvoll von potentiellen Verdächtigen ein, sondern indirekt auch das zukünftige Opfer. Weiterhin nutzt Max Allan Collins diese Fernsehaufzeichnung, um die wichtigsten Positionen bei der an Hetze erinnernden Diskussion um die Gefährdung der Jugend durch die immerhin millionenschwer aufgelegten Comics zu erklären.
Im Laufe der weiteren Ermittlungen werden weitere Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Das Max Allan Collins dabei natürlich als Comicautor auch auf der Seite der bildenden Künstler ist, symbolisiert er nicht nur an Jacob Starr, der den Mordfall auch im eigenen Interesse aufklären muss. Jacob Starr ist zusammen mit seiner attraktiven, nur wenige Jahre älteren Schwiegermutter Besitzer eines Comicstripverlages, der die landesweiten Zeitungen versorgt. Daher ist ein generelles Verbot von Comics bzw. gewalttätigen Strips natürlich in seinem Sinne.
Das Opfer ist im Grunde in mehrfacher Hinsicht auch der Schurke. Dr. Werner Frederick ist ein Psychiater und hat sich schon mehrfach negativ über den Einfluss von Comics auf die Jugend geäußert. Anscheinend hat er eigene Erfahrungen in seiner Einrichtung für Jugendliche gemacht. Max Allan Collins beschreibt ihn als käuflichen Opportunisten, als eine Art Westentaschenazi, der sich mit den Jugendlichen leichte Opfer bei seiner Kampagne um Aufmerksamkeit gesucht hat.
Frederick steht am Ende einer langen Kette von Ghostwritern. Auch sein Sachbuch ist anscheinend von jemand anders verfasst worden. Es ist erstaunlich, wie vielen Künstlern und Autoren Jacob Starr stellvertretend für den Leser im Laufe der Ermittlungen begegnet, die sich hinsichtlich ihres Talents prostituieren müssen, um populären Exzentrikern zuzuarbeiten, die quasi nur noch signieren, aber nicht mehr kreieren.
Der eigentliche Krimi ist geradlinig erzählt und folgt den bekannten Mustern. Die meisten Verdächtigen werden befragt, einige haben kein Alibi, andere verhalten sich auffällig. Der Täter aber ist die Person, die am Weitesten sich aus diesem Kreis heraus bewegt und vor allem nur bedingt ein Motiv hat. Sie verrät sich quasi zufällig während eines ansonsten eher belanglosen Gesprächs. Die Aufdeckung des Täters und des Motivs sind folgerichtig, logisch. Hinzu kommt, dass der „Mord“ als Anspielung auf eine Szene aus einem „Dick Tracy“ Comic begangen wird. Viele Jahre hat Max Allan Collins ebenfalls die „Dick Tracy“ Comics getextet.
Viel interessanter sind die einzelnen Protagonisten und das Milieu. Auch hier empfiehlt es sich, mit dem Nachwort zu beginnen und die einzelnen Verweise auf Collins Vorbilder im Vorwege zu lesen. Dadurch wird eine Reihe von Anspielungen deutlicher und das Lesen des Textes macht mehr Spaß.
Das Comicbuchmilieu bis hin zum organisierten Verbrechen, das am Zeitungskiosk sein Geld wäscht wird teilweise minutiös beschrieben. Hinzu kommt eine Reihe von exzentrischen Charakteren vor und hinter den Kulissen der Comicwelt. Vielleicht zeichnet Max Allan Collins die Frauenfiguren ein wenig zu schematisch mit einer Fokussierung auf die Femme Fatale. Zumindest macht der Autor aber nicht den abschließenden Fehler, daraus eine klischeehafte Auflösung des Falls abzuleiten.
Im Mittelpunkt stehen aber weiterhin Jacob Starr als lakonischer Erzähler und seine Schwiegermutter. Jacob Starr ist der Handlanger nicht nur seines Verlages, sondern auch gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt bei den Ermittlungen als verlängerter sowie einziger Arm des Gesetzes. Natürlich hat er ein monetäres Interesse, aber es geht ihm auch um Gerechtigkeit, selbst wenn er das Opfer nicht mag. Seine Kommentare quasi aus dem off direkt an die Leser sind pointiert, manchmal auch ein wenig zynisch. Max Allan Collins macht sich wieder eine Art Running Gag, in dem Starr mehr als einmal ohnmächtig wird.
Maggie Stark dagegen bleibt lange Zeit im Hintergrund. Zu Beginn des Buches kann sie nicht nur ihre optischen, sondern vor allem ihre verbalen schlagkräftigen Qualitäten präsentieren. An einer anderen Stelle zeigt Max Allan Collins deutlich, dass sie eine geschickte opportunistische Geschäftsfrau mit einem guten Gespür für den Markt ist. Abschließend darf sie den Täter überführen, während Jacob Starr die abschließende Beweisführung inklusiv des feurigen Finales übernimmt.
Es ist schade, dass die Beiden so wenig direkt zusammenarbeiten. Bis auf die angesprochenen Schlüsselszenen übernimmt Jacob Starr die Laufarbeit, darf sich mit attraktiven Künstlerinnen und Psychologinnen herumschlagen und steht er auch am Anfang der Ermittlungen, in dem er den Ermordeten in dessen Hotelzimmer findet. Jacob Starr ist wahrscheinlich aufgrund seiner kriminalistischen Vergangenheit der Einzige, der sofort auf Mord tippt. Im Gegensatz zur Polizei kann er auch die absichtlich platzierte Inspiration entdecken und entsprechende Schlüsse ziehen.
„Seduction of the Innocent“ ist ein guter vorläufiger Abschluss dieser kurzweilig zu lesenden klassischen Ermittlerserie mit einigen Anspielungen auf das Comicmilieu. Wie Max Allan Collins Desasterserie verbinden sich die nicht sonderlich komplizierten Kriminalfälle perfekt mit der besonderen historischen wie genretechnischen Atmosphäre zu einer kurzweiligen Lektüre.
- Taschenbuch: 269 Seiten
- Verlag: Hard Case Crime (22. Februar 2013)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 9780857687487
- ISBN-13: 978-0857687487
- ASIN: 0857687484