Im Zeichen des Einhorns

Im Zeichen des Einhorns, Zelazny, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Der dritte Roman des ersten “Amber“ Zyklus ist im Grunde ein Schlüsselroman. Am Ende stellt Roger Zelazny seine These mit dem gewagten Satz, dass „alle Wege nach Amber führen“ auf den Kopf, in dem der Autor impliziert, dass es vielleicht ein weiteres, ein echtes Amber geben könnte und sich Corwin vor allem bislang in einer möglichen weiteren Parallelwelt bewegt hat. Ohne diese Idee weiter zu untermauern würden die Versuche des Prinzen, seine Heimat zu erobern, seinen Bruder vom unrechtmäßigen Thron zu stoßen und vielleicht sogar nach dem verschwunden Vater zu suchen ad absurdum geführt werden. Es ist eine gewagte Variation, die Roger  Zelazny mitten in den laufenden Handlungsbogen einbaut. Aber solche Kehrtwendungen sind auch typisch für das umfangreiche Werk des mehrfach ausgezeichneten Amerikaners.

„Im Zeichen des Einhorns“ ist inhaltlich Stillstand und Rückschritt zu gleich.  Dadurch ermöglicht der Autor es dem Leser, nicht nur Luft zu holen, sondern er selbst füllt eine Reihe von Lücken auf, in dem er nicht nur das auf der Erde spielende Handlungsgarn aus „Die neun Prinzen von Amber“ extrapoliert, sondern das Verschwinden des Vaters inklusive  der Machtergreifung anspricht.  Mit diesen vorauseilenden Rückblicken wird der „Amber“ Zyklus deutlich komplexer und einige der Szenen, in denen Zelazny ausschließlich Tempo machend, zu forsch vorangeschritten ist, erscheinen deutlich durchdachter als es auf den ersten Augenblick erschienen ist.

Vor allem dienen diese noch anzusprechenden Rückblicke als Vorbereitung der  besten Szene der ganzen Serie. Corwin von Amber wird beim Betreten seiner Kammer von einem unbekannten Attentäter angegriffen und verletzt. Heilung erhält er auf der Erde, wobei seine Krankenakte mit der ersten Flucht aus dem Krankenhaus nach dem Autounfall kein gutes Licht auf ihn wirft.  Zurück in Amber kommt es wie beim bekannten Spiel Cluedo zu einer Konfrontation aller verbliebenen Geschwister.  Es wirkt fast bizarr, wenn die sich gegenseitig verdächtigend den potentiellen Attentäter identifizieren wollen. Roger Zelazny hat unglaublich viel Spaß mit dieser auch sehr pointiert geschriebenen Szene, in deren Verlauf einige der bislang im Hintergrund gebliebenen Brüder und Schwestern an Profil gewinnen. Es ist der interessante vorläufige Abschluss eines bis dahin inhaltlich sehr kompakten, aber auch bewegungsarmen Romans.  Vor allem weil beginnend mit dem Mord, der fast im Off zu Beginn des Buches erzählt wird, noch eine andere Frage relevant wird. Bislang haben sich die Mitglieder des Königshauses Amber durch ihre einzigartige  Macht inklusiv der Selbstheilungskräfte sicher  und unverwundbar gefühlt, wenn kein anderes Mitglied des Königshauses an dem Angriff beteiligt gewesen ist. Selbst ihr Vater Oberon ist bislang nur verschwunden und nicht offiziell tot. Mit dieser Tat hat sich – sollte jedes Mitglied der Familie seine subjektive Wahrheit gesagt haben – der Fokus verschoben und andere Kräfte können den Ambers auch körperlich gefährlich werden. 

Der Ausbau der verschiedenen Rückblenden ist notwendig, wobei auch hier der Autor impliziert, dass der Autounfall Corwin von Ambers kein echter Zufall gewesen ist.  Auch hier bleibt der potentielle Täter im Hintergrund, wobei das Motiv überdeutlich erscheint. Mit der Rückkehr des lange Zeit auf der Erde lebenden Corwins hat sich das Machtvakuum zwischen den verschiedenen Prinzen noch weiter verschoben.  Corwin stellt – das haben die ersten beiden Bücher der Serie bewiesen – ein unglaubliches Risiko für Eric dar, der  nicht unbedingt von langer Hand bislang geplant sich auf den Thron gesetzt hat. Dessen Rolle relativiert Roger Zelazny in einem direkten Vergleich mit dem ersten Buch sogar.

