Im Grunde fasst Paul Di Fillipo diese Ausgabe mit seiner Pegasus Kolumne gut zusammen. Dem Volk Zucker in Form von nicht mehr ungesüßten Geschichten geben und anschließend den Folgen zuschauen.
Während Charles de Linit weiterhin in seiner Kolumne eher Fortsetzungen vorstellt, geht James Sallis einen gänzlich anderen Weg. Di Fillipo gedanklich folgend sucht er bei verschiedenen Autoren ihre Identifizierung mit dem Genre. Sie reiten auf dessen Popularitätswelle, sie zitieren Eckpfeiler wie Theodore Sturgeon und lehnen es gleichzeitig ab, ihre Werke als Science Fiction zu titulieren.
Im Bereich der Science Fiction nimmt sich Amman Sabet mit „Tender Loving Plastic“ einem alten Thema der Science Fiction an. In einer fernen Zukunft werden einige Kinder von Robotermüttern erzogen. Die Autorin folgt in langen Sprüngen einem solchen Kind, bis es auszieht. Als es wiederkehrt, stellt seine Robotermutter ihr die gleichen Fragen, die wahrscheinlich jede Mutter stellen würde. Die Pointe ist anrührend, der Weg dahin vor allem für eine Kurzgeschichte viel zu oberflächlich. Die Novelle wäre das ideale Format für diesen Erzählstrang. Es ist wichtig, dass sich der Leser erst mit den Figuren vertraut macht, ihre Lebensumstände kennen lernt, damit die einzelnen Szenen ihre volle Wirkung entfalten können.
Auch bei „Inquisitive“ von Pip Coen geht es um soziale Strukturen in der Zukunft, wobei mit den Inquisitoren ein Element der Vergangenheit zusätzlich eingeführt wird. Die Protagonistin will sich nicht in diese stringente Gesellschaft eingliedern lassen. Anscheinend läuft allerdings im Hintergrund ein kontinuierlicher, fast tödlicher Wettbewerb ab, der als eine Art
Leitplanke dient und gleichzeitig für Ordnung sorgt. Die Geschichte ist wie „Tender Loving Plastic“ nur eine Facette einer deutlich komplexeren Gesellschaft, über welche der Leser abschließend dann doch mehr erfahren möchte, als der Autor bereit ist, zu präsentieren.
Humorvoll ist Lisa Masons Geschichte um „The Bicycle Whisperer“. Ein selbst fahrendes intelligentes Fahrrad fühlt sich vernachlässigt und muss von der Protagonistin gerettet werden. Fast an den Rand der Parodie mancher Seifenoper getrieben liest sich der kurze Text dank der pointierten Dialoge sehr gut.
„Crash Site“ von Brian Trent spielt einige hundert Jahre in der Zukunft. Verschiedene Leute suchen im Interesse ihrer jeweiligen Gruppen nach einem vor Jahren abgestürzten Raumschiff auf einer herausfordernden Welt. An Bord soll sich eine extrem seltene und machtvolle Waffe befinden. Nach einem experimentellen Auftakt mit verschiedenen, sehr hektisch hin und her springenden Perspektiven und eher rudimentären Informationen ordnet der Autor den Plot und erzählt seine nicht unbedingt originelle Story interessant zu Ende.
Zu den besten Geschichten dieser Ausgabe gehört „The Properties of Shadow“ von Nina Kiriki Hoffmann. Ein Zauberkünstler engagiert einen seltsamen Assistenten. Es handelt sich um einen Außerirdischen, der verschiedene Welten bereist und aus dem aufgefundenen Abfall der Zivilisationen Kunstwerk macht. Auf der Erde kommt ihm ein Reporter mit teilweise fatalen Folgen auf die Spur. Am Ende will der Reporter mittels eines Einbruchs auf dessen Spur kommen. Beginnend mit der originellen Idee und der wie ein Krimi aufgebauten Struktur hat die Autorin eine Reihe von unglaublich interessanten Figuren entwickelt, die für sich selbst sprechen und dreidimensional agieren.
„Behrold the Child“ von Albert E. Cowdrey ist eine eher klassische Science Fiction Story. Der fünfjährige Tommy verfügt über telekinetische Fähigkeiten. Er wird aus seinem Kinderhort von einem zwielichtigen Anwalt entführt. Seine Fähigkeiten geraten mit schrecklichen Folgen außer Kontrolle. Es ist ein solider Stoff mit dreidimensionalen Figuren, die Cowdrey sehr geradlinig erzählt.
