Der dritte Teil der Tetraologie Alexander Röders „Der Sturz des Verschwörers“ ist schwierig in Worte zu fassen. Ein sehr starker Auftakt, ein auf den ersten Blick sehr interessantes Ende und leider eine Reihe von reisetechnischen Längen zwischendurch.
Und trotzdem ist der Band selbst Karl May untypisch auf eine besondere Art und Weise lesenswert. Zu Beginn des Romans verfolgen ja Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar die Hexe Qendressa, welche die beiden Gefährten in zweiten Band der Serie mehrfach an der Nase herum geführt hat. Die Spur führt zu einem Turm, teilweise schon aus Eisen errichtet. Im Gebäude selbst landen sie in einem Labyrinth, das Escher so geplant haben könnte. Die Welt steht für die beiden Verfolger buchstäblich Kopf. Es ist ein wunderbarer Auftakt, in dem Alexander Röder seine Phantasie spielen lässt und trotzdem die Handlung vorantreibt.
Im Turm lauschen Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar einer ungewöhnlichen Diskussion. Der Schut und sein Bruder Al- Kadir diskutieren auf einer Plattform des gigantischen Turms in schwindelnder Höhe ihre Zukunft. In einem späteren Teil der Handlung wird der Autor die Antagonisten Familie noch um einen dritten Bruder erweitern, der die Herrschaft über das osmanische Reich antreten sollte. Es ist nicht zum ersten Mal in diesem magischen Orient, das technologischer Fortschritt vertreten vom Schut auf die alte kraftvolle Magie und ihre schwierigen Spielregeln in Form des Magiers/ Bruder Al- Kadir trifft. Beide Seiten tauschen ihre Argumente aus, wobei der Schut die Hexe nicht mit der vereinbarten entsprechenden magischen Belohnung bezahlen möchte. Diese Ignoranz der alten Regeln und das Austauschen gegen die moderne wie seelenlose Welt der Technik- immer wieder durch das seltsame unnatürlich erscheinende blaue Licht und Bauwerke wie diesen Turm oder später das Haus aus Stahl symbolisiert – werden umgehend bestraft. Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, das der Schut nicht unbedingt durch die Gefährten einen Rückschlag erleidet. Er scheint auch in seiner Ignoranz immer wieder die gleichen Fehler zu machen, was wie bei der Neuinterpretation der "Kara Ben Nemsi" Abenteuer aus dem Blitz Verlag den Mythos des May´schen Schut deklassiert.
Die ganze vor allem dialogtechnisch getragene Szene endet dynamisch und bildet einen zufriedenstellenden Abschluss dieser Sequenz. Das große Problem ist, dass sie nur fünfzig Seiten umfasst und streng genommen an das Ende des zweiten Teils hätte gestellt werden können und müssen. So wirkt die Übertragung auf den dritten Band eher wie eine Suche nach Kaufargumenten, da der Handlungsbogen wie beim Wechsel zwischen der ersten Geschichte und dem zweiten Roman ebenfalls derartig abrupt nach einer Reihe von Längen abgeschlossen worden ist.
Der rote Faden der Handlung ist die weitere anschließende Suche nach der natürlich rechtzeitig geflohenen Hexe, wobei Kara Ben Nemsi in einem Punkt erstaunlich naiv ist. Den Schut jagt er - Karl Mays und Alexander Röders Bücher zusammengenommen - seit einigen Jahren bzw. acht umfangreichen Büchern. Er ist inzwischen zweimal „abgestürzt“ – einmal in die Schlucht und einmal ins Höllenfeuer – sowie vom Krüppel zu einem gesunden Mann geworden. Wie kann Kara Ben Nemsi ohne Leiche plötzlich annehmen, dass der Schut jetzt endgültig tot ist? Immer wieder betont der Autor mit Todschlagargumenten diesen handlungstechnischen Punkt, wobei der Leser ahnt bzw. vielleicht auch weiß, dass erstens der Schut nicht tot ist und zweitens noch einmal im Laufe dieser Serie in Erscheinung treten wird.
Viel interessanter, magischer und nachvollziehbarer ist das Schicksal des Bruders Al- Kadir, der als „Seele“ in eine Art Zwischenwelt verbannt worden ist. Auch Al- Kadir wird wieder erscheinen, aber im Gegensatz zum Schut muss er erst einmal „befreit“ werden.
Auf der Suche nach der Hexe Qendressa durchqueren Hadschi Halef Omar und Kara Ben Nemsi nicht nur wieder zahllose Städte und teilweise Länder entweder auf ihren Pferden oder notgedrungen auch zur See, sie treffen alte Freunde und mit Sir David Lindsay inzwischen einen Mann, der sich eine kleine britische Armee gekauft hat. Dabei kehren sie nicht nur auf den Balkan zurück, sondern geraten in Konflikt mit arroganten österreichischen Soldaten.
