Science Fiction Mythmakers

Jannifer Simkins

Der Titel von Jennifer Simkins Studie “The Science Fiction Mythmakers” ist ein wenig opportunistisch gewählt. Im Grunde bedingt ja jede fiktive Geschichte auch eine Art Mythos und die Autorin sucht bei ihrer Analyse der religiösen Ausrichtungen, der wissenschaftlichen Grundlagen und vor allem der Philosophie in den Werken H.G. Wells und Arthur C. Clarkes als zwei Vertretern der eher klassischen Science Fiction, sowie Philip K. Dick und Frank Herbert als Aushängeschilder der modernen, humanistischen Science Fiction weniger nach ihren mythologischen Inspirationen, sondern versucht vor allem die religiösen Aspekte wie auch das Verhältnis der Autoren zu göttlichen Instanzen zu analysieren. In ihrem ausführlichen und interessanten Vorwort definiert sie nicht nur die aus ihrer Sicht gültigen Wurzeln der Science Fiction beginnend mit dem technokratisch sozialen Wandel des 18. Und 19. Jahrhunderts, sondern versucht eine Beziehung zwischen Gesellschaft und wissenschaftlicher Literatur im Allgemeinen herzustellen. Dabei greift sie in diesem Teil ihrer Studie weit über das eigentliche Forschungsziel hinaus und kann insbesondere Lesern, welche sich weniger mit den vorgestellten Autoren im Vorwege auseinandergesetzt haben, zumindest die wichtigsten „Wellen“ erläutern.

Mit H.G. Wells hat sie auch gleich einen harten Brocken vor sich. Die utopisch technischen Romane sowie die gesellschaftlichen Extrapolationen des Briten nehmen nur einen kleinen Teil seines umfangreichen Werkes ein. Dazu kommen zahllose teilweise belehrende Artikel und sekundärliterarische Bücher.  H.G. Wells hat die Literatur immer weniger als Unterhaltung egal auf welchem Niveau angesehen, sondern als offensives Mittel zum Zweck, wichtige Botschaften zu präsentieren. Rückblickend seiner Autobiographie folgend hat sich der Brite als Atheist angesehen. Nur während des barbarischen Ersten Weltkriegs hat er sich Gott zugewandt. Hier liegt eine Schwäche dieser Studie, welche die Autorin auch umfangtechnisch nur bedingt verantworten kann. In dieser später als unglückliche Abbiegung bezeichneten Zeit hat Wells nur einen utopischen Roman, aber vier Mainstreambücher verfasst, in denen sich seine Figuren eher einem Gott zuwandten.  Jennifer Simkins kann allerdings nur auf den Science Fiction Roman eingehen.  Mit Arthur C. Clarke verbindet Wells aber über ihre Herkunft hinaus noch eine gänzlich andere Idee. Mittler zwischen den beiden Schriftstellern könnte Olaf Stapledon mit seinen weitreichenden Visionen sein, die Clarke in jungen Jahren und Wells im gereiften Alter gelesen hat. Sowohl Wells als auch Clarke haben erkannt, dass ein eine komplette Kontrolle, eine Aufgabe des eigenen Willens selbst in einem künstlich erschaffenen Paradies Rückschritt, Stagnation und schließlich Degeneration bedeuten.  Wells hat dies in seinen Visionen „Die Zeitmaschine“ genauso ausgedrückt wie in seiner Studie „The Sleeper Awakes“, während Clarke in „Childhood´s End“ sowie teilweise in den Fortsetzungen zu „2001“ Überzivilisationen beschrieben hat, welche die Menschen durch reale und nicht wie heute virtuelle Paradiese führen und damit jeden Instinkt der Eigenverantwortung unterdrücken. Es sind die perfekten Utopien, die perfektionierten Mythen, welche die Menschen schließlich geistig verkümmern lassen.  Jennifer Simkins unterscheidet bei Clarke dabei zu wenig zwischen dem Frühwerk des Briten mit ausgezeichneten Büchern wie „Childhood´s End“ neben seinen klassisch technischen utopischen Stoffen und dem Spätwerk, das von der in Kooperation geschriebenen „Rama“ Serie -.sin die Schöpfer dieser Kunstwelt nicht auch außerirdische Götter ? – sowie den Fortsetzungen zu „2001“ dominiert wird. Insbesondere „2001“ basiert ja nur auf einer Kurzgeschichte Clarkes, in welcher er einen künstlichen Wächter eines außerirdischen Zivilisation im Sonnensystem stationiert hat, während Kubrick viele Aspekte der späteren evolutionären Werke Clarkes in „2001“ zumindest inspiriert hat. Clarke folgt quasi mit einer Reihe von inneren Widersprüchen – überlichtschnelle Fortbewegung ist in einer der Fortsetzungen möglich, in einer anderen wieder nicht – dieser Maxime und entwickelt im Grunde das eigene frühere Konzept nicht weiter. Wells dagegen hat insbesondere seine frühen kritischen Studien – in „The Island of Dr. Moreau“  ist der Mensch sein eigener Gott- immer wieder verfeinert und in einigen Mainstreamromanen einem breiteren Publikum vorgestellt. Auch wenn sich kein klassischer Gottgedanke durch beide Werke zieht, sind es vor allem die überirdischen Wesen, die sehr unterschiedliche Rolle spielen. Wells hat nur in einem kürzeren Roman vom Besuch eines Engels geschrieben. Ansonsten hat er immer wieder die Eigenverantwortung der Menschheit hinsichtlich ihres evolutionstechnischen Fortschritts, der in einem Stillstand gipfelt, in den Mittelpunkt seiner Arbeiten gestellt. Wer die Zusammenfassung Simkins in dem zweiten Kapitel über Clarke liest, hat den Eindruck, als wolle der Brite eher unbewusst, aber doch gewollt den potentiell erdrückenden Wächtern nicht als Stellvertreter der allmächtigen Kirche die Schuld zuschieben, wenn die Menschen nicht reifen wollen oder Clarke folgend können.   

