Sternenerbe

Clifford D. Simak

Unter dem Titel „Sternerbe“ erscheint Clifford D. Simaks 1977 publizierter Roman „A Heritage of Stars“ im Heyne Verlag erneut als E Book. In den achtziger Jahren hat der Verlag den Roman unter dem leicht irritierenden Interpretationen öffnenden Titel „Ein Erbe der Sterne“ mit einem eindrucksvollen, Simaks ländliche Hintergründe aber nicht widerspiegelnden Titelbild das erste Mal übersetzt publiziert. „Sternenerbe“ trifft den Inhalt des Buches deutlich besser, denn der lernfähige und vor allem auch lernwillige Thomas Cushing gehört zu der Generation von Jüngern, die das alte längst untergegangene technologische Erbe der Erde erkunden wollen. Im Grunde stellt „A Heritage of Stars“ positiv gesprochen Simaks Version von „Alice in Wonderland“ dar. Im Gegensatz zu Alice braucht es keinen Wirbelsturm, um Thomas Cushing mit einer kleinen Gruppen von Begleitern – ein Roboter ist genauso dabei wie ein Pferd, eine Hexe und schließlich auch ein Magier – zu dem Punkt zu bringen, an dem die Menschen „zu den Sternen“ geflogen sind. Wie in „Alice in Wonderland“ beinhaltet das Ziel der Reise eine große relative Überraschung für den Protagonisten und damit auch den Leser.

 Die Zivilisation der Menschheit ist vor vielen hundert Jahren zusammengebrochen. Im Gegensatz zu vielen anderen Science Fiction Autoren erfolgt diese Degeneration nicht in Form von atomaren Kriegen oder Seuche, sondern Clifford D. Simak hat schon in seinen früheren Arbeiten die These aufgestellt, dass große Zivilisation wie die Griechen oder die Römer einen intellektuellen Zenit überschreiten und sich auch gegen den eigenen Willen ab diesem Punkt rückwärts entwickeln. Es ist zwar kein barbarisches Zeitalter, in dem Thomas Cushing aufweckst, aber vieles erinnert ein wenig an den Übergang von Mittelalter in die frühe industrielle Revolution. Es leben nur noch wenige Menschen auf der fruchtbaren Erde. Städte gibt es nur noch in Form von Ruinen. Landwirtschaft wird betrieben. Die Menschheit ist verdummt. Lesen und Schreiben wird nur an einer so genannten Universität gelehrt, wo Thomas Cushing auf die Schriften eines Mannes trifft, der das Zeitalter der Raumfahrt, de Technik und den Zerfall der Zivilisation beschrieben hat. Die Aufzeichnungen über den Platz, von dem die Menschen zu den Sternen geflogen sind, wurden dabei eliminiert. Thomas Cushing findet sie in Form einiger eng beschriebener Zettel. 

 Thomas Cushing beschließt, seine Heimat und damit die Zieheltern zu verlassen, bei denen er viele Jahre treu und zufrieden gelebt hat. Ihn zieht es zu diesem anscheinend magischen Ort. Er will das Erbe der Menschheit finden, vielleicht sogar Artefakte entdecken, welche von den Sternen auf die Erde zurück gebracht worden sind. Auf seiner Reise durch eine renaturalisierte USA trifft er neben dem Roboter – er befreit ihn aus der Klemme – auf die Hexe und ihr Pferd, sowie Vater und Tochter, die nach einem Druidenkult leben. Gemeinsam machen sie sich nach aufgefundenen Aufzeichnungen auf, das Hochplateau im Nordwesten zu finden, von dem es aus zu den Sternen gehen soll.

 Im Gegensatz zu vielen in den siebziger Jahren veröffentlichten Dystopien entwickelt Simak keine großartige tragische Geschichte. Es ist eher eine klassische Suche mit natürlichen Herausforderungen wie der wieder rauen, aber nicht unwirtlichen Natur oder einzelnen kleinen Banden, die aber mehr oder weniger durch Zufall vertrieben werden können. Der erste Teil der Geschichte lebt ausschließlich von den unterschiedlichen Charakteren, wobei Simak mit dem Roboter, der unbedingt einen Grizzly für das Fettschmieren seiner Gelenkte töten will, an die Grenze zum kitschigen Jugendbuch geht. Die Dialoge sind pointiert, wirken aber teilweise auch ein wenig zu distanziert zu geplant. Thomas Cushing ist der aufrechte, wie naive Held, dessen Sendungsbewusstsein und im Grunde grenzenloser Optimismus für eine Generation von Amerikanern steht, welche friedlich die Frontier im 19. Jahrhundert erobert haben. Ohne aus seinem Cushing einen Überhelden zu machen, versucht Simak ihn als modern denkenden Menschen in seinen engen Bahnen zu skizzieren, dessen Neugierde vom Wissen an der aus Sicht der Leser primitiven Universität – ohne die religiösen Aspekte könnte sie direkt aus Millers beiden Leibowitz Romanen stammen – geweckt und jetzt befriedigt werden muss.

