Auf sehr fremden Pfaden

Auf sehr fremden Pfaden, Thomas Le Blanc, Titelbild, Rezension
Thomas Le Blanc

Karl Mays phantastischer Orient begann in Wetzlar. Im Rahmen seiner Miniaturen hat der Herausgeber Thomas Le Blanc 2013 einen Band mit phantastischen Miniaturen aus der Welt Karl Mays veröffentlicht. Insgesamt siebenundzwanzig Texte von sechzehn Autoren.

Nur sieben der Geschichten oder Geschichtchen sind in die drei Jahre später im Karl May veröffentlichte Anthologie „Auf magischen Pfaden“ eingeflossen. Daher lohnt es sich eingeleitet von Rainer Schorms schönen eindrucksvollen Titelbild diese Fingerübung selbst nach der Lektüre der im Karl May Verlag veröffentlichten Anthologie als interessante Ergänzung zu lesen.

 In die im Karl May Verlag veröffentlichte Anthologie sind thematisch sehr breit die folgenden Geschichten übernommen worden:

 Jörg Weigangs „Halef in Nöten“ ist eine der Miniaturen, in denen das Übernatürliche impliziert und dank einem brillanten Einfall eine Lösung gefunden wird. Hans Dieter Furrer nimmt in seiner kurzweilig zu lesenden Miniatur „Fata Morgana“ den Ritt durch den Schott zum Anlass, um Karl Mays Text um phantastische Visionen zu ergänzen.  Wie auch in der Karl May Anthologie ist der Schott – die Wüste, die Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar zu Beginn des Orient Zykluses durchqueren – eine faszinierende Ideenquelle. „Der Tod auf dem Schott“ ist ein weiteres Beispiel.

Bei den nicht mehr im Orient, sondern im Wilden Westen spielenden Texten  geht Tim Piepenburg mit „Der Old Shatterhard Security Service“ dann dank des ironischen Untertons ganz in Vollen und entlarvt das Hilfsmodell vor allem des Deutschen Old Shatterhands als nicht überlebensfähig. Andere Methoden müssen her.  „Das Geisterpferd“ von Karl Weigand könnte überall spielen. Es ist diese typische Legende vom tierischen Retter in der Not, wobei Winnetou, Old Shatterhand oder Sam Hawkins eher funktional in diese kurze, aber von der Stimmung her überzeugende Story eingebaut worden sind.  

Paul Felber verlegt Karl Mays Figuren in Algernon Blackwoods „The Wendigo“ Geschichte mit einem zynischen Ende. Atmosphärisch dicht baut diese kurze Episode aber zu wenig innere Spannung auf, als das der Autor Karl May oder Algernon Blackwood durch die Vorhersehbarkeit des Endes gerecht werden kann.

 Die zwanzig nicht übertragenen Texte konzentrieren sich teilweise ein wenig zu stark auf Konstruktionen, die Karl May und seinen fiktiven Kosmos eher austauschbar behandeln. Andrea Focks „Verschollen im Llano estacado“ weißt einen humorvollen Bruch in der Mitte des Spannungsbogens auf, der „Realität“ und „virtuelle Realität“ gegenüber stellt. Bei Katja Göddemeyer sind es in „Zwischen den Welten“ Visionen einen schwerkranken Menschen, der an der Schwelle zum Tod steht. Beide Texte schaffen es, die Stimmungen von Karl May überzeugender zu interpretieren als die realen/ utopischen Passagen wirklich lebensecht zu beschreiben. Thomas Le Blanc geht mit „Sterben wie Old Wabble“ noch einen Schritt weiter. Ein alter Mann, ein Karl May Fan und schließlich ein Unglück. Der anfänglich gewitzte Humor des sympathischen Protagonisten bleibt dem Leser schließlich im Halse stecken. 

 Karl May, Science Fiction und Zeitreise packen Monika Niehaus mit „In der Klemme“ sowie Jürgen Pfuhl mit „Wie der Genosse Ulbricht zu seiner Fistelstimme kam“ sehr unterschiedlich an. Jürgen Pfuhl überdreht dabei am Ende deutlich das Rad und packt zu viel in seine überdrehte, aber nicht mehr nachhaltig lustig erscheinende Geschichte, während Monika Niehaus mit Donnas Kaschemme sowie dem Erzähler Willi über liebevolle Geschichte Protagonisten sowie ein angenehm schmieriges Ambiente verfügt. Norddeutsch kann man sagen, dass Willi einer dieser typischen Schnacker ist, die sich aus fast allen Situationen zu retten suchen. Jörg Weigand präsentiert später mit „Bei Mutter Thick“ eine Frontier Variante dieser Idee, während in einer anderen Geschichte die Figuren in einer dieses Mal arabischen „Kneipe“ unter sich bleiben.

