
Der Professor für Englisch an der Universität von Kalifornien in Berkeley George Stewart schrieb in den vierziger Jahren eine ungewöhnliche Trilogie von Katastrophenromanen. Während sich „Storm“ (1941) und „Fire“ (1948) mit natürlichen Katastrophen auseinandersetzten, folgte 1949 der zwei Jahre später mit dem International Fantasy Award ausgezeichnete Science Fiction Roman „Leben ohne Ende“. Das Buch blieb auch das einzige dem phantastischen Genre direkt zuzuordnende Werk des 1980 verstorbenen Stewart. Das Buch ist mehrfach vor allem auch in der Bibliothek der Science Fiction Literatur veröffentlicht worden. Jetzt reiht es sich als einer der Meilensteine der Science Fiction in die Meisterwerke des Genres ein.
Das Radio verkündet die Amtsenthebung der amerikanischen Regierung. Das ist keine Überraschung mehr, sondern das Ende eines langen Entwicklungsprozesses. Die menschliche Zivilisation hat ihren Höhepunkt überschritten und liegt im Sterben. Eine Seuche verstärkt diese Entwicklung. Die meisten Menschen sterben, nur wenige sind immun. Ob künstlichen Ursprungs oder natürlicher Virus bleibt im Dunkeln.Stewart konzentriert sich bei der Beschreibung des folgenden weiteren Zerfalls der industriellen Nationen auf die Perspektive eines einziges Charakters: Mr. Isherwood – kurz Ish genannt – war während des ersten Abschnittes der Katastrophe krank und ist gezwungen, sich die Ereignisse entweder von wenigen anderen Menschen erzählen zu lassen oder selbst auf die Suche nach Informationen zu gehen. Trotzdem festigt sich in Ish die Erkenntnis, dass es bei diesem durch die Krankheit ausgelösten Selektionsprozess keine Gesetzmäßigkeit, kein System gegeben hat. Wahllos haben Menschen unterschiedlicher Intelligenz, beruflicher Herkunft oder Alter überlebt. Es gab keinen Schutz , kein Serum vor dieser Seuche. Das erschwert jegliche Kommunikation, von politischer Ordnung ganz zu schweigen.
Der Einzelgänger Ish organisiert sich einen herrenlosen Wagen und beginnt seine Reise durch die leeren Städte und über die verlassenen Straßen. Er überquert den amerikanischen Kontinent in umgekehrter Richtung als die ursprünglichen Siedlungstrecks der Weißen – von San Francisco nach New York. Dabei trifft er immer wieder auf kleine menschliche Kolonien, doch diese entsprechen nicht seinen Vorstellungen einer neuen Menschheit. Diese Grundkonstellation sollte David Brin Jahre später in seinem legendären „The Postman“ auch übernehmen. In beiden Fällen haben wir es mit Einzelgängern zu tun. Während der Postbote unbewusst und unfreiwillig sein wichtiges Amt übernimmt, lernt Ish eine Frau kennen, gründet in San Francisco eine Familie und scharrt eine Handvoll junger Menschen um sich. Die Keimzelle einer neuen Zivilisation. Beide Geschichten beschreiben trotzdem die Frontiermentalität des alten amerikanischen Western.
Interessant ist die Tatsache, dass Brin einem fragwürdigen Charakter die Uniform und somit das Vertrauen einer nicht mehr existenten Nation schenkt, während Stewart in seinem Protagonisten eine ideale und idealisierte Mischung aus Akademiker und Überlebensspezialisten geschaffen hat. In „Leben ohne Ende“ lebt die kleine Gruppe von der Jagd. Die letzte Patrone ist irgendwann verschossen und die Mäntel der alten nicht mehr existenten Zivilisation müssen abgestreift werden, um für die neuen Herausforderungen gerüstet zu sein. Dabei stellt Stewart die These auf, dass natürlich die Überlebenden in ihrem ganzen Verhalten andere Prioritäten setzen als die Gruppe derjenigen, die ihrer Vergangenheit und ihren Traditionen nachtrauern. Diese Erkenntnis beschreibt der Autor in eindringlichen und packenden Bildern: In Ish Haus wird eine Glühbirne erst dunkler und erlischt dann- der Vorbote des kompletten erzwungenen Verzichtes auf Strom und damit auf andere elektrische Geräte.
