We are the Martians

We Are the Martians, Titelbild, Rezension
Neil Snowden

Mit „We Are the Martians“ – natürlich ein Hinweis auf “Quatermass and  the Pit“ -  präsentiert Herausgeber Neil Showdon ein ausgesprochen umfangreiches, von zahlreichen bekannten Profis aus dem Bereich der Filmkritik wie auch Horror/ Science Fiction Autoren verfasstes Werk, das sich intensiv auf neue,  manchmal sehr originelle oder respektvoll die eigene Jugend mit verklärende Art und Weise mit Nigel Kneale und seiner langen erfolgreichen, einflussreichen Karriere als Fernsehdrehbuchautor auseinandersetzt. 

 Der Auftaktdieser Hommage könnte nicht unterschiedlicher sein. Unabhängig von den beiden Vorwörtern, in denen der Herausgeber begleitet von einem der Mitautoren die Intention des Sammelbandes und vor allem Nigel Kneales Einfluss auf das gesamte Genre erläutern, stehen  sich Tim Lucas emotionaler Nachruf und Mark Chadbourns "King of Hauntology" in Nichts nach. Während Tim Lucas melancholisch auf Kneales Einfluss zurückblickt, geht Chadbourn einen anderen Weg. Wichtige Lebensstationen werden mit nationalen und  internationalen Ereignissen in einem absichtlich pathetisch übersteigerten Stil verglichen. Eine geschickte Mischung aus Fakten und im übertragenen Sinne auch Fiktionen. Vor allem liest sich das Essay auch für Nigel Kneale Fans unterhaltsam, bei denen es schwer ist, die Lebens- und zum Teil Werksdaten noch einmal zusammenzufassen und neue Aspekte zu präsentieren. Für Neuankömmlinge bietet die "Datensammlung" zumindest einen ersten Überblick über Nigel Kneales Schaffen und die Meilensteine seiner zahlreichen Drehbücher. Auch wird der Zeitgeist, in dem der manchmal ein wenig störische Kneale Arbeiten wollte und musste durch die zahllosen Exkursionen prägnant zusammengefast.

 Mit "The Literary Kneale" setzt sich Tim Lucas ausführlich mit Nigel Kneales literarischem Werk auseinander.  Es besteht aus einer Kurzgeschichtensammlung - die englische und amerikanische Fassung variieren um drei Texte-; eine spät publizierte kurze Novelle und schließlich die Romanfassung der vierten  "Quatermass" Miniserie, die viel  mehr als eine klassische Adaption, sondern im Grunde in einem engen Zusammenhang mit der Fernsehserie und der gekürzten, von Kneale überwachten  Kinofassung allerdings ein eigenständiges Werk bildet.  Tim Lucas vergleicht die einzelnen Versionen und bildet aus ihnen eine im Grunde perfekte Fassung, wobei der amerikanische Filmkritiker vielleicht ein wenig zu gändig mit dem Gesamtwerk umgeht und euphorisch alle Stärken betont, aber auch einige kleinere Schwächen ignoriert. Am Ende der sehr intensiven Auseinandersetzung mit allen von Nigel Kneale verfassten Kurzgeschichten eine verzeihliche Schwäche. 

 Die Auseinandersetzung inklusiv einer entsprechenden inhaltlichen Zusammenfassung mit den kürzeren Texten, die alle in der erste Phase vor Kneales Fernsehdrehbüchern entstanden sind, ist sehr viel interessanter. Die Kurzgeschichtensammlung ist kaum nachgedruckt worden und die Taschenbücher sind nur zu hohen Preisen antiquarisch zu erhalten. Tim Lucas analysiert die Texte in zwei sehr interessante Richtungen. Wie Stephen Bisette in "The Quatermass Conception" schaut Tim  Lucas nach Vorbildern meistens aus der Mythen- und Sagenwelt, die Nigel Kneale nicht nur in den Kurzgeschichten, sondern vor allem auch seinen späteren Drehbüchern detailliert, minutiös und überzeugend modernisiert hat.  In die Zukunft schauend sucht Tim Lucas erfolgreich in den Kurzgeschichten nach Inspirationen für Nigel Kneales umfangreicheres und bekannteres Fernseh- und Kinodrehbücher.  Darüber hinaus sieht er durchaus Ansätze in den Arbeiten anderer Autoren, die auf Nigel Kneales ungewöhnlichen Kurzgeschichten basieren.  Wegen der  Ausführlichkeit und vor allem der Seltenheit der literarischen Vorlagen sowie der detaillierten Analyse meistens der Stärken, aber auch in einigen wenigen Fällen der Schwächen bis zu Nigel Kneales Vorliebe zum Buchstaben "Q" als Nachnamen interessanter Figuren ist Tim Lucas Essay eine ideale Eröffnungsbasis für die kommenden Analysen Nigel Kneales bekannterer Arbeiten aus verschiedenen Perspektiven.   

 Wie schon erwähnt folgt Stephen Bisette mit "The Quatermass Conception" Tim Lucas. Das Herzstück seines Essays ist ein bedingt direkter Vergleich zwischen der ersten "Quatermass" BBC Miniserie - da es nur noch die ersten beiden Folgen als Magnetaufzeichnungen gibt, muss Bissette bei den fehlenden vier Episoden auf die Drehbücher zurückgreifen - und dem Hammerkinofilm. Sehr ausführlich stellt der "Swamp Thing" Autor und Zeichner die Unterschiede, aber auch interpretatorischen Ähnlichkeiten der beiden Werke gegenüber. Sehr viel interessanter, wenn auch ein wenig zu optismitsch ist die Einleitung speziell zu folgenden Gegenüberstellung. Hinsichtlich des biologischen Terrors durch Pilzinfektionen geht Bissette auf mögliche Vorbilder, aber auch Epigonen ein. Es ist nicht beweisbar, ob Kneale die Geschichten William Hope Hodgsons kannte, vieles spricht aber dafür. Auch H.P. Lovecraft dürfte ihm nicht unbekannt gewesen sein. Es gibt keine ausgesprochenen Ähnlichkeiten, aber die Inspiration könnte aus diesen Quellen stammen. Bissette schaut aber nicht nur auf die Literatur endend schließlich bei Stephen King und dessen Beitrag zu "Creepshow", sondern auch zu zahlreichen Katastrophenthrillern beginnend in den fünfziger Jahren und zumindest latent auf der gleichen Wellenlänge wie Nigel Kneales Show verlaufend. Alleine auf den ersten zwanzig Seiten wird der Leser eine Reihe von Empfehlungen inklusiver kurzer Kritiken vor allem von unbekannten Filmen und Fernsehshows finden. Bissette umschifft die Frage, ob Nigel Kneale vielleicht auch beeinflusst worden ist, im Tenor einer positiven Hommage sehr elegant, aber sowohl die Einordnung des ersten "Quatermass" - egal ob Fernsehen oder Kino - sowie die literarischen Quellen heben das Essay aus der Masse heraus.   

 Kim Newman geht in einem dreigeteilten Artikel auf verschiedene unbekanntere Werke Nigel Kneales ein. Neben einer Relativierung der persönlichen Fandom Einschätzung Kneales beim Besuch des Weltcons und des durch seine übers Ziel hinausschießende Satire „Kingvig“  berechtigten Kritik an dessen Dickköpfigkeit zeigt Newman auf, dass Nigel Kneale zwar ein sehr guter Autor gewesen ist, aber nicht immer perfekt den Ton/ Geist der Zeit getroffen hat.  Vor allem findet der Brite die richtige Balance zwischen einem ehrwürdigen Ton, aber auch berechtigter Kritik. In diesen Punkten ist der Autor einigen persönlich subjektiven Reflektionen seiner Mitstreiter voraus.

Andere Autoren wie Richard Harland Smith gehen auf  die wenigen Adaptionen ein, die Kneale im Gegensatz zu seiner frühen Radiokarriere für das Fernsehen bzw. das Kino verfasst hat.  Bei der Betrachtung von „Look Back in Anger“ gelingt es Smith, auch den Zeitgeist einzufangen und so wie einige andere Mitstreiter Nigel Kneales Werk genau in dem Kontext zu betrachten, in dem es auch entstanden ist.  Wenn er wie mit seiner Vision „The Year of the Sex Olympics“ angeblich als erster das heutige Voyeur Fernsehen wie „Big Brother“ vorausgesehen hat, ist diese Betrachtung nicht richtig. Kier La Janisse relativiert die Ansicht mit dem Beginn dieser besonderen Art des Fernsehen im Jahre 1949 als heute noch bekannte „versteckte Kamera“, macht aber auch deutlich, dass Kneale  einige Ideen auf eine ganz besondere, zeitlose Art und Weise extrapoliert hat.  Vor allem ist es interessant, dass der Traditionalist Kneale mit dem Moralisten Kneale auf der einen Seite eine „perfekte“ Gesellschaft entwickelte, welche der Dramaturg Kneale  mit sichtlichem Vergnügen wieder demontierte. 

Es ist wichtig, dass die Anthologieserie  „Beasts“ – sie  ist ohne Probleme auf DVD zu erhalten -  von zwei Autoren vorgestellt wird. Mark Morris konzentriert sich fast zu sehr auf die Inhalte und kann keine nachhaltigen kritischen Ideen anfügen, während Jeremy Dyson beginnend  mit der Wiederentdeckung einzelner Folgen  lange vor einer DVD Publikation den inhaltskritischen Teil übernimmt.  Nur als  Kombination funktionieren die beiden Artikel zufriedenstellend. 

Stephen Volks geht noch einen Schritt weiter. Er beschreibt,  wie „the Stone Tape“ ihn als Jugendlicher verängstigt, verblüfft und geformt hat. Später zeigt er auf, welchen Einfluss Nigel Kneale auf seine eigenen Arbeiten wie „Ghostwatch“ für die BBC gehabt hat. Ein ungewöhnlicher Beitrag zwischen ohne Frage Bewunderung und Inspiration, zumal  Volks ein sichtliches Vergnügen hatte, mit seiner eigenen Geistergeschichte das Publikum auf eine vergleichbare Art und Weise wie Kneale und Welles im Jahre 1992 zu schockieren.      

Auch wenn es sich um namhafte Bewunderer wie Ramsey Campbell, Stephen Laws oder David Pirie handelt. Letzter hat in seiner in den siebziger Jahren veröffentlichten Studie „A Heritage of Horror“ schon auf Kneales Einfluss hingewiesen.  Ihre Beiträge sind kurzweilig zu lesen, Überschneidungen nicht zu vermeiden, aber qualitativ sind sie zu fannisch.  Auf der anderen Seite ist es auch rührend, wenn professionelle Autoren, seit vielen Jahren erfolgreich, ihr Knie vor ihrem im übertragenen Sinne Mentor beugen.  Irgendwo dazwischen steht John Llewellyn Probert mit seinen  persönlichen Betrachtungen, der sich um Kritik nicht stört und vor allem den „Menschen“ Quatermass in den Mittelpunkt seiner Studie stellt. Alleine Maura McHugh verfehlt ihr Ziel, wenn sie davon spricht, dass die Wissenschaften in Nigel Kneales Arbeiten eher dem Instinkt als Recherche geschuldet sind. Kaum hat sie den Leser provoziert, wird  eifrig zurückgerudert und eine Art fiktives Umfeld erschaffen, in dem Kneales Ideen und Theorien trotzdem funktionieren können. Im Gegensatz zu den meisten Würdigungen behält die Autorin ihren humorvoll respektvollen Ton auch in den Passagen bei, in denen sie argumentativ im Grunde eine Quadratur des Kreises versuchen muss.   Lynda E. Rucker versucht zu implizieren, dass eine Jugend in den USA eben nicht von dem Einfluss geprägt worden ist, den Nigel Kneale auf die Engländer durch seine direkte Präsenz im Fernsehen gehabt hat. Anstatt das Thema zu extrapolieren, folgt sie den Ideen der Anderen, während sich Thana Niveau als Querdenkerin erweist, die tatsächlich die Person des Professor Quatermass an seiner Zeit  orientiert erstaunlich dreidimensional analysiert.  

Jezz Whinship  folgt  Thana Niveau mit seiner gänzlich anderen Betrachtung der letzten „Quatermass“ Serie im historisch politischen Kontext der siebziger Jahre und vor allem in einem direkten wie interessanten Vergleich mit dem Stand der britischen Science Fiction – obwohl Nigel Kneale im Inter view eine Verbindung zur Science Fiction und deren Szene generell ablehnt und seine Arbeiten eher in den Bereich der wissenschaftlichen Mythen schiebt – exzellent. Es ist vielleicht auf den ersten Blick der unscheinbarste Beitrag, der sich gänzlich gegen die Meinungen einiger anderer Autoren stellt. Wie gut diese Hommage zusammengestellt worden ist, erkennt der Leser an das Tatsache, dass anscheinend die jeweiligen Mitarbeiter Einblick in die Arbeiten ihrer Kollegen nehmen konnte.  So argumentiert Jezz Whinship an der Seite Tim Lucas, während es aus anderen Artikeln die Gegenthese aufnimmt und in eine andere Richtung gedanklich extrapoliert. Dank dieser Vorgehensweise wirkt die ganze Anthologie sehr viel  homogener als viele vergleichbare Gedenkbände.  Natürlich lassen sich einige Wiederholungen nicht vermeiden, aber die Autoren sind immer bemüht, zumindest eine kleine neue Idee beizufügen.

Neben dem Gespräch mit Nigel  Kneale zu „The Quatermass Conclusion“  finden sich vier weitere Interviews mit unterschiedlichen Menschen im Buch. Das Gespräch mit seiner langjährigen Ehefrau und Witwe Judith Kerr ist sehr persönlich gefärbt. Sie berichtet vom ersten Zusammentreffen, der Zusammenarbeit, den Triumphen und Enttäuschungen.  Sie versucht auch ein Bild des fleißigen Arbeiters Nigel Kneales zu zeichnen, der schnell schreiben konnte und aus seiner Sicht eine Zusammenarbeit mit “Amateuren“ kritisch bis ablehnend gegenüber stand. Das Bild verfeinert sich aber, wenn im zweiten Interview mit Joe Dante auf einige Kooperationen aus der Sicht der Regisseure und Produzenten eingegangen wird.  Joe Dante erweist sich als Verehrer und Fan. Schön sind seine Anekdoten aus den Grindhouse Kinos Philadelphias, die meisten bisher veröffentlichten Berichte stammen ja aus der New Yorker Szene. Aber Joe Dante gibt auch offen zu, dass zum Beispiel Nigel Kneales Drehbuch für das Remake des „Schreckens vom Amazonas“ nicht wirklich funktioniert hat.  Hier reiht sich der Amerikaner in die sehr kleine Garde von Kritikern ein, welche Nigel Kneals ohne Frage bahnbrechendes Werk objektiver beurteilen können. Der Dritte im Interviewbunde ist Mark Gatiss, ein Entertainer wie Schauspieler. Neben seinen persönlichen Eindrücken verschiedener Begegnungen mit Nigel Kneale beschreibt er zusätzlich dessen Einfluss auf seinen eigenen professionellen Lebenslauf wie auch das Genre selbst.

Interessant ist, dass Mark Gatiss auch über einige Reaktionen berichten kann, welche unterstreichen, dass der brillante Nigel Kneale auch störrisch sein kann. So hat er ein weit durchgeplantes Remake von „The Road“ – das Original ist von der BBC gelöscht worden – gecancelt, weil ihm ein anderes, vorher entstandenes Drama der Beteiligten nicht gefallen hat.  Jonathan Rigby geht in seinem, Artikel ausführlich und vor allem genau dem nachgedruckten Drehbuch folgend auf „The Road“ ein. Im Gegensatz zu anderen Artikeln, in denen das beschreibende Element vor einer kritischen Reflektion steht, obwohl die Fernsehspiele inzwischen auf DVD lieferbar sind, ist es hier wichtig, die richtige Balance zwischen der ausführlichen Beschreibung des Inhalts und einer kritischen Analyse zu finden, da der Leser im Grunde keine wirklich objektive Möglichkeit hat, das Drama anzuschauen. 

Chris Burt und Herbert Wise sprechen über die Zusammenarbeit mit Nigel Kneale bei “Woman in Black“. Es ist von allen Interviews das Beste.  Sie geben einen direkten Einblick in die Zusammenarbeit mit Nigel Kneale, seine Stärken, aber auch einige seiner Schwächen. Darüber hinaus findet sich ein Einblick in die Arbeit bei einem Fernsehfilm mit einem beschränkten Budget und einem geizigen Produzenten. 

Nicht chronologisch bei der Konzeption des Buches, aber inhaltlich das letzte Interview ist ein Gespräch mit Nigel Kneale zwischen „The Quatermass Conclusion“ und „Kinvig“.  Viele seiner Aussagen sind in den anderen Artikeln relativiert worden, aber das kurze Gespräch gibt einen Eindruck wieder, in welche Richtung der Autor die Miniserie entwickeln wollte. 

Viele seltene Fotos runden  diesen exzellenten Band ab, der vor allem dank der inzwischen immer zahlreicher werdenden DVD Veröffentlichungen von Nigel Kneales Arbeiten nicht nur als Lektüre per se zu empfehlen ist und eine gelungene Beimischung zur ebenfalls kürzlich neu aufgelegten Biographie des Briten darstellt, sondern nach dem Anschauen der Arbeiten als Reflektion dienen wird.  Der Leser findet immer wieder neue Ideen und Ansätze, um die komplexe, manchmal auch ein wenig komplizierte Vielschichtigkeit  der Karriere Nigel Kneales nicht unbedingt zu hinterfragen, aber mit den Augen des Anderen zu sehen. 

 

 

  • Gebundene Ausgabe: 491 Seiten
  • Verlag: Ps Publishing (1. Juni 2017)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 178636123X
  • ISBN-13: 978-1786361233
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