Trigger Mortis

Trigger Mortis, James Bond, Anthony Horowitz, Rezension
Anthony Horowitz

In seinem Nachwort spricht Anthony Horowitz davon, welche eine Ehre es nicht nur gewesen ist, einen offiziellen James Bond Roman zu verfassen, sondern vor allem auch auf bislang unveröffentlichtes Originalmaterial von Ian Fleming zurückgreifen zu können. Für eine abschließende nicht realisierte James Bond Fernsehserie – „Casino Royale“ ist ja das eigentliche Debüt von James Bond im Fernsehen – hat Ian Fleming eine Reihe von Treatments geschrieben. Die meisten bis auf fünf dieser Ideen hat er schließlich in den beiden James Bond Kurzgeschichtensammlungen veröffentlicht. Neben eine Dialoge zwischen M, Tanner und James Bond hat Horowitz vor allem im ersten Drittel des Buches auf die Grundidee von „Murder on Wheels“ zurückgegriffen und einen Anschlag beim Formel I Rennen auf dem Nürburgring beschrieben. Durch diesen Rückgriff auf das Originalmaterial spielt der ganze Roman wieder in den fünfziger Jahren unmittelbar nach der Goldfinger Affäre. Bedenkt man, dass in den letzten Jahren verschiedene Autoren wie auch in der Filmserie ein behutsames Reset durchgeführt und James Bond aktueller gemacht haben, wirkt dieser neue Roman wie ein Rückschritt. In erster Linie wird Anthony Horowitz die älteren James Bond Leser ansprechen, die wissen, dass James Bond vor Goldfinger schon Hugo Drax begegnet ist. Im Gegensatz zu den Filmen ist „Moonraker“ der ältere Stoff. Mit Pussy Galore und dem grausamen Attentat auf ihr Leben trifft der Autor genau die Stimmung der alten Flemming Stoffe, während die Idee, das ausgerechnet SMERSH – „Tod allen Spionen“ – einen britischen Formel 1 Rennfahrer töten könnte, um die technologische Überlegenheit der Sowjetunion auch im sportlichen Bereich zu untermauern erscheint ein wenig hergeholt. Mit dem Prolog hat Horowitz den Bogen zu den deutschen Raketenforschern und ihrem in die USA geholten Erbe schlagend schon nachhaltig bewiesen, dass es um mehr geht. Ohne Frage ist die Sequenz spannend und James Bond muss neben einem emotionalen Rückschlag- eine feine Spitze – körperlich an die Grenzen gehend erkennen, dass er ein sehr guter Geheimagent, aber kein Spitzensportler ist. Der Auftakt ist solide, aber zu wenig packend. Horowitz beherrscht Flemings stilistische Mischung aus belehrenden Hintergrundinformationen und dynamischen Actionszenen. Vielleicht gelingt es ihm besser, als Kingsley Amis mit seiner Fleming Imitation „Colonel Sun“ sogar, einen echten Fleming Bond Roman stilistisch nachzubilden. Aber hier liegt auch die größte Schwäche des Buches. James Bond ist laut Fleming im Grunde ein eiskalter Killer, ein Lebemann, der von einem rassistischen Sadisten hinter der Schreibmaschine ferngesteuert worden ist. Horowitz James Bond kennt nicht nur Jean Seeberg – die im Jahre 1957 noch nicht so bekannt als Schauspielerin gewesen ist -, sondern macht sich auch Gedanken, um die Menschen, die er für sein Vaterland töten muss. Er ist immer noch ein Charmeur mit einem exquisiten wie teuren Geschmack, aber vielleicht als ironischer Seitenhieb muss Bond auch Niederlagen einstecken. Aus „Goldfinger“ hat Horowitz Pussy Galore übernommen, die lesbische Anführerin einer Frauengang. Sie unterliegt kurz Bonds Charme. Bond selbst kann sich eine längere Beziehung zu einer Frau nicht vorstellen und an seinen eigenen Vorurteilen scheitert er schließlich, obwohl er Pussy Galore das Leben rettet. Im Umkehrschluss ist sie nur in Gefahr, weil Bond sie dazu gebracht hat, Goldfinger zu verraten. Wenn sich Pussy wieder in eine Frau allerdings in einer Männerdomäne verliebt und in die USA verschwindet, dann wirkt es wie ein Seitenhieb gegen Bonds Machoverhalten. Zu diesem Zeitpunkt ist aber ein Drittel des Buches vorbei. Natürlich ist es nett, einen weiteren direkten Zusammenhang zu den Fleming Bonds herzustellen und den Plot chronologisch besser einzuordnen, aber es wirkt unabhängig von der in „Trigger Mortis“ dreidimensionalen Pussy Galore ein wenig zu stark konstruiert.     

