Als deutsche Erstausgabe mit entsprechender Übersetzung des Reihenherausgebers Dieter von Reeken liegt dieser schon 1813 veröffentlichte phantastische Reiseroman zum ersten Mal auf deutsch vor. Willem Bilderdijk hat die Geschichte anonym verfasst und eine fiktive Übersetzung aus dem Russischen „hinzugefügt“, da er sich als bekannter Dichter und ernstzunehmender Künstler nicht dem Spot der Öffentlichkeit hinsichtlich einer phantastischen Geschichte aussetzen wollte.
Wie Dieter von Reeken in seinem Nachwort kurz skizziert, ist diese Erzählung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, dann aber auch wieder zeittypisch. Dreißig Jahre vor der Veröffentlichung des Büchleins haben die Gebrüder Montgolfier zum ersten Mal erfolgreich einen Heißluftballon aus Leinen und Papier vorgeführt. Das Buch wird mit Jules Vernes „Fünf Wochen im Ballon“ verglichen, das fünfzig Jahre nach Bilderdijk und die angesprochenen achtzig Jahre nach den Gebrüdern Montgolfier eine abenteuerliche, aber nicht für Jules Vernes Hauptwerk so typische phantastische Reise beschrieben hat. Bilderdijks Ziel ist von Beginn an utopischer, wobei er im Gegensatz zu vielen anderen Autoren seinen Protagonisten auf seiner einsamen Reise keine andere Zivilisation finden lässt, sondern ein im Grunde sperriges Paradies, das sich der Mensch nur bedingt Untertan gemacht hat.
Aus wissenschaftlicher Hinsicht ist die Geschichte vor allem interessant, weil der Flug zu einem im Grunde unsichtbaren Himmelskörper mit dem Wendepunkt der Anziehungskraft genau in der Mitte zwischen Erde und dem von Bilderdijk fälschlicherweise als Planeten und nicht als Mond bezeichneten Gestirn später in eine Reihe von utopischen Science Fiction Romanen inklusiv der Werke Jules Vernes einfließen sollte. Da sich beide Atmosphäre berühren, ist ein Überschritt in einem offenen Heißluftballon ohne Probleme möglich. Wie in einigen anderen Abschnitten des Buches geht der Autor nicht in die Details, sondern lässt sich entweder von dieser Kurzfassung eines später niemals länger verfassten Berichts über die Ecken und Kanten hinwegtragen oder er fällt zweimal an der passenden Stelle in Ohnmacht, um einmal auf der fremden Welt zu stranden und bei der Rückreise die letzten Meter bis zur Rettung durch die Russen nicht mehr miterleben zu müssen. Bilderdijk selbst ist ein religiöser Mann gewesen, aber an keiner Stelle setzt er den oder möglicherweise auch die Himmelskörper mit einer Art greifbaren Paradies gleich, auch wenn der erste Übergang fast an eine solche Idee erinnern könnte.
Interessant ist, dass der Autor/ Erzähler diese Expedition nicht von Beginn an minutiös geplant hat. An der Grenze zu Russland – später werden ihn auch Russen aus dem Wasser ziehen – in Persien geht er dem Gerücht über ein vorhandenes Luftschiff nach und versucht die Ungläubigen in dieser Hinsicht aufzuklären. Alle, angesichts der Länge des ganzen Berichts ausführlich beschriebenen Versuche überzeugen die Einheimischen nicht, wobei der Autor nicht gänzlich klarstellt, warum er sie überhaupt überzeugen muss. Also muss der Selbstversuch her und der Erzähler baut ein kleines Luftschiff, mit dem er schließlich spontan inspiriert, aber doch sorgfältig geplant mit hoher Geschwindigkeit in den Raum aufsteigt und den unsichtbaren, aber irgendwie auch von ihm erspürten Himmelskörper ansteuert, nachdem sein einheimischer Begleiter in letzter Sekunde in Bodennähe aus dem Ballon gesprungen ist.
Er wird ohnmächtig und strandet auf dem Himmelskörper, den er dann im Mittelteil der Geschichte ausführlich untersucht. Er findet aber kein weiteres intelligentes Leben. Stellvertretend für den Leser stellt er sich einige Fragen hinsichtlich der fremdartigen, für ihn aber genießbaren Fauna und Flora bis zu den bösartigen Truthähnen, die ihn einer Art surrealistischen Überdrehung der Handlung ihn schließlich wieder aus dieser Welt vertreiben werden. Auch wenn in diesem Mittelteil der Geschichte inhaltlich wenig passiert und der Erzähler immer wieder seine Leser darauf aufmerksam machen muss, dass er erstens dieses alles leider ohne Beweise erlebt hat und zweitens alles noch in einem ausführlicheren Bericht niederschreiben wird, fasziniert die Beschreibung dieser nur bedingt fremdartigen Welt, die aber von der Erde am Himmel dominiert wird, während der Tag7 Nacht Rythmus deutlich länger als auf der Erde ist, während er eigentlich aufgrund der Kleinheit des Himmelskörpers kürzer sein müsste.
