Michael K. Iwoleit vereint in dieser Essaysammlung neben einem kontroversen Vorwort von Horst Pukallus insgesamt acht sekundärliterarische Arbeiten, die er in den letzten Jahren für diverse Magazine oder Kompendien geschrieben hat. Der Untertitel „Acht Essays zur Short Science Fiction“ engt dabei das Feld relativ stark ein, denn neben einer Positionierung der Kurzgeschichte als wichtiges Ausdrucksorgan der Science Fiction mit sehr viel mehr inhaltlicher wie stilistische Qualität als der Roman sucht Michael Iwoleit in seinen Autorenbeiträgen noch Zusammenhängen, roten Fäden und schließlich auch vermeintlichen Widersprüchen. Dabei ist die Kurzgeschichte immer präsent, aber nicht allgegenwärtigen. Natürlich lässt sich ein Autor wie David . Masson mit knapp zwei Handvoll ausschließlicher Kurzgeschichten schwer mit einem James Ballard oder Phillip K. Dick vergleichen, die viele Ideen in der Kurzform entwickelt, in der Langform aber perfektioniert haben. In der Struktur ähneln sich positiv wie stellenweise auch negativ die Essays. Über verschiedene Publikationen verteilt fällt die Statik weniger ins Gewicht als in der vorliegenden Ballung. Natürlich ist es wichtig und elementar, die negativen Erfahrungen der Jugend während des Zweiten Weltkriegs in Ballards späterem Werk zu suchen und vor allem auch zu finden. Michael Iwoleit arbeitet hervorragend heraus, dass Ballards innere Welt im Grunde von seiner Jugend über die beiden Biographien hinaus geprägt worden ist und der Zerfall der Zivilisation in seinen in den sechziger Jahren utopisch nihilistischen Romanen im Grunde eine Extrapolation seiner Beobachtungen im Shanghai der dreißiger Jahre vor allem nach dem japanischen Überfall und der entsprechenden Besetzung ist. Aber warum immer wieder nach den Eingangsthesen den Lebenslauf der Autoren im Zeitraffer noch einmal zusammenfassen? Bei Masson und Carter Scholz ist es wichtig, da beide Autoren inzwischen in Vergessenheit geraten sind. Bei Ballard ist es durch die Verflechtung von Vergangenheit, der Gegenwart und schließlich der nahen Zukunft auch ein Muss, aber insbesondere bei Philip K. Dick kann Michael Iwoleit einem wissenden Publikum keine neuen Informationen präsentieren und das Essay zu Greg Egan leidet unter der fehlenden Vollendung. Es ist schade und eine vergebene Chance, wenn Michael Iwoleit über die Weiterentwicklung der literarischen Stimme Greg Egans – das Essay stammt aus dem Jahre 2002 – spekuliert, die Bühne der Buchveröffentlichung aber nicht nutzt, um den Artikel wie alle Arbeiten dieser Sammlung vorsichtig zu überarbeiten, aber in Greg Egans Fall nicht zu erweitern und die inzwischen fast eine halbe Generation alten Beobachtungen an den späteren Veröffentlichungen zu überprüfen. Da Greg Egan der einzige noch lebende und vor allem publizierende Autor ist, wäre es eine perfekte Chance gewesen.
