In den besten Familien

Rex Stout

Mit „In den besten Familien“ setzt der Klett Cotta Verlag seine „Nero Wolfe“ Edition leider weiter in ungeordneter Reihenfolge fort. Es ist nicht nur nicht der Debütroman erschienen,  „In den besten Familien“ aus dem Jahr 1950 ist der Abschluss der sogenannten Zeck Trilogie. In den USA sind die drei Romane in zahlreichen Neuauflagen zusammen erschienen.  Mit Arnold Zeck hat Rex Stout seinen persönlichen Professor Moriarty erschaffen. Wie bei Arthur Conan Doyle sind die Begegnungen zwischen Nero Wolfe und Arnold Zeck, einem gewieften Erpresser mit einem unversteuerten Jahreseinkommen von mindestens einer Millionen Dollar, aber überschaubar. Nur „In den besten Familien“ begegnen sie sich Auge in Auge.

  In den beiden anderen Büchern „And be a Villain“ sowie „The Second Confession“  tritt Zeck erst per Telefon auf. Im zweiten Band zerschießt ein Auftragskiller Nero Wolfes Orchideen, um seinen Forderungen Gewicht zu verleihen. Allerdings ersetzt er ihm anschließend den Schaden. Auf beide Fälle wird im vorliegenden Roman mehrfach Bezug genommen, es wäre aber schön gewesen, wenn der Klett Cotta Verlag vor allem angesichts einer derartig aufwendigen Neuübersetzung teilweise ergänzt durch informative Nachwörter auf die chronologische Reihenfolge geachtet hätte.  

Alleine die Erschaffung eines potentiellen Erzfeindes reicht aber nicht, um Ähnlichkeiten zwischen Nero Wolfe/ Sherlock Holmes und Zeck/ Moriarty herzustellen. Rex Stout geht im vorliegenden Roman einen entsprechenden Schritt weiter. Sherlock Holmes fingierte ja seinen Tod bei den Reichenbachfällen in der Schweiz,  Nerol Wolfe flieht während der Ermittlungen in einem gänzlich anders erscheinenden Fall nach einem Gasangriff auf sein New Yorker Haus und taucht für mehrere Monate unter. Ihre treuen Helfer - Goodwin und Watson - bleiben im Dunkel zurück, wobei Rex Stout durch das Einlösen von Schecks impliziert, dass Goodwin zumindest ahnt, dass Nero Wolfe erstens noch am Leben ist und zweitens durch den besonders hohen Verkaufspreis seines New Yorker Hauses auch gerne dorthin wieder zurückkehren kann.

Holes und Nero Wolfe bündeln ihre Kräfte im Geheimen, um zum finalen Schlag gegen den Erzfeind auszuholen, der bislang seine umfangreichen kriminellen Tätigkeiten im Schatten der Öffentlichkeit, aber im Blick der beiden weltberühmten Detektive verrichtet haben.

Durch Nero Wolfes Verschwinden gleich zu Beginn des Romans aus seinem Haus durchbricht Rex Stout nicht zum letzten Mal die engen stereotypen Muster seiner Bücher und strafft die Legende Lügen, dass der gewichtige Detektiv nur von zu Hause ermittelt. In zwei anderen schon im Klett Cotta Verlag veröffentlichten Büchern - "Zu viele Köche" und "Der rote Stier"  fand der größte Teile der Arbeit außerhalb der New Yorker Denkfabrik statt.

Katalysator der Ereignisse ist ein Fall, den Nero Wolfe auch nicht zum ersten Mal gegen seine Überzeugung, aber für sein schmales Bankkonto übernommen hat. Zu Beginn und am Ende steht der Fall im Mittelpunkt der Geschichte. Die Auflösung in klassisch persönlicher Konfrontation ist stringent und nachvollziehbar. Auch die Punkte, in deren Wunden Nero Wolfe seine Beobachtungen legt, sind überzeugend. Aber der Zufall, der zwei Personen aus diesem kleinen Kreis für den mittleren Abschnitt mit Zeck verbindet, erscheint unglaubwürdig. Zumal Nero Wolfes Untertauchen ja auch die Ermittlungen nicht nur für Stunden oder Tage, sondern für Monate zum Stillstand bringt.

Strukturtechnisch kommt die Aufdeckung des Falls im Anschluss an die Konfrontation mit Zeck.  Interessant ist, dass Nero Wolfe zumindest theoretisch auf die Verhaftung eines Verbrechers verzichten würde, um Beweise zur Aufklärung eines Kapitelverbrechens zu erhalten und einen anderen Menschen zu überführen. Die Konversation findet auf erstaunlich zivilisierter zwischenmenschlicher Ebene von gegenseitigem Respekt geprägt statt.

