Wild Cards- Spiel der Spiele

George R.R. Martin, Wild Cards, Das Spiel der Spiele, Rezension
George R.R. Martin (Hrsg.)

Auch wenn das Titelbild von „Wild Cards  - das Spiel der Spiele“ sehr viele Anspielungen auf George R.R. Martin und seine erfolgreiche als „Game of Thrones“ verfilmte Fantasy Serie enthält, handelt es sich bei „Das Spiel der Spiele“ – im Original steht im Mittelpunkt eine Reality Game Show – um den ersten Band einer weiteren, im Wild Cards Universum spielenden Serie. Vorkenntnisse sind nicht unbedingt notwendig, aber sie helfen den Lesern, mit einigen Figuren aus der ursprünglichen, immerhin zwölf Mosaikarbeiten umfassenden Serie umgehen zu können. Alleine die Erwähnung von bekannten Protagonisten wie Peregrine oder Fortunato hilft den Neueinsteigern nicht. In den USA sind die ersten sechs Bände der ursprünglichen Reihe gleich nachgedruckt worden. In den achtziger Jahren ist die „Wild Cards“ Serie von einer Reihe in New Mexico lebenden Autoren um George R.R. Martin und seine Assistentin Melinda M. Snodgrass entwickelt worden. Neben den zwölf ursprünglichen Bänden erschien eine Trilogie bei BEAN in den neunziger Jahren, dazu zwei weitere nicht von Martin mit gestaltete Romane, daneben eine Comicminiserie und ein neues Abenteuer. Die Bücher setzen sich aus einzelnen, von unterschiedlichen Autoren wie Roger Zelazny, Lewis Shiner, Walter Jon Williams, Pat Cadigan oder Howard Waldrop verfassten Kurzgeschichten und Handlungsbögen zusammen, die durchaus mehr als ein Buch umfassen konnten.  Hinzu kamen einige allein stehende Romane. Seit der Erstveröffentlichung 1987 sind nicht nur in der Realität, sondern vor allem im Bereich der Superheldengeschichten gefühlt Äonen vergangen. Inzwischen haben Comicautoren wie Kurt Busiek mit „Astro City“, die wundervolle Serie „Marvels“ oder mit Einschränkungen auch „Kingdom Come“ gezeigt, wie man die tragischen Lebensgeschichten der „Helden“ mit ihren heroischen Taten exzellent verbinden kann. So basierte der auch in „Das Spiele der Spiele“ anfänglich als letzter Toter einer untergegangenen Ära bezeichnete Jetboy auf dem Charakter Airboy, einer Figur der heute vergessenen Hillmann Periodicals. Neil Gaiman wollte dem Universum eine Figur hinzufügen, die in ihren Träumen lebt. Da er bis dahin keine nennenswerten Comicveröffentlichungen vorzuweisen hatte, lehnte Martin anscheinend eine Zusammenarbeit ab. So entstand „The Sandman“.       

Interessant an „Das Spiel der Spiele“ ist, dass die Idee der Mosaikgeschichte ein wenig anders aufgegriffen worden ist wie in der ursprünglichen Serie. Im Mittelpunkt steht lange Zeit die neue „Reality“ Show „American Hero“, in dem aus den vielen Assen und nur wenigen Jokers der neue amerikanische Held in Form einer bekannten Casting Show unter der Leitung Peregrines gefunden werden soll. Der Castingprozess, das Teambuilding, das Herauswählen von einzelnen Mitgliedern, die verschiedenen Aufgaben werden den Zuschauern aus den gegenwärtigen Programmen nur extrem übersteigert bekannt vor kommen. Da die Fähigkeiten der einzelnen Asse nicht immer den klassischen Ansprüchen an Superhelden entsprechen, eröffnet sich hier ein ausreichendes Potential. Vom Trommler mit sechs Armen/ Händen über eine sympathische junge Frau, die in erster Linie „Löcher“ buddeln kann, ein Chamäleon oder einen Mann bestehend aus Wespen ist alles dabei. Martin und seine Mitautoren nehmen sich viel Zeit, die unterschiedlichen Figuren als Menschen und weniger als Helden zu entwickeln. Das nach dem Krieg ausströmende außerirdische Virus – hier greift Daniel Abraham die Grundidee des „Wild Cards“ Universum in einem lakonisch geschriebenen Internetblog wieder auf und fasst die Ereignisse auf eine fast zynische Art und Weise zusammen – hat nicht nur die Welt verändert, sondern die Menschen im Grunde in drei Klassen – Joker, Asse und schließlich Unveränderte – aufgeteilt, während aber die historische und bekannte Geschichte mit nur wenigen Abweichungen sich in bekannten Bahnen  entwickelt hat. Mit einer offensichtlich Kritik am gegenwärtigen, nach Sensationen greifenden Fernsehen und ihrer Menschenverachtung zeigen die Autoren den Ausleseprozess, den Verzicht auf Privatsphäre und schließlich die finale Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie stellen dar, warum sich die Begabten dieser Selbstkasteiung aussetzen und was sie sich erhoffen. Vielleicht wäre es an einigen Stellen sinnvoller gewesen, noch mehr in die Details zu gehen, aber die einzelnen Szenen in einem phantastischen Ambiente sprechen für sich. Im Vergleich zur alten Serie sind es überwiegend neue Figuren, die aus der deutlich kälteren Umgebung des 21. Jahrhunderts heraus entwickelt werden. Um die Gameshow mit ihrer Manipulation des Publikums herum haben die Autoren einen weiteren, erst in der zweiten Hälfte relevanteren, für die Comicwelt aber zugänglicheren Handlungsfaden gesponnen.