Unabhängig von der Statik des Aufbaus sind Michael Iwoleits Beobachtungen aber interessant und teilweise wichtig für das Genre. Liest man Horst Pukallus Vorwort hinsichtlich der „Mythen der Gegenwart“ – nur der Western ist öfter als überholt begraben worden als die Science Fiction – verwundert es doch, das hier der Science Fiction die Grundlage entzogen wird, obwohl der Leser erstens in der Welt der SF (globale Kommunikation, ständig wachsende Vernetzung und dank oder leider hinsichtlich der sozialen Netzwerke die Ausschaltung des Individuums ) lebt und zweitens das Genre sich nicht zuletzt dank der Möglichkeit, über die Grenzen der angloamerikanischen und auch der europäischen Science Fiction hinaus zu schauen weiterentwickelt. Spätestens mit der Vergabe der wichtigsten von Amerikanern dominierten Science Fiction Preise an einen chinesischen Roman sind viele Grenzen überwunden worden. Horst Pukallus bemüht sich wacker, mit seinen Thesen Überzeugungsarbeit zu leisten, aber wie Michael Iwoleit im Schwächsten seiner Essays dieser Sammlung dreht er sich im Kreis. Auch „Ein Tribut an die Science Fiction Story“ hätte faszinierender und vor allem pragmatischer sein können. Michael Iwoleit ist ein überdurchschnittlicher Kurzgeschichtenautor, der seine erzählerischen Stärken in allen literarischen Formen bis auf den Roman bestens zur Geltung bringen kann. Sobald seine Arbeiten eine bestimmte Länge überschreiten, sinkt leider die Qualität. Selbst verzeihliche Tricks, bestimmte Novellen auf die Länge eines Romans zu bringen, in dem der Autor einen langen Rückblick in der Mitte platziert, nehmen ihrem Inhalt die ohne Frage vorhandene Brillanz. In seinem Essay spricht bzw. schreibt er davon, wie schwierig es ist, in der Kürze der Short Story zu erzählen und nicht dem Schwafeln in Romanform zu verfallen. Alle seine Argumente sind richtig, aber aus seiner persönlich subjektiven Perspektive wäre es interessant gewesen, den Umkehrschluss zu ziehen. Michael Iwoleit steht nicht alleine. Viele sehr gute Kurzgeschichtenautoren sind schlechte Romanschriftsteller gewesen. Auf der anderen Seite fällt es einigen nicht schlechten Romanautoren schwer, die Gedanken so weit zu konzentrieren und zu fokussieren, dass alles auf dreißig Seiten passt. Fair wäre es gewesen, beide Seite objektiver zu betrachten, denn viele auch inhaltliche gute und interessante Kurzgeschichten sind unabhängig von den bei den Autorenportraits wie Masson oder Scholz mehrfach erwähnten Instrumenten der Verdichtung zu oberflächlich, lassen die einzelnen Protagonisten nicht dreidimensional erscheinen und fürchten sich, Antworten für die aufgeworfenen Fragen zu liefern. Auf der anderen Seite gibt es ausreichend Romane, die ohne Frage zu lang und zu langweilig, zu kommerziell konstruiert sind, um den Intellekt des Lesers anzusprechen. Damit aber die Essays in dieser Sammlung „funktionieren“, braucht Michael Iwoleit weniger die Antithese als die eigentliche These. Dazu sucht sich der Autor eine Reihe von auch schriftstellerisch sehr unterschiedlichen Autoren, wobei der Schwerpunkt mit Masson, Scholz, Ballard und Dick auf den Autoren liegt, die direkt oder indirekt dem New Wave ihre Karriere verdanken. Es sind die unterschiedlichen Blickwinkel, welche die Arbeiten aber modern und gleichzeitig periodisch respektvoll eingeordnet erscheinen lassen. Während Michael Iwoleit in James Ballards Werk nach den Ursprüngen sucht und dabei feststellt, das die Wurzeln der Werkes näher an der gelebten Realität sind als zunächst oberflächlich gedacht, sind es die Selbstinszenierungen und damit verbunden die Selbstironie in Dicks Werk, welche in der Theorie im Mittelpunkt dieses Essays stehen. Aber während Dick eher ein expressiver bis paranoider, sich hinter seinen Marotten versteckender Autor gewesen ist, erscheint Ballard als ruhig und isoliert. Beide Männer haben aber nicht nur in ihren Kurzgeschichten, sondern vor allem auch in ihren Romanen – und diese nehmen einen großen Teil des vorhandenen Raums ein – in erster Linie sich selbst im Widerspruch zur Umwelt gesehen. Vielleicht ist über Dicks Werk zu viel geschrieben worden, als das diese Vorgehensweise abschließend befriedigend funktioniert, aber bei Ballard kann Michael Iwoleit sehr viel besser und vor allem nachhaltiger die wichtigen Themen seines Werkes in einem engeren Zusammenhang mit Ballards Jugend und Reifeprozess stellen.