Es zeigt aber auch, dass Rex Stout ein cleverer Erzähler ist. Weder Nero Wolfe noch Archie Goodwin machen sich die Hände schmutzig. Die Lösung ist final. Negativ erscheint, dass dieser Bluff aber im Grunde den Aussagen Nero Wolfes folgend keine wirklich relevante Rolle spielt, da der Detektiv den „Fall“ ja schon gelöst hat und damit zufrieden ist. Erst als er ein weiteres Mal von den Erben angesprochen wird, die verhindern wollen, das ein Täter durch ein Verbrechen nicht mehr sich, sondern seine Erben bereichern kann, löst er den Fall auf. Dieser ambivalente Gerichtssinn vor allem auch in Hinblick auf einen kassierten und eingelösten Scheck wirkt konträr zu Nero Wolfes sprichwörtliche Liebe zum Geld in Kombination mit einer gewissen Treue seinen Auftraggebern gegenüber. 

Es sind aber Details in einem Roman, der vor allem von Archie Goodwin bestimmt wird. Alleine gelassen von seinem Herrn macht er sich selbstständig und verdient schließlich mehr nicht unbedingt als Nero Wolfe, aber zumindest als in seiner Zeit als Angestellter. Dabei fasst Goodwin einige der Fälle in wenigen ironischen Worten zusammen. Auch der Gefängnisaufenthalt mit einem besonderen Zellengenossen gehört zu den satirischen Höhepunkten dieses nicht selten auch doppeldeutigen Romans.

Rex Stout durchbricht nicht nur in diesem Buch, sondern vielen „Nero Wolfe“ die Dimension zum Leser. Auch wenn es sich wie bei Sherlock Holmes um Berichte von erledigten Fällen handelt, kokettiert der dienstbare Helfer mit seinen Lesern. Einige Züge erinnern an die Cool & Lam Bücher Erle Stanley Gardners. Da kann es vorkommen, dass Goodwin die Leser sogar direkt anspricht und ihnen mitteilt, was er nicht niederschreiben und dadurch lesbar machen will. An anderen Stellen agiert er absichtlich übertrieben belehrend, ohne das es für den Plot zielführend ist.

Spannungstechnisch ist die Infiltration von Zechs Organisation durch Godwin ein Höhepunkt der ganzen Serie. Auch wenn es wie in einigen anderen „Fällen“ rückblickend relativ einfach ist und die Verbrecher schon erstaunlich leichtgläubig und naiv erscheinen, baut Rex Stout eine gute Dramaturgie auf, die er mit dem angesprochen große Finale Godwin/ Zeck/ Nero Wolfe auflöst.

Auf der anderen negativen Seite wirkt der Roman trotz seiner Kürze zu lang. Es fehlt die Dynamik. Im Gegensatz zu einigen anderen „Nero Wolfe“ Geschichten zieht sich fast unmerklich der Plot immerhin über einige Monate hin und trotzdem spürt der Leser nur bedingt die einzelnen Veränderungen.

Positiv dagegen hat Rex Stout eine Reihe von nicht mehr aufdringlich exzentrischen, aber einzigartigen Nebenfiguren erschaffen, die den seltsamen Mord an der Auftraggeberin und ihrem treuen Hund begleiten. Es gibt gleichzeitig viele und wenige Verdächtige. Ausgangspunkt ist wieder ein kleiner Kreis von Beteiligten mit Archie Goodwin in unmittelbarer Nähe, später sogar als Mordverdächtiger. Nur verbreitet Rex Stout dieses Mal das Szenario, als das er es wie in den Kammerspielkrimis immer weiter verengt und dadurch frühzeitig auf die finale Konfrontation am besten in einem Zimmer mit allen Beteiligten zusteuert. Nero Wolfe durchlebt außerhalb seines Heims eine Reihe von anscheinend grotesken Situationen. Der Leser wünscht sich rückblickend, eher dem Detektiv zu folgen als wie bei „Der Hund der Baskervilles“ dem willigen, aber intellektuell nicht ganz fähigen Helfer. In beiden Büchern scheint die eigentliche Arbeit abseits des Plots stattzufinden, wobei auf ihre ureigene Art die Konfrontation zwischen Nero Wolfe und Zeck eher dem gehobenen Gesellschaftskreis zuzuordnen ist, während Sherlock Holmes und Professor Moriarty die Bestie in sich entfesseln müssen, um den langen Schatten loszuwerden.

„In den besten Familien“ ist auf der einen Seite ein klassischer Nero Wolfe, auf der anderen Seite durch das Untertauchen des beleibten Detektivs aber auch ein ungewöhnlicher Fall.    

   

 

In den besten Familien: Ein Fall für Nero Wolfe. Kriminalroman

  • Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1. (28. Februar 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608963863
  • ISBN-13: 978-3608963861
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