Die Kinder und Enkelkinder wachsen heran, die alten Menschen – die Augenzeugen der Katastrophe – sterben. Nur noch Wenige wie Ish Frau träumen von einer Rückkehr der Zivilisation und wehren sich gegen die Anpassung an die neuen Umstände. Mit jeder neuen Generation gerät das alte Wissen in Vergessenheit. Von Degeneration zu sprechen, wäre zu stark, die primitiven Urinstinkte treten bei den jungen Menschen an die Oberfläche und ermöglichen es, trotz der schwierigen Umstände die Rasse zu erhalten. Der Methusalem Ish stirbt schließlich als Letzter. Er kann noch miterleben, dass seine letzte „Erfindung“ –Pfeil und Bogen – seinen Nachkommen einen bessere Überlebenschance gibt und den Funken einer neuen Kultur in sich birgt. In der Beschreibung seiner Zukunftschronik geht Stewart diszipliniert vor und konzentriert sich auf Kernsituationen. Kurze Kapital fassen einige
dazwischen liegende Jahre in wenigen Sätzen zusammen. Sie alternieren mit längeren , tiefer gehenden Passagen. Alle Ereignisse werden mehr oder weniger direkt vom Übererzähler Ish kommentiert, reflektiert und forciert. Als charakterstarke Persönlichkeit mit einem unbändigen Überlebens- und Durchsetzungswillen trägt er die Handlung, als Erzähler distanziert er die Leser ein wenig von dem Geschehen und hat die Möglichkeit, als Filter zu fungieren. Das verstärkt das vorherrschende Gefühl der Einsamkeit und Machtlosigkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt.
George Stewarts Roman drückt in elegischem Ton, in krassen und an Unterschieden reichen Bildern die Müdigkeit der Menschheit nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Schlachten der eigenen Zukunft und die Hoffnung auf einem Neubeginn – egal in welcher Art – aus. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert wurden die Thesen immer lauter, die einen zwangsläufigen Zusammenbruch der Menschheit prophezeiten. Diese Thesen wurden vom kriegsgetriebenen Fortschrittsglauben an die Seite gedrückt. Erst das Nachdenken über die Folgen grenzenloser Rüstung, der Schaffung neuer Waffen und deren Einsatz führte einige Wissenschaftler dazu, das Ende der Menschheit durch eigene Dummheit in den Mittelpunkt ihrer Forschungen zu stellen. Dazu nutzt Stewart im Laufe seines Epos eine Handvoll von glaubwürdigen und interessanten Charakteren. In Rassenfragen sowie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern bleibt der Autor in seiner Zeit gefangen und säht unbewusst den Keim neuer Zwietracht. Trotzdem muss seine Gemeinde die anstehenden Aufgaben gemeinsam bewältigen. Am Ende des Romans hat sich der Mensch die Erde zwar nicht wieder Untertan gemacht, sondern lebt in einer Art Synthese mit seiner Umwelt, die jederzeit in die eine oder andere Richtung kippen kann. Das Gleichgewicht zwischen einer gewissen Zivilisationsstufe und der Chance zu überlegen ist wieder hergestellt. Trotzdem hat die Natur den Menschen in seine Schranken verwiesen und die Wunden aus Zement, Stahl und industrieller Verseuchung beginnen zu heilen. Stewarts Botschaft in diesem Roman ist klar und deutlich formuliert: Eine Zivilisation ist nicht unerschütterlich, die Menschheit muss nicht ewig leben – die Natur an sich wird das alles überstehen.
Originaltitel: Earth Abides
Originalverlag: Heyne
Taschenbuch, Broschur, ca. 416 Seiten
ISBN: 978-3-453-31436-8