Mit „Der Killer“ – im Original „Beware“ – aus dem Jahr 1985 liegt ein weiteres Frühwerk Richard Laymons auf Deutsch vor. Viele Aspekte wird der Amerikaner in seinen zukünftigen Romanen immer wieder verwendeten. Eine junge entschlossene Heldin; eine Alltagssituation, die eskaliert und schließlich noch eine zweite Handlungsebene, die lange Zeit konträr zum Hauptplot verläuft, aber am Ende wieder zusammenpasst.
In einer so typischen wie teilweise auch klischeehaften amerikanischen Kleinstadt ist der lokale Supermarkt lange vor der Dominanz der Malls ein Mittelpunkt der Gemeinde. Aus dieser Normalität heraus reihen sich teilweise anscheinend übernatürliche Elemente einander. Ein Hackebeil fliegt anscheinend aus dem Nichts heraus durch die Luft. Der Hund eines örtlichen Polizisten wird zerstückelt wieder aufgefunden und eines nachts als die Journalistin Lacy Abends in dem kleinen Supermarkt einkaufen will, findet sie die Ladenbesitzerin enthauptet vor. Sie wird von dem Killer angegriffen und wie es sich für Richard Laymon gehört, auch vergewaltigt. Schwer verletzt flieht sie in Panik aus dem kleinen Ort – der Roman spielt in der Zeit vor der Dominanz der Handys, was sich ein heutiger Leser in einigen relevanten und deswegen auch so spannenden Passagen immer vor Augen halten muss - in ein kleines Hotel vor der Großstadt. Sie ahnt erstens nicht, dass der Killer ihr folgt und zweitens, dass der junge Mann namens Scott, den sie dort trifft, ihr zwar helfen will, mit der Situation aber hoffnungslos überfordert ist.
An dieser ganzen Auftaktsequenz ist vieles insbesondere für einen Laymon Roman interessant. So scheint der Killer unsichtbar zu sein. In der Zwischenzeit haben verschiedene Bücher und Filme diese Idee aufgegriffen und wie in „Hollow Man“ ebenfalls ausgenutzt. Aber im Vergleich zu der Veränderung des Versuchskaninchen in Paul Verhoevens Film handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Erklärung für die Unsichtbarkeit des Killers, sondern sie steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem örtlichen Kult, der ein gänzlich anderes Interesse hat, den psychopatischen Killer wieder einzufangen. Auf den ersten Seiten spielt Richard Laymon wie schon impliziert mit den Urängsten seiner Leser. Eine Alltagssituation, die mehr und mehr außer Kontrolle gerät. Alle Menschen in der kleinen Stadt sind überfordert und stehen den kontinuierlich stärker und brutaler werdenden Gräueltaten hilflos gegenüber. Ordnungskräfte wie die Polizei sind nicht nur nicht präsent, sie agieren hilflos. In vielen späteren Richard Laymon Thrillern propagiert er immer wieder ein wenig verspielt und übertrieben, durch die brutale Gewalt überdeckt den amerikanischen Geist der Selbstverteidigung. In nicht einem seiner markanten Thriller ist es die Polizei als Ordnungsorgan – Individuen, die sich selbstlos opfern, seien hier ausgenommen -, die einen der Täter fassen und vor allem die Öffentlichkeit schützen kann. Entweder glauben sie die Entwicklung nicht oder sie kommen schlicht zu spät. Viele dieser späteren allerdings auch kritisch gesprochen zu Mechanismen ausgebauten Züge finden sich in diesen frühen, jetzt auch zur Verfügung stehenden Thrillern wieder. Interessant ist alleine, dass Laymon zumindest einen Kompromiss gegenüber seinen Lesern einführt. Da Scott mit der Situation hoffnungslos überfordert ist, bietet er einen Freund, ihm zu helfen. Dieser entpuppt sich als ein erfahrener, nicht unattraktiver Detektiv, der schließlich die kleine Gruppe anführt. Auf diese Art der Figuren wird der Autor in seinen späteren Werken verzichten.
Im Gegensatz zu seinen späteren Romanen, in denen Richard Laymon immer wieder rote Fäden und ganze Charaktere verloren hat, wirkt „Der Killer“ nicht nur deutlich kompakter, sondern intelligenter und ambivalenter geplant. Konzentriert baut der Autor nach einigen an Stephen King erinnernden Exkursen in das Herz des amerikanischen Westen des Plot aus. Zu seinen Stärken gehören die sich langsam entwickelnde Beziehung zwischen der geschockten und aus ihrer Umgebung gerissenen Lacy und Scott. Obwohl sie durch verschiedene Traumata gehen, sind Richard Laymons Frauen immer stark, aber niemals dominant. Sie wachsen an den Aufgaben und entwickelten ungeahnte Überlebensfähigkeiten. Sie sind nicht unsympathisch oder überlebensgroß. Auch wenn ihm immer wieder Sexismus und vor allem Brutalität gegenüber Frauen vorgeworfen wird, gehört Laymon zu den Autoren, die insbesondere in der frühen bis mittleren Phase seines Werkes eine interessante Balance zwischen Gewalt gegen Frauen und ihrer umgehenden Revanche erreicht haben. Lacy gehört zu diesen selbstständigen Frauen. Als Reporterin hat sie bislang immer Ereignisse berichtet, als Opfer muss sie selbst aktiv werden. In ihrer vielleicht ein wenig zu plötzlich zu entwickelnden Beziehung zu Scott nimmt sie wieder eine eher weibliche, leicht untergeordnete, aber nicht devote Haltung ein. Dagegen wirken die Männer immer sympathisch und bodenständig. Nicht selten entpuppen sie sich schließlich als die schlimmste Bedrohung, die den Frauen noch einmal den Boden unter den Füßen wegzieht. Bei den erotischen bis sexuellen Szenen spannt Richard Laymon für einen so kurzen Roman den ganzen Boden. Von der unsichtbaren Vergewaltigung – ebenfalls eine Idee, die sich in „Hollow Man“ wieder findet – über normalen Sex bis zu einer fast zwanzig Seiten umfassenden Orgie des Kults ist alles vorhanden. Dabei geht Richard Laymon so weit, wie es ein an härtere Sachen gewöhntes Mainstreampublikum noch akzeptieren würde.
