
Nach der Gastausgabe Finlays übernimmt Gordon van Gelder wieder das Kommando auf dem von ihm herausgegebenen Magazin „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Auffällig ist, dass mehr deutlich kürzere Texte aus allen Genres von Science Fiction bis zum Mystery die Ausgabe dominieren und die Lesbarkeit erfreulich auch durch die thematische Vielfalt erhöhen.
Jerome Cigut eröffnet diese Ausgabe rasanten Science Fiction Story, die in der nahen Zukunft und im Bereich des Hardboiled Krimis mit seinen halbseidenen Antihelden zu gleich spielen kann. Der "Held" ist ein Spieler, der mit seinem selbst geschriebenen Spielprogramm lange Zeit durch kleinere Gewinne beim Poker sich über Wasser halten konnte. Als eine künstliche Intelligenz sich entschließt, ihn quasi zu adoptieren und als Wirtskörper zu übernehmen - daher stammt der Titel "The Rider" - nimmt er es mit den Großen auf. Der selbst gefällige ironische Ton wird durch die zahllosen in erster Linie internen Zwiegespräche unterstützt, während der zugrundeliegende Plot trotz der Dramatik am Spieltisch nicht gänzlich zufriedenstellt und die Intentionen durch die Kürze des Textes nicht gänzlich umgesetzt werden können. Das Thema Besiedelung in diesem Fall der Erde ist in der Science Fiction ein alter Hut. Erfreulich ist, wenn Autoren wie Albert E. Cowdrey sich mit "The Wild Ones" dieser Thematik nicht nur annehmen, sondern in dieser dunklen Geschichte neue Elemente hinzufügen. Nach einer ökologischen Katastrophe haben die Menschen die Erde verlassen müssen. Die Zeit der Rückkehr scheint gekommen zu sein. Wie nach Australien wird zuerst ein Schiff mit Häftlingen zur Erde geschickt, wobei der Planet die Menschen abzulehnen und zu töten scheint. Für die Besatzung stellt sich die Frage, ob ein Heimflug noch machbar ist. Mit dunklen Humor und immer wieder entsprechenden Seitenhieben auf die gegenwärtigen Exzesse präsentiert Cowdrey eine nachdenklich stimmende Geschichte, die weniger über die emotional charakterliche Seite vorangetrieben wird, sondern von der Fokussierung und der Konzentration auf die Idee, die Menschen wie Viren abzutöten, lebt. Am Ende überspannt der Autor aber den Bogen, in dem er eher mystische Figuren einführt und seine stoisch pragmatischen Charaktere trotz einiger politischer Seitenhiebe zu Revolutionären in spe macht.
„Will he?“ aus der Feder Robert Reeds könnte als Ergänzung zu Gilliams brillanten Film „The twelve Monkeys“ verstanden werden. Dabei geht es weniger um die Zeitreise oder die beiden Hauptdarsteller, sondern den Wissenschaftler, der schließlich das Virus verbreitet. Der Biologe E.P. Adleman leidet unter seinem dominanten Vater. Ihm kommt die Idee, dass es den Menschen deutlich besser gehen würde, wenn er die Bevölkerung der Erde drastisch reduziert. Die Spannung wird durch den Titel erzeugt. Ist Adleman in der Lage und vor allem willens, Milliarden von Menschen für seine perfide Idee umzubringen oder nicht. Reed hat einen zynischen Text geschrieben, mit dem er seine Leser auch herausfordert. Alleine das Ende erscheint schwächer und gibt zu viel Raum für Spekulationen frei.
Phyllis Eisensteins "The Caravan to Nowhwere" ist ein Nachdruck aus der Anthologie "Rogues". Auch "Clarkesworld" hat auf diese von George R.R. Martin und Gardner Dozois veröffentlichte Anthologie schon zurück gegriffen. Während "Clarkesworld" aber überwiegend frei im Internet zu lesen ist, muss "The Magazine of Fantasy & Science Fiction" erworben werden, so dass dieser Nachdruck der lange Zeit schon im Ruhestand befindlichen Eisenstein nur aus einem einzigen Grund akzeptiert werden kann. Die ersten Geschichten um Alaric, den Barden, erschienen 1971 und 1998 genau in diesem Magazin. Auf dem Weg durch die Wüste als Begleiter einer Karawane lernt Alaric nicht nur das schwierige Verhältnis zwischen Vater und Sohn kennen, er wird mit einer besonderen Droge konfrontiert, die in der Wüste anscheinend an wenigen Stellen geerntet werden kann. Unabhängig vom eher semiphantastischen Hintergrund - die Geschichte könnte auch vor einigen hundert Jahren in Arabien spielen - baut die Kanadierin aktuelle Themen wie Drogensucht und Abhängigkeit in den ruhig, atmosphärisch bestimmten und durch die dreidimensionalen Charaktere lesenswerten Text ein. Matthew Hughes „Avianca´s Bezel“ ist ebenfalls die Geschichte eines Wanderer auf einer Fantasy Welt, der sich mit kuriosen Aufträgen durchs Leben schlägt. Im Gegensatz zu Eisensteins Barde ist es der Dieb Raffalon. Sowohl Eisenstein als auch Hughes haben inzwischen mehrere Geschichten um ihre Figuren in diesem langlaufenden Magazin veröffentlicht. Raffalon muss seine durch Willkür aufgelaufenen Schulden abarbeiten, in dem er als Sklave an der Zaubrer Vidlo verkauft wird, der ihn auf eine Selbstmordmission schickt. Er soll das Avianca´s Bezel genannte Juwel stehlen, das dank seiner Runen auch über geheimnisvollen wie verhängnisvolle Kräfte verfügt. Es ist eine der Geschichten, in denen die grundlegende Spannung – wird der Held überleben – eher durch die Frage ersetzt wird, kann der Autor diese komplizierte, aber interessante Situation zufriedenstellend auflösen. Matthew Hughes baut dabei eine Idee auf die andere, wobei der Autor nicht außer acht lässt, dass Raffalon als bodenständiger, aber cleverer Dieb ein gehöriges Misstrauen gegenüber der anscheinend alltäglichen Magie hat. Die Geschichte wird zufriedenstellend, wenn auch ein wenig zu opportunistisch abgeschlossen, während die Begegnung mit der bestechlichen Obrigkeit in dieser Stadt dank der pointierten Dialoge und Raffalons Verzweiflung gegenüber der Gerechtigkeit eher zu den Höhepunkten des unterhaltsamen Textes gehören.
Tom Underberg präsentiert mit "Sir Pagan´s Gift" eine kraftvolle Fantasy Parabel auf die Gegenwart mit Anspielungen auf Machtmißbrauch vor allem von Seite der dogmatisch handelnden Kirche, dem Aberglauben des einfachen Volkes und schließlich der Verführung der Massen. Auf den wenigen Seiten werden aus der Sicht eines unfreiwilligen Märtyrers, dessen Identität nicht gänzlich offenbart wird, diese Themen durchgespielt, wobei Underberg positiv keine einfachen Antworten sucht oder gar Lösungen präsentiert. Vielleicht agiert der Autor hinsichtlich der Zeichnung Sir Pagans beginnend mit dessen Namen zu überambitioniert und entfremdet ihn zu sehr vom Leser, aber ohne diese phantastischen Elemente hätte der vorliegende Text auch eine historische Exkursion in den Aberglauben sein können. Wie eine Kurzfassung von "Picnic at Hanging Rock" erscheint "The Culvert" aus der Feder Dale Bailey. Douglas berichtet dem Leser, wie sein Zwillingsbruder natürlich beim verbotenen Erkunden von geheimnisvollen Gängen und Höhlen unter der Stadt verschwunden ist und welche Auswirkungen es auch auf seine Persönlichkeit hat. Intensiv und emotional überzeugend geschrieben, verzichtet Bailey auf die Details und lässt sich von dem Gefühl der Einsamkeit, der Verlassenheit mit ziehen.
Die letzte - in diesem Fall Urban - Fantasy Geschichten stammt von David Gerrold. „The Thing in the Back Yard“ ist die Geschichte eines Science Fiction Autoren, der eine harte Zeit durchmacht. Als ihm ein von Geburt her halber Troll in den Garten gesetzt wird, erfährt sein Leben eine Wendung, die er sich nicht vorstellen kann. Humorvoll ohne zynisch zu sein folgt Gerrold dem Muster, das er in „Trouble with Tribbles“ etabliert hat bis zu einem konsequenten, vielleicht zu raschen Ende. Dank der pointierten Dialogen und dem unterschwelligen Wahnsinn eines der unterhaltsamsten Arbeiten dieser Ausgabe.
In den Bereich der Science Fantasy als Hommage an Jules, als Anspielung auf den Steampunk und letzt endlich leider auch als Variation auf "Doctor Who" präsentiert sich die kurzweilig zu lesende Geschichte "Embrace of the Planets". Der Titel ist vom Computer durch einen Zufallsgenerator generiert worden und die Autoren mussten eine entsprechende Geschichte schreiben. Im vorliegenden Text wird "Embrace of the Planets" als Buchtitel eines fiktiven Science Fiction Romans in die Handlung eingebaut. Eine verletzte Frau abgeschieden von der Welt betritt einen seltsamen, ein wenig an Stephen Kings "Needful Things" erinnernden kleinen Laden. Sie kommt mit dem Besitzer ins Gespräch, der ihr ein Angebot macht, dem sie im Grunde nicht widerstehen kann. Das Ende des Textes ist vorhersehbar, aber die liebevoll gezeichneten Charaktere und die Beschreibung des Ladens gleichen diese Schwäche sehr gut aus.
Die "The Magazine of Fantasy & Science Fiction" Nummer ist auch mit einigen sehr kurzen Satiren und Pointengstorys angefüllt. Hier wäre Oliver Buckrams "Marketing Strategies for the Apocalypse" hervorzuheben, in welche nicht nur das Magazin und sein neues umfangreicheres Format eine Rolle spielt, sondern bitterböse mit dem immer stärker werdenden Placement von Produktionen abgerechnet wird. Auch Jay O´Connells "Other People´s Things" entspricht dieser Richtung. Chris ist was Frauen angeht ein Verlierer. Er traut sich nicht, sie anzusprechen oder langweilt sie zu Tode. Daher besucht er die schäbige Praxis des "Attactiveness Consultant" Peebles, ein fetter, fast glatzköpfiger Mann, der ihn durch ein hartes Programm gegen horrende Kosten schleift. Peebles ist dabei eine erfrischende Figur geworden, die ausspricht, was manche Männer und Frauen im Datingdschungel nur denken. Er ist verletzend ehrlich. Vor allem, wenn O Donnel am Ende die Pointe umdreht und den erfolgreichen Chris innerlich die Barrieren aufbauen läßt, gegen die er früher bei anderen Menschen angerannt ist. Dabei wirkt das letzte Viertel der Story ein wenig konstruiert und die einzelnen Elemente fallen vielleicht zu glatt zusammen, aber mit einem scharfen Beobachterauge den Exzessen der Gegenwart gegenüber liest sich diese Satire ausgesprochen gut. Interessant ist, dass diese Idee sehr viel komprimierter auch in Ray Vukcevichs "The Way We Are" we are noch einmal aufgenommen wird. In diesem zu kurzen Text wird sowohl die Fokussierung auf den Computer/ das Internet auf die Schippe genommen sowie ironisch übersteigert gezeigt, wie leicht man es mit Frauen haben könnte.
Die laufenden sekundärliterarischen Beiträge zeichnen sich durch David Skals Abrechnung mit einigen gegenwärtigen modernen Mythenfilmen wie Godzilla, während Angelina Jolie in „Maleficent“ gelobt wird genauso aus wie Elizabeth Hands sachkundige Rezensionen. Charles de Lint geht auf eher unbekannte Graphiknovels ein, während sich der wissenschaftliche Beitrag mit den "Löchern" in der Realität auseinandersetzt.
Zusammengefasst durch die vielen sehr unterschiedlichen, qualitativ aber teilweise herausragenden Kurzgeschichten eine sehr gute Ausgabe dieses altehrwürdigen Magazins.
The Magazine of Fantasy & Science Fiction
262 Seiten
Taschenbuch