Markus Heitz hat seit Beginn seiner Karriere im Fantasy- Bereich sein Werk kontinuierlich ausgebaut. Diese Vielseitigkeit spricht für den Autoren. Auf der anderen Seite könnte man auch zynisch davon sprechen, dass Heitz seine Fahne in zahlreiche Genrewinde hängt und nur selten etwas Eigenständiges, etwas Prägnantes produziert. Während die im Heyne- Verlag veröffentlichte Science Fiction Reihe um die „Justifiers“ von anderen Autoren mit geschrieben wird, behielt der Autor das Subgenre des Mystery Thrillers mit Werwölfen oder Vampiren fest in eigenen Händen. Mit „Totenblick“ versucht Heitz, die Thrillerelemente stärker zu betonen und sich eine andere neue Klientenbasis zu erschreiben, wobei er ganz auf mysteriöse oder phantastische Ideen nicht verzichten will. Diese Ambivalenz, die einige seiner Bücher neben der Routine und dem Rückgriff auf Versatzstücke in den letzten Jahren auszeichnete, gipfelt in einem eher enttäuschenden Epilog, der schematisch und stereotyp daherkommt. Ohne Frage ist „Totenblick“ mit den noch zu kritisierenden Einzelheiten ein bestenfalls solider geschriebener Thriller, dessen Schwächen in der plottechnischen Entwicklung und vor allem den wenig zugänglichen, funktionalen und eindimensional klischeehaften Protagonisten liegt. In seinen „Sanctum“ Arbeiten verfügt Heitz zumindest über starke, dreidimensionale, wenn auch überdimensionale Protagonisten, die gegen dann allerdings stellenweise gesichtslose Antagonisten um die Zukunft ihrer Welt kämpfen mussten. In „Totenblick“ vermischt sich alles zu einem unbefriedigenden Einheitsbrei.
Der Pianist Armin Wolke wird nach dem Besuch einer Leipziger Disco – ein Heimspiel für Markus Heitz – entführt. Wolkes Vater will den Forderungen der potentiellen Entführer zuvorkommen und beratschlagt sich mit dem Ramschkönig Tzschaschel. Als Kurier soll dessen Personal Trainer Ares Löwenstein dienen. Kurze Zeit später findet man die Leiche des jungen Mannes. Der oder die Täter haben sie einem Gemälde aus dem 18. Jahrhundert – „Der Tod des Marats“ – nach empfunden platziert. Es gibt eine ominöse Botschaft mit einem Hinweis auf den Totenblick. Die Prämisse des vorliegenden Romans ist bis zur Entdeckung der Botschaft gut und überzeugend angelegt. Markus Heitz vergeudet nicht viel Zeit oder Raum. Er führt eine Reihe von markanten und interessanten Typen in die Handlung ein, die Motive des Verbrechens bleiben angesichts der mysteriösen Botschaft positiv im Dunkeln. Der Kriminalkommissar Rohde übernimmt die Ermittlungen. Schnell stellt es sich heraus, dass weniger persönliche Motive bei der Entführung und Ermordung eine wichtige Rolle gespielt haben. Die beiden Polizisten, welche die Leiche entdeckt haben, kommen ebenfalls ums Leben. Auch der Leibwächter Ares Löwenstein ermittelt im Verborgenen. Hier konstruiert Markus Heitz eher einen Zusammenhang zwischen der Tat und Löwensteins Initiative. Viel schlimmer erscheint, dass der perfide, perverse und psychopathische Killer in Löwenstein einen ebenbürtigen Gegner sieht und ihn in sein Spiel hineinzieht.
