Bruce J. Hawker - Gesamtausgabe Band 1

William Vance

Sieben Alben und eine entlehnte Kurzgeschichte über dreizehn Seiten umfasst die Karriere des britischen Schiffskommandanten Bruce J. Hawker, die William Vance anfänglich alleine – diese Abenteuer befinden sich alle im vorliegenden Hardcover – und später zusammen mit André-Paul Duchâteau als Texter entwickelt hat. Wie dem Vorwort der Ausgabe zu entnehmen ist, war Hawkers Schöpfer immer vom Meer und seiner Unendlichkeit begeistert. In den sechziger Jahren erschuf er zusammen mit dem Texter Yves Duval“ „Howard Flynn“ - eine Serie um einen englischen Seeoffizier Ende des 18. Jahrhunderts. Zehn Jahre später schlug er eine zweite maritime Serie „Bruce J. Hawker“ dem aus heutiger Sicht fast unglaublich Frauenmagazin vor, für das er seit vielen Jahren kurze Comics erschuf. William Vance sollte Zeit seiner Karriere mit Überhelden zutun haben, die über eine teilweise mystische Vergangenheit verfügen. Höhepunkt seiner langen Schaffensperiode ist ohne Frage „XIII“ um einen Mann, der sich nicht an die eigene Vergangenheit erinnern will. Zwischen „Howard Flynn“ und „Bruce J. Hawker“ steht Bob Morane, den er übernommen und schließlich kreativ zu seiner eigenen Schöpfung gemacht hat. Mit der Agentenserie „Bruno Brazil“ teil Hawker die weißen Haare, kein Zeichen von vorzeitiger Vergreisung, sondern der visuelle Beweis, dass diese Helden anders sind als ihre Umwelt. Dabei konzentriert sich Vance Werk im Grunde auf drei Hauptsegmente: die Wilden Westen, den er in „Ringo“ und „Marshall Blueberry“ zweimal besuchen sollte, die insbesondere Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre durch den Erfolg der James Bond Filme blühende Agentenszene wie „Bruno Brazil“ und  „XIII“ („Bob Morane“ kann man wegen der teilweise phantastischen, an „Flash Gordon“ erinnernden Exzesse eher als Zwitter bezeichnen) und schließlich das Meer mit „Howard Flynn“ und „Bruce J. Hawker“. Aus heutiger Sicht zeigen „Howard Flynn“ und „Bruce J. Hawker“ Vances Verbundenheit mit dem Meer und einem wichtigen Abschnitt der britischen Marinegeschichte sehr viel mehr als die inspirierten, aber in erster Linie von Partnern verfassten anderen Serien, in denen Vance dank seiner zeichnerisch künstlerischen Vielfältigkeit den Protagonisten zwar eigen markante Züge gegeben hat, aber sich im Vergleich zu den ersten drei „Bruce J. Hawker“ Abenteuern nicht von seiner emotionalen Seite zeigen konnte.

Obwohl sich William Vance wie in „Howard Flynn“ ( Hawker und Flynn erhalten zu Beginn des ersten Abenteuers das Kommando über ein Schiff und werden auf der See endgültig zu Männern) an den Seeabenteuern um Hornblower aus der Feder Forresters orientiert hat, ist es vor allem in der Comicwelt selten, dass ein Autor die harte, aber heile Welt seines Protagonisten insbesondere auch im Vergleich zur zehn Jahre vorher entstandenen Seefahrerserie in den ersten beiden Abenteuern derartig demontiert, obwohl sich Hawker nichts zu schulden hat kommen lassen. Am Ende des zweiten Abenteuers „Kurs auf Gibraltar“ und zu Beginn von „Die Orgie der Verdammten“ hat Hawker alles verloren: sein Kommando, seine militärische Karriere, seine Kameraden, seine Stiefeltern und schließlich auch seine Verlobte. Die Demontage des Protagonisten ist komplett. Am Ende des dritten Bandes „Press Gang“, der inhaltlich einen guten Abschluss des von William Vance alleine geschriebenen Plotbogens bildet, ist Hawker teilweise auch durch eine Reihe von Zufällen und durch das Handeln, das ihm zu Beginn auszeichnete, militärisch rehabilitiert, wenn auch emotional reifer geworden.