In einem der Anhänge wird Philip K. Dicks religiöses Spätwerk „VALIS“ als der Ausdruck eines durch Drogen und Paranoia verrückt gewordenen Schriftstellers spöttisch abgehandelt. Diese These ist so provokativ wie unbegründet, das sie eigentlich einen Ausgangspunkt für Jennifer Simkins Essay hätte darstellen können und müssen.  Die Australierin verzichtet auf eine lange Zeit dominierende Einordnung des umfangreichen Werkes Dick in die drei Phasen Mainstream, Science Fiction und realistisch religiöses Spätwerk. Dick hat wie Herbert in einer relativ „kurzen“ Zeit insbesondere im direkten Vergleich zu Wells und Clarke sehr viele Romane geschrieben, die aus unterschiedlichen Perspektiven für die Autorin eine Einheit bilden. Wie bei Wells geht sie allerdings weder auf die erst teilweise posthum veröffentlichten Mainstreamromane ein noch kümmert sie sich um das umfangreiche Kurzgeschichtenwerk sowie die ersten schnell heruntergeschriebenen Science Fiction Romane, in denen die Heroisierung des Individuums genauso eine wichtige Rolle spielte wie der begründete Angst vor dem diktatorisch organisierten den Menschen erdrückenden und teilweise durch künstliche Substanzen stillhalten „System“.  Ohne es expliziert auszudrücken, sucht Dick mit seinen gebrochenen, aber zutiefst menschlichen Protagonisten Hilfe in den politisch kritisierten Systemen. Bei Clarke sind es die Außerirdischen, welche die Menschen „versklaven“ und damit „erfreuen“, während Dick als Vorgriff auf die Cyberpunks eine Frühform der Maschine, eine erst spät erkennbare Simulation und damit eine Verfremdung der Wirklichkeit als Grundlage seiner Bücher genommen hat.  Der Idee folgend, Religiosität im Werke Dick zu entdecken, hätte Jennifer Simkins zum Beispiel Dicks schon 1957 veröffentlichten Roman „Eye in the Sky“ einbeziehen müssen, in dem es vordergründig wie der Titel suggeriert um ein gigantisches, alles sehendes Auge Gottes am Himmel geht, die sich später als Teil einer subjektiven Realität herausstellt. Während Wells die Politik für die soziale Entwicklung als verantwortlich bezeichnet und Clarke sich vor allem unpolitisch auf das Schicksal einzelner Charaktere , kleinere Gruppen konzentriert hat, verbindet Dick exemplarisch in diesem Rückgriff auf die erdrückende Autorität der McCarthy Zeit politische Unverantwortung mit religiösen Wahnvorstellungen. 

Das Frühwerk zu stark ignorierend geht Jennifer Simkims vor allem auch Dicks Spätwerk beginnend mit „Do Androids dream of Electric Sheeps“ ein.  Dabei stellt sie Philip K. Dick in die Ecke der Gnostiker, jener religiösen Geheimwissenschaftler, die nach ihren besonderen Erkenntnissen leben. Für die späteren Traumvision um VALIS mag diese These zutreffen, für das vor allem mittlere Werk Dicks eher nicht. Dicks spirituelle Welten, nicht selten durch Drogen oder Träume hinter Träumen verborgen, wirken zu individuell, zu sehr den zugrundeliegenden Romanen oder Kurzgeschichten angepasst.  Erst mit Arbeiten wie „Ubik“ konzentrierte sich der Amerikaner darauf, seine theologischen Grundlagen zu verfestigen und ihm als Autoren zuzuweisen.  Dick folgt dabei den Spuren vieler Theologen, in dem er auf der einen Seite an eine gutmütige außerirdische/ göttliche Lenkungsinstanz wie bei Arthur C. Clarke glauben möchte, auf der anderen Seite die Brutalität und das Chaos auf der Erde sieht. Dabei verzichtet Dick auf Belohnungen im Jenseits, sondern versucht diesen Widerspruch überzeugend herauszuarbeiten. Simkins stellt überraschend deutlich auch in den Anmerkungen klar, dass Dick von einigen Werken Arthur C. Clarkes in dessen später Phase beeindruckt gewesen ist, während der Amerikaner die Klassiker nicht schätzte.

