The Magazine of Fantasy and Science Fiction Januar/ Februar 2015

Gordon van Gelder (Hrsg.)

Die erste Ausgabe des Jahre 2015 präsentiert neben fünf längeren Novelletten insgesamt sechs Kurzgeschichten. Nicht nur thematisch stimmt die Balance in dieser Ausgabe. Ganz bewusst wechseln sich Fantasy, Science Fiction und ein wenig Horror  gut aufeinander abgestimmt ab.  

Matthew Hughes eröffnet die Ausgabe mit “Prisoner of Pandarius” , einer inzwischen auch für dieses Magazine fast klassischen Kombination aus Magie und Trickdiebstahl. Raffalon ist der fast klischeehaft typisierte opportunistische Dieb mit einem halb goldenen Herz, der vom Rat der Gilde der Diebe zu Unrecht „verurteilt“ wird. Der Zauberer Cascor als ehemaliger Sicherheitschef der Stadt  und Magier heuert Raffalon an, um den wertvollsten Gegenstand im Besitz Pandarius zu stehlen. Die Geschichte überzeugt dank der sehr gut geschriebenen Dialoge und dem leicht ironischen Unterton bis kurz vor dem finalen Showdown. Hier macht es sich der Autor zu einfach und schließt die Handlung nicht unbedingt mit einer „Deus Ex Machina“ Lösung ab, aber zumindest einer nicht aus dem Plotverlauf heraus entwickelten Pointe. Inzwischen haben sich aber derartige Handlungsmuster so sehr etabliert, dass sie zu einem Klischee werden. Die Anthologie „Rogues“ ist ein weiterer schlagender Beweis dafür.

Im Bereich der Fantasy das gänzlich andere Spektrum der modernen Parabel deckt Eleanor Arnason mit „Telling Stories to the Sky“  ab. Statt Himmel sollte es lieber Wind heißen, denn die Erzählerin darf aufgrund ihres Geschlechts in dieser archaischen Gesellschaft keine Geschichtenerzählerin werden. Sie schreibt ihre Stories auf die Seiten eines Papierdrachens und lässt ihn in den Wind gleiten, wo der Nordwind auf sie aufmerksam wird. Es entwickelt sich eine wunderschöne Geschichte um den Neid der Menschen und die Treue der Götter. Das Ende ist wenig überraschend, aber zumindest konsequent mit einem optischen das Leben bejahenden Einschlag. Stilistisch absichtlich märchenhaft erzählt kann sich der Leser die Handlung auf der großen Leinwand mit einer konsequent romantischen Musik untermalt sehr gut vorstellen.   

Dale Bailey hat sich in den letzten Jahren als ein Kurzgeschichtenautor etabliert, der mit seinem getragenen ein wenig melancholischen Stil immer wieder „Ereignisse“ hinterfragt. Zu seinen besten Arbeiten gehört ohne Frage  „Lightning Jack's Last Ride“, eine Mischung aus „Mad Max“ und „The Fast & Furious“. Der Ich- Erzähler demontiert die Legende des Piraten Lightning Jack, der als NASCAR Fahrer vor dem Zusammenbruch der Zivilisation begonnen hat. Charismatisch, talentiert, sympathisch. Nach dem schleichenden Zusammenbruch hat er begonnen, Tankwagen auszurauben und das Benzin zu verkaufen.  In erster Linie um des Fahrens und des Siegens willen.  Es ist eine typische Geschichte um eine eingeschworene Gemeinschaft, die weniger von den Ordnungskräften als dem inneren Misstrauen, dem Neid und schließlich dem Verrat zerrissen wird. Die Behörden versuchen den von der Öffentlichkeit geliebten Banditen manipulativ zu töten, um ein Ausufern seines Status zu verhindern. Der Ich- Erzähler und die Leser erfahren am Ende die tragische Wahrheit.  Dale Bailey trifft stilistisch immer den richtigen Ton. Mit der entsprechenden Altersweisheit wird das Geschehen sehr authentisch, sehr zugänglich und vor allem packend beschrieben. Der Leser muss diesen getragenen, den Legenden des Wilden Westens – siehe auch „Der Mann, der Liberty Wallace“ erschoss – angepassten Stil akzeptieren, damit die lesenswerte Geschichte ihre ganze Kraft entfalten kann.

Die letzte Geschichte dieser Ausgabe „Farwell Blues“ von Bud Webster ist stilistisch vergleichbar geschrieben. Ein Ich- Erzähler, ein ausführlicher melancholischer Rahmen und die Beschreibung von Ereignissen, die sich so abgespielt haben könnten. Eine kleine Jazz Band spielt in einer abgeschiedenen Stadt einen Gig. Der Wirt ahnt, dass vor allem Jakes Kornett eine unheimliche Wirkung auf die lebenden und möglicherweise auch toten Menschen sowie einige übernatürliche Wesen haben könnte. Anscheinend hat noch jemand mit Jake eine alte Rechnung zu begleichen. Ein alter Mann im Ort Towhoy erläutert Jake die Zusammenhänge. Während der Plot sehr geradlinig ist, überrascht Bud Websters ansprechender, emotionaler Stil und das Heraufbeschwören von fiktiven wie alten Zeiten den Leser.

 Es sind viele thematisch fast klassische Science Fiction Geschichten in dieser Ausgabe.  Zu den unterhaltsamsten Storys gehört ohne Frage “History´s Best Places to Kiss“ von Nik Houser. Zeitreisen sind inzwischen zu einem alltäglichen Freizeitangebot geworden. Ein Ehepaar möchte den Tag ihrer Hochzeit besuchen, um etwas in ihrem Leben zu korrigieren. Vergleichbar den „Back to the Future“ Filmen geht natürlich alles ab diesem Augenblick schief. Je mehr sich die Beiden bemühen, desto schwieriger wird es, bis sie sich nicht mehr um Zeitparadoxa kümmern und sich über das anarchistische Leben wieder nähern kommen. Das Ende hätte deutlich effektiver gestaltet werden können und sollte sich eher David Finchers „The Game“ orientieren als dieses aufgesetzte „Happy End“ mit einer eher moralisierenden Botschaft.  Aber getreu dem alten Sprichwort ist die Reise interessanter und in diesem Fall auch lesenswerter als die Ankunft.

Gregor Hartmanns „The Man from X“ ist eine der fast typischen Pointen Geschichten, deren Prämisse auch als Satire auf die gegenwärtigen Sozialsysteme verstanden werden kann. Ein Planet ist überfüllt mit Künstlern, während die andere Welt immer gerne und mit quasi einem wirtschaftlichen Freifahrtsschein versehen kreative und originelle Künstler aufnimmt. Die Dialoge sind sehr gut geschrieben worden und zwischen den Zeilen blitzt bissig die Satire hinsichtlich der elitären Intellektuellen, die sich vor jeder harter Arbeit im Grunde scheuen, auf.

Eine weitere „Seastead“ Geschichte präsentiert Naomi Kritzer mit „Jubilee“. Es ist nicht unbedingt wichtig, die schwimmende Stadt vor der Küste der USA aus den letzten sehr guten Storys zu kennen, da die Autorin die wichtigsten Ereignisse nebenbei ausreichend zusammenfasst. Aufgrund der mangelnden Hygiene und dem fehlenden sauberen Trinkwasser ist die Cholera ausgebrochen. Die jugendliche Protagonistin folgt den Spuren des Erregers zum Patienten "O". Sie  kann nicht nur die Ausbreitung der Krankheit durch einige Nachforschungen unter Kontrolle bringen, sondern mit ihrer opportunistischen Art die moderne Lohnsklaverei beenden  und der darbenden Republik neue Bewohner zuführen. „Jubilee“ fehlt die Originalität der ersten „Seastead“ Texte. Für den Inhalt ist die Kurzgeschichte zu stark komprimiert. Vieles findet quasi nebenbei oder im Off statt. Während Kritzers Jugendliche bislang eher auf die Ereignisse reagieren mussten und dann auf den letzten Seiten den Spieß umdrehen konnten, wirkt die Fokussierung auf sie in diesem Fall zu bemüht und zu wenig realistisch.  Ihr gelingt zu vieles zu leicht. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Serie nach dem sehr kraftvollen und dunklen Start sich entwickeln wird.    

„Out of the Jar“ von Eric Schwitzgebel  ist keine wie der Titel suggeriert Fantasy Geschichte, sondern setzt sich mit der leider zu bekannten Idee auseinander, dass der Protagonist herausfindet, dass er in Wirklichkeit nur eine Simulation in einem sogar illegalen Software Programm ist. Später kommt es neben seiner Flucht in einem Spielzeugdinosaurier auch noch zu einer Begegnung mit Gott. Schwitzgebel baut sehr viele Ideen in seine sehr kurze Geschichte ein, die er stilistisch überfrachtet nicht ausreichend zufriedenstellend extrapolieren kann.  Vor allem gelingt es ihm nicht, den Protagonisten zumindest zugänglich, wenn schon nicht sympathisch zu zeichnen.

Angelehnt an die arabischen Sagen ist „The Gazelle who Begged for Her Life“ von Francis Marion Soty. Ein reicher Händler bemerkt, dass seine Geliebte und ihr gemeinsamer Sohn verschwunden ist. Anscheinend ist seine erste Frau dafür verantwortlich, die ihm in vielen Jahren nicht den lang ersehnten Sohn gebären konnte. Der Rahmen schließt sich mit einer Rückkehr zum Anfang der Geschichte. In dem obligatorischen Märchenstil allerdings ein wenig belehrend und anfänglich auch schwerfällig geschrieben ist diese moderne Nacherzählung der arabischen Legenden zumindest ein interessanter, aber nicht gänzlich befriedigender Kontrapunkt gegenüber den Science Fiction Geschichten.

Albert E. Cowdrey deckt mit „Portrait of a Witch“ den Horrorbereich ab. Ein FBI Informant wird in die Karibik geschickt. Er soll auf einem Gut auf einer der Inseln arbeiten. Anscheinend sind verschiedene Menschen unter natürlich mysteriösen Umständen immer in der Gegenwart der Besitzer des Anwesens gestorben. Nach und nach deckt Cowdrey mit einer Mischung aus Spekulationen und Mythen der Karibik die Hintergründe auf. Der Plot entwickelt sich aber eher langsam und betulich. Da nur wenige Protagonisten in der Geschichte auftreten, kann der Leser die einzelnen Zusammenhänge viel schneller erkennen als der FBI Agent. Zumindest erweckt Cowdrey die einzigartige Stimmung der karibischen Nächte mit ihrer Romantik und ihrem gefährlichen Flair zum Leben. 

 Zwischen allen Genres bewegt sich „The Chart of the Vagrant Mariner“ von Alan Baxter.  Ein Piratenkapitän sucht wie besessen nach einem Schatz. Er weiß wie seine Mannschaft nicht, ob die Karte überhaupt echt ist oder nicht. Am Ende kommt es zu einer Konfrontation  zwischen dem immer wahnsinniger werdenden Kapitän und seiner Mannschaft.  Die Atmosphäre ist sehr gut getroffen und die Figuren wirken überzeugend, auch wenn der Plot eher für eine Novelle und weniger eine Kurzgeschichte geeignet gewesen wäre.  

Charles de Lint und James Sallis besprechen wieder auf ihre unterschiedliche Art und Weise verschiedene Bücher, wobei Charles de Lint ein deutlich breiteres Spektrum  warmherziger behandelt. David J. Skal geht auf zwei Filme ein, welche die Schauspieler durch virtuelle „Klone“ ersetzen, ohne wirklich überzeugen zu können. Skal ist ein sehr versierter Kritiker, der dank seines Wissens die Stärken und Schwächen  der jeweiligen Filme minutiös, aber auch fair herausarbeitet. Nur bleibt er sehr ambivalent und kann die Filme kritiktechnisch nicht wirklich greifen.

Paul di Fillipo nutzt in seiner Kolumne Elric von Melnibone, um auf die Expansion des Online Publishing inklusiv der Preissenkungen im Internet humorvoll hinzuweisen, während Pat Murphy und Paul Doherty sich wieder mit aktuellen wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen. Im Bereich der kurzen Beiträge sind die beiden Gedichte genau zwischen humorvolle Hommage auf das Genre und ernster Unterhaltung angesiedelt. 

Die Auftaktnummer des Jahres 2015 ist beginnend mit dem stimmungsvollen Titelbild eine solide Ausgabe des „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ mit einigen sehr empfehlenswerten Höhepunkten, aber leider auch wieder zwei/ drei Geschichten, die ihr vorhandenes Potential nicht heben können. 

 

 

 

 

Taschenbuch, 262 Seiten