Cotton Reloaded 24- "Wüste der Vergeltung"

Timothy Stahl

Timothy Stahls zweiter "Cotton Reloaded" könnte zu den besten Episoden der Serie zählen, wenn der Autor sich - hefttechnisch schwierig - mehr Zeit gelassen und die Geschichte vielleicht auch anders strukturiert hätte. Auf jeden Fall durchbricht er positiv die bekannten Schemata, dass sich Cotton und Decker in Schwierigkeiten bringen, aus denen sie vom jeweils anderen gerettet werden. In diesem Fall müssen sich Decker alleine in einer der ekeligsten Szenen der ganzen Serie und Cotton mit Hilfe eines aus dem Nichts auftauchenden "Wesen" - es soll nicht zu viel verraten werden - befreien. Interessant ist, dass dieser Verzicht auf die bekannten und klischeehaften Schemata noch aus einem anderen Grund relevant ist. Der Leser erfährt mehr über Deckers Hintergrund. Dass sie aus einer reichen, arrogant aristokratisch organisierten Familie stammt und quasi durch die bürgerliche Berufswahl zu einem schwarzen Schaf geworden ist, ist schon länger bekannt gewesen. Jetzt kommt hinzu, dass sie beinahe von dem jugendlich ungestümen Mitglied einer anderen, ihrem Clan bekannten Familie höflich gesprochen sexuell bedrängt worden ist. Sie konnte sich retten, hegt aber im Gegensatz zu den dessen Eltern eine Abneigung gegen den Spross. Ebenfalls hat sie sich von einem anderen, jugendlichen Verehrer gerne bekochen lassen, der inzwischen Chefkoch in einem der angesehenen Restaurants in Las Vegas ist. Decker und Cotton nehmen in der Stadt der Spieler an einer Fortbildung teil, als ihnen nach dem Besuch des Restaurants buchstäblich ein Mann aus zweihundert Meter Höhe vor die Füße fällt. In Cottons Armen stirbt er schließlich kurze Zeit später. Er ist Mitglied der Familie