Der Unsichtbare Band 1

Dobbs & Regnault

 

Warum der Szenarist Dobbs in seiner vier Romane, aber sechs Alben umfassenden H.G. Wells Reihe ausgerechnet neben “Krieg der Welten“ H.G. Wells sehr stringenten Roman „Der Unsichtbare“ als Doppelalbum ausgewählt hat, ließe sich lang und breit diskutieren. „Die Zeitmaschine“ oder „Die Insel des Dr. Moreau“ sind umfangreichere Geschichten, wobei insbesondere „Die Insel des Dr. Moreau“ in der vorliegenden Comic Adaption teilweise  zu stark komprimiert worden  ist.  Nach der  Lektüre des ersten Teils von „Der Unsichtbare“ kann der  Leser verstehen, warum Dobbs dieses unterschätzte Meisterwerk in zwei Bänden präsentiert. 

Zusammen mit seinem Zeichner Regnault hat Dobbs den Kern der Wells Story getroffen.  Der Leser  vor  allem der  literarischen Vorlage weiß, dass H.G. Wells sich ausgesprochen viel Zeit nimmt, um seinen Protagonisten dem Publikum weniger als unsichtbare anscheinend auch verrückte Chiffre, sondern als Mensch  vorzustellen.

Dobbs beginnt wie der 1897 veröffentlichte Roman seine Geschichte mit dem aufs Land fliehenden Mann, eingehüllt in einen dicken Mantel, Handschuhe tragend, ein Zylinder verdeckt sein bandagiertes Gesicht.  Er kommt in einer kleinen Herberge unter.  Natürlich erregt er gleich Aufsehen, wobei  Dobbs das zügellose Verhalten des Wissenschaftlers  Griffin über H.G.  Wells Vorlage hinausträgt. Gleich zu Beginn wird der Leser eine Sequenz erkennen, die eher zu  dem im Jahr 2000 entstandenen „Hollow Man“ mit Kevin Bacon in der Hauptrolle passt.   Auch wenn sein Griffin immer wieder um Ruhe bittet und möglichst in seinem inzwischen eingerichteten Laboratorium im Salon isoliert von der Öffentlichkeit oder  seinen Wirtsleuten experimentieren möchte, steht er sich selbst im Weg. 

Er erregt überall durch sein exzentrisches Wesen Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich wäre es leichter und sinnvoller gewesen, seinen Wirtsleuten zu erklären, dass er einen schrecklichen Unfall gehabt hat und Teile seiner Haut verbrannt sind.  Das hätte Mitleid erregt.  So  provoziert er sie wie er von den Hunden aggressiv angegangen wird.

Um seine Forschungen zu finanzieren -  man sieht ihn allerdings niemals einkaufen und Rechnungen scheint er auch nicht bezahlen zu können oder zu wollen- bricht er in  ein Haus ein und stiehlt  Schmuck.  Er provoziert schließlich seine Landlady und zeigt ihr einen Teil seines Geheimnisses.  Damit wird er endgültig zur Persona-Non- Grata in dem kleinen Ort. Der Tratsch und die Gerüchteküche explodieren förmlich.  

Am Ende des ersten Teils der Geschichte muss er schließlich aus dem Ort fliehen. Bei der Rückholaktion seiner Aufzeichnungen und eines Teils seiner experimentellen Ausrüstung mit Hilfe eines örtlichen Landstreichers kommt es zu einer Katastrophe. 