Es fällt ohne Frage schwerer, neue Ideen zum Werk eines bekannten Autoren zu präsentieren, aber diese Herausforderung ist reizvoller, während Michael Iwoleit sich hinsichtlich David I. Massons und mit Einschränkungen auch Carter Scholz sehr viel offensiver positioniert und deren im Vergleich zu anderen Autoren schmales Werk gerade zu in den Himmel lobt, wobei insbesondere Massons Werk noch stärker als bei anderen Autoren Geschmackssache ist und die in der Ullstein Reihe unter der Herausgabe von Ronald M. Hahn veröffentlichte Sammlung „Hinter den Grenzen der Zeit“ viele Stärken, aber auch einige von Iwoleit anders interpretierte Schwächen des Autoren zeigt. Wenn Masson davon spricht, im Grunde alles mit seinen zehn Kurzgeschichten bzw. kurzen Novellen geschrieben zu haben, dann hat der Recht und Unrecht zu gleich. Seine im Grunde absurden, so sehr zu „New Worlds“ gehörenden Kurzgeschichten verfügen über sehr viel Potential, aber objektive Leser können ihm auch nicht absprechen, manchmal die Form über den Inhalt gestellt zu haben. Wenn Michael Iwoleit wie bei seinem Essay über Carter Scholz davon ausgeht, das jedes Wort Absicht, jeder Satz lange geplant ist, dann wirkt diese Argumentationskette am Ende der Artikel auch abgenutzt und fordert den Leser förmlich heraus, dagegen an zu argumentieren und die potentiellen Schwächen in den Kurzgeschichte zu suchen. Natürlich sucht Michael Iwoleit Motive und diese Gedankenkette erlaubt es ihm auch, einzelne Kurzgeschichten entweder zu ignorieren oder in den „Hexenkessel“ des Gesamtwerkes nebenbei erwähnt fallen zu lassen. Masson ist ein talentierter Autor mit einer scharfen Zunge gewesen, aber manchmal fehlt ihm die Disziplin, aus den Ideen auch wirklich gute Geschichten vor allem mit überzeugenden Charakteren zu machen. Bei Carter Scholz sucht der Autor neben den ohne Frage satirischen Elementen eher nach Quellen. Interessant ist, das immer wieder Name Kafka fällt. Die Isolation der Protagonisten schließlich in ihrer eigenen Welt, während zum Beispiel „Der Zauberberg“ von Thomas Mann als Idealbild einer sich absichtlich von der Welt isolierenden Minigesellschaft vor allem auch mit einem Weltkrieg zu ihren Füßen ignoriert wird. Viele der Kurzgeschichten, aus denen Michael Iwoleit reichlich zitiert, erinnern genauso an Thomas Mann wie an Kafka. Vielleicht liegt es in der Tatsache begründet, dass Thomas Mann eher als Romanautor gesehen wird, obwohl seine Kurzgeschichten teilweise bemerkenswert gewesen sind, während Kafka als Meister der kurzen paranoiden, sich selbst ins Absurde führenden Prosa auch heute unvergessen erscheint?
Mit Theodore Sturgeon verfügt der Autor über ein ideales, vielleicht auch idealisiertes Spielobjekt. Während er bei Dick die Selbstironie, die fast krankhafte Übersteigerung nicht nur des eigenen Ichs, sondern vor allem das Empfinden sowie die Reaktionen der Umwelt ausgerechnet in einem Zirkus der Eitelkeiten herausarbeitet, ist Theodore Sturgeon am Ende seiner Karriere gezwungen, für Hollywood zu arbeiten,. Sturgeon gesteht Iwoleit alleine die wage Chance zu, als talentierter Kurzgeschichtenautor im Grunde die Meister des jeweiligen Jahrzehnts entweder überlebt oder überschrieben zu haben. Natürlich fordert ein Vergleich mit Weinstein oder Kornbluth heraus, aber niemand weiß wirklich, ob nicht auch diese aufgrund ihrer kurzen Lebenszeit und Schaffenszeit erwähnenswerten Kurzgeschichtenautoren später ihrer künstlerischen Krisen genommen hätten. Während Masson im Grunde als Meister des Absurdum, als Prophet des Subgenres Zeitreise und als Genie des geschwungenen Wortes gerade zu vergöttert wird, geht Iwoleit mit Sturgeon auf der anderen Seite härter, vielleicht nicht immer fair ins Gericht. Hinsichtlich seiner langen Schaffensperiode hat Sturgeon wie Iwoleit zugibt sehr viele gute Geschichten geschrieben. Aber die meisten seiner Texte sind mindestens unterhaltsam gewesen, was man nicht