Während der Bastei- Verlag den neusten Jack Campbell Roman einfach dem inhaltlich abgeschlossenen Zyklus um die verlorene Flotte zugeordnet hat, teilte der amerikanische Autor in den USA seine groß angelegte Geschichte in zwei neue Subserien auf. So heißt der Band im Original auch „The Lost Fleet: Beyond the Frontier: Dreadnaught“. Campbell hat den Zyklus als Trilogie angelegt. Obwohl er einige Informationen hinsichtlich des bisherigen Handlungsverlaufes an den Anfang des vorliegenden Buches gestellt hat, empfiehlt es sich, nicht mit „Jenseits der Grenze anzufangen“, sondern die Abenteuer der verlorenen Flotte, die Campbell nach klassischen, eher dem Bereich der Sage zuzurechnenden Vorbildern gestaltet hat, als Einstieg zu nützen.
Geary und Desjani haben nach ihrer erfolgreichen, von den Vorgesetzten aber auch skeptisch gesehenen Rückkehr ihre Beziehung offiziell gemacht und geheiratet. Die Hochzeitsreise führt auf Desjanis Heimatplaneten, den Jack Campbell eher pragmatisch als exotisch beschreibt. Natürlich drängen die Vorgesetzten auf eine Rückkehr Gearys. Zum einen soll er weitergehende Fragen beantworten, zum anderen erwartet ihn eine Mission, die ihn angesichts seines Admiralsrangs überrascht. Im Gegensatz zu Geary sind die Leser weniger überrascht, da der aus einer glorreicheren Vergangenheit stammende Held kaum an einen Schreibtisch zu verbannen ist. Mit einer ihm anvertrauten und um Versorgungsschiffe verstärkten Flotte soll er in den Lebensraum einer am Ende des Zyklus um die „verlorene Flotte“ aufgetauchten fremden Rasse eindringen, ihren Machtbereich heimlich untersuchen und Friedensverhandlungen aufnehmen, bevor die Menschheit in einem Zweifrontenkrieg zermahlen wird.
Es ist aber nicht die einzige Idee, die Jack Campbell allerdings eher ambivalent opportunistisch aus dem Sechsteiler übernommen hat. Die Flotte ist immer noch unter sich zerstritten und möchte gerne die aus ihrer Sicht mit der Situation überforderten Regierung ablösen und Geary an die Spitze der Putschisten stellen. Geary selbst lehnt jegliche Art von Regierungsumsturz ab. In Bezug auf die beschriebene Politik hat sich Jack Campbell eher als eindimensionaler Hardliner erwiesen, der insbesondere Nebenfiguren eher klischeehaft charakterisiert und vorhersehbar eingesetzt hat. Nicht nur dem vorliegenden Roman fehlt eine tiefer gehende Analyse der politischen Verhältnisse und zumindest ein kraftvolles Argument, warum ein Kriegsheld sich als idealer Politiker erweisen sollte. Geary versucht eine Art Gleichgewicht des Möglichen. Dabei wird militärisch seine Position viel zu extrapoliert beschrieben. Er ist ein Admiral der Flotte, aber weder Großadmiral noch Befehlshaber der ganzen Streitkräfte. Darum wirken seine Versuche, die noch im Stillen revoltierenden Truppenteile im Zaun zu halten und dem Politikern den Eindruck zu geben, er stünde alleine loyal auf ihrer Seite eindimensional und stark unterentwickelt. Hinzu kommt, dass Campbell insgesamt eine niedrige Meinung von Politikern hat und dies auch mehrfach demonstriert. Anscheinend spricht der Autor nur dem Militär in Kriegszeiten wirkliche Entscheidungsbefugnisse zu, wobei die Konsequenzen nicht selten unerwähnt bleiben. Dieser politisch eher republikanisch erscheinende Konservatismus ist vielleicht nicht so stark ausgeprägt wie bei John Ringo und wurde durch Gearys Isolation hinter den feindlichen Linien überdeckt, aber das erste Drittel des vorliegenden Romans wirft in nicht ausschließlich in militärischen Dimensionen denkenden Lesern mehr Fragen auf als das der Autor nachvollziehbare Antworten liefern kann oder will.
Mit dem Aufbruch der Flotte verschiebt sich der Fokus deutlicher. Jack Campbell tut gut daran, seinen bisherigen Überhelden mit kleinen Schwächen auf ein menschliches Maß zu reduzieren. Im Gegensatz zum Sechsteiler „Die verlorene Flotte“, in dem der aus der Vergangenheit gerettete Held im Grunde nur reagieren und erst in den beiden abschließenden Bänden präventiv agieren konnte, kann er die ihm übertragene Aufgabe im Rahmen der Vorgaben analysieren und vorsichtiger agieren. Campbell versucht Geary ambivalenter und zugänglicher zu beschreiben. Das liegt nicht nur an der Heirat mit Desjani und der Eliminierung der wenig überzeugend romantischen Handlungsebene der alten Serie, sondern vor allem auch an fehlenden Konflikten innerhalb der von ihm befehligten Einheit. Damit fallen eine Reihe von Reibungspunkten weg und die Spannung muss aus der Erkundung des bislang unbekannten Raumes heraus kommen, aber durch das fast obligatorische Verschweigen wichtiger Informationen durch die Regierung wirkt der Aufbau des Handlungsbogens sehr viel abgerundeter.
Zu den Schwächen gehört aber die Beschreibung fremder Völker. Natürlich haben die Außerirdischen auf Gearys Hurraaktion aus dem Sechsteiler reagiert. Damals wirkten die Tore, welche eine Rückkehr in den stetig schrumpfenden menschlichen Machtbereich bedeuteten, eher wie eine plottechnische „Des Ex Machina“ Lösung. Im vorliegenden Roman setzt sie Campbell sehr viel effektiver ein, aber angesichts der Tatsache, dass die Fremden immer mit einer Rückkehr der Menschen durch die Tore rechnen mussten, wirken ihre Verteidigungsanlagen zu einfach gestaltet. Anstatt das Wiederauftauchen der Menschen als Katalysator für eine vielschichtigere Auseinandersetzung mit dem fremden Volk, ihrer Kultur und vor allem ihrer scheinbar überlegenen Technik zu nutzen, gewinnt der Autor diesem Aspekt seines Romans kaum etwas ab und nutzt es eher als Möglichkeit, Gearys Flotte relativ schnell in das neue Operationsgebiet zu bringen. Hier wird frustrierend viel Potential verschenkt, zumal der Autor in der zweiten Hälfte des Buches eher auf Actionszenen zurückgreift. Positiv für die ganze Serie konzentriert sich der Autor absichtlich auf eine einzige Perspektive. Der Leser erfährt die Informationen im gleichen Augenblick wie die ausschließlich menschlichen Charaktere. Diese Intimität bei der Erkundung einer fremden Sphäre erhöht ohne Frage die zugrundeliegende Spannung. Auf der anderen Seite endet dieses Beobachten und Sammeln von Fakten in einer Reihe von Vermutungen, für die es zumindest im vorliegenden Band keine Beweise gibt. Es bleibt abzuwarten, ob der Autor die offenen Fragen im abschließenden Roman der Trilogie beantworten möchte.
„Die verlorene Flotte“ ist eine der wenigen Military Science Fiction Serien, die von einem Autoren geschrieben worden sind, der dreidimensional taktisch denken kann. Jack Campbell hat in den ersten Romanen sehr gut beschrieben, wie gigantisch groß die Schlachtfelder im All sind, wie sich die Raumschiffe bewegen müssen und wie erbarmungslos der Krieg dort draußen ist. Hinzu kommt, dass er Gearys Strategien sehr gut und mit einfachen Begriffen dem Leser vermitteln konnte. In dieser Hinsicht „enttäuscht“ vielleicht „Jenseits der Grenze“, da die militärischen Auseinandersetzungen kurz und dreckig sind. Die Vor bzw. Nachbereitung der militärischen Auseinandersetzungen nimmt mehr Raum ein als die eigentliche Konfrontation. Damit geht dem vorliegenden Band zumindest vorläufig ein faszinierender Aspekt der ersten Serie verloren, auch wenn sich Jack Campbell bislang eher vergeblich bemüht, dafür einen exotisch überzeugenden fremden Raum zu beschreiben.
Hinzu kommen die – wie schon angesprochen – im Schatten Gearys und mit großen Einschränkungen seiner jetzigen Frau Desjanis eher eindimensional und klischeehaft entwickelten Nebenfiguren. Jack Campbell hat es in sieben Romanen nicht überzeugend geschafft, seinem Überhelden adäquate Antagonisten gegenüber zu stellen. Unter diesem Manko leidet auch der vorliegende Roman, der diese Schwäche nicht durch zahlreiche Actionszenen zufriedenstellend ausgleichen kann. Zusammengefasst ohne Frage ein interessanter, wenn auch verbesserungswürdiger Auftakt einer neuen Trilogie, die in den altbekannten Grenzen und in einem von Campbell in den ersten sechs Romanen auf menschlicher Seite zufriedenstellend extrapolierten Universum spielt. In erster Linie werden Fans der Serie um „die verlorene Flotte“ zu dieser zumindest inhaltlichen Fortsetzung greifen.
Jack Campbell: "Die verlorene Flotte- Jenseits der Grenze"
Roman, Softcover, 480 Seiten
Bastei- Verlag 2013
ISBN 9-7834-0420-6933