Galaktische Mission

Galaktische Mission, Rezension, Titelbild
John Scalzi

In seinem Nachwort schreibt John Scalzi, dass der sechste Band seines Zyklus um den „Krieg der Klone“ das bislang schwierigste und am längsten hinsichtlich der Entstehung dauernde Projekt gewesen ist. Im Original heißt diese Novellensammlung bzw. dieser Fugenroman „The End of All Things“ und dieser Titel trifft beginnend mit der ersten langen Geschichte auf einige der Texte zu. Auch wenn die insgesamt vier in Novellenform veröffentlichten Fugen des Episodenromans teilweise aufeinander aufbauen, ist John Scalzi inzwischen ein so geschickter Erzähler, dass er trotz verschiedener Ich- Erzähler Perspektiven ein erstaunlich breites Spektrum an Themen abarbeitet und sich nicht zu schade ist, den wichtigsten Protagonisten der langen Auftaktgeschichte zum Beispiel effektiv als „Nebenfigur“ in der zweiten Novelle und dann distanziert in der dritten Person einzusetzen. Der fünfte Beitrag ist ein Fragment. Mit einem gesonderten Vorwort zeigt John Scalzi auf, wie er verschiedene Versuche unternommen hat, um diesen Roman zu verfassen. Die geschnittenen Szenen hat der Amerikaner dann zu einer deutlich kürzeren und inhaltlich auch nicht befriedigenden Arbeit zusammengeschnitten. Es ist auch nicht ganz richtig, dass die Ereignisse der ersten Story aus einer anderen Perspektive erzählt werden.  Viel mehr liegt der Fokus wie bei den folgenden Geschichten mehr auf den semipolitischen Zwischentönen und der Auseinandersetzung zwischen der Erde/ seinen Politikern und der Kolonialen Union.

In einem direkten Vergleich mit dem abgedruckten Text sind die Fragmente distanzierter und oberflächlicher, während die Auftaktnovelle in dem frisch frechen Stil des ersten „Krieg der Klone“ Romans und durch die intime Ich- Perspektive unabhängig von einer teilweise vorhersehbaren Handlung überzeugen kann.    

Die erste Novelle ist eine klassische Erweiterung seines ersten Romans „Krieg der Klone“. In diesem Buch sind die Geister alter, erfahrener Männer in die Körper von Klonkriegern transplantiert worden. In „Das Leben des Geistes“ wird ein Pilot gefangen genommen, sein Gehirn entnommen und in die Zentrale eines Raumschiffs gepflanzt. Da John Scalzi seine Geschichte mit einem prägnanten Satz eröffnet, handelt es sich um kein Geheimnis. Der Ich- Erzähler wird dabei Opfer eines Verräters an der Menschheit. Natürlich wie es sich beim Amerikaner gehört, handelt es sich um einen Politiker.  Die Rebellen nutzen immer wieder auf diese Weise mit Gehirnen präparierte Raumschiffe, um jeweils die Raumstationen der anderen Seite anzugreifen und wie in Karl May Manier böses Blut zwischen den sich sowieso nicht sonderlich freundlich gegenüber stehenden Parteien. Der rückblickend sehr unterhaltsame und ausgesprochen clevere Pilot kann seine Wächter, beginnend mit der ominösen Stimme Controlls sowie den selbstverliebten Verräter täuschen.  John Scalzi ist dabei ein erfahrener Autor, der das Klischee des alle Geheimnisse ausplaudernden Antagonisten in diesem Fall effektiv und als Ablenkungsmanöver einsetzt. Keiner der Momente ist bis auf die eher pragmatische Verpflanzung des Gehirns wirklich überraschend oder originell. Selbst die Auflösung wird als Nachteil der Ich- Perspektive relativ früh angeboten, so dass der Leser vor allem durch den unorthodoxen, frechen und dank der inneren Monologe humorvollen Stil förmlich mitgerissen wird.

Während politische Zwischentöne schon in der ersten Novelle eine wichtige Rolle gespielt haben, dominieren sie in den folgenden Geschichten.  Es geht anschließend um einen interessanten politischen Umsturz, in dessen Verlauf inklusiv der überraschenden, wie effektiven, vorausschauenden Pointe ein General die politische Krise in der Konklave nicht ausnutzt, sondern dank seiner Assistentin und Erzählerin Sorvalth einen ungewöhnliche Ausweg sucht.  Wie bei John Ford dürfen die sich bildenden Legenden nicht von der Wahrheit unterminiert werden, so dass neben den verschiedenen politischen Ränkespielen auf einem ausgesprochen gehobenen, aber jederzeit zugänglichen Niveau die Frage im Raum steht, was auch einen ehemaligen Militaristen und jetzigen Politiker auszeichnet.

