
"Real- Phantasie" fasst die erste drei, Anfang der siebziger Jahre in der Reihe "Terra Astra" veröffentlichten und thematisch locker miteinander verbundenen Science Fiction Romane Hugh Walkers mit einer Kurzgeschichte zusammen. In einem zweiten Band erscheinen die anderen zwei, in unterschiedlichen Reihen erschienen Science Fiction Romane inklusiv der letzten Kurzgeschichten.
"Ruf der Träume" (Terra Astra 32, 1972) greift laut Herausgeber Peter Emmerich insbesondere Filmen wie "The Matrix" voraus. Andere Quellen sprechen davon, dass einige Ideen aus "Total Recall" - dabei ist eher die Kurzgeschichte Philip K. Dicks als die beiden Verfilmungen gemeint - recycelt/ variiert worden sind. Obwohl Dicks Kurzgeschichte erst deutlich später nach Deutschland übersetzt worden ist, könnte Hugh Walker die als Übersetzer gekannt haben. Vernachlässigt wird dabei hinsichtlich der virtuellen Realität ein ganz anderes Werk. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Romans erschien Fassbinders "Welt am Draht" auf den deutschen Fernsehschirmen, basierend auf dem Roman "Simulacron 3", der schon 1964 veröffentlich und vor Walkers Arbeit nach Deutschland übersetzt worden ist. Auch "The Matrix" oder "Dark City" beziehen sich direkt oder indirekt auf den heute noch lesenswerten virtuellen Realitätsroman aus der Feder des Amerikaners, den Damien Broderick nur durch seine Begriffsschöpfung Jahre später in einem Subgenre klassifiziert hat. Selbst wenn sich der heutige Leser "Ruf der Träume" mit dem Unwissen der Gegenwart nähert, wird er deutlich schneller als die Protagonisten den Handlungsverlauf des Buches erkennen und seine Schlüsse ziehen. Zu oft weißt Hugh Walker in seiner futuristischen Welt mittels Ausschlüssen - interstellare Raumfahrt ist nicht möglich, bis auf den unwirtlichen Mars keine zweite Welt gefunden, auf der Leben existieren kann - auf die einzige gangbare Lösung hin. Spätestens mit dem unfreiwilligen Auftauchen einer Zeugin wird die im Leser sich bildende Theorie verifiziert. Aber "Ruf der Träume" ist in erster Linie ein Marsabenteuer. Wie Ray Bradbury und Burroughs erschafft der Autor das Bild eines alten Planeten, auf dem sich menschliches Leben nur unter Schwierigkeiten ansiedeln kann. Die vergessenen wandernden Städte mit ihren Kaktuskernen sind surrealistisch bis bizarr, die Melancholie der langen Marswinter erdrücken die Seele und wenn der Leser zusammen mit dem Protagonisten- ein Lehrer auf Urlaub, der aber die karge Schönheit seines Planeten liebt - von einer größeren Siedlung im Grunde ins Nichts fährt, dann lebt dieser Planet sehr viel mehr als die überkünstelte idealisiert Welt, in welche viele Bewohner der Marsstädte quasi "umgesiedelt" werden. Es ist der schmutzige Mars, den Paul Verhoeven für seine Adaption der Dick Kurzgeschichte erschaffen hat, der hier über weite Strecken ohne Agenten oder Verfolgungsjagden präsentiert wird. Es gibt keine Romantik der Weltraumfahrt und in dieser Hinsicht ähnelt Hugh Walkers vorliegenden Roman nicht Robert A. Heinlein, der die Gefahren dort draußen mittels Technik und überlegenen menschlichen Intellekt besiegen wollte. Kritisch gesprochen ist es für einen Roman immer problematisch, wenn der Hintergrund interessanter als die Handlung ist. Der eigentliche Plot beginnt mit Träumen, die anscheinend nicht nur der Protagonist nach einem vorgefertigten Muster hat, sondern verschiedene andere, inzwischen verschwundene Menschen auch. Die Suche nach der Traumpartnern nimmt den Mittelteil der Geschichte ein. Wie es sich für diese Variation der "Realität"/ Irrealität gehört und in seinen späteren Horror Romanen gerne verwandt, wird der Protagonist Fragmenten seiner Träume in Form von Situationen oder Personen begegnen. Daraus zeichnet sich nicht unbedingt ein Horrorszenario, aber ein Ausweg für eine kleine Gruppe von Menschen, die vielleicht auch "betrogen" werden wollen. Nach einem soliden Auftakt und einem optisch dreidimensionalen Mittelteil wirkt das Ende ein wenig überstürzt, aber richtig zwischen dem Wegbereitern Galouye und Dick sowie den Verfilmungen positioniert, ist "Ruf der Träume" ein ambitioniertes Projekt, das aber mehr eigenständige Ideen verdient gehabt hätte.
