Fast fünfzehn Jahre hat der Australier David Kowalski an seinem ersten Roman geschrieben. "The Company of the Dead" reiht sich nicht nur in das Subgenre der Zeitreise-/ Alternativweltgeschichten ein, er schlägt den Bogen zu zwei anderen markant mit der "Titanic" als Schicksalspforte spielenden Science Fiction Romanen. In Connie Willis empfehlenswerten "The Passage" ist die Titanic das Symbol eines Übergangs in eine andere, hoffentlich bessere Welt. Viel näher rückt Kowalski an Jack Finneys "From Time to Time" heran, in dem eine kleine Veränderung der tragischen Reise der "Titanic" das Schicksal des Jahrhunderts beeinflussen wird. Jack Finneys Irritationen werden mit einem historischen Foto ausgelöst, das die "Titanic" planmäßig im Hafen von New York zeigt. Bei Kowalski versucht der Zeitreisende Wells - der Name ist ein absichtlich gewähltes Pseudonym, das sich in einer Reihe von sehr intelligent über den Plot verteilten Anspielungen einreiht -, der mit verschenkten Ferngläsern den Untergang des Schiffes verhindern möchte. Es grenzt an Zynismus, das Wells wenige Stunden später erfahren muss, dass die "Titanic" trotzdem dem Untergang geweiht ist. Sie trifft auf ein Eisfeld, das das Schiff auf der der Ursprungsbeschädigung entgegen gelegenen Seite aufreisst. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Wells gehört zu den Toten. Vorher hat er dem verblüfften Astor allerdings gesagt, dass es eine Liste von Toten gibt, auf der auch sein Name steht. Im Gegensatz zur Realität überlebt Astor den Untergang des Schiffes und wird amerikanischer Präsident. Erst achtzig Jahre später wird man aus dem Inneren des Schiffswracks einen Tresor heben, in dem offensichtlich das Tagebuch eines Wahnsinnigen verborgen worden ist. Die zukünftigen Ereignisse sind den Protagonisten im Gegensatz zu den Lesern nicht vertraut.
Um das in den Jahren 1911/1912; 1947 und schließlich der alternativen Gegenwart - 2012 - spielende Szenario packender zu beschreiben, konzentriert sich Kowalski auf die Schicksale ganzer Familien. Der Bogen reicht über die Astors hinaus nicht nur zu den Kennedys, deren Familie mit den wichtigsten Epochen der modernen amerikanischen Geschichte untrennbar verbunden ist, zu den Lighthollers. Dabei spielt der Autor nachhaltig mit den Erwartungen seiner Leser. Die Idee der Zeitmaschine wird mit dem Roswell Zwischenfall geschickt verbunden. Über den Reisenden/ die Reisenden aus der Zukunft erfährt der Leser im Grunde nichts. Sie dienen als "Deus Ex Machina" Katalysator, um die Ereignisse nicht nur in Gang zu bringen, sondern den Mittelteil spannender zu gestalten. Es geht auch Kowalski weniger um klassische Themen wie Zeitreisen, Zeitschleifen oder Paradoxe, sondern um die Möglichkeit, die Idee, über sich selbst hinaus zu wachsen, um etwas zu verändern, das den Menschen nicht gerecht wird. Dabei kennen die Protagonisten - wie sich im abschließenden Kapitel auf der "Titanic" herausstellt - die dem Leser bekannte Geschichte gar nicht und werden von den Entwicklungen teilweise überrollt.
