Jupiter

Thomas leBlanc

Im Vorwort zur letzten „Sternenanthologie“ schreibt Thomas le Blanc über die Anforderungen der Texte, die er veröffentlichen möchte. Er sieht Science Fiction als Ideenliteratur, die durchaus bis an die Grenze des Möglichen gehen darf, aber nicht unlogisch werden sollte. Das Thema dieses letzten Bandes ist „Aliens“, was den Autoren ein sehr weiteres Feld bietet.

 Reinmar Cunis hat zum ersten Mal in der Geschichte dieser Anthologiereihe eine Kurzgeschichte nach dem Band betitelt. „Jupiter“ beschreibt ein besonderes strategisches Spiel, das komplex um hohe Einsätze gespielt werden kann. Allerdings relativ das zus eichte Ende die gute Ausgangsbasis.

 Altmeister wie Herbert W. Franke beschränken sich in „Die Koralleninsel“ auf eine interessante biologische Technik, welche die Fähigkeiten und Vorteile der irdischen Korallen auf eine fremde Welt transportieren.

 Iny Klocke und Elmar H. Wohlrath schreiben in „Der Tag, an dem Spielzeug weglief“ aus der Perspektive eines außerirdischen Kindes, das einem besonderen Spielzeug in die Welt der Menschen folgt. Nach und nach offenbart sich erst diese subjektive Perspektive, wobei die Autoren wert legen, den Plot griffig erscheinen zu lassen. An einigen Stellen hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als folge er einem in die Zukunft verlegten Märchen. Allerdings bleiben die beiden Schriftsteller an einigen Stellen auch oberflächlich und vertrauen mehr der Implikationen als Fakten, so dass zum Beispiel das Spielzeug ambivalent erscheint und die menschliche Kolonie eine seltsame Mischung aus archaisch und modern ist.

 „Die Wasserfeste“ von Bernd Kreimeier ist auch eine seltsame, aber faszinierende Mischung aus Space Opera mit der Erkundung einer fremden Welt durch ein Archäologenteam und einer Hommage an die dunklen gesichtslosen Bedrohungen im Inneren der Erde, die H.P. Lovecraft und andere Autoren der Pulpära so wunderbar erschaffen haben. Vor allem schafft es der Autor, mit wenigen intensiven Bildern eine bedrohliche und doch faszinierende Atmosphäre zu erschaffen, welche nicht nur die beiden Protagonisten, sondern auch die Leser förmlich einsaugt. Das offene Ende ist klassischer Horror.

 Robert Feldhoff fügt mit „Abgründe“ eine zweite Story dieser Thematik hinzu. Auf einer Wüstenwelt untersucht eine kleine Gruppe Forscher eine Pyramide, als ein seltsamer Sturm über ihnen ausbricht. Während Kreimeier eher eine klassische Grusel Science Fiction Geschichte verfasst hat, konzentriert sich Feldhoff auf die Wechselwirkung des Sturms von außen und dem Gefühlsleben seiner vielleicht ein wenig zu eindimensional gezeichneten Charaktere.

 Beide Texte enden mit einem zu offenen Ende, um nachhaltig überzeugen zu können, auch wenn die unterschiedlichen Atmosphären in beiden Storys sehr überzeugend wie unterschiedlich entwickelt worden sind.

 "Das Modell" reiht sich ebenfalls in die grundlegende Thematik der Anthologie auf eine erstaunlich einzigartige Art und Weise ein.

Ein Bildhauer liebt eine wunderschöne junge Frau, der er unbewusst das Leben gerettet hat. Werner Zillig zeigt aber in dieser Geschichte auf, dass eine im Grunde alterslose Liebe auf der einen Seite unter allen Umständen Bestand haben kann, auf der anderen Seite es nicht selten doch auf die inneren Werte ankommt. Die Protagonisten sind gut und vor allem zugänglich gezeichnet worden. Während die meisten der anderen Autoren nach außen drängen und fremde Welten beschreiben, konzentriert sich Werner Zillig auf das "Zwischenmenschliche" und ragt alleine deswegen schon aus dieser Anthologie positiv heraus. 

 Menschen auf fremden Planeten spielen auch in Horst D. Berners „Fröhlich wie ein rosa Luftballon mit blau-grün-goldnen Streifen“ eine wichtige Rolle. Allerdings könnte der erste Abschnitt der Geschichte auch in einem unwirtlichen Teil der Erde spielen. Der Protagonist hat eine kleine Hütte neben einem Wüstenhighway, den die Lastkraftwagen entlang donnern. Er erzählt einem kleinen einheimischen Jungen kindgerechte Sagen von der Erde. Diese fremde Welt ist von den Menschen besiedelt worden, nachdem die Atmosphäre und Umwelt der Erde unrettbar zerstört worden sind. Die Menschen verhalten sich wie die Vorfahren bei der Eroberung Amerikas. Stilistisch ansprechend mit einem nachdenklich stimmenden Augenzwinkern ist es trotz des mahnenden Hintergrunds eine erstaunlich optimistische Geschichte.  