„Preis der Unsterblichkeit“ (ursprünglich als Terra Astra 42 veröffentlicht worden) ist keine klassische Fortsetzung, sondern über Zweidrittel der Handlung eine subjektive Zusammenfassung der Geschehnisse aus „Ruf der Träume“, eine Begegnung mit verschiedenen Figuren aus dem ersten Band und im letzten Drittel eine überzeugende Weiterentwicklung der „Real Phantasie“ Welt Doktor Finnegans. Und trotz dieser Parallelität der Ereignisse wird der Roman viele Leser anfänglich eher überraschen. Der Tenor ist inklusiv des wieder überhasteten Endes ein anderer. Ein Reporter wird aus dem Schwarzwald auf den Mars geschickt, um die Spur des wegen Drogenverbrechen auf der Erde verurteilten und auf den Mars abgeschobenen Finnegan zu verfolgen. Im ersten Band erscheint der Doktor als charismatischer Wissenschaftler, der sicherlich auch opportunistisch eine Lösung für die wandernden, aber sterbenden Städte auf dem Mars sucht und den Menschen einen Ausweg aus ihrer „Depression“ anzubieten sucht. Am Ende von „Preis der Unsterblichkeit“ – ein Faktor, der im Gegensatz zu den späteren „Matrix“ Filmen oder Galouye „Simulaxron 3“ anders behandelt wird, aber rückblickend zu wenig vielschichtig extrapoliert worden ist –ist der Tenor ein gänzlich anderer und der Leser fragt sich, warum Hugh Walker einen Reporter wie in seinen Horror Romanen losgeschickt hat, während der im abschließenden Roman eine Rolle spielende Geheimdienst von den Vorgängen gar nichts wusste. Da der Leser das Ziel der Reise des aus der Ich- Perspektive erzählenden finanziell unabhängigen Reporters schon kennt, fällt es dem Autoren schwer, die bizarre, aber faszinierende Atmosphäre des roten Planeten überhaupt wieder zu beleben. Von einem Ausbau des Szenarios ganz zu schweigen. Die Begegnungen mit schönen Frauen – eine Idee, die Hugh Walker erstaunlich effektiv in den an Dali erinnernden Alptraumsequenzen am Ende des ersten Heftes eingesetzt und vom Titelbildzeichner der „Terra Astra“ Hefte Eddie Jones adäquat umgesetzt worden ist – verschönern den Mittelteil, bevor es dann im letzten Drittel wirklich Schlag auf Schlag geht. Als erstes werden Erzähler und Leser angenehm von Protagonisten des „Rufs der Träume“ auf den neusten Stand gebracht, wobei Hugh Walker wie schon eingangs erwähnt die Intentionen verdunkeln muss. Diese Sequenz gipfelt in Szenen, die ohne Frage sich aufgrund ihrer Bedrohlichkeit, ihrer atmosphärischen Ambivalenz und der Verwirrung des Protagonisten auch in Walkers Horror Romane so ablaufen könnten. Wie schon erwähnt öffnet der Autor hinsichtlich der finalen Konfrontation sehr viele Flanken und greift mit dem virtuellen Leben nach dem körperlichen Tod ein interessantes Thema auf, das er allerdings wie in einem Actionroman oberflächlich abhandelt. Vor allem ist dem Leser noch unklarer als in „Ruf der Träume“, wie die virtuelle Emigration wirklich stattfindet und wie Körper/ Geist auf der einen Seite anscheinend getrennt werden können, auf der anderen Seite die Bewusstseins ohne eine direkte Verbindung wieder in den Körper zurückfinden könnte. Mit ein wenig mehr Detailfreude hätte dieser letzte Abschnitt des „Preis der Unsterblichkeit“ der frühe Höhepunkt dieser locker miteinander verbundenen Trilogie sein können. So bleiben zu viele Fragen offen. Mit „Gefangene des Komos“ (Terra Astra 86) springt Hugh Walker um einige Jahre in die Zukunft. Eine Zusammenfassung zu Beginn des Romans offenbart die potentiellen Möglichkeiten der Finnegan Erfindung, auch wenn der Space Tourismus inklusiv entsprechender Vergnügungsszenarien eher an eine Variation von Michael Crichtons „Westworld“ erinnert. Der Plot beginnt deutlich dunkler und auf zwei Handlungsebenen deutlich befriedigender spielt Hugh Walker die virtuelle Irrealität genauso durch wie die Aktionen von Agenten, die Finnegans Erfindung den Marsianern nehmen wollen. In der virtuellen Irrerealität findet sich einer der Protagonisten Gerald Crane an Bord der MENSCHENGEIST wieder, das erste Generationenraumschiff der Menschheit. Auch wenn Crane sich eher spärlich erinnert, an Bord des Schiffes gekommen zu sein, zeigt Walker mit