 Rainer Schorm nimmt Karl Mays Kolportageromane als Anlass, um den seltsamsten Drogendeal der Galaxis vor einem Nachbau des Schlosses Neuschwanstein als Hommage auf den Wurzel Sepp in Szene zu setzen. 

 „Die Entdeckung von UROPA“ von Michail Krausnick ist einer der Geschichten, in denen ein sehr weiter, fast karikierender Bogen gespannt wird. Es ist die Entdeckung der Alten Welt durch einen Indianer, der sich verrudert hat. Mit interessanten Folgen. Das Element der Satire schimmert immer wieder teilweise geschickt impliziert durch, aber inhaltlich will der Autor gegen Ende zu viel, um nachhaltig überzeugen zu können.   

 Friedhelm Schneidewind präsentiert drei locker aufeinander aufbauende Miniaturen. In ferner Zukunft nutzen die Protagonistinnen zu Beginn Ideen aus Karl Mays Romanen, um Weltraumpiraten zu täuschen oder die eigenen Männer unverwundbar erscheinen zu lassen. Beide Texte lesen sich sehr unterhaltsam, während die dritte Miniatur „Die Schule der Improvisation“ eher bemüht und belehrend wirkt. 

 Einige Autoren durchbrechen positiv auch die Barriere zwischen Schriftsteller und seinen Schöpfungen“. Monika Niehaus „Hommage an einen Schundschriftsteller“ ist eine dieser wilden Kneipengeschichten, in denen sich die einzelnen „Feinde“ nicht unbedingt friedlich, aber beschwingt bei einem Getränk alkoholischer Gärung begegnen. Aus der Chronologie der Geschichtenabfolge gerissen schließt Monika Niehaus auch mit „Happy End“ die literarische Miniaturauseinandersetzung zwischen Schöpfer und seinen Schöpfungen.

Tim Piepenburg lässt in „Das Verschwinden von Tahar Rahim“ eine von Karl Mays Nebenfiguren rebellieren, was den autoritären sächsischen Schriftsteller buchstäblich auf die literarische Palme bringt. Jörg Weigand implementiert in seiner Variante „Das Bu(s)chgespenst“ sogar einen prophetischen Ausblick auf Karl Mays erfolgreiche Zukunft bzw. die vielen Neider, die er dank seines Erfolgs geerbt hätte. Hätte der Sachse nur auf seine Figuren gehört. Es sind diese humorvollen Miniaturen, die  - sich vom eigentlichen Werk abhebend – unterhaltsame Wege gehen und bei denen die Balance zwischen Umfang, Inhalt und Tonfall überdurchschnittlich gut gefunden worden ist. 

 Aus der Masse der Geschichten ragt Ansgar Schwarzkopfs „Winnetou und Winnie- Puh“ nicht nur inhaltlich heraus. Bitterböse satirisch geschrieben werden auch große Indianer von den unbegrenzten Fallstricken des Worldwidewebs in ihren Zelten eingeholt.  

 Während die Miniaturen in der später zusammengestellten Anthologie „Auf magischen Wegen“ im Schatten der längeren und komplexen Arbeiten gestanden haben, erscheinen diese liebevoll auch zur Förderung der phantastischen Bibliothek in Wetzlar zusammengestellte Sammlung kürzesten Geschichten isoliert von längeren Arbeiten deutlich stärker und fokussierter. Wer nicht gleich zur im Karl May Verlag veröffentlichten Ausgabe greifen möchte, wird mit dieser im Fanzineformat veröffentlichten Sammlung als ersten Wegweiser gut bedient. Wem „Auf magischen Pfaden“ gefallen hat, sollte auf jeden Fall nach den Ursprüngen greifen. Die Qualität der Miniaturen ist durchgehend hoch und einige bekannte, aber fast in Vergessenheit geratene Autorennamen bringen sich wieder nachdrücklich ins Gedächtnis. 

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