Wie bei seinen anderen Serien – siehe „Bruno Brazil“ oder „XIII“ – erfährt der Leser nur die rudimentärsten Informationen über seinen Helden. Wie Brazil hat Hawker mit zwanzig Jahren schon weiße Haare. Er sieht deutlich älter aus als er ist. Er ist von begüterten Stiefeltern aufgezogen worden und zumindest eine relevanter Teil der gehobenen Gesellschaft. Auf der anderen Seite muss er relativ früh zur Seite gefahren sein, sich von seinem Stiefelternhaus getrennt haben. Seine Verlobte wird in wenigen Bildern/ Szenen als opportunistische hübsche, zierliche, aber auch affektierte Dame aus gutem Haus beschrieben. Der Kontrast ist die vollblutige Zigeunerin Rawena – nach Vance Frau Petra gestaltet -, die von Hawker im besten Band dieses Sammelalbums „Press Gang“ gerettet wird und die ihm später spiritistische moralische Unterstützung als Kontrast zu der ansonsten ausschließlich brutal realistischen Handlung gibt. Handlungstechnisch ist „Press Gang“ ohne Frage das Kompakteste der drei hier versammelten Abenteuer. Manches erinnert an die Zeiten eines Kapitän Blighs und seiner „Bounty“. Betrachtet der Leser die drei Abenteuer, so ist das Fegefeuer, durch das Hawker im Grunde in einem brutal harten Reifeprozess geht, eine interessante Spiegelung verschiedener Ereignisse. In „Kurs auf Gibraltar“ kommandiert Hawker das Kriegsschiff „Lark“. Er soll zwei Frachtschiffe begleiten, die eine Geheimwaffe nach Gibraltar bringen soll, um die auf den Felsen ausharrenden britischen Truppen gegen die Spanier zu „retten“. In „Press Gang“ ist es die „Thunder“ mit einem zwangsverpflichteten Hawker unter Deck, die ebenfalls auf einer geheimen Mission ist. Das verbindende Glied zwischen diesen beiden nicht zuletzt aufgrund der amateurhaften Planung der Admiralität zum Scheitern verurteilten Mission sind Hawker und sein Adjutant auf der „Lark“ Lund. In beiden Eckpunkten dieses Sammelbandes ist Hawker ein umsichtiger und entschlossener Kommandant/ Anführer, der aber erst in „Pressgang“ die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen unter Deck der britischen Kriegsschiffe kennen lernt. Während Hawker in „Press Gang“ am Ende ein Pyrrhussieg gelingt, gerät er durch verschiedene Umstände – erst Nebel und zwei unbewaffnete Frachtschiffe im Schlepptau – in „Kurs auf Gibraltar“ in eine Situation, aus der er nur mit entsprechender Kapitulation das Leben einiger Männer retten kann. Sein Leidensweg führt schließlich neben dem späteren gesellschaftlichen Ausschluss in die Folterkammern der Spanier, aus denen er ebenfalls – wichtig für die erste Hälfte seines Schicksalswege passiv – gerettet wird. Bis zum Duell der „Thunder“ mit den überlegenen spanischen Kriegsschiffen kann sich Hawker nur gegen das Schicksal mit Kraft, Mut, Entschlossenheit und einer Portion Zufall zur Wehr setzen. Insbesondere im Mittelband „Die Orgie der Verdammten“ zerfällt der Handlungsbogen auch in einer Reihe von Klischees. Von der britischen Obrigkeit – sowohl militärisch als auch bürgerlich – hält Vance nicht viel. Die Admiräle sind unfähig, die Bürger affektiert. Alleine die unteren Schichten mit ihren harten Schicksalen – von der Zwangsverpflichtung in Kneipen über das Pesthaus bis zu den Zigeunerin, die allerdings alle Vorurteile der damaligen Zeit bestätigen – interessieren Vance. Und aus dieser Masse ragt der bodenständige Bruce J. Hawker deutlich heraus. Die sadistische Grausamkeit unfähiger Offiziere, die Trunksucht der Kapitäne und ihre Unfähigkeit, in wichtigen Situationen Entscheidungen zu treffen, wirkt angesichts des noch langen Schattens eines Nelsons und der hervorragenden Leistungen vieler Offiziere fast kontraproduktiv. Vance muss eine nihilistische Atmosphäre erzeugen, damit sein Protagonist wie ein Fanal in der Nacht leuchten kann. Das wirkt angesichts der geballten Ladung von Seeabenteuer vielleicht ein wenig klischeehaft. In Deutschland startete zur gleichen Zeit die lang laufende Heftromanserie „Die Seewölfe“, in der sich einige Aspekte der „Bruce J. Hawker“ Handlung widerspiegeln. Es ist legitim, den Helden zu erhöhen und dessen Umfeld sozial und politisch zu erniedrigen, aber teilweise fügt William Vance einige Handlungsteile zu perfekt konstruiert zusammen, als das der Leser diesem Fluss gänzlich naiv folgen kann.

