Schatten des Baumes

Piers Anthony

Mit "Schatten des Baumes" legt die Edition Phantasia einen von Piers Anthonys alleinstehenden Gruselromanen als Paperback mit einem schön gestalteten Titelbild vor. Im Gegensatz zum deutlich provokanteren "Firefly" ist "Schatten des Baumes" eher eine klassische Gruselgeschichte, die sich von King oder Koontz in erster Linie durch den allerdings pubertären Sex unterscheidet. Piers Athonys Romane zeichnen sich immer durch Stringenz und Witz aus. Beide Faktoren sind im vorliegenden Roman vorhanden, aber die Handlung wirkt zu gedehnt.

Josh Pinson hat seine Frau durch eine Straßenschießerei in New York verloren. Da kommt das Erbe eines exzentrischen Onkels gerade recht. Gemeinsam mit seinen beiden Kindern zieht er in die abgeschiedenen Wälder Floridas. In der kleinen in der Nähe liegenden Stadt gilt das jetzt geerbte Haus als verflucht. Pinson glaubt nicht an diese Gerüchte, aber kaum ist er mit seiner kleinen Familie eingezogen, geschehen merkwürdige und unheimliche Dinge.

Der Roman ist vom Amerikaner in den achtziger Jahren geschrieben worden, als explizierter Sex vor allem in Horror Romanen noch eine Seltenheit und für das prüde Amerika eine Provokation darstellte. Die Splatterpunks kamen erst später. Folgerichtig führt Anthony ein neunzehnjähriges Kindermädchen ein, das natürlich an Sexikonen wie Sophia Loren zu erinnern hat. Anthony gibt sich sehr viel Mühe, diese natürlich wunderschöne wie verruchte junge Frau als williges Spielzeug des Witwers vorzustellen. Die grundlegende Prämisse mit einem perfekten All American Girl wirkt eher wie eine Parodie auf den Cheerleader. Neben ihren körperlichen Vorzügen, auf die Anthony im Verlaufe des Buches noch expliziert eingehen wird, kann sie kochen, den Haushalt schmeißen und vor allem mit den nur wenige Jahre jüngeren Kindern hervorragend umgehen. Das sie sich einen älteren und erfahrenen Mann erträumt hat, wirkt aufgesetzt. Trotzdem gelingen Piers Anthony eine Reihe von sehr erotischen Verführungsszenen, die allerdings hinsichtlich der Übertreibung der anschließenden Sexszenen eher wie Wunscherfüllung eines deutlich älteren Mannes als es der Protagonist ist erscheinen. In "Firefly" hat Anthony mittels einer Elfe die Grenzen zur Kinderpornographie fast überschritten, im vorliegenden Buch muss er immer wieder betonen, dass das Kindermädchen ja schon neunzehn Jahre alt ist.
Auch Pinson wirkt zu eindimensional gezeichnet. Anfänglich der trauernde Witwer hat er natürlich kurze Zeit ein schlechtes Gewissen seiner ermordeten Frau gegenüber, das aber schnell relativiert wird. Das liegt ohne Frage auch an dem Einfluss des Baumes, der als „Deus Ex Machina“ Entschuldigung für manch sonderliches Verhalten rückblickend herhalten soll und kann. Aber Anthony macht es sich vielleicht bei der Zeichnung seiner Figuren insbesondere in seinen semirealistischen Romanen zu einfach. Schon in seinen Science Fiction Abenteuern neigte er zu Platitüdenhelden vor allerdings phantastischen Hintergründen, welche die Schwäche bei der Charakterisierung mehr als ausgeglichen haben. Dieses Gegengewicht fehlt insbesondere „Schatten des Baumes“. Pinsons emotionale Handlungen sind zu vorhersehbar, während er später in Bezug auf die Bedrohung jegliche Aktionen bis zum obligatorischen finalen Showdown einstellt. Die Beziehung zwischen der unnatürlich perfekt gezeichneten Kindfrau und dem Vater zweier Kinder wirkt wie für einen Sexroman geschrieben. Wenig Gefühle, wenig Nachdenken, ein Herauskitzeln der erotischen Reize in der Verführungsphase und schließlich endloser, natürlich perfekter Sex, der keiner Realität entspricht. Diese Wunscherfüllung überdeckt und entlarvt zugleich die Schwächen dieses nicht selten zu mechanisch herunter geschriebenen Buches.
Zumindest verzichtet der Autor bei den beiden Kindern auf Kitsch und Pathos. Auch zieht der Autor eine Grenze zwischen den beiden „Erwachsenen“ und den Jugendlichen. Sie finden ihre Babysitterin toll und anziehend, aber ihre „Begierde“ bewegt sich auf einem Kleine- Jungen- Niveau und wirkt insbesondere aus der Distanz von dreißig Jahren und einer sich komplett digital veränderten Medienwelt erfreulich platonisch bieder.
Zusammengefasst sind die „menschlichen“ Charaktere mit oder ohne Beeinflussung für einen Anthony Roman erstaunlich eindimensional bis unsympathisch.


Während die Elfen in "Firefly" den bzw. die Protagonisein entsprechend manipulierten, fehlt "Schatten des Baums" im Mittelteil die Logik. Pinson akzeptiert relativ schnell und angesichts der Vorgänge sogar nachvollziehbar, dass es anscheinend wirklich in diesem Anwesen spuckt und das ein übernatürlicher Einfluss das Haus und damit seine Bewohner in seinem Bann halten kann. Der Autor liefert aber keine Erklärung, warum Pinson angesichts der Vorgänge nicht aus dem ererbten Haus mit seinen Kindern und der Babysitterin zeitweilig auszieht und sich in Sicherheit bringt. Hier fehlt dem Roman ein wichtiger Zwischenschritt.

Unabhängig davon wirkt die Idee eines telepathisch begabten Baumes in der Theorie interessant und bizarr zu gleich. Die Fähigkeit Stephen Kings ist ohne Frage, absurd erscheinende Prämissen - siehe insbesondere "Christine" oder "Cujo" - in packende Romane zu übertragen. Anthony ist zumindest im vorliegenden Buch überfordert. Der Baum kann sich nicht bewegen. Also muss er Geister oder Zombies heraufbeschwören, die für ihn die Arbeit machen. Aufgrund seiner Unbeweglichkeit ist er aber auch während des Showdowns ein relativ leichtes Ziel, das unabhängig von den plottechnischen Schwächen des vorliegenden Buches mehrfach schon im zu langen und bis auf die Erotik phlegmatischen Mittelteil hätte beseitigt werden können.

Vieles läuft im vorliegenden Buch ausgesprochen mechanisch ab. Piers Anthony ist auf der anderen Seite aber auch ein routinierter Autor, der trotz der Unglaubwürdigkeit der Prämisse vielleicht keine durchgehende Spannung, aber eine Reihe von bedrohlich dunklen Szenen niederschreiben kann. Auch wenn die Leser weit im voraus im Vergleich zu den Protagonisten ahnen, in welche Richtung sich der Plot dieses Horror Romans nur entwickeln kann und entwickeln wird, gelingt es dem Amerikaner, eine beeindrucke Atmosphäre zu schaffen. Anfänglich wird Pinson mit seinen Kindern von den "Ausläufern" des telepathisch begabten Baumes förmlich in seinen Bann gezogen. Die Idee eines Baumes, der älter als die Menschen ist, ist faszinierend. Vieles erinnert oberflächlich an eine dunkle Variation seiner „Xanth“ Romane. Anstatt aber seine Phantasie weiter spielen zu lassen, bremst Anthony diese markante Entwicklung plötzlich wieder stark an, um sich dem ohne Frage spannenden, aber auch vorhersehbaren Showdown zu widmen.

Am Besten funktioniert der Plot, wenn Pinson wie ein „Fischer aus dem Wasser“ sich in der sprichwörtlich engstirnigen Kleinstadt zu Recht finden muss. Ein typischer Großstädter, der New York eher durch das Verbrechen an seiner Frau denn aus freiem Willen verlassen muss. Diesen Passagen fehlt aber der subversive Humor, der eine Reihe von Anthonys Büchern auszeichnete. Vielleicht hat sich Anthony zu sehr auf den als Ganzes unterentwickelten Plot konzentriert anstatt den Leser überzeugender in diese vertraute und doch fremdartige Welt einzuführen. Ähnlich verhält es sich mit dem altehrwürdigen Baum, dessen Geschichte ausführlicher und farbenprächtiger hätte beschrieben werden können.

Es ist schade, dass sich Anthony später in den schon mehrfach angesprochen, nicht einmal schlecht geschriebenen Sexszenen mit einem Hang zur Playboy/ Macho Übertreibung verfängt, anstatt die gute die Mythen der Vergangenheit in die Gegenwart übertragene Prämisse in überraschende Richtung weiter zu entwickeln.
"Schatten des Baums" ist leider der Piers Anthony Roman, dem man insbesondere heute sein Alter zu stark anmerkt. Tief verwurzelt im Horror der achtziger Jahre ist das Buch angesichts der präsentierten Handlung um mindestens fünfundzwanzig Prozent zu lang und verschenkt zu viel Potential. Dabei stecken einige wenige gute Ideen in diesem Roman. Ramsey Campbell Stoff von einem Richard Laymon Imitat ohne Splatter umgesetzt.

Piers Anthony: "Schatten des Baumes"
Roman, Softcover, 380 Seiten
Edition Phantasia 2013

ISBN 9-7839-3789-7486

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