Matt Hughes präsentiert eine weitere Geschichte um seinen Charakter Baldemar. „Argent and Sable“ baut auf den vorangegangenen Texten auf. Es ist nicht unbedingt entscheidend, aber hilfreich, diese ebenfalls in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ publizierten Geschichten gelesen zu haben. Baldeman testet ein wenig unfreiwillig die Gaben aus, welche seine bisherigen Missionen und die gefundenen Artefakte ihm verliehen haben. Sein Herr schickt ihn in der zweiten Hälfte der Story auf eine gefährliche Mission. Dieses Mal soll er magische Handschuhe stehlen. Die Geschichte folgt den etablierten Mustern. Eine gefährliche Herausforderung, aus dem Nichts kommen mehr oder minder freiwillige Helfer, ein finaler Showdown und schließlich eine Art Pyrrhussieg. Der Text liest sich solide, wirkt aber statischer als die letzten Beiträge zur Serie. Vor allem fehlt eine innere Entwicklung der einzelnen Protagonisten und Baldemar wirkt als Pragmatiker manchmal zu stoisch, zu emotionslos, um den ganzen Storyzyklus auf seinen Schultern zu tragen.
Gardner Dozois „Unstoppable“ ist als Legende/ Sage aufgebaut. Sie beginnt als eine Fantasy Variation von „Adel verpflichtet“ mit einem Jungen, der nach und nach alle Verwandten ausschaltet, die auf dem Weg zum Thorn in der Rangordnung vor ihnen stehen. Auf dem Thron angekommen will er seine Macht mit der Hilfe eines Magier ausbauen. Wie es sich für derartige Parabeln gehört, steht Hochmut vor dem endgültigen Fall. Es ist eine intensive, eine teilweise sehr dunkle Geschichte mit einer erdrückenden Moral, aber auch der Hoffnung, dass es die „kleinen“ Leute sind, die mit Intelligenz und Beharrlichkeit sowie Diplomatie die Welt von derartigen Tyrannen befreien können.
In den Bereich des magischen Realismus gehört „Kur´gbo“ von Dare Segun Falowo. Ein Kind folgt einer magischen Kreatur aus ihrer Siedlung heraus. Aus diesem Szenario macht der Autor allerdings zu wenig. Eine mystische Atmosphäre ist nicht ausreichend, um den viel zu offen endenden Plot zu tragen. Die Ausgangsprämisse ist nicht schlecht, aber es fehlt noch das schriftstellerische Gefühl, um die Handlung wirklich zufrieden stellend zu führen.
Stephanie Feldman begibt sich mit „The Barrens“ in Stephen King Land. Eine Gruppe von Teenangern verfolgen ein seltsames Festival, das über das Radio ausgestrahlt wird. Sie machen sich auf die Suche nach diesem Festival und stranden in den Wäldern. Vor Jahren ist da ein junges Mädchen ertrunken. Die Autorin baut ihre Geschichte aus einzelnen, ohne Frage gruseligen Momentan zusammen und verpasst ihrem Text eine Art „Lost“ Ende. Nicht dieser bekannten Serie, sondern direkt auf die ersten Folgen bezogen, in denen die Drehbuchautoren eine ganze Kiste von offenen Flanken pro Folge eröffneten. Stimmungsvoll, auch spannend, aber irgendwie an den entscheidenden Stellen auch ein wenig distanziert.
Als Horror Geschichte lässt sich auch der beste Beitrag der Sammlung bezeichnen: „What you Pass For“ von Melanie West. Ein farbiger Maler kann Menschen ihre schwarze Hautfarbe nehmen. Nicht nur ihre äußerliche Identität, sondern auch ihre kulturelle Integrität. Als eine Malerin – sie ist auf den ersten Blick weiß, aber ihre Eltern sind Farbige – ihn bietet, sie noch weißer zu machen überschreitet er eine Grenze, die Angehörige anderer Rassen auf den Plan ruft. Es ist eine sensibel geschriebene, dunkle Geschichte mit einer Anprangerung rassistischer Vorurteile und der differenziert beschriebenen Innenwirkung auf die betroffenen Menschen, ohne das die Methode des Malers wirklich eine Art Allheilmittel darstellt.
In der Filmkolumne wird mit „Downsizing“ sehr ausführlich auch das Miniaturgenre vorgestellt, während die wissenschaftliche Kolumne wieder einen Blick über den Tellerrand präsentiert. Die Frühsommerausgabe von „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ ist als Ganzes betrachtet eher durchschnittlich. Die wenigen Höhepunkte befinden sich in der Umgebung von solide entwickelten, aber nicht gänzlich zufrieden stellend abgeschlossenen Kurzgeschichten, wobei der Bogen von klassischer Fantasy über Horror bis zur Science Fiction positiv sehr breit gespannt worden ist.
Paperback, 256 Seiten