Im Roman erfährt der Leser das bisherige Schicksal Griffins aus einem Gespräch mit dem örtlichen Arzt.  Dobbs hat diesen Rückblick auf das  zweite Album geschoben. Für  Neueinsteiger oder Leser, denen die H.G. Wells Vorlage nicht bekannt ist, ohne Frage eine unglückliche Konstellation, da die Zusammenhänge nicht erkennbar sind.  Ihnen bleibt der Blick auf einen Mann, der unsichtbar ist.  Das machen Dobbs und Regnault dem Leser, aber nicht den  anderen Bewohnern des  kleinen Dorfes oder den Herbergsleuten deutlich. Sein Verhalten wird unabhängig von seiner überdurchschnittlichen Bildung immer exzentrischer.  Er  macht Fehler, erweckt die Aufmerksamkeit der Mitbewohner und weckt deren Misstrauen und Aberglauben. Warum er sich so auffällig verhält,  wird erst im zweiten Teil der Geschichte offensichtlich.  Wie einige andere Hauptfiguren in H.G. Wells  umfangreichen Werk geht es dem britischen Schriftsteller weniger um die Erschaffung eines tragischen Helden, sondern er wagt den Versuch, seinen Roman von einem klassischen überheblichen Unsympath tragen zu lassen.  Am Ende schließt der Autor einen Kompromiss  mit dem Leser, aber Dobbs hat den Mut, diesen Weg zu gehen und folgt der literarischen Vorlage erstaunlich detailliert.

Vor allem aber überzeugt „Der Unsichtbare“ durch den inzwischen für die Miniserie markanten zeichnerischen Stil Chris Regnaults und die sehr überzeugende realistische Farbgebung Regnaults zusammen mit Andrea Meloni. Dunkle Töne herrschen vor.  Ganz bewusst lösen die Graphiker die Strukturen der Handlung auf. Bilder werden in die Mitte der Seite platziert und das dynamische Geschehen verläuft um sie herum. Nicht selten wird die Perspektive gewechselt.  Weitwinkel geben einen Eindruck von der im Grunde drangvollen Enge – sowohl tatsächlich wie auch geistig – der kleinen Gemeinde, in welche Griffin flieht und dessen moralisch kirchliche Vorstellungen er bald sprengen wird.  Satte Erdtöne herrschen vor und jede Art von künstlicher Exzentrik wird vermieden. So  kraftvoll und hinsichtlich der einzelnen Figuren positiv detailverliebt auch die Zeichnungen sein mögen,  die winterliche Atmosphäre  und die Dominanz des scheinbar allgegenwärtigen Unsichtbaren deuten deutlich darauf hin, dass hier eine brutale und dunkle Geschichte erzählt wird. Beginnend  mit dem großartigen Titelbild, an dem man sich nicht sattsehen kann und endend in den vielen kleinen Details vor allem auch in den verschiedenen Kneipen hat Regnault noch  mehr als der eher sehr stark am Original förmlich klebende Dobbs dem ersten Teil seines Doppelbandes einen zeichnerisch hervorragenden Stempel aufgedrückt.

Wer denkt,  die Geschichte nach der Lektüre des  Originalromans von H.G. Wells in den zahlreichen, aber bei beidem nicht so vielen wie gedacht Adaptionen zu kennen wird hier dank der immer wieder neue Details offenbarenden Zeichnungen auf den wesentlichen Kern der Story förmlich zurückgestoßen  und eingesogen. 

Im Gegensatz zu den teilweise ein wenig steif und naiv erscheinenden bisherigen „The Invisible Man“ Comics wie „Superior Stories 1“, den „Fantastic Adventures“, den „Marvel Classics Comics“ oder den bekannteren „Classic Illustrated“  wenden sich Dobbs und Regnault an ein reiferes Publikum und versuchen die Vorlage in dem vom britischen Schriftsteller beschriebenen genau recherchierten Milieu zu erzählen.

 Es ist wahrscheinlich unabhängig vom sklavisch adaptierten Inhalt  die bislang stimmungsmäßig beste visuelle Umsetzung des auch heute noch lesenswerten Mad Scientist Romans.

H.G. Wells – Der Unsichtbare 01

ISBN:
978-3-95839-501-5
Erschienen am:
22.01.2018
Autor
H.G. Wells, Dobbs
Zeichner
Christophe Regnault
Übersetzer
Tanja Krämling
Einband
Hardcover
Seitenzahl
56
Band
5 von 6
Kategorie: