Die Schiffbrüchtigen der Zeit Band 6: Die träumenden Herrscher

Cover, Paul Gillon, die Schiffbrüchigen der Zeit Band 6
Paul Gillon

Gegen Ende der vorliegenden Geschichte wird zumindest für eine Seite der Stab über den männlichen Schiffbrüchigen der Zeit Christophe gebrochen. Nachdem er offenbart hat, dass er die rattenähnlichen Trasserern mit seiner Vereinbarung betrogen hat, wird er von Maya und ihren Begleitern als brutaler Exzess der Vergangenheit gebrandmarkt, der im Grunde alles vernichtet, was nicht nach seinem Gusto gestaltet worden ist. Er vernichtet alles, was ihm unter die Finger kommt. Diese Behauptungen sind richtig und falsch zu gleich. Christophe sieht sie eher aus einer ironischen Perspektive. Falsch sind sie, weil in dieser Zukunft jeder jeden auf der Jagd nach Macht betrügt. Christophe ist nicht selten nur das Werkzeug, getrieben von seiner unerklärlichen Liebe zur zweiten Schiffbrüchigen der Zeit. Manchmal darf er die Reste aufsammeln und vor allem die Fugen kitten, welche andere opportunistische und egoistische Politiker angerichtet haben. Die Bemerkung ist aber auch richtig, dass Christophe missbraucht zum Beispiel Maya, die ihn abgöttisch liebt, um immer wieder zur weiterhin blassen Valerie zurückzukehren. In diesen Szenen ist Christophe weniger ein wichtiges Mosaikstück im Ringen um die Macht, sondern der Wissenschaftler aus der Vergangenheit, der erstaunlich schnell mit dieser exotisch exzentrischen Zukunft klar kommt.

 

Handlungstechnisch schließt „Die träumenden Herrscher“ direkt an den Vorgängerband „Zärtliche Bestie“ an. Christophe, Maya und eine Handvoll Begleiter befinden sich immer noch in einer Art unbestimmten Paralleluniversum. Sie werden vom Onkel des Taphirs zum aktuellen Herrscher gebracht. Diese Odyssee beginnend mit lebenden Flugzeugen über eine fragile Leitung umgeben von unerträglicher heißer Luft bis direkt in den Thronsaal eines Herrschers, der sich mit den „träumenden Herrscher“ auseinandersetzen muss, ist eine visuelle Achterbahnfahrt voller grotesker alptraumartiger Wesen und vor allem einigen sehr starken Szenen. Mit der Erwähnung der „träumenden Herrscher“ – gigantische gesichtslose Raupen, deren Hintergrund leider nicht weiter erwähnt wird –  wird einiges aus den Anfangskapiteln relativiert, aber nicht mehr extrapoliert. Das in dieser isolierten Hemisphäre – vielleicht der einzige Schwachpunkt des ganzen Albums, denn am Ende können Christophe und Co relativ schnell wieder in Richtung „Heimat“ starten, obwohl in „Zärtliche Bestien“ die Weg eigentlich versperrt worden ist und die Trasserern in ihrem Bruch des Abkommens tatsächlich das einzige Raumschiff quasi kraft ihren Willens gestartet haben – die Wesen sowohl von der universalen Plage der Trasserern an den Rand der Vernichtung getrieben werden als von den träumenden Herrschern in ihrem eigenen Bewusstsein gefangen gehalten werden, wirkt fast wie eine Art Overkill. Auch die Schlusspointe mit einer an Bord des Raumschiffs sterbenden Valerie erscheint des guten Zuviel. Interessanter ist, dass der Wissenschaftler Christophe sehr skrupellos einen Weg findet, beide Probleme zu beseitigen. Die Art und Weise wird graphisch sehr detailliert gezeigt und entspricht anfänglich der Methode, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Nur betrügt Christophe dabei, wobei Paul Gillon als Texter und Zeichner dieses Albums abschließend einen Schritt zurücktritt und das Wohl der menschenähnlichen Wesen über das Schicksal der Ratten stellt, die auf der nächsten Seite beweisen, dass sie ebenfalls nicht an fairen Abkommen interessiert sind. Während die ersten Alben deutlich sozial kritischer gefärbt worden sind, relativiert Paul Gillon in diesem dafür deutlich stringenteren und vor allem exzentrisch angelegten Alben viele Hintergründe und konzentriert sich in erster Linie darauf, eine ausgesprochen spannende und vor allem sehr intensive Geschichte zu erzählen. Erst als das Volk von den „träumenden Herrschern“ inklusiv des entsprechenden Opfergangs befreit worden ist, verschiebt sich der Fokus wieder zum Dreigestirn Valerie, Maya und Christophe. Für den Leser ist es schwer zu begreifen, dass insbesondere die aufgeschlossene wie attraktive Maya immer noch so an dem unsympathischen, distanzierten und arroganten Christophe hängt. Diese fast absolut devot erscheinende Liebe ist gewöhnungsbedürftig, zumal auf der anderen Seite das Verhältnis zwischen Christophe und Valerie auch eher ambivalent, aber im vorliegenden Album zumindest nachvollziehbar beschrieben worden ist.

In Hinblick auf die nächsten Alben fügt Paul Gillon in einer kleinen Nebenszene einige Informationen aus der Vergangenheit bislang eher als Mitläufer zu bezeichnender Charaktere bei, deren Gewichtigkeit der Leser noch nicht erahnen kann. Stilistisch weiterhin mit grellen, satten Farben arbeitend spielt Paul Gillon inzwischen mit seinen Lesern. Insbesondere einige der futuristischen „Gebäude“ auf der letzten Seite des vorliegenden Bandes wird der Leser als Alltagsgegenstände der Gegenwart erkennen, als wenn Gillon absichtlich alle wieder aus der Traumwelt in die dunkle Realität ziehen möchte. Hinzu kommen die durch das ganze Album sehr nuanciert gezeichneten Charaktere, bei denen vor allem die fremden Wesen menschlicher erscheinen als die Schiffbrüchigen der Zeit. Zusammengefasst eines der besten Alben der zehn Bände umfassenden Serie, das viele bislang eher zu langatmig erzählte Handlungsstränge raffiniert zusammenfasst und vor allem Christophe als egoistischen Opportunisten und Valerie als Getriebene in einer ihr fremden Welt/ Zeit zeichnet. 

Zeichner/ AutorPaul Gillon
EinbandHardcover
Seiten56
Band6 von 10
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-105-5
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