Es ist vielleicht eine doppelte Ironie, dass ausgerechnet das typische Werke über die Schaffung eines Propheten auch den Lehren des Islams folgend, in seinen Fortsetzungen konsequent nicht nur den Mythos demontiert, sondern im Gegenzug eine Art Gottkaiser erschafft, der von Macht nicht korrumpiert werden kann. Den Abschluss der Essays bildet eine Auseinandersetzung mit den Schwerpunktthema sechs „Dune“ Teilen, die aus Frank Herberts Sicht eine inhaltliche Einheit trotz eines Zeitraums von mehreren tausenden Jahren bilden. Das dieser Prophet dann auch noch von „Menschen“ – die Bene Gesseritt sind ja keine Götter, sondern eine religiöse Glaubensgemeinschaft  mit starken wirtschaftlichen und sozialen Strukturen – erschaffen worden ist, weist von Beginn an den Weg. Simkins arbeitet sehr überzeugend heraus, wie Frank Herbert absichtlich und teilweise provozierend in Paul Atreides einen neuen Überhelden „erschaffen“ hat, um ihn anschließend in den folgenden Romanen sehr konsequent zu demontieren.  Frank Herbert steht mit seinem Epos in einem starken Kontrast zu den anderen „Mythmakers“ dieser Ausgabe.   Wells, Clarke und teilweise Dick haben auf außerirdische/überirdische/göttliche Wesen gesetzt, die in ihrer teilweise verheerenden Allmacht die Evolution des Menschen verhindern. Frank Herbert hat mit seinem Gottkaiser Leo II. eine Kreatur erschaffen, die auf die Menschlichkeit verzichten muss. Er verwandelt sich ja in einen der gigantischen Sandwürmer. Der aber als Herrscher ein wohlmeinender Diktator ist, der eben immer wieder nicht nur auf Arakis sein Volk anstachelt, sich weiter zu entwickeln. Hinzu kommt, dass mit der minutiösen Ausarbeitung Arakis in Kombination mit dem anfänglich dominierenden Befreiungskrieg der Fremen einfachere Grundlagen gelegt werden, auf denen Herbert tatsächlich über die folgenden fünf Romane nicht nur ein eigenes Weltbild inklusiv entsprechender Religion aufbaut, sondern vor allem absichtlich immer wieder die Erwartungshaltung seiner Leser negiert.

Kritisch gesprochen wäre Frank Herbert der einzige echte „Mythmaker“ dieser Sammlung, der im Grunde ein in sich geschlossenes absolutistisches Universum erschaffen hat, während Wells auch in der kontinuierlichen Entwicklung der Menschheit bis zu einer Stagnation im Schutz eines mehr oder minder passiven Gottes eine fatale Entwicklung gesehen hat. Clarke hat in den hier besprochenen Werken immer wieder darauf hingewiesen, dass eine komplette Langzeitüberwachung durch die Wächter sowohl in „Childhood´s End“ als auch den Fortsetzungen zu „2001“ zu einem Zusammenbruch der Zivilisation in einer durchaus friedlichen, aber nicht minder effektiven Art führen kann und muss. Dick dagegen hat seine einfachen Protagonisten immer wieder gegen die verzerrten Realitäten gestellt und wenn göttliche Wesen Einfluss genommen haben, dann in erster Linie bei den schwachen wie paranoiden Protagonisten, während der Rest seiner gebrochenen Antihelden nicht selten die Flucht in Drogen oder andere Rauschzustände bevorzugt haben.

Jennifer Simkins hat positiv und auf eine sehr lesenswerte Art und Weise gleich zu Beginn eines jeden der vier Essays die inhaltlichen Leitplanken – Dick bildet hier durch den Umfang seines in Frage kommenden Werkes eine Ausnahme -  festgezurrt, so dass sich der Leser auf Augenhöhe der gut zitierenden und solide extrapolierenden Autorin befindet. Viele ihrer Ideen nicht überraschend gut und vor allem auch inhaltlich neu. Die Querverbindungen zwischen den vier Autoren sind eher vage und wirken teilweise ein wenig konstruiert, aber dieser erfrischende Blickwinkel auf bekannte Klassiker lässt „The Science Fiction Mythmakers“ zu einer der interessantesten sekundärliterarischen Studien der letzten Jahre werden, nach deren Lektüre Mancher nicht nur die vorgestellten, auf den ersten Blick bekannten Bücher noch einmal lesen,  sondern Jennifer Simkins Ideen an der Realität der Klassiker testen möchte.                

McFarland Books

Print ISBN: 978-1-4766-6809-3
Ebook ISBN: 978-1-4766-2725-0
notes, bibliography, index
200pp. softcover (6 x 9) 2016

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