
„The Lusitania Murders“ ist der vierte Band der sechs Romane umfassenden „Desaster“ Serie Max Allan Collins. Nach dem Absturz der „Hindenburg“ und den Morden am Tag vor dem Angriff auf „Pearl Harbor“ ist es auch der dritte Band, dessen fiktive Ereignisse unmittelbar in die folgende Katastrophe einfließen, während im ersten und bislang besten Roman der Serie „The Titanic Murders“ das Unglück und der Kriminalfall besser voneinander zu trennen sind. Während in „The Pearl Habor Murders” mit dem ehemaligen Polizisten und Vater Tarzans Borroughs ein Abenteuerschriftsteller die Ermittlungen übernommen hat, ist Collins bei „The Lusitania Murders“ auf einen Kriminalschriftsteller angewiesen, der allerdings wenige Monate vorher den Atlantik an Bord des Luxusliners überquert hat, um seinen Bruder aus London abzuholen. Es handelt sich um S.S. van Dine – das Pseudonym William Huntington Wright, der im Jahre 1915 sich noch nicht einen Namen als Kriminalschriftsteller gemacht hat, sondern vor allem als Kritiker und schließlich als schreibender Spion an Bord agiert. Er soll für seinen Herausgeber durch Interviews mit markanten Persönlichkeiten herauszufinden, ob der Luxusliner getarnte kriegswichtige Fracht für England an Bord hat. Die „Lusitania“ ist als amerikanisches Schiff geflaggt gewesen und da die USA noch nicht in den Krieg eingetreten sind, gelten deren Schiffe als neutral, solange sie kein Kriegsgerät transportieren. In seinem Nachwort fasst Max Allan Collins nicht nur die historischen Fakten noch einmal zusammen, er geht auch auf sein lesetechnisches Verhältnis zu S.S. van Dine ein, dessen Arbeiten er bei der ersten Lektüre faszinierend, inzwischen aber als veraltet und stark konstruiert mit einem unsympathischen Protagonisten ansieht. Der Autor hat sich immer als Ziel gesetzt, zumindest den Stil und den Erzählfluss der agierenden Schriftsteller in jedem Band dieser auch historisch interessanten Serie zu kopieren. Bei S.S. van Dine ist der erfahrene Collins aber an seine Grenzen gestoßen, da er weder dessen wichtigste Detektivfigur noch deren Schöpfer wirklich lebendig oder auch nur zugänglich beschreiben kann.
Bei den bisherigen viert Teilen dieser Serie muss zwischen den historischen Fakten und der Fiktion unterschieden werden. Während es beim Untergang der Titanic und beim Angriff auf Pearl Harbor im Grunde nur noch oberflächliche Variationen möglich sind, verhält es sich beim Absturz der Hindenburg und dem schnellen Untergang der Lusitania – während die „Titanic“ drei Stunden brauchte, sank der andere Luxusliner innerhalb von achtzehn Minuten nach nur einem Torpedotreffer – ganz anders. In beiden Fällen greift der Autor auf die Idee von Attentätern und reaktionären deutschen Kräften an Bord zurück, die mittels versteckter Bomben entweder wie bei der Hindenburg die Katastrophe mit auslösen oder im Falle der Lusitania verstärken. Bei der Lusitania verweist Max Allan Collins auf die Hinweise, die der Unterwasserforscher Robert Ballard gefunden hat, er ignoriert sie aber aus spannungstechnischer Sicht weitgehend. Anscheinend hat der Torpedo einen der leeren Kohlebunkerräume getroffen und eine Kohlstaubexplosion ausgelöst, welche die Bordwand unter Wasser aufriss und das Schiff so schnell sinken ließ. Die Idee einer von innen gezündeten Bombe macht eher weniger Sinn, da Torpedoeinschlag und von innen aufgerissene Bordwand in unmittelbarer Nähe sind. Der Attentäter müsste schon im Vorwege gewusst haben, wo ungefähr der Torpedo einschlägt. Aus technischer Sicht während des Ersten Weltkriegs eine Unmöglichkeit per se. Der Untergang des Schiffes nimmt auch nur einen ganz kleinen Teil des Romans ein. Wie bei allen anderen Abschnitten der Serie sind es vielleicht die letzten fünfzig Seiten, in denen die historischen Fakten die nicht immer überzeugende Kriminalgeschichte an den Rand drängen. Die Schwäche des vorliegenden Buches liegt in der Tatsache begründet, das der eigentliche Kriminalfall bei auch bei „The Hindenburg Murders“ nicht sonderlich interessant ist.
In beiden Romanen soll der potentielle Ermittler vor allem reiche Reisende interviewen und aus den Gesprächen als Stoff für eine Tageszeitung getarnt wichtige Fakten sammeln. Der Presseausweis ermöglicht es ihm, sich frei auf dem Schiff zu bewegen und anders als die eher spärliche Sicherheit hinter die Kulissen zu schauen. Van Dine verhält sich dabei außergewöhnlich zögerlich. Er weiß, das nur diese Anstellung es ihm ermöglicht, entsprechend seiner eingebildeten Klasse – nur die Erste Klasse ist gut genug, aber monetär noch unerreichbar – zu reisen. Er lernt sehr schnell die attraktive wie intelligente Philomena Vance kennen, die als Begleiterin einer reichen Frau nach Englang reist. Wie er hat diese sexuell aktive, intelligente, sportliche und schlagkräftige Frau auch ein Geheimnis. Die Cunnard Line sourct gerne die Sicherheit seiner Passagiere aus und bietet nicht selten Pinkerton Detektiven die Möglichkeit an, verbilligt oder umsonst auf den Schiffen zu reisen, um bei kriminellen Akten zur Stelle zu sein. Max Allan Collins hat diese allerdings im Roman weibliche Figur auf einem historischen Pinkerton Agenten aufgebaut, der tatsächlich auf der Lusitania reiste. Allerdings wirkt diese Liebesgeschichte sehr stark aufgesetzt und durch van Dine unsympathische Charakterisierung im direkten Vergleich mit der in allen Punkten zu perfekten Miss Vance unglaubwürdig. Es springt kein Funke zum Leser über.
Es ist auch keine Überraschung, dass sie relativ schnell durch einen Zufall involviert an Bord des Schiffes ermitteln müssen, wobei sich insbesondere die Offiziere insbesondere während einer Mission in offensichtliches Kriegsgebiet so naiv verhalten, das es selbst bei einer Notcrew schwer vorstellbar erscheint.
Auslöser des kriminaltechnischen Teils ist der Fund von drei deutschen blinden Passagieren, die aber anscheinend einen Komplizen an Bord haben. Kurze Zeit später werden die drei jungen Männer auf unterschiedliche Art und Weise ermordet aufgefunden. Bevor sie ihren Helfer an Bord verraten können. Sie scheinen eine Rohrbombe auf das Schiff geschmuggelt zu haben. Im Zuge der eher oberflächlich voran getragenen und auf zu vielen Zufällen basierenden Ermittlungen finden Vance und van Dine eine Verbindung zu einem potentiellen Anschlag. Der einzige in Frage kommende Verräter/ Attentäter entlarvt sich schließlich während des schnellen Sinkens des Schiffs selbst und wird entsprechend martialisch bestraft. Es kommt aber keine nachhaltige Spannung auf, da Collins eben den Strukturen in van Dines Werk folgend zu sehr auf ein analytisches Rätsel setzt, wobei eine dynamischere Handlung mit mehreren Verdächtigten und vor allem weiterreichenden Motiven dem Plot gut getan hätte. Zu vieles bleibt ungesagt, so dass am Ende während des Angriffs auf den Luxusliner nicht mehr ausreichend Raum ist, um die fiktiven Spekulationen nachhaltig mit der entsprechenden Handlung zu einem komplexen Plot zu verbinden.
Dabei böte dieser Roman ausreichend Potential für verschiedene Verschwörungen an Bord. Van Dine kann aufgrund seines Sonderstatus mit einer Reihe historisch verbürgter und sich teilweise auch an Bord dieses Schiffs befindlicher Persönlichkeiten sprechen. Collins gibt sich sehr viel Mühe, die exzentrischen Charaktere eines Alfred Vanderbilt, eines Elbert Hubbard oder einem bekannten Theaterproduzenten wie Charles Frohmann – der Witz wegen des Siegeszugs des Kinos ist allerdings antiquiert und wirkt kontraproduktiv – zum Leben zu erwecken. Auf die Idee, mittels einer telegraphischen Warnung gleich fünf dieser Persönlichkeiten ins Abseits zu rücken und damit eine Art Opfergang zu initiieren, ist gut gelungen. Der Leser wird nicht gleich darauf kommen, dass eine dieser fünf Warnungen vielleicht eine Fälschung darstellen könnte. Aber diese Ansätze werden nach einem fast phlegmatischen, sich in Details verliebenden Auftakt im elementaren Mittelteil gänzlich ignoriert, so dass außer der schon angesprochenen, eher unwahrscheinlich erscheinenden Liebesgeschichte handlungstechnisch sehr wenig passiert. Die Atmosphäre dieser luxuriösen, aber ihrem Ende entgegen steuernden Atlantiküberquerung hat Collins allerdings in umgekehrter Richtung schon im ersten Roman der Reihe „The Titanic Murders“ angesprochen, so dass er atmosphärisch bis auf die Warnungen hinsichtlich der deutschen U- Boote um Großbritannien nichts mehr hinzufügen kann. Und dieser Angriff erfolgt wie angesprochen relativ spät.
Zusammengefasst der bislang schwächste Band der „Desaster“ Serie, der angesichts des heute fast in Vergessenheit geratenen tragischen Untergangs der „Lusitania“- immerhin kamen auch mehr als eintausend Menschen ums Leben - originellere Ideen und eine flottere Handlung verdient hätte. Das van Dine in dieser eindimensionalen, fast klischeehaften Darstellung ebenfalls nicht überzeugt, reiht sich leider ins Bild dieses vom falschen Titelbild der amerikanischen Originalausgabe an – die „Lusitania“ sank über die Seite und nicht wie die „Titanic“ ausschließlich über den Bug - zu schematisch geschriebenen Roman nahtlos ein.
- Series: Disaster Series
- Paperback: 264 pages
- Publisher: Thomas & Mercer; Unabridged edition (December 11, 2012)
- Language: English
- ISBN-10: 1612185169
- ISBN-13: 978-1612185163