 Erst mit dem Abschluss dieser Aktion nimmt der Roman mit der typischen, fast klischeehaften Methode – auf einer Party beginnt James Bond nicht alleine zu schnüffeln und hat schnell einen potentiellen wie reichen Verdächtigen sich ausgesucht – vieler James Bond Romane zusätzlich Fahrt auf.  Mit Jeopardy wird fast postwendend eine neue, unabhängige Frau eingeführt, die ebenfalls Bond erst an der Nase herumführt, ihm später aber das Leben retten muss. Auch wenn der Kontrast zwischen Pussy Galore und Jeopardy nur auf den zweiten Blick erkennbar ist, weicht Horowitz von Flemings Dogmen bei der Zeichnung der Frauen deutlich ab und führt diesen James Bond aus den dunklen fünfziger Jahren in die Gegenwart. Vielleicht wollte Horowitz einen stärkeren Kontrast zum Oberschurken Sin aufbauen, der mittels eines diabolischen Kartenspiels über das Sterben seiner Opfer entscheidet. Als Multimilliardär mit Rachegelüsten ist der Sadist nicht nur gut gezeichnet, er reiht sich auch in die Reihe der diabolischen Verrückten ein, die James Bond in Flemings Romanen bekämpfen musste. Dabei geht Horowitz den ganzen Weg. Jeopardy und Bond sind in den Händen von Sin, der ihnen in einem der so typischen, fast zum Klischee werdenden Exkurse nicht nur seine eigene tragische Lebensgeschichte erzählt, sondern gleichzeitig einen Teil seiner Pläne offenbart, da er nicht an ein Überleben von James Bond glaubt, obwohl ihn SMERSH  deutlich vor Bond respektvoll gewarnt hat. Diese Selbstüberschätzung grenzt an eine Parodie und so eng an den Originalen klebend tut mit dem Plot nicht unbedingt gut. Interessant und modern wie für Fleming ungewöhnlich ist, dass mit Sin ein Mann die Bühne betritt, der offen antiamerikanisch eingestellt ist. Horowitz äußert durch ihn Kritik am amerikanischen Korea Engagement, das statt dem bedrohten Süden Hilfe zu bringen, Chaos verursacht hat. Korea verwischt dabei stark mit Vietnam. Es gibt ohne Frage keine fairen Kriegen, aber vielleicht zeichnet der Autor durch Sinn ein zu kritisches opportunistisches Bild dieses Krieges als Grundmotivation. Sin handelt ansonsten wie alle Fleming Schurken – bis auf die Mitglieder von SPECTRE und SMERSH – als Einmannshow. Ein Mensch, der Jahrelang Milliarden angehäuft hat, um sich endlich zu rächen.

Horowitz muss als Autor einen wirklich unmöglichen Auftrag erledigen. In seinem eigenen Werk hat er sich mehrfach als guter Fleming Imitator mit eigenständigen Kreationen erwiesen. Jetzt muss er das Original kopieren. Der Übergang zwischen Flemings Fragmenten und seinen eigenen Szenen ist nahtlos. Auf der anderen Seite muss er einen Plot geboren in den fünfziger Jahren – alleine das gnadenlose Rennen um die Vormachtposition im All erscheint angesichts der gegenwärtigen Flaute hoffnungslos antiquiert – für die Gegenwart zimmern, der trotz einer nicht umzustoßenden Komponente – James Bond darf im Dienst verletzt werden, aber nicht traumatisch getroffen, da Fleming ja nach „Goldfinger“ noch weitere Romane geschrieben hat – spannend sein muss. Das gelingt dem Autoren nicht immer. Das Autorennen mit echten Männern in leicht brennenden Kisten ist spannend beschrieben worden, aber niemand kann sich heute einen reichen Playboy und Quereinsteiger mitten in der Saison vorstellen. Der Einbruch in Sins Lagerhaus in New York wirkt ebenfalls amateurhaft. Ein paranoider Reicher, dem gerade von Bond und Jeopardy aus seinem Schloss wichtige Fotos gestohlen worden sind, wird seine Anlagen noch mehr sichern. Das Bond und Jeopardy nicht auf Überwachungskameras auffallen, ist Wunschdenken. Anstatt dieses Eindringen zu einem Teil des Plans zu machen, kann der Autor diese absurde und leichtsinnige Idee nicht weiter extrapolieren. Spätestens wenn James Bond von den durch ihr Verschwinden alarmierten Kollegen spricht, ist das Klischee perfekt. Anstatt in dem ohne Frage engen Korsett eigene Wege zu gehen, bleibt Horowitz zu sehr in den engen Maschen hängen und präsentiert mit in seinem ersten Sherlock Holmes Roman eine solide Kopie, die aber über kein echtes eigenständiges Herz verfügt.    

Da Horowitz eher bemüht versucht, aus dem eiskalten Mörder einen Vollblutagenten mit Respekt vor dem Leben seiner Gegner zu machen, wirkt „Trigger Mortis“ – der Titel ist ein Hinweis auf den zugrundeliegenden Plot, der im Prolog beginnt und die potentielle Gefahr zu schnell impliziert – wie ein Zwitter, der im Nirgendwo zwischen der sich nur bedingt rückbesinnenden Kinoserie und vor allem den letzten, modernen James Bond Romanen gefangen insbesondere Fleming Anhänger solide, aber nicht inspiriert unterhalten wird. Am Ende wird „Trigger Mortis“ wie „Colonel Sun“ ein nicht perfektes Kuriosum in dem immer weiter vorwärts strebenden James Bond Universum bleiben, das den Flair der fünfziger Jahre zu beschwören sucht. Ausgesprochen stringent mit einigen für Flemings Vorlagen ungewöhnlichen Entwicklungslängen ist dieser neue James Bond zusammenfassend eine perfekte und perfektionierte Hommage an Ian Fleming, während Horowitz selbst mit seiner Alex Rider Serie in vielen Punkten bewiesen hat, das Bond auch ein Charakter für dieses angeblich aufgeklärte 21. Jahrhundert sein könnte.  

Cross Cult

Erscheinungsdatum: 08.09.2015

13,5x20,5, PB, sw, 380 Seiten, 
ISBN 978-3-86425-774-2
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