Gleich zu Beginn wird ein neuer fanatischer islamistischer Führer einer neuen Rebellensplittergruppe von einem As auf eine interessante Art und Weise im Auftrag bis dahin im Hintergrund agierenden, aber wahrscheinlich amerikanischen Geheimdienstorganisation in seinem Zelt ermordet. Das Kommandounternehmen wird sehr packend beschrieben und die einzelnen Actionszenen erinnern mehr an die gegenwärtigen Superheldenverfilmungen in Kombination mit James Bond als die alten „Wild Cards“ Bücher. Später flieht Peregrine und Fortunatos Sohn in den Fernen Osten, wo er mit einem alten Amulett gegen die neuen alten Geister kämpfen muss. Es ist allerdings eine deutliche Schwäche dieses Buches, dass die Autoren das Potential eines Sohns der beiden charismatischen, die alten Serie dominierenden Figuren im vorliegenden Buch so wenig haben können. Natürlich soll er im Schatten seiner Übereltern absichtlich blass und willenlos erscheinen, aber der Sprung zwischen den beiden Handlungsbögen ist ein wenig zu groß und der Kontrast zwischen der harten, brutalen Realität und dem Spielplatz der Fernsehshow hätte noch ambitionierter und vor allem dreidimensionaler entwickelt werden können. Wenn die Asse und Joker gegen Inkarnationen  der alten Götter stellvertretend anscheinend für eine neue Radikalisierung des Islam zu Felde ziehen und trotz ihrer Heldentaten auf dem Feld einer eher zwiespältigen Ehre sterben, dann wirken diese blutigen und brutalen, chaotischen Szenen interessant beschrieben, aber der grundlegende Bruch im Handlungsbogen interessanterweise durch George R.R. Martins Novelle ist nicht zu übersehen. Wenn am Ende die Irrealität der „American Hero“ Show auf den Unglauben angesichts der Toten trifft, wandelt der Roman auf einem schwierigen Grad. Den amerikanischen Pathos in Kombination mit jeglicher politischer Blindheit vor allem in einer Hommage an Superheldencomics zu beschreiben, ist schwierig. Aber nicht unmöglich. Die angebotene Lösung ist plötzlich verblüffend einfach und könnte in einer Satire die im Nahen Osten herrschende Verehrung von angeblichen Märtyrern und Volksverführern unterminieren. Alleine sie wirkt zu wenig konstruiert und vor allem effektiv vorbereitet, sondern erscheint aus der Not heraus geboren worden zu sein, diesen Mosaikroman zum Abschluss zu bringen.

„Das Spiel der Spiele“ ist mit den angesprochenen Einschränkungen ein interessanter „Neuanfang“ für das „Wild Cards“ Universum, wobei dem Roman unabhängig von der teilweise bitterbösen Satire auf die amerikanische Fernsehindustrie über weite Strecken die melancholische Tragik fehlt, die insbesondere die ersten Serie auszeichnet. Die Figuren sind solide, aber ausbaufähig charakterisiert. Als Mosaikroman von George R.R. Martin aber sehr gut zusammengestellt mit einer stringenten, ineinander verwobenen und kurzweilig zu lesenden Handlung. Die Schwäche ist das zu überstürzte und zu wenig vorbereitete Ende.  

 

 

Originaltitel: Wild Cards 1. Inside Straight
Originalverlag: Tor Books, New York 2008
Aus dem Amerikanischen von Simon Weinert

Deutsche Erstausgabe, Penhaligon Verlag

Paperback, Klappenbroschur, 544 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-7645-3127-0