
Nach den “Warrior Cats” beginnt das Autorenteam Erin Hunter in Person von Gillian Philip und Inbali Iserles eine bislang über sechs Romane konzipierte Serie um einen tapferen Einzelgängerhund Lucky, der vergleichbar dem zukünftigen Anführer der „Warrior Cats“ sein bisheriges Leben aufgeben und Verantwortung übernehmen muss. Während allerdings die „Warrior Cats“ vor einem eher „märchenhaften“ Hintergrund mit wenigen Begegnungen den Menschensiedlungen gegenüber spielten, ist das Szenario mit einer durch ein Erdbeben nicht nur zerstörten, sondern impliziert auch anscheinend vergifteten Stadt im Auftaktband deutlich dunkler und für die plötzlich herrenlose Hunde gefährlicher.
Der Prolog zeigt Lucky noch als kleinen Welpen mit seinen Geschwistern in der Obhut seiner Mutter. Sie erzählt ihm die Geschichte eines gigantischen Sturms, der alle Hunde sowohl auf der Erde als auch im Himmel betrifft. Trotz ihrer Tapferkeit können sich die Hunde gegen die Erde nicht wehren, die aufbricht, um die Brut zu verschlingen. Das Märchen geht noch gut aus, aber die Wirklichkeit wird wenige Jahre später den zu einem Einzelgänger gewordenen Lucky einholen.
Anscheinend in einem Tierheim gefangen wackelt plötzlich der Boden und sein Käfig fällt auf die Seite. Zusammen mit der Haushündin Sweet kann Lucky entkommen. Sweet ist anscheinend von ihren Besitzern zurückgelassen worden. Der Einzelgänger Lucky möchte sich eher alleine durch die plötzlich zu Ruinen gewordene Siedlung der Langbeiner schlagen. Ein Wachhund - einer der wenigen Hunde, der noch in Begleitung von Menschen unterwegs ist, jagt ihn auf eine Stelle zu, wo wie in dem ihm früher erzählten Märchen der Boden aufgebrochen ist. Während der folgenden Tage leidet Lucky unter Alpträumen.
Der erste Teil der Romans ist nicht nur dynamisch und packend geschrieben, sondern geht auch hinsichtlich der Perspektive sehr geschickt vor. Wie in "Warrior Cats" kann der Leser die Geschehnisse deutlich besser einordnen als selbst der Einzelgänger und Überlebenskünstler Lucky. Das es sich um ein Erdbeben handelt, wird relativ schnell klar. In der Mitte des Romans fügen die Autoren für die Hunde "unsichtbar", für die Menschen spätestens nach Fukushima klar erkennbar eine weitere Dramatik bei. Menschen sind mit Gasmasken und in gelben Schutzanzügen unterwegs. Diese Bedrohung wird aber im Laufe des vorliegenden Romans zu wenig nachhaltig aufgelöst oder extrapoliert. Gegen Ende wird auch die Konzeption als Serie zu offensichtlich. Der Cliffhanger, der Lucky vor eine schwierige, aber schon ausreichend vorbereitete Entscheidung stellt, sei hier als Faktor noch einmal genannt. Bei den "Warrior Cats" haben sich die Autoren bemüht, einen über den Zyklus streckenden roten Faden zu spinnen und einzelne, wichtige Abschnitte in Form eines Buches zu erzählen. Dieses Konzept wird zumindest dem ersten Roman folgend bei dieser Serie aufgegeben.
Nach den ersten Tagen in den Ruinen der Stadt beginnt der nächste Abschnitt des Überlebens. Lucky beginnt anderen Hunden zu begegnen. Da wäre zuerst sein Freund Old Hunter. Old Hunter hat sich in einen unbewachten Supermarkt geschlichen und beansprucht alle Vorräte für sich. Erst als ihm Lucky das Leben rettet, teilt Old Hunter zumindest einen kleinen Teil der Nahrung mit ihm. Anschließend trennen sich ihre Wege und Lucky wird von Füchsen angegriffen. Die einzelnen Begegnungen mit Tieren wie Old Hunter wirken sehr episodisch angelegt, zumal die anfänglich klare Motivation immer kurze Zeit später wieder aufgegeben wird. Der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als arbeiten die beiden Autorinnen noch ein wenig gegeneinander. Old Hunter will - verständlich und taktisch klug - im Supermarkt bleiben, in der nächsten Szene trennen sich ihre Wege und der alte Hund scheint ebenfalls das Versteck zu verlassen.
In der nächsten Sequenz helfen dem in die Ecke getriebenen Lucky eine Handvoll Hunde, trotzdem weigert sich der Einzelgänger, aus dieser Situation zu lernen und sich dem Rudel eher freiwillig anzuschließen und aktiv mittreiben zu lassen. Auch wenn es sich bei Bella - sie stammt sogar aus seinem Wurf -, der Neufundländerin Martha, dem Bordercollie Mickey, dem deutschen Schäferhund Bruno, dem Malteser Sunshine oder dem Mischling Daiys um Menschenhunde handelt, haben sie schneller als Lucky begriffen, dass ein Überleben in dieser ihnen in doppelter Hinsicht - sie sind Menschen gewöhnt und leben plötzlich in einer zerstörten Stadt auf sich alleine gestellt - herausfordernden Situation nur gemeinsam geht. Die Hunde hoffen, dass ihre Herrchen und Frauchen zurückkommen und sich die Situation wieder normalisiert. Nicht einmal eine unberechtigte Hoffnung. Lucky entschließt sich, dem ehemals angelehnten Pack beizutreten, um ihnen in dieser neuen Welt zu helfen. Dabei vergisst er, dass sie ihm aus einer extrem schwierigen Situation geholfen haben. Auch in den folgenden Szenen können die Hunde - sie retten noch Alfie - als Team überleben, wobei Lucky in jeder der gefährlichen Sequenzen eine wichtige, aber nicht immer elementare Rolle spielt. Dieses Ausbilden eines Teams wird überzeugend beschrieben und die einzelnen Hundecharaktere sind sehr gut voneinander unterscheidbar. Um gegen Ende des Romans Spannung zu erzeugen, machen die beiden Autorinnen allerdings einen Fehler, in dem sie Lucky intellektuell in seine zu Beginn des Buches dominante Einzelgängerart zurückfallen lassen. Luckys Motivation ist nicht einmal deutlich herausgearbeitet. Alleine das sich ein Hund nicht von dem Baseballhandschuh seines Juniorherrchens trennen möchte, wirkt als Trennungsgrund genauso unwahrscheinlich wie die ambivalente Haltung Lucky den einzelnen Situationen gegenüber.
Der Unterschied zwischen dem wilden Hund Lucky und seinen von Menschen domestizierten neuen Freunden ist manchmal relativ klein. Bei jeder neuen Herausforderung ist es ein anderes Mitglied des Teams, das über die notwendigen Fähigkeiten verfügt. So wird ein Hund aus einem der Flüße gerettet, weil eines der Tiere ein exzellenter Schwimmer ist. Akzeptieren muss der Leser, dass Menschenhunde kein eigenes Selbstbewusstsein haben und alleinstehend „wertlos“ erscheinen, obwohl die Handlung mehrmals das Gegenteil faktisch demonstriert. Auf der anderen Seite ist Lucky der kontinuierliche Mahner und Warner, welcher die Hunde beschützen will, nicht immer nur richtig handelt und doch am Ende nicht in einer wirklich sicheren Umgebung zurücklässt. Auch hier wirkt „Survivors Dogs“ manchmal sehr ambivalent, als wenn die Autorinnen Lucky als dominante Persönlichkeit weiterhin isoliert halten wollen, auf der anderen seine die anderen Hundecharaktere nicht vernachlässigen können. Über Luckys Werdegang finden sich kaum Informationen im Roman, was ihn als Charakter zu eindimensional und „verhärmt“ erscheinen lässt.
Inhaltlich ein typischer Serienauftaktroman, der das eher sporadisch und gut aus der subjektiven Perspektive der Hunde gezeichnete Szenario etablieren möchte. Wie schon angedeutet sind die einzelnen Charaktere überzeugend herausgearbeitet, auch wenn ein Hundebesitzer feststellen muss, dass die Autorinnen die Psyche von Katzen und ihre spezifischen Eigenarten besser literarisch umsetzen können als Hunde. Sie wirken teilweise immer noch zu menschlich oder besser zu katzenhaft in ihren Aktionen, wobei die Abhängigkeit zu ihren verschwundenen Menschen und die Treue bis in den Tod gut beschrieben worden sind. Hinsichtlich des Szenarios bleiben ausreichend Fragen offen, um die Fortsetzungen auch spannend zu gestalten. Ein solider Auftakt einer auf den ersten Blick gänzlich anderen „Tier“ Reihe des Erin Hunter Autorenkollektivs.