Die Reise an sich ist strukturiert erzählt worden. Es sind immer wieder einzelne Hinweise, wobei Alexander Röder die Magie sehr viel effektiver einsetzt und mehr vor den Gefahren warnt. Sie ist nicht mehr opportunistisches Mittel zum Zweck. So ist das magische Zelt inzwischen eher zu einem verführerischen Gegenstand als einem Rettungsanker geworden. Im Gefängnis kann sich Kara Ben Nemsi eher mittels verschiedener Bluffs über Wasser halten. Bizarr erscheint es, wennn Sir David Lindsay eine kleine Truppe britischer Söldner inklusiv Artillerie angeheuert hat. Diese stampfen munter durch die immer schwieriger werdende Bergwelt zum möglicherweise letzten Versteck des Schuts, das sie aber nicht richtig beschießen können. Da wird die Glaubwürdigkeit ein wenig zu stark gebogen. Der Engländer ist ohne Frage reich und die britischen Soldaten dem Vaterland wenig zugetan, aber Söldner hätten auch gereicht.
Wie Karl May schöpft Alexander Röder seinen nicht nur historischen Wissensschatz aus. Neben der Buchpresse und der Entstehung von Büchern gibt es eine Exkursion in das exotische Essen dieser Gegend, wobei Kara Ben Nemsi vorsichtshalber dem kleinen Halef die Ingredienzien verschweigt.
Auch Karl Mays Romane hatte diese Leerlaufreisephasen, in denen der übergeordnete Plot nicht vorangetrieben worden ist. Im Gegensatz allerdings zu Alexander Röders ein wenig zu sperrig, zu distanzierten und vor allem viel zu sachlichen Stil hat der Sachse – auch hierzu findet sich eine kleine Passage im Roman – dann mit seinen bizarren Figuren gespielt und dank der ausschweifend geschriebenen Dialoge die atmosphärische Stimmung hoch gehalten. Alexander Röder versucht mittels Hinweisen den Leser während dieser Schnitzeljagd bei der Stange zu halten, wobei die Vorgehensweise als Ganzes betrachtet auch ein wenig ermüdend erscheint.
Enttäuschend ist dagegen beginnend mit der Begegnung im gigantischen Thronsaal mit einem beseelten Leib eines alten Herrschers das Finale. Das liegt nicht etwa daran, dass Röder die Ideen ausgehen. Das Gegenteil ist fast der Fall. Das stählerne Haus – manchen Moment befürchtet man, dass es sich um eine Art archaisches Raumschiff handelt, das mittels magischer Energie zu schweben/ zu fliegen beginnt – ist ein waidwunder Fremdkörper in der urwüchsigen Landschaft, in einem abgelegenen Tal versteckt gelegen. Nicht der protzige Palast, den Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar kurz vorher in einer weiteren, atmosphärisch gut gelungenen, aber inhaltlich zu leicht abgeschlossenen Sequenz besucht haben.
Der magische Stein als Schlüssel für dieses Gebäude ist genauso ein MacGuffin wie Sir David Lindsays magischer Schachspiel, mit dem Kara Ben Nemsi im Auftaktroman seinen ersten Sieg gegen die jetzt magisch begabte und unterstützte Band des Schuts gegen alle Wahrscheinlichkeiten errungen hat. Im Gebäude selbst läuft die Handlung eher nach einem inzwischen etablierten Schema inklusiv des „feurigen“ Höhepunkts und wieder der „Tötung“ des Schuts ab. Im Gegensatz zur Auftaktsequenz mit dem exotischen Hintergrund und seiner Mischung aus klassischer Baukultur sowie dem Stahlrahmen als Verweis auf eine technischere Zukunft kann dieses Finale nicht so ganz überzeugen. Vor allem wird der Autor schließlich hektisch und scheint ein Seitenlimit zu haben, um den dritten Roman abzuschließen.
Das ungewöhnliche Flair des magischen Orients ist mit „Der Sturz des Verschwörers“ ein wenig verflogen. Die Muster haben sich verfestigt, die Protagonisten sind solide gezeichnet und dieses Mal verzichtet Röder positiv auf eine vor allem für das jugendliche Publikum entwickelte Identifikationsfigur. Es gibt eine Reihe von schaurig brutalen Szenen, die nicht unbedingt exzessiv, aber intensiv beschrieben werden. Die Dialoge stehen einer Reihe von ermüdenden Textblöcken gegenüber, in denen das Tempo zu sehr verschleppt wird. Es bleibt abzuwarten, wie Alexander Röder diese Serie abschließen wird, aber den Inhalt des zweiten und dritten Bandes hätte man deutlich kürzen und zu einem Roman mit vielleicht zweihundert Seiten mehr zusammenfassen können. Fast eintausend Seiten sind eindeutig zu viel, zumal der eigentliche inhaltliche Höhepunkt wahrscheinlich unbewusst gleich in den Auftaktkapiteln gesetzt worden ist.
Seiten: | 488 |
Format: | Paperback |
Titelbild: | Elif Siebenpfeiffer |
Erscheinungsjahr: | 2017 |
Verlag: | Karl-May-Verlag GmbH |
Bestell-Nr: | 02503 |
ISBN: | 978-3-7802-2503-0 |