 Zu den längsten Geschichten gehört Wolfgang E. Hohlbeins „Im Namen der Menschlichkeit“. Eine Gruppe von Kriegern reist an Bord eines Zeitschiffes mit zwei Bomben in die Vergangenheit, weil sie dort ihren Feind entwurzeln wollen. Das Zeitschiff wir beschädigt und sie landen in einer anderen Zeit. Das wirkt wie eine Ansammlung von Klischees. Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass sie nicht aus der menschlichen Gegenwart stammen, sondern aus einer parallelen Zeitlinie. Vor die Wahl gestellt, unterzutauchen oder zu versuchen, die Zukunft auf eine andere Art und Weise zu verändern, stehen sie vor einem Dilemma. Ihre Argumentation ist klar und deutlich. Die Wendung kann der Leser auch aber der Mitte des Textes erkennen. Die Geschichte hat ihren Reiz, weil der Leser im Gegensatz zu den Protagonisten weiß, dass ihre Handlungen fatale Folgen haben werden und die Auswirkungen viel viel schlimmer und nachhaltiger sind als wenn sie alles „so“ gelassen hätte. Es ist ein interessantes Gedankenmodell, da aber durch den klaren Wendepunkt einiges an Potential verliert. Eine unbekanntere Ausgangslage hätte die Spannungskurve länger hoch gehalten.

 Die Technik ist nicht immer verlässlich, wie eine Reihe von Geschichten herausarbeiten. In Gerhard Hauers „Erdfall“ ist der eine Teil einer Expedition auf einem erdähnlichen Planeten gestrandet. Eine zweite Fähre gibt es nicht mehr. Die an Bord zurückgebliebene Frau muss ein besonderes Kunststück versuchen, um zumindest bei ihrem Kollegen zu sein. Gerhard Hauer konzentriert sich in der ersten Hälfte auf eine Mischung auf Hindernissen – eine Landung ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich – und Versäumnissen, bevor er am Ende eine pragmatische Auflösung präsentiert.

 Martin Stoltefuss „Opfertag“ basiert wahrscheinlich auf einem Zufall. Der Pilot eines Raumschiffs landet ausgerechnet an dem Tag, an dem ein primitives Dorf seinen Göttern ein junges Mädchen opfern will. Als die beiden viele Jahre später den Planeten noch einmal besuchen, erkennt zumindest einer der Beiden, dass etwas schief gegangen ist. Der Plot entwickelt sich durch die Kürze des Textes nicht nachhaltig genug, um überzeugen zu können. Außerdem könnte das offene Ende in mehrere Richtungen interpretiert werden.

 Karin Meneidas „Dies ist mein Tag“ überzeugt durch die äußere Form einer audiovisuellen Aufzeichnung des Betrachters, der minutiös die Ereignisse eines einzigen Tages nicht nur aufzeichnet, sondern für sich interpretiert. Erst im Laufe des Textes schälen sich die einzelnen Perspektiven heraus, wobei die Autorin am Ende zu stark auf die Pointe schielt und vielleicht ein wenig zu pragmatisch den Text vorantreibt.  

 Hans- Joachim Schmidts „Gestern, heute, morgen“ ist eher nicht unbedingt negativ typische deutschsprachige Science Fiction Geschichte der achtziger Jahre. Dunkel und mahnend hinsichtlich der nicht mehr aufzuhaltenden Umweltverschmutzung, welche schließlich die eigenen Kinder frisst. Der Autor setzt stark auf die Pointe und beschreibt drastisch das Schicksal der Männer, welche in einer inzwischen lebensfeindlich gewordenen Atmosphäre arbeiten müssen.  

 Eine von Karl- Ulrich Burgsdorfs ersten Science Fiction Kurzgeschichten „Der Mann, dessen Gesicht in Fetzen hing“ ist gleichzeitig eine der besten Arbeiten dieser Sammlung und die letzte Story in Thomas le Blancs Sternenanthologien.. Der Autor hat einige Episoden aus dem Leben des in New York lebenden Fotographen Weegee für seine Science Fiction Geschichte zweckentfremdet. Auch wenn der zugrunde liegende Plot zwischen dem Machtkampf zweier „Gruppen“ unter Einbeziehung des organisierten Verbrechen in den dreißiger und vierziger Jahren vielleicht einigen Lesern durch den später gedrehten, aber deutlich bekannteren „Man in Black“ Film bekannt ist – Karl- Ulrich Burgdorf weist in seinem Nachwort darauf hin -, überzeugt die Geschichte durch die stilistische Hommage an die Hardboiled Krimis dieser Zeit. Hinzu kommen das Erschaffen einer absolut stimmigen Atmosphäre als einer der Stärken des selbst in seinen Miniaturen minutiös planenden Autoren sowie überzeugende Charaktere.

 „Jupiter“ ragt als Ganzes betrachtet qualitativ nicht an „Io“ heran. Es gibt aber nur wenige schwächere Geschichten. Bei denen liegt es vor allem an der Kürze der Texte, welche die innere Würze nicht so präsentieren können, wie es die nicht einmal schwachen Plots verdient hätten. Positiv ist, dass Thomas le Blanc noch einmal mit Altmeistern wie Franke interessante Exzentriker wie Zillig, aufstrebende Autoren wie Klocke und Wohlrath – sie werden sich später eine Nische im historischen Roman erschreiben – , mit Wolfgang Hohlbein bei einem seiner wenigen Ausflüge im Rahmen seines Gesamtwerks in die Science Fiction oder den Zuverlässigen wie Reinmar Cunis oder Klaus- Ulrich Burgdorf ein erstaunlich breites Spektrum an Autoren präsentiert, welche die deutsche Science Fiction der achtziger Jahre mit ihrer thematischen Vielfalt würdig repräsentieren.   

  • Taschenbuch: 221 Seiten
  • Verlag: Goldmann; Auflage: 1. (Dezember 1985)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442234832
  • ISBN-13: 978-3442234837

Jupiter - SF aus Deutschland