 Es gehört zum Charme von Simaks Geschichten, dass Triumph und Enttäuschung immer im Gleichschritt seine bodenständigen, so zugänglichen Helden begleiten. Thomas Cushing findet den Platz in der Mitte des Romans, aber er entpuppt sich als gänzlich anders als erwartet. Schon auf dem Weg dahin zweifelt er aufgrund seiner Überlegungen an dessen Existenz. Ein Hochplateau macht für ihn keinen Sinn, da alle Teile für die Raumschiffe erst umständlich hoch transportiert werden müssen. Auf der anderen Seite ist die Legende so eindrucksvoll und plastisch, das irgendwo etwas versteckt sein muss. Es ist dieser Zwiespalt, der einen großen Teil der Spannung und zwischenmenschlichen Anspannung ausmacht.

 Simak ist ein humanistischer Optimist. Selbst in der dunkelsten Stunde glaubt er an das Individuum, an das Gute immer in einzelnen Menschen, auch wenn er einer technologisch erdrückenden, die Selbstständigkeit der Bewohner einengenden Zivilisation kritisch gegenüber steht. Übersättigung ist für ihn der Beginn des Zerfalls.

 So ist es keine Überraschung, dass Thomas Cushing am Ende auf der einen Seite sein persönliches Ziel erreicht hat, um auf der anderen Seite zu erkennen, dass eine gänzlich andere Arbeit ihm bevorsteht.   Clifford D. Simak fügt seiner Geschichte zwei Epiloge hinzu. Thomas Cushing versucht zu Beginn das Unmögliche. Er will den Aberglauben, vielleicht die Magie mit der Technik verbinden, in dem er die um das Hochplateau lebenden Nomadenstämme aufsucht. Es ist kein Zufall, dass diese Szene an die Bekehrungsversuche zahlloser Priester in den verschiedenen Jahrhunderten erinnert.

 Am Ende erkennt Thomas Cushing, dass das Neue nur mit etwas verbunden werden kann, das diese Stufe zwar noch nicht erreicht hat, sich aber streckt, um dieses Ideal zu erreichen. Es ist unglaublich, wie viele zutiefst humanistische Ansichten Simak immer an der Grenze zur belehrenden Aufklärung in diese beiden Schlusskapitel einbaut. Sein umfangreiches Werk zeichne ein grenzenloser Optimismus aus, dass Mensch und Technik eine harmonische Beziehung finden werden und alle Rückschläge, Katastrophen zu meistern sind. Symbol und Fackelträger dieser Bewegung sind Protagonisten wie eben Thomas Cushing oder Enoch Wallace aus „Way Station“, die mit ihrer stoisch pragmatischen Einstellung ganze Welten bewegen können.

 Der Science Fiction Ansatz wirkt in „A Heritage of Stars“ vielleicht zu funktionell. Jeder Rückschlag wird zu schnell ausgeglichen und sowohl der Thomas Cushing begleitende Roboter als auch die beiden anscheinend computerisierten außerirdischen Beobachter auf der Erde seit Jahrhunderten gestrandet agieren immer wieder mehr als Stichwortgeber, um Thomas Cushing in seinem Bestreben weiter zu unterstützen, herauszufordern oder schließlich ans Ziel zu bringen. Sie wirken zu menschlich, zu stark märchenhaft in einer vor Optimismus selbst im Zeitalter der Barbarei triefenden Geschichte.

 Im Gegensatz zu einigen anderen seiner Romane versucht Clifford D. Simak seinen Plot deutlich stringenter, aber ohne Hektik oder Druck von außen auf die Protagonisten zu erzählen. Dabei erschließt sich bei der langen Wanderung buchstäblich zum Ziel und wieder zurück die zeitlose Schönheit der amerikanischen Weiten, die bis auf wenige Ruinenstädte vom Malus der Menschen gereinigt worden sind. Es ist weder eine klassische Post Doomsday Story noch eine First Contact Geschichte, es ist vielmehr eine Würdigung der ganze Gebirge versetzenden Dickköpfigkeit eines jungen Mannes, der alten Aufzeichnungen folgend vielleicht die Reste der Menschheit nicht wieder zu den Sternen – auch hier findet sich eine interessante Ansicht zum Thema der Raumfahrt – führen kann, aber das Zeitalter des Zerfalls, der abergläubischen Barbarei ein wenig weiter in die Dunkelheit zurücktreibt. Und diese Entschlossenheit zeichnet fast alle von Simaks so bodenständig dreidimensionalen, vielleicht manchmal ein wenig schematisch langweiligen Charakteren aus und macht seine Romane so emotional zeitlos, aber niemals kitschig naiv.              

Sternenerbe: Roman

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 910 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 203 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (31. August 2017)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B071K1XN8W