Wie bei einem Mosaik fügen die einzelnen Mitglieder der Amber Familie vor allem in Gesprächen mit Corwin wichtige weitere Informationen  hinzu, so dass sich ein komplexeres Bild nicht nur der Familie, sondern auch der Machtgefüge und der magischen Gegenstände ergibt, die nicht immer nur positiv auf ihre Träger einwirken.

Mit dieser verschobenen Prämissen und vielen nachgereichten Informationen relativiert Roger Zelazny vor allem die Fronten und zeigt auf, dass das bisherige schwarzweiß Schema von Freunden und Feinden innerhalb der Familie nicht aufrechterhalten werden kann. Aber auch diese Informationen sind wieder mit Vorsicht zu genießen, da der Leser wie Corwin nicht  weiß, ob die Welten, aus denen diese Ideen stammen, auch wirklich miteinander übereinstimmen.  Die einzige Identifikationsfigur des Lesers bleibt trotz wiederkehrender Charaktere Corwin von Amber. Und auch hier hält Roger Zelazny unabhängig vom wiederkehrenden Gedächtnis eine große Überraschung für den Leser bereit, denn opportunistisch und uneigennützig hinsichtlich des Throns ist auch Corwin von Amber nicht. Die Botschaft des als Schemen erschienenen Vaters in „Die neun Prinzen von Amber“ könnte auch anders interpretiert werden.

Hinsichtlich der äußerlichen Bewegung bleibt Roger Zelazny allerdings frustrierend ambivalent. Die Schattenwesen aus dem ersten Buch tauchen wieder auf. Die schwarze Straße scheint sich in Amber zu verbreitern. Bislang konnte der Leser davon ausgehen, dass sie ihre Wurzeln im Fluch Corwin von Ambers während der Krönung Erics hatte. Am Ende des zweiten Buches legt Eric ebenfalls eine schwere Last auf die Schultern des Bruders. Diese Einschätzung muss relativiert werden. Anscheinend wird Amber von außen bedroht und diese schwarze Straße  könnte sich durch alle Parallelwelten bis zum Ende dieser durch die Schatten zu betretenden Dimensionen ziehen. Es sind offensichtlich dunkle Mächte, die Moorcocks Romanen entstiegen sein könnten, welche nach dem paradiesischen wie ambivalenten Amber greifen.  Die Bedrohung durch die dunklen Mächte hat Corwin von Amber in den ersten beiden Bücher unterschätzt. Mit der Machtergreifung muss er sich ihnen stellen, wobei mit der von einem Einhorn begleitenden Reise nach Tir-na Nog´th  fügt Zelazny aus dem Nichts kommend ein weiteres bislang unbekanntes und nicht erwähntes Ziel hinzu, dessen epische wie verschwommene Beschreibungen auf eine weitere Traumhandlung/ Alptraumebene hindeuten. Vor allem distanziert Zelazny plötzlich den Protagonisten von seinen Lesern, in dem der Autor impliziert, dass Corwin die Ereignisse aus einer zeitlichen Distanz rückblickend auf sein Leben erzählt.

Vor allem rückt Zelazny seinen Helden in die Nähe  ein eher unzuverlässigen Erzählers, der opportunistisch in den ersten beiden Büchern auch falsche Spuren legt, obwohl er aus der  Distanz der nicht vorhandenen Rahmenhandlung einen deutlich besseren Überblick haben müsste. Dadurch wirkt der vorhandene Spannungsaufbau kritisch gesprochen halbherzig.  Es ist ein sehr schmaler Grat, eine Ich- Erzählergeschichte aus dieser Distanz überzeugend zu schreiben und dabei auch noch Fakten wie ein Gedächtnisverlust einzubauen.   

„Im Zeichen des Einhorns“ lebt neben der beginnenden Komplexität der Handlung und vor allem den umfangreichen Charakterisierungen verschiedener Nebenfiguren vor allem von einem konsequenten Ausbau des Hintergrunds zu Lasten des weniger straffen Tempos und zu Gunsten eines  intensiveren, mehr in sich selbst ruhenden Schreibstils, sowie dem Hinweis, dass anscheinend nichts aus den ersten beiden Büchern wirklich Zufall gewesen ist. Als Mittelband des ersten Fünfteilers ist „Im Zeichen des Einhorns“ eine spannende, intellektuelle Geschichte, in welcher Zelazny weniger mit dem Klischees der Heroic Fantasy spielt, sondern mehr und mehr die Komplexität seiner Geschichte in den Vordergrund stellt. 

   

  • Taschenbuch: 300 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1. Druckaufl. (11. November 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608981284
  • ISBN-13: 978-3608981285
  • Originaltitel: Chronicles of Amber 2
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