Immer wieder wird die Idee in seinem ganzen Werk verwandt, dass der „Täter“ sich in erster Linie Opfer aussucht, die er gerne haben möchte, aber niemals in einer fairer Beziehung haben kann. Also bringt er sie in seine Gewalt und versucht sie zu dominieren und schließlich auch zu brechen. Nicht selten bleibt es bei den Versuchen, die als Katalysator für eine Plotdrehung dienen. In manchen Fällen wirkt die Konstruktion ein wenig zu konstruiert. In „Der Killer“ dient es als Mittel zum Zweck, um Lacy in größere Gefahr zu bringen.
Mit ihrer Flucht, die schließlich über Las Vegas in die Wüste führt, beginnt die zweite Hälfte des Romans. Zu den Schwächen des Romans gehört, dass Richard Laymon bis auf die Orgie mit dem Kult und der sie anführenden hexe zu wenig anfangen kann. Spärlich sind die Informationen. Hier wäre es sinnvoll, dieser Gruppe einen entsprechenden Hintergrund zu geben, zumal die Idee, einen unsichtbaren Killer durch Hexerei und Magie ohne wissenschaftliche Forschungen zu erschaffen, ausgesprochen bizarr, aber auf jeden Fall ausbaufähig ist.
Technisch gesehen baut Richard Laymon auf unterschiedliche Erzählperspektiven. Whrend er in seinen späteren Arbeiten auch unter Ignoranz der Einschränkungen immer wieder auf die Ich- Erzählerebene zurückgegriffen hat und aus dieser Subjektivität seine Geschichten spannend und teilweise ohne Kompromisse – der Ich Erzähler kann auch sterben – nachhaltig entwickelt hat, versucht er es mit unterschiedlichen Erzählebenen. Dieses Experiment funktioniert teilweise nicht so gut und angesichts der komprimierten Handlung muss sich der Leser an einigen Stellen immer wieder neu orientieren. Interessant ist auch, dass insbesondere die brutalen Stellen zwar intensiv, aber auch irgendwie distanziert verfasst worden sind und man noch nicht so stark in das Geschehen involviert worden ist. Das Ende ist zufrieden stellend, wenn auch ein wenig abrupt. Insbesondere im Vergleich zu einigen anderen zu hektisch niedergeschriebenen Büchern versucht Richard Laymon die teilweise originellen, aber auch überdrehten Ideen am Ende zu bündeln, wobei manche Szenen zu sehr an Versatzstücke erinnern als das sie wirklich natürlich eingebaut worden sind. Wie das Auftauchen von Scott und seinem Freund genau im richtigen, aber auch konstruierten Moment. Sein Hang zur Wiederholung bestimmter Sequenzen – Frauen auf der Flucht, die schließlich in Vergewaltigung und Tod enden - wird durch das hohe Tempo teilweise relativiert und Richard Laymon bemüht sich im Gegensatz zu seinen späteren, sehr umfangreichen Werken diese Elemente effektiver einzusetzen und sie nicht als reines Füllmaterial zu verwenden, aber die Kompaktheit des Textes hebt sie leider deutlich negativer hervor als es vielleicht die Absicht des Autoren gewesen ist. Positiv dagegen muss herausgestellt werden, dass er zumindest aus einer altbackenen Idee – der Killer eines Kults – durch den Einsatz der Unsichtbarkeit etwas Originelles, etwas teilweise bizarres, aber auch lesenswertes gemacht hat. „Der Killer“ gehört insbesondere im Vergleich zu einigen seiner wenig originellen, das Slasher Genre sklavisch imitierenden Frühwerken zu seinen besseren Arbeiten aus den achtziger Jahren. Nur auf der technischen Ebene – kein Intenet, keine Handys – merkt man dem Buch sein Alter an. Aber dieser Aspekt ist auch positiv, so kann Richard Laymon einige heute unwahrscheinlich erscheinende Klippen beim Handlungsaufbau umschiffen und seine Figuren auch glaubhaft isolieren. Phasenweise wirkt der Amerikaner auch überambitioniert und versucht zu viele konträre Ideen in seinen Plot zu pressen, was beim schnellen Lesen eher verwirrt als motiviert. Zusammengefasst ein Buch, mit dem Richard Laymon Kenner sehr viel anfangen können, das aber zum Einstieg nicht unbedingt geeignet ist.
- Verlag: Heyne
- 2015
- Ausstattung/Bilder: 2015. 288 S. 187 mm
- Seitenzahl: 288
- Heyne Bücher Nr.67645
- Deutsch
- Abmessung: 187mm x 121mm x 30mm
- Gewicht: 278g
- ISBN-13: 9783453676459
- ISBN-10: 3453676459
- Best.Nr.: 40791156