Der Handlungsbogen überschlägt sich gegen Ende des Plots, wenn der Bogen zu den Skythen aus der griechischen Antike geschlagen wird, der anscheinend ebenfalls auf dieser Welt gestrandet ist. Abaris hat seine Botschaft in die Rinden der Bäume gekratzt.
Indirekt rückt Bilderdijk damit seine bislang phantastische, aber unerklärte Story auch in die Mythenwelt der Skythen im Allgemeinen und der Griechen im Besonderen. Ob er sich damit vor seinem Publikum als Epigone rechtfertigen wollte, ist nicht unbedingt klar. Aber die Begegnung mit den Resten Abaris ist der kleine Höhepunkt einer Reihe von unglücklichen Ereignissen, die ihn seine Ausrüstung inklusiv eines Messers kosten.
Der Abschluss des Romans mit dem Wiederfinden seiner Landestelle, der Reparatur des Ballons und sogar der Möglichkeit, wieder Gas einzufüllen, erscheinen eher konstruiert bis lieblos, als wenn der Niederländer seine Phantasie zügeln und die Geschichte zu Ende bringen wollte.
Wie „Gullivers Reisen“, aber ohne die satirischen Ansätze Swifts erzählt Bilderdijk auch ein wenig provozierend frech von seiner Reise. So impliziert er, dass Kolumbus Amerika nicht nur mit einer sehr viel besseren Ausrüstung eher durch einen Zufall gefunden hat, sondern das niemand Kolumbus auch beweisen kann, dass die ersten Funde in der neuen Welt wirklich vom amerikanischen Kontinent stammen und nicht irgendwo unterwegs eingesammelt worden sind. So erwartet er auch von seinen Lesern, dass sie ihm beweisen müssen, dass dieser Reisebericht nicht stimmt als das er als aufgeklärter abenteuerlicher Erzähler nachweisen muss, wirklich mit dem Ballon zu einem anderen Himmelskörper, der passenderweise unsichtbar und nur wenigen Menschen „sichtbar“ erscheint, geflogen ist.
Abschließend ignoriert der Erzähler allerdings, dass er ja seinen Ballon mit örtlichen Materialien wie Holz repariert hat und das Wrack somit auch aus Material bestehen müsste, das es in dieser Form auf der Erde nicht gibt oder nicht gegeben hat.
Obwohl er wohl einige Zeit auf der anderen Welt verbracht und sich phasenweise bis zum Auftreten der angesprochenen Truthähne als „Herrscher“ über diese paradiesische Idylle angesehen hat, fühlt er sich nicht mehr in der Lage, die Reise zu wiederholen bzw. andere Forscher los zu schicken. Er hofft, dass die Zeit seinen Bericht bewahrheiten wird. Auch diese Ambivalenz ist traditionell bei einigen Utopien, wobei Bilderdijk auf die Idee einer reinen Traumreise aufgrund der erlittenen Verletzungen seines Protagonisten verzichtet und durchaus realistisch sein Schicksal beschrieben hat.
Zusätzlich ungewöhnlich ist, dass er nur dem Skelett des angesprochenen Griechen begegnet, keinem anderen auf dem Himmelskörper lebenden Volk, dessen Regierungsform vielleicht idealisiert die in Frankreich oder den Niederlanden herrschenden diktatorischen Trends der Napoleon Zeit entlarven könnte. Es ist ein erstaunlich unpolitisches, poetisch romantisches Büchlein, das der Niederländer verfasst hat.
Dieter von Reeken hat den Text nicht nur sorgfältig übersetzt und teilweise farbig in den Umschlagklappen bebildert, vor allem hat er auch ein ausführliches Nachwort inklusiv einer detaillierten Vorstellung des Autoren verfasst und rückt somit den „Kurzer Bericht über eine bemerkenswerte Luftreise und Entdeckung eines neuen Planeten“ auch in den Fokus der Literaturwissenschaft, die mit der deutschen Erstveröffentlichung eine weitere Lücke hinsichtlich utopischer Stoffe füllen kann.
Nicht nur in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Veröffentlichung einer phantastischen, literarisch unterhaltsamen und romantisch leichten Reise zu einem der Erde sehr nahe stehenden Himmelskörper.
- Taschenbuch: 108 Seiten
- Verlag: Reeken, Dieter von; Auflage: 1 (16. Juni 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3945807123
- ISBN-13: 978-3945807125