Auch die "Titanic" dient eher als Wendepunkt einer technologischen Entwicklung im Grunde zum Schlechten. Kowalski macht an einer Stelle einen Fehler, in dem er impliziert, dass Ismay Captain Smith angestachelt hat, mit der Rekordfahrt über den Atlantik zu beginnen. Das ist inzwischen historisch widerlegt und wird an einer anderen Stelle von Passagieren der "Titanic" auch durch Dialoge widerlegt. Ansonsten stellt erst gigantische Ozeanriese für Autoren und Protagonisten den Scheitelpunkt einer Technologierallye dar, die kurze Zeit später in unserer Gegenwart von zwei Weltkriegen, in Kowalskis Welt von zwei Macht hungrigen Großmächten - das deutsche Kaiserreich und Japan - abgelöst worden ist. Triumph und Tragödie vereinigen sich in diesem luxeriösen Schiff und die Szenen des Untergangs werden von Kowalski erstaunlich packend und so weit es die Handlung mit Zeitreisenden zu lässt auch authentisch erzählt. Die Feinheiten des Buches liegen in den Details. Nicht das pünktliche Sinken dieses Schiffes ist wichtig, sondern die Idee, dass ein Mann mit seinem Überleben ein Jahrhundert prägen und gleichzeitig verdammen kann. Während die Leser noch lange an den Zeitreisenden Wells mit einer über weite Strecken schwer einzuordnenden Mission denken, ist es schließlich der nur in Nebenrollen auftretende Astor, auf dessen Schultern das Schicksal des 20. Jahrhunderts gelegt wird. Auch Lightholler – das Original, wie auch der Nachkomme, der später einen Nachbau der „Titanic“ zum hundertjährigen Jubiläum des Untergangs als Kapitän in den New Yorker Hafen führen wird – wirkt angesichts des Potentials dieser Idee in der zweiten Hälfte des Buches blass. Es sind dreidimensional aufgebaute Figuren, aus denen Kowalski angesichts des immer komplexer werdenden Plots zu wenig macht. Dagegen erscheinen die Helfer der zweiten Reihe – der treue Morgan, der die Zeitmaschine seit vielen Jahren wie ein eigenes Kind behütende „Doc“ – deutlich präsenter. Diese Figuren wachsen dem Leser erst im Verlaufe der Handlung ans Herz und am Ende trauert man mehr um sie zusammen mit dem Nachkommen des berühmten Kennedy als um geschichtsträchtige Figuren. Dreh- und Angelpunkt ist ohne Frage der überdimensionale Patriot Kennedy, der in den Kriegen gegen die Mexikaner genauso gekämpft hat wie gegen eine erneute Teilung der USA. Er hat seine Elitesoldaten mit Respekt behandelt, so dass sie ihm im Augenblick der Krise zusammen mit Nachkommen der Indianer, die ein wenig zu mystisch die potentiellen Veränderungen durch die Zeitmanipulationen erahnen können, ihm zur Seite stehen und seine Reise „decken“. Kennedy ist zu Beginn ein ambivalenter, fast zu arroganter Macher, dessen Motive noch lange im Dunkeln bleiben. Erst als der Leser zu verstehen beginnt, das der in einer emotional eher aufgesetzten Wendung der Ereignisse werdende Vater den Menschen eine weitere Zukunft und keinen außer Kontrolle geratenden Atomkrieg bescheren möchte, schlägt man sich auf die Seite des Einzelgängers, der mit einer Handvoll Männer durch eine Begradigung der Vergangenheit verzweifelt die ursprüngliche Zeitlinie wieder herzustellen sucht. Am Ende ist es seine männliche Opferung als Variation der in den Auftaktkapiteln dargestellten Ereignisse, die ihn ganz nahe an verschiedene Kennedys heranrückt, die entweder im Zweiten Weltkrieg oder schließlich 1963 in Dallas gestorben sind. Auch wenn sich Kowalski auf einem schmalen Grad hinsichtlich potentieller Heldenverehrung bewegt, verfügt er als Australier über ein neutraleres Bild auf diese „uramerikanische“ Familie und hält sich von Pathos, Heldenverklärung und schließlich auch Kitsch zu Gunsten der trotz ihres Umfangs sehr rasanten Geschichte fern.
Es sind aber nicht nur die überwiegend überzeugend gezeichneten Figuren, welche den verschachtelten, zwischen den Zeiten hin und her springenden Plot vorantreiben.