Aus seinem letzten Mystery- Thriller „Oneiros“ übernimmt Heitz den nur in der Phantasie eines Autoren derartig allwissenden und auch noch in der Form der Selbstverteidigung geschulten Bestatter Korff, der zwar nur indirekt in die Handlung eingreift, aber hintergrundtechnisch keine unwichtige Rolle spielt. Wie schon angedeutet zeigen sich Heitzs Schwächen dieses Mal auch zusätzlich in der Charakterisierung seiner Protagonisten. Der Autor agiert zu ambivalent. Auf der einen Seite will er eine markante Figur erschaffen, auf der anderen Seite hat er nicht zum ersten Mal Angst vor der kommerziellen Courage. Wenn die Mitgliedschaft in einer Bikergang derartig weich gespült und relativiert wird, dann fragt sich der Leser, warum erst diesen Exkurs machen? Löwenstein ist ohne Frage ein Multitalent. So braucht er die ehemaligen Kumpel, die sein Ausscheiden höchstens bedauert haben, um seiner ehemaligen Theatergruppe das Aufführung eines seiner Stücke zu verbieten, das wiederum auf von Kleists „Der zerbrochene Krug“ basiert. Warum die allerdings nicht auf Löwensteins direktes Verbot angesichts seiner kämpferischen Fähigkeiten reagiert haben, ist eine der zahlreichen offenen Fragen. In wie weit Löwenstein den Klassiker modernisiert hat, wird ebenfalls nicht diskutiert. Ebenfalls markant klischeehaft ist, dass Heitz Charaktere entweder geschieden und damit Singles sind oder in Beziehungen mit deutlich jüngeren, aber attraktiven Frauen stehen. In Löwensteins Fall sogar eine Studentin. Markus Heitzs erotische Phantasie gipfelt in einer sehr langen Sexszene, welche den inzwischen schon phlegmatischen Mittelteil des Romans gänzlich zum Erliegen bringt. Interessant sind dabei die Widersprüche, denn nach der Lektüre des Buches kann sich ein aufgeschlossener Leser nicht vorstellen, wie diese perfekte Inkarnation des modernen Mannes und Vaters dreimal verheiratet und dreimal geschieden sein kann. Das ist schon ein Widerspruch in sich. Löwenstein kümmert sich um seine Töchter, die relativ schnell potentielle Ziele des Serienkillers werden könnten. Wie er allerdings mit dreimal Unterhalt gegenüber den zänkischen Frauen, die alle negativ beschrieben werden, trotz seines Teilzeitjobs als Personal Trainer über die Runden kommen kann, steht nicht zur Debatte. Anstatt seinen Protagonisten zumindest kantige Ecken zu geben – pleite, schwarz arbeitend und wenn es gar nicht anders geht wie der Polizist Alkoholiker oder Drogendealer - bleibt alles relativ sauber und gemütlich langweilig. Nicht einmal Löwensteins Motivation, sich gegenüber seinen Töchtern und vielleicht auch seiner furchtbar langweilig beschriebenen Freundin unverantwortlich für einen indirekten Klienten in Lebensgefahr zu begeben, wird sauber herausgearbeitet. Hier hätte wirtschaftlich soziale Not als Motiv ausgereicht. Heitz macht immer wieder den Fehler, Überhelden mit vordergründig realistisch bodenständigen Wurzeln zu kreieren, deren Handeln nicht immer wirklich schlüssig entwickelt worden ist. In den absichtlich phantastisch „übermenschlichen“ Sanctum oder KINDER DER NACHT Geschichten ist diese Vorgehensweise vielleicht nachvollziehbar, insbesondere in „Totenblick“ tötet sie die kaum vorhandene Spannung.