einem subversiven Humor nicht nur die Stärken dieses Programms, sondern hinsichtlich der agierenden Personen auch einige Schwächen auf. In der eigentlichen Realität versucht Cranes Freundin/ Geliebte und Kollegen die virtuellen Welten innerhalb des Speichers zu retten, obwohl sie weiß, dass sie zumindest körperlich sich nicht mehr mit Crane vereinigen können wird. Diese zweigeteilte Handlung ermöglicht es dem Leser deutlich überzeugender und nachhaltiger, einen Blick in die inzwischen mehr vielschichtigen Welten zu werfen, deren Zweck nicht mehr nur die Ablenkung der Marsianer und die Illusion eines neuen, für Menschen geeigneten, aber im Vergleich zur Erde und dem Mars auch paradiesischen Planeten ist, sondern in seinen Spielszenarien und Variationen weiter geht als die beiden ersten Heftromane zusammen. Am Ende wird eine weitere Idee angerissen. Der Rücktransfer eines Bewusstseins in einen, aber nicht unbedingt seinen Körper. Zwar führt Hugh Walker ein interessantes Damoklesschwert der ersten Romanhälfte zu einem nicht konsequenten Ende und hinterlässt im offenen Abschluss des Romans zu viele Fragen, aber von der Konzeption in Kombination mit Elementen des Horror Romans unterstreicht der Autor, dass er in „Gefangene des Komos“ – der Titel ist nicht unbedingt richtig – seine Emigrationsidee auf eine höhere Ebene hievt. Der Bogenschlag zu den ersten beiden locker verbundenen Heftromanen kommt auf eine für den Leser nicht vorhersehbare Art und Weise, die allerdings hinsichtlich der Charakterisierung einer wichtigen Figur den Intentionen in „Ruf der Träume“ widerspricht und vor allem das faszinierende und wie die siebziger Jahre noch wenig eingesetzte Konzept einer virtuellen Realität zu sehr in den Bereich des Kriminellen, der Jagd nach Macht rückt anstatt es sachlich als Alternative zu einer überbevölkerten Erde oder einem langsam absterbenden Mars zu diskutieren und aus dieser Position heraus Spannung zu erzeugen.
Die Auseinandersetzungen mit virtuellen Welten bzw. Variationen der Realität hat Hugh Walker auch schon in einigen seiner Horror Romane geführt. So richtig scheint er aber diesem Konzept nicht zu trauen, da die Konzeption sehr ambivalent erscheint und nicht selten „Auswege“ in die Gegenwart bzw. Zukunft gesucht und vor allem gefunden werden. Als Ideen Science Fiction interessant entwickelt fehlt in allen drei Heftromanen die effektivere Nutzung über die Manipulation der Massen hinaus, zumal die Schurken/ verrückten Wissenschaftler zu wenig persönlichen Nutzen daraus ziehen können. Die Verbindung mit einer Agentengeschichte im abschließenden dritten Band erweckt die Erwartung, keine Realität, sondern eine weitere Spielwelt zu verfolgen. Ein Zwiebelschalenkonzept, das Hugh Walker leider nicht einsetzt, um seine beiden Spannungsbögen interessanter zu gestalten.
„Planet der Begierde“ erschien unter dem Pseudonym Madman Curry in „Alles Licht der Welt und andere SF Storys“ (Utopia Zukunftsroman 513). Es ist eine sperrige First Contact Geschichte mit der Landung eines Explorers auf einem unbekannten Planeten und der Begegnung mit den scheinbar telepathisch begabten Außerirdischen. Während die Zeichnung der Figuren ein wenig eindimensional ist und keine Sympathie gegenüber dem Leser aufkommt, sind es die Fähigkeiten der Fremden inklusiv ihrer Begierden, welche die stringente Geschichte aus dem Durchschnitt ein wenig herausheben.
Im Anhang findet der Leser die drei Exposes der „Real- Phantasie“. Aufmerksame Leser können dabei auch Hugh Walkers Arbeitsweise erkennen, während des Schreibens die Expose Ideen nicht nur zu variieren, sondern vor allem auch in der Konzeption schon effektiver Schwerpunkte zu setzen, die in den endgültigen Romanen vor allem in Kombination mit einer ausführlicheren Handlung nicht mehr so gut zum Tragen kommen. Zu den weiteren Extras gehören die Nachdrucke der alten „Terra Astra“ Titelbilder inklusiv eines Portrait des Künstlers sowie die obligatorischen kurzen Vorstellungen der anderen Mitwirkenden.
Peter Emmerich Verlag
Taschenbuch
ISBN-10: 1503216969 / ISBN-13: 978-1503216969 | |
Umfang: 372 Seiten |