So sind die Feinde – neben den Männern in den eigenen Reihen im vorliegenden dreier Abenteuer ausschließlich Spanier -  träge und faul, vertrauen alleine auf die Überlegenheit ihrer Kriegsschiffe und im Kern einer britischen Kriegsflotte mit einem Helden von Abukir (auch ein Punkt, in dem Vance die Geschichte ein wenig dreht, da die französische Flotte vor Anker in einer geschützten Bucht liegend angegriffen und vernichtet worden ist) nicht würdig. Trotzdem gelingen ihnen gegen die mutigeren und tapferen, unter guten Anführern sogar intelligenter kämpfenden Briten mancher Sieg in den hier vorliegenden drei Abenteuer. Nach den Kämpfen werden allerdings „Orgien“ mit Zigeunerinnen an Bord des im Hafen liegenden Schiffes gefeiert, während im Buch des Schiffes die britischen Offiziere gegen das Völkerrecht gefoltert werden. Als es zu Zudringlichkeiten kommt, helfen nicht nur ihre Zuhälter, auch Hawker kann im richtigen Moment das Richtige tun und seine zukünftige Freundin/ Lebensbegleiterin/ Schutzengel aus schmutziger spanischer Hand auf Umwegen in das britische Heimatland bringen.  

In der Sammelausgabe weniger spürbar, da eine für das Magazin „Tintin“ ursprünglich verfasste und später für das Album fallen gelassene Episode  („In den Tiefen der HMS Thunder“, später im dritten Band „Press Gang“ leicht verändert recycelt)  an die Handlungsspitze gesetzt worden ist, ist die Dynamik, mit welcher William Vance mit drastischen Änderungen gegenüber den Magazinveröffentlichungen seine Serie „Bruce J. Hawker“ und damit auch seinen wichtigsten Protagonisten anders gestaltet hat. Auf den ersten Seiten führt er den erfolgreichen Offizier, der ein wenig an Dumas „Grafen von Monte Christo“ in diesen Szenen erinnert, ein, bevor er Hawkers Welt im wahrsten Sinne des Wortes zertrümmert. Als ein junger Offizier, der wegen seiner Tapferkeit auch Admiral Nelson aufgefallen ist, entwickelt Vance seine Figur von innen durch dessen Handlungen heraus. Das steht im Gegensatz zu seinen Offizieren, die nicht nur in diesem Abenteuer mit einem individuellen Panel inklusiv entsprechender charakterisierender Bildunterschrift vorgestellt werden. Trotz des Tempos findet William Vance seinen individuellen Stil erst im dritten Band „Press Gang“, dem letzten Abenteuer, das er gezeichnet und geschrieben hat. Unabhängig von den historischen Schiffen, bei denen die vorhandenen und gut recherchierten Details von den teilweise noch sehr grob, fast ein wenig verklärt surrealistisch getuschten Zeichnungen verborgen werden, wirken die Bilder noch steif, konzentriert und fokussiert. Die einzelnen Seiten fehlt eine innere Dynamik, obwohl ausreichend Actionszenen vorhanden sind. Erst in „Press Gang“ bricht William Vance die Statik der einzelnen Seiten noch mehr auf. Die Colourierung seiner Frau ist experimenteller, herausfordernder und atmosphärisch sehr viel enger an der eigentlichen Handlung. Der Wendepunkt scheint Hawkers Flucht vor den Häschern der Pressgang zu sein, die ihn durch die dunkle Vorstadt schließlich ins Pesthaus führt. Der britische Nebel wird dabei weniger zu einem Klischee, sondern zu einem Spiegelbild der Gemütsverfassung des Geschassten. In „Orgie der Verdammten“ verlässt William Vance nicht nur inhaltlich den Rahmen der bekannten Seeabenteuer und entwirft eine klassische Abenteuergeschichte, wie sie so oft im Pulpgenre