jedem Autoren zugestehen kann. Während das abschließende Essay über Lucius Shepard wieder das Leben des Autoren in den Mittelpunkt rückt und verschiedene Strömungen wie bei Ballard oder Dick objektiver untersucht, wirkt die Hassliebe zu Sturgeon deutlich nach. Iwoleit sieht ihn als einen wichtigen, aber auch überschätzten Autoren, der nicht selten von „Geschenken“ profitierte und durch seine langen Schreibblockaden ein erratisches Werk hinterlassen hat. Interessant ist, dass ausgerechnet bei Sturgeon die literarischen Stärken wie das „auf den Punkt bringen“ hinsichtlich seines schwachen Romanwerkes gleichzeitig seine größere Angriffsfläche ist. Viel zu hektisch, zu wenig hartnäckig genug leiden seine Romane eben unter den fehlenden Einfällen, während „More than Human“ im Grunde eine Zusammensetzung aus verschiedenen kürzeren Texten ist. Bei Lucius Shepard vermisst der Leser am Ende die Auseinandersetzung mit dem semirealistischen Werk. Ballard wird das Ausbrechen aus dem Genre zugestanden, Dick hat es nie wirklich versucht. Shepards Spätwerk bestehend immerhin aus zwölf sehr unterschiedlichen Romanen streift Michael Iwoleit mehr. Sein Interesse liegt eindeutig auf Shepards Frühwerk, das deutlich von Kurzgeschichten und darauf aufbauend aus ihnen extrapolierten Romanen aufgebaut ist. Kritisch, aber auch ein wenig distanziert fasst Iwoleit verschiedene Entwicklungen zusammen und scheitert teilweise an den Details, während seine kurzen Zusammenfassungen zu einer kritischeren Auseinandersetzung förmlich einladen.
Um den Bogen zu dem auf Carter Scholz Kurzgeschichten basierenden Titel „Reductio Ad Absurdum“ zu schlagen. Michael Iwoleit sucht nicht nur Stärke in der Kürze. Obwohl die Kurzgeschichte für ihn ein wichtiger, heute vernachlässigter Bestandteil des Genres ist, dient sie ihm als Sprungbrett, um über deren Werke verschiedene Autoren vor allem aus unterschiedlichen Epochen des Genres – hier seien Sturgeon für vier Jahrzehnte, Dick anschließend zusammen mit Ballard bis in die achtziger Jahre bzw. das 21. Jahrhundert genannt und Shepard eben als einer der talentiersten Science Fiction Autoren mit seinem Schaffensbeginn in den achtziger Jahren, während Massons Werk zu schmal und Carter Scholz eher widerwillig dem Genre zugeordnet worden sind - im Grunde sich selbst und dann dem Leser vorzustellen. Immer wieder verschwimmen positiv die Grenzen zwischen der in dieser Essaysammlung überschätzten Form der Kurzgeschichte und verbinden sich mit gut geschriebenen, aber kompakten Romanen zu einer expressiven, manchmal zu absolutistischen und leider auch teilweise unkritischen Auseinandersetzung mit den Menschen an sich, wobei Iwoleit positiv wie negativ die neutrale Position des „Chronisten“ und einhergehend des analysierenden Kritikers verlässt, um zu persönlich und damit selbst angreifbar zu werden. Es ist schade, dass insbesondere das Greg Egan Essay nicht überarbeitet worden ist, aber in der vorliegenden hier versammelten Form laden alle sieben Autorenessays inklusiv der zahllosen Hinweise dazu ein, in die Vergangenheit des Genres einzutauchen, um Horst Pukallus liebevoll zu widersprechen, die Zukunft zu finden. Und alleine die elektronischen Medien haben dieser auf den ersten Blick so leichten und doch perfekt kaum zu beherrschenden Form Erzählart zu einer neuen Blüte verholfen, so dass es Zeit wird, zurück zu schauen. Und diese von einem interessanten Titelbild Helmut Wenskes eingeleitete, reichhaltig bebilderte Sammlung aus dem „Dieter von Reeken Verlag“ stellt einen subjektiven, aber interessanten Startpunkt dar, der trotz aller Kritik oder konträrer Meinung dank Michael Iwoleits Erfahrung als Kurzgeschichtenautor ausgesprochen lebendig wirkt.
Acht Essays zur Short Science Fiction aus den Jahren 1993–2012
Klappenbroschur, 240 S., 25 Abb., mit einem Vorwort von Horst Pukallus, Titelbild von Helmut Wenske
Verlag Dieter von Reeken— ISBN 978-3-945807-01-9