Ausgehend vom Überleben Astors und seines politischen Aufstiegs in einem Europa ohne die beiden Weltkriege, mit aber sehr vielen militärischen Auseinandersetzungen skizziert er eine politisch aus heutiger Sicht bizarr erscheinende Gegenwart mit den mächtigen Deutschen und den weiterhin aggressiv nach der Weltherrschaft greifenden Japanern. Der zuspitzende militärische Konflikt in erster Linie für den Leser greifbar auf amerikanischen Boden dominiert den Mittelteil des Buches. Kennedy und seine kleine Gruppe müssen nicht nur vor dem allgegenwärtigen Geheimdienst flüchten, der Kennedys Pläne zwar nicht kennt, aber subversive Aktivitäten vermutet, sondern dem plötzlich ausbrechenden Konflikt ausweichen. Ausgelöst durch einen Atombombenanschlag auf Berlin, der den Kaiser und die militärische Führung töten soll. Die spektakuläre Flucht mittels diverser Flugzeuge wirkt dabei übertrieben. An einigen Stellen muss der Zufall der kleinen, sich aufsplitternden Gruppe helfen. Die zugrunde liegenden Actionszenen sind dabei sehr dramatisch und brutal geschrieben worden. Kowalski zeigt, dass diese Mischung aus moderner Kriegsführung und den aus Afghanistan oder dem Irak bekannten Partisanenkämpfen nur auf amerikanischen Boden weniger zum Gesamtsieg führen soll oder kann, sondern das es nur um das alltägliche Überleben geht. Wenn am Abend Kennedys Männer eingreifen und sogar eine der gigantischen in der Luft schwebenden Flugplattformen in allerletzter Sekunde eingreifen, dann agiert der Autor überambitioniert. Es hätte gereicht, die Zeitmaschine durch einen elektromagnetischen Impuls kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Auf der anderen Seite zeichnet Kowalsky einen Weg in die Selbstvernichtung der Menschheit, der nachdrücklich zeigt, dass aus dieser atomar strahlenden Alternativweltzukunft keine Zeitmaschine in die Vergangenheit vorgedrungen sein kann. Das macht die Mission der kleinen Gruppe um so verzweifelter, zumal sie auch nicht die Stellschrauben in der Vergangenheit kennen.
Der letzte Abschnitt spielt natürlich wieder auf dem verdammten Schiff. Hier verschiebt David Kowalski sehr geschickt die lange und detailliert aufgebauten Prämissen, in dem es keine abschließende Lösung gibt. Die Vergangenheit ist nicht zum ersten Mal verändert worden. Immer wieder sind nicht nur Wells, sondern auch Kennedy und seine Truppe zwischen den lebenden Toten gelandet, um eine Zukunft wieder herzustellen, die sie selbst nicht kennen. Das sich der Autor manchmal ein wenig zu sehr in den Fallstricken seines Plots verfängt, ist angesichts der Souveränität, mit welcher er seinen Debütroman nicht nur konzipiert und strukturiert hat, sondern angesichts der unzähligen Details – ein österreichischer Maler mit Größenwahnphantasien, die Hinweise auf Franz Ferdinand, Roswell und schließlich auch die japanische kaiserliche Familie inklusiv Variationen des Pearl Harbour Angriffs – akzeptabel. David Kowalski erzählt eine ein Jahrhundert umfassende Geschichte, die eine epische Breite, wenn auch nicht hinsichtlich der cineastisch geschriebenen Actionszenen nicht immer zufrieden stellende Tiefe verlangt.
„The Company of the Dead“ reiht sich ausgesprochen und lobenswert Zufrieden stellend in einen neuen Zyklus von modernen Zeitreisegeschichten und Filmen wie „Looper“ ein, welche die Materie sehr ernsthaft aus der Perspektive des schwächsten Gliedes – der Menschen – hintergründig beleuchten.
David Kolwaski: "The Company of the Dead"
Roman, Softcover, 752 Seiten
Titan Books 2012
ISBN 9-7808-5768-6664