Zusammen mit Korff bildet Löwenstein ein die Handlung erdrückendes Duo. Teilweise belehrend lässt Heitz beide Figuren über Hintergrundinformationen referieren, welche den Leser nicht wirklich interessieren. Es ist ein schmaler Grad, auf dem der Autor in diesem Fall wandelt, da er die Identität des Killers schließlich mehrfach umständlich verstecken muss, um eine vorzeitige und für den Roman tödliche Entdeckung zu verhindern. Das gipfelt in der Tatsache, dass der Killer einen Zufallsgenerator benutzen soll, um seine nächsten Opfer zu ermitteln. Anscheinend gibt es keinen Autoren, der diese nicht selten auch in den amerikanischen Krimis wie „CSI“ oder „Criminal Intent“ angewandte Idee bis zum Ende durchdenkt. Denn in diesem Fall hätten alle Ermittler bei einer konsequenten Umsetzung der Strategie keine Chance, dessen Schritte vorher zusehen . Um Spannung zu erzeugen, muss es zwischen den Opfern einen Zusammenhang geben. Zusätzlich braucht Markus Heitz für seinen Täter ein Motiv. Wahnsinn ist eine Methode, aber keine für einen Roman zufriedenstellende Erklärung. In dieser Hinsicht hat die Realität das Thrillergenre schon an mehr als einer Stelle überholt. Das gilt auch für das nur noch auf den ersten Blick überraschende Vorgehen hinsichtlich sympathischer Nebenfiguren. Einen Schockeffekt hätte Heitz setzen können, wenn der ex- Biker und jetzige Theaterregisseur oder Dramaturg Löwenstein während der Ermittlungen zum Leidwesen von mindestens sieben weiblichen Wesen ums Leben gekommen wäre. Und Korff hätte den Mörder zur Strecke bringen müssen. So bleibt alles im Rahmen des Thrillertechnisch Erlaubten, mit dem Heitz ohne Frage wieder eine Menge Romane verkaufen kann.
Höchstens der Kommissar Lackmann als Spiegelbild des anfänglich involvierten Rohdes – eine Figur, die schließlich im Handlungsverlauf geopfert wird – könnte mit seinen zutiefst menschlichen Schwächen ausbaufähig sein. Zumindest wächst er in den jeweiligen Situationen glaubwürdig über sich hinaus. Warum also nicht einen Schritt zurückmachen und der Polizei im Gegensatz zu unglaubwürdigen überdimensionierten Privatermittlern wieder das Feld überlassen? Zusätzlich hat sich Heitz um den Antagonisten gar nicht gekümmert. Es müssen keine Lebensbeichten sein, aber ein wenig mehr Charakterisierung über die Tatsache des Psychopathen hinaus hätte dem Buch gut getan. In dieser Hinsicht punkten selbst die „Justifier“ Romane im Heyne- Verlag aus seiner Feder. Auf der anderen Seite ist angesichts des Epilogs eine Charakterisierung des Antagonisten gar nicht notwendig, da Heitz mit dem Exkurs ins Übernatürliche nach einer Entschuldigung für den extrem konstruierten und selbst aus literarischer Warte unrealistischen Plot sucht.
Zwar sind die einzelnen Morde originell und stellenweise sehr gewalttätig beschrieben worden, dem ganzen Roman fehlt bis zum aus einer langjährigen Filmreihe bekannten Epilog aber eine grundlegende Ordnung und Originalität. Heitz hat anscheinend den Plot eher grob umrissen und sich ab der Mitte des Buches entschieden, auf Übernatürliches umzuschwenken und zahlreiche rote Fäden zu ignorieren. Schon seine letzten Arbeiten wirkten eher hektisch ohne viel Liebe zum funktionalen Detail oder Originalität heruntergeschrieben. Viel schlimmer ist, dass Heitz inzwischen zu einer Art Seitenfresser geworden ist, der den in diesem Fall gänzlich unbefriedigenden und wirklich weniger originellen Plot unnötig mit Nebensächlichkeiten, Phrasen und nicht kompatiblen Versatzstücken aufbläst. Herausgekommen ist ein weiterer sehr schwacher Roman, der sich wahrscheinlich unter dem Mainstreampublikum trotzdem gut verkaufen will. Kommerziell werden die Ziele erreicht, als Autor hat sich Heitz endgültig in ein qualitatives Nirwana verabschiedet.
Taschenbuch, Knaur TB
01.08.2013, 528 S.
ISBN: 978-3-426-50591-5
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