gefunden werden kann. Vance integriert vielleicht zu viel Handlung auf Kosten der Details in diesen zweiten Band und lässt insbesondere Hawkers Feinde eindimensional und klischeehaft erscheinen. Zwischen den Zeilen hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als sehne sich Vance nach einer inhaltlichen Rückkehr auf die Planken eines hoffentlich britischen Schiffes. Daher steht das zweite Abenteuer deutlich im Schatten von „Kurs auf Gibraltar“, in dem der Zeichner/ Autor sehr viel intensiver, wenn auch stilistisch ein wenig statischer das Leben der britischen Marinesoldaten und Matrosen intensiv und realistisch zynisch beschrieben hat. Erst im mehrfach angesprochenen „Pressgang“ wird er wieder den Fokus auf die einfachen Menschen an Bord legen, welche die Seeschlachten wie im ersten Band expliziert ausgesprochen für die feinen Offiziere in Schweiß und Blut und Tränen gewonnen haben. Am Ende des dritten Bandes schließt sich ein intensiver Lebenskreis, in dessen Verlauf der Leser mit einem atemberaubenden Tempo den Fall und Wiederaufstieg eines ehemaligen und zukünftigen treuen Dieners des Union Jacks verfolgt hat. Auch wenn „Bruce J. Hawker“ in Albumform mit über vierzigtausend verkauften Exemplaren von Beginn an ein kommerzieller Erfolg gewesen und ist schnell den langen Schatten der ersten Seemannsserie „Howard Flynn“ abwerfen konnte, wirken einzelne Teile der Serie noch unausgeglichen, teilweise zu überambitioniert und zeichnerisch noch nicht gänzlich zufrieden stellend unterstützt. Stimmungstechnisch zeigt der erste Sammelband auf, in welche Richtung sich „Bruce J. Hawker“ mit den folgenden vier Abenteuern entwickeln sollte, inhaltlich wirkt manches so noch ein wenig überstürzt und grob.

Der Splitter Verlag hat sich allerdings mit dem ersten Sammelband dieser zweibändigen Ausgabe sehr viel Mühe gegeben. Das Druckbild ist phantastisch, die Farben kontrastreich und die Dialoge sehr gut zu lesen. Die englischen Passagen – in erster Linie die Befehle an Bord der Schiffe – sind adäquat ins Deutsche unter den Bildern übersetzt worden. Es ist allerdings die Einleitung aus der Feder Jacques Pessis, welche den Leser in die Welt Hawkers entführt. Wie schon angedeutet hätte die dreizehnseitige Kurzgeschichte „In den Tiefen der HMS Thunder“, welche sich ausschließlich auf das Leid der Kanoniere unter Deck konzentriert, auch ans Ende der Ausgabe gestellt werden können, um Vance sorgfältige geplante Choreographie nicht zu unterminieren. Davor stellt Pessis Vance Karriere, seine Liebe zum Meer, die Zusammenarbeit mit seiner oft in Vergessenheit geratenen Frau Petra und schließlich auch seine literarische wie historische Inspirationen sehr sorgfältig und reichhaltig bebildert vor. Manches wirkt ein wenig zu euphorisch und zu unkritisch, aber insbesondere neue Leser werden feststellen, dass Vance über sein eigenes Schaffen hinaus im Übergang der Comics von jugendlicher Unterhaltung zu einem ernsthaften und wie in diesem Fall auch historisch sorgfältig recherchierten Medium für alle Lesergenerationen ein wichtiger Eckpfeiler guter Unterhaltung gewesen ist. Es bleibt zu hoffen, das diese wunderschöne Ausgabe das Publikum findet, das sie verdient. 

AutorWilliam Vance
ZeichnerWilliam Vance
ÜbersetzerTanja Krämling
EinbandHardcover
Seiten192
Band1 von 2
ISBN978-3-86869-608-0
erscheint am:01.10.2013

Kategorie: