Enforcer

Enforcer, Titelbild, Rezension
Rob Boffard

„Enforcer“ ist wahrscheinlich der Mittelteil der von Rob Boffard konzipierten Serie um die „Tracer“in  Riley Hale. Der Plot schließt trotz einer kleinen zeitlichen Verzögerung direkt an das Geschehen in „Tracer“ an. Auch wenn einige relevante Punkte aus dem ersten Buch nicht nur rekapituliert, sondern vor allem auch extrapoliert werden, ist es empfehlenswert, den ersten Roman zu lesen. Ausgangspunkt ist eine gigantische Raumstation im Orbit um eine unbewohnbare Erde. Die Raumstation mit den letzten überlebenden Menschen trägt nicht nur den Namen Außenerde, sie ist die letzte Hoffnung der Menschheit.

 In „Tracer“ ist Riley Hale eher zufällig einer gigantischen Verschwörung auf die Schliche gekommen, deren Ziel die Vernichtung der Station Außenerde gewesen ist. Als Belohnung ist sie in die Truppe der Sicherheitsleute aufgenommen worden, die neu deutsch Stomper heißen.

 „Tracer“ zeichnete sich wie eine Art „Lola rennt“ im All durch ein vor allem anfänglich hohes Tempo positiv aus. Der Autor verzichtete darauf, den Hintergrund mehr als notwendig zu erläutern. Beide Romane sind in der intimen Ich- Perspektive geschrieben worden. Auch wenn Rob Boffard im ersten Buch die Erzählebenen ab und zu gewechselt hat, ist dem Autoren wichtig gewesen, den Leser nur Augenhöhe seiner Identifikationsfigur Riley Hale zu bewegen. So haben sie gemeinsam alle wichtigen Erkenntnisse dieser natürlich „globalen“ Verschwörung eruiert.

 Auch „Enforcer“ zeichnet ein sehr hohes erzähltechnisches Tempo aus. Ein zu hohes Tempo. Der Unterschied liegt cineastisch gesprochen irgendwo in der Mitte zwischen „Speed“ und der Fortsetzung „Speed“ 2. Auch wenn auf den ersten Blick das Szenario als Hintergrund mit der Raumstation überschaubar und vor allem „eingegrenzt“ erscheint, versucht der Autor zu viel Stoff in den Plot zu pressen und überschlägt sich dadurch vor allem zu Lasten der Glaubwürdigkeit und nicht selten nur eindimensional wie funktional entwickelter Charaktere selbst.

 Ausgangspunkt ist ein verrückter Psychopath, der Riley entführt. Er operiert in ihre Kniegelenkte zwei kleine Bomben, so dass sie unter seiner Kontrolle steht. Sie soll eine bekannte Terroristen aus ihrem Gefängnis herausholen. Natürlich kann sich Riley auch angesichts der perfektionierten, aber natürlich nicht perfekten Überwachung niemanden anvertrauen. So muss sie alleine auch gegen ihre Vorgesetzten operieren und ihre Idee, die Terroristin zu „befreien“ geht schief.

 Nicht einmal auf den zweiten Blick ist dieses Szenario originell. Rob Boffard greift auf eine Reihe von Versatzstücken vor allem des amerikanischen Blockbusterkinos zurück und arbeitet diese fast pflichtschuldig, aber an keiner Stelle wirklich originär ab. Spannung kann der Autor nicht erzeugen, da Riley Hale als Ich- Erzählerin der Geschichte nicht sterben darf.

 Viel schlimmer ist, dass sich Boffard nur auf Lippenbekenntnisse konzentriert. Die Überwachung in der Station ist nicht perfekt. Niemand weiß das mehr als Riley, die in „Tracer“ genau von diesen Schwächen profitiert hat. Warum spricht sie wenn nicht mit ihren Vorgesetzten zumindest mit ihren Freunden, von denen einige der Debütroman nicht nur überlebt haben, sie sind in ihren Positionen gestärkt worden. Gespräche hätten vielleicht nicht unbedingt eine Lösung des Problems gebracht, aber der Erpresser kann auch nicht ohne Weiteres die Station verlassen. Das es eine komplizierte Möglichkeit gibt, wird auf der dritten Handlungsebene schließlich entwickelt.

 Die große Schwierigkeit des angesprochenen ersten Handlungsbogens liegt woanders. Auch in“ Tracer“ stand Riley vor einer unmöglichen Situation. Da der Autor sie aber absichtlich als eine Art Straßenkid im All charakterisiert hat, konnte sie an einigen Stellen sich mit unorthodoxen wie originellen Wendungen und Drehungen teilweise sogar im wahrsten Sinne des Wortes für den Augenblick retten. Von dieser Vorgehensweise findet sich nicht in „Enforcer“. Das Gegenteil ist der Fall. Genau wie die Schurken agiert sie umständlich bis unglücklich. Der Leser ist an keiner Stelle hinsichtlich ihrer Vorgehensweise eingeweiht und hinzu kommt, dass selbst die Schurken  so unglücklich agieren, dass man einen Augenblick das Gefühl hat, es handele sich nur um eine schlechte Theateraufführung.

 Auf der mittleren Handlungsebene verschärfen sich die Probleme des Romans. Auf der Raumstation bricht eine mysteriöse wie tödliche Krankheit rasend schnell aus. Isolationsmaßnahmen werden eher spärlich in Gang gesetzt. Politisch fügt Boffard seinem Kosmos eine weitere Fraktion hinzu. Die Abtrünnigen wollen auf die Erde zurückkehren, weil sie sich dort mehr Chancen ausrechnen. Im ersten Buch ist von dieser kleinen, aber gut ausgerüsteten Gruppe nicht die Rede gewesen. Auch ist niemals niemanden die Idee gekommen, die eher nebenbei überwachte Erde zu besuchen. Diese Gruppe kommt nicht nur Riley in die Quere. Ihr Instrument ist einer der Erzshuttle. Sie wollen einen der eingefangenen Asteroiden als Schutzschild nehmen und in seinem Schatten zur Erde fliegen. Nur gibt es ein kleines Problem. Der Asteroid besitzt die notwendigen Rohstoffe, um Außenerde am funktionalen Leben zu halten. Ohne die Rohstoffe des Steinsbrockens würde der Schutzschild um den Reaktor zusammenbrechen und dieser sich zum Schutz der Menschen abschalten.

 Auch dieser Subplot ist viel zu wenig vorbereitet worden. So wird nicht erklärt, woher die Abtrünnigen plötzlich ihr Wissen haben. Auf einer Station, die seit Jahrzehnten im All um die Erde kreist, können so schnell nicht so viele neue Piloten ausgebildet worden sein. Zusätzlich handelt es sich um ein Shuttle, dessen Aufgabe es ist, im Asteroidengürtel nach Rohstoffen zu suchen, aber kein fertiges Transportraumschiff für eine größere Gruppe von Personen. Selbst wenn diese Prämissen konstruiert akzeptabel sind, ist die offensichtlich wie naive Vorgehensweise der Abtrünnigen nicht nachvollziehbar. Wenn sie sich mehr im Hintergrund gehalten und vorsichtiger vorgegangen wären, hätten sie mit ihrer ganzen Aktion Erfolg gehabt.

 So stehen sich diese beiden Polotelemente, die einzeln nicht neu oder gar innovativ sind,  gegenseitig im Weg. Im Mittelpunkt der beiden Konflikte steht Riley, was die Glaubwürdigkeit nicht unbedingt erhöht. Viel schlimmer ist, dass Riley nicht mehr die Botin aus dem ersten Band, sondern Mitglied der Sicherheitstruppe ist. Eine Ausbildung scheint es nicht gegeben zu haben. Reagierte sie im ersten Buch instinktiv auf die verschiedenen Gefahren und konnte auch professionelle Killer überraschen, geht der Autor in „Enforcer“ nicht den notwendigen Schritt weiter und nutzt ihre inzwischen geschulten Fähigkeiten. Während die reinen Schusswechsel bis zum Entschärfen der natürlich unangenehm platzierten Mikrobomben solide bis spannend beschrieben worden sind, fällt es Rob Boffard sichtlich schwer, diese dynamischen Szenen überzeugend aufzulösen. Nach einem guten Auftakt agieren plötzlich die beiden Seiten naiv und amateurhaft. Waffen scheinen an Bord der Station unendlich viel vorhanden zu sein. Anders ist der leichtfertige Umgang mit ihnen nicht zu erklären. Vor allem sind die Guten in entscheidenden Situationen viel zu milde, was sich nicht selten umgehend rächt, während die eindimensionalen Schurken auch den Gesetzen der Unterhaltungsliteratur folgend in der letzten entscheidenden Sekunden zögern und damit ihren rudimentären Vorteil auch wieder verspielen.

 Hinzu kommt, dass es glaubwürdiger gewesen wäre, den immer wieder angedeuteten Mangel an manchen Dingen auch im Alltag umzusetzen und den Hintergrund der Geschichte dreidimensionaler, dunkler und damit auch glaubwürdiger zu machen. Verbale Bekenntnisse reichen in dieser Hinsicht nicht aus, so dass am Ende der Autor selbst diese Ansätze ignoriert. Damit verschenkt er zum Beispiel das Potential, das im Generationenraumschiff Roman „The Ark“ – der verfügt auch eher über einen kriminaltechnischen Plot – immer wieder aufgrund der vorhandenen materiellen Mangel nicht nur in entscheidenden Szenen, sondern vor allem in den Beschreibungen gehoben worden ist. 

 Anstatt den Plot auch hintergrundtechnisch weiter zu entwickeln und in Hinblick auf die verschiedenen Bedrohungen zumindest die Dramatik auf mehrere Charaktere zu verteilen, versucht Rob Boffard nicht überzeugend, Riley zu sehr in allen Szenen in den Mittelpunkt zu stellen. Damit unterminiert er nicht nur die Glaubwürdigkeit der ganzen Geschichte, sondern lässt das hohe Tempo wie eine Farce erscheinen. Zeitraffer sind gut, aber niemand will neunzig Minuten Kinounterhaltung in doppelter Geschwindigkeit anschauen. Weniger wäre mehr gewesen. Auch hinsichtlich der vielen kleinen Ideen hätte sich Boffard ein wenig mehr in der Unterhaltungsindustrie umschauen sollen, dann wäre eine Art Dramatikrecycling verhindert worden. „Enforcer“ ist eine schwache Fortsetzung des nicht perfekten, aber deutlich unterhaltsameren Romans „Tracer“. Rob Boffard wollte noch mehr als im Auftakt dieser Science Fiction Action Serie und hat zu wenig mit unglaublichem Aufwand erreicht.        

  • Taschenbuch: 560 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (10. April 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317734
  • ISBN-13: 978-3453317734
  • Originaltitel: ZERO-G - Outer Earth Book 2