In der dritten Geschichte – erzählt von Leutnant Heather Lee, aus der achten Folge des ebenfalls als Roman veröffentlichten Sammelbandes „The Human Division“ bekannt- wird diese Idee auf eine zynische Spitze getrieben. Auf einer der Welten wollen Politiker mit einer Unabhängigkeitsabstimmung das Volk vom Joch der Konklave befreien. Die Soldaten der Konklave zeigen den Politikern auf, dass ihre Wahl nicht im Elfenbeinturm stattfindet, sondern das sie lange vor dem Volk, das im kommenden Bürgerkrieg nach der Abstimmung hohe Opfer beklagen wird, bereit sein müssen, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Und das bedeutet, auch bei einer Zustimmung für die Unabhängigkeit umgehend ihr Gut zu verlieren und auch ihr Leben.  Vielleicht drastisch, aber auch ausgesprochen effektiv macht John Scalzi in dieser Szene überdeutlich, dass auch in der Gegenwart viele Politiker nicht an die Worte glauben, die sie aussprechen und das die Erde vielleicht ein ganz anderer Ort wäre, wenn die Politiker umgehend für ihre Abstimmungen, Ideen und Visionen persönlich mit Leib und Leben, Hab und Gut haften, anstatt die Lasten dem Volk aufzubürden.

In der abschließenden Geschichte von Leutnant Harry Wilson erzählt müssen sich die Menschen in ihrer Union und die Konklave mit einem neuen Feind auseinandersetzen, der in den bisherigen Geschichten im Hintergrund schon eine Rolle gespielt hat.

Das Ende nicht nur dieses Fugenromans, sondern der ganzen Serie wirkt ein wenig zu konstruiert. John Scalzi kann mit dieser Taktik eine Reihe von Problemen unter den Teppich kehren und durch eine Bedrohung von außen die immer wieder schwelenden Konflikte wie Missverständnisse ausräumen.

Die unterschiedlichen erzähltechnischen Perspektiven vor allem in Kombination mit den verschiedenen Protagonisten ermöglicht es Scalzi, nicht nur glaubwürdig ein breites Spektrum abzudecken. Es kommt immer wieder zu Überschneidungen. So spielt das Gehirn alias Rafe Daquin in allen anderen Episodem mindenstens eine Nebenrolle, wenn nicht  sogar eine wesentliche Rolle.Daquin drängt nicht unbedingt mehr darauf, das sein eigentlicher Körper wieder geklont wird, da auch hier Scalzi eine verblüffende und den Protagonisten noch mehr verstörende Variation bereithält.  

Wie angesprochen hat Scalzi Figuren aus seinem letzten Episodenroman in die abschließende Geschichte übernommen und dank der zahllosen politischen Diskussionen hinsichtlich der kriegerischen Vergangenheit und der hoffentlich friedlicheren Zukunft muss der Autor teilweise eher angedeutet als extrapoliert auf Ereignisse aus den letzten fünf Büchern zurückgreifen, um seinen dreidimensionalen Kosmos zufriedenstellend abzurunden.

Auch wenn „Galaktische Mission“ immer noch unter dem Label der Military Science Fiction erscheint, hat sich der Grundtenor deutlich gewandelt. Jede Aktion fordert eine Reaktion heraus. Hinzu kommt, dass Scalzi immer wieder betont, dass zumindest in der theoretischen Welt seiner Zukunft vom Fußsoldaten über die Rebellen bis zu den Politikern Verantwortung für seine Taten übernehmen muss.  Diese Botschaft zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch diesen Roman. Immer wieder überrascht der Autor auf einem intellektuell ausgesprochen hohen Niveau seine Leser, in dem er seine Figuren auch zweifeln, teilweise scheitern lässt. Im Gegensatz zu den Action orientierten ersten Romanen dieser Serie, die von der damals wie heute originellen Grundidee leben, versucht der Autor zusätzlich sein Universum zu erweitern und neue Aspekte einzuführen. Die Gefahr von außen ist dabei ein eher gängiges, die guten Ausgangspunkte vor allem der zweiten, inhaltlich stärksten Novelle unterminierend, aber sie dient dazu, ein zufriedenstellendes, nicht unbedingt überraschendes Ende dieser Serie zu finden.  

Im Gegensatz zu den vielen Episoden in „The Human Division“ erscheint die Konzentration auf vier miteinander verbundene, aber nicht fortlaufende Episoden sehr viel überzeugender. Der Autor hat mehr Raum, auch in die Tiefe zu gehen und sieht sich nicht gezwungen, immer wieder eine Pointe zu entwickeln, die den Lesefluss teilweise unterminiert. Die Figuren sind weiterhin solide gezeichnet, wobei die Dialoge manchmal zu sehr an Slang Gespräche aus der irdischen Gegenwart denn in einer fernen Zukunft erinnern. Auch wenn seine Außerirdischen manchmal kritisch gesprochen zu menschlich erscheinen, zeigt uns der Amerikaner immer wieder auf, dass Vernunft und unabhängig vom fehl geleiteten Exzess der ersten Geschichte Diplomatie besser sind als Brutalität und Waffengewalt.

„Galaktische Mission“ ist ein sehr zufriedenstellender, hoffentlich vorläufiger Abschied vom Universum der alten Männer. Es empfiehlt sich allerdings, auf die ersten Romane zurück zu greifen, wenn man den „Krieg der  Klone“ verfolgen möchte. Auch wenn die zugrundeliegenden vier Plots in dieser Sammlung alle auch ohne größere Vorkenntnisse solide präsentiert werden, wird ein Neuling die Zwischentöne nicht verstehen. Und diese lassen vor allem die zweite und die dritte Story aus der Masse anderer Military Science Fiction deutlich herausragen.    

  • Taschenbuch: 496 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (8. August 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317572
  • ISBN-13: 978-3453317574
  • Originaltitel: The End of All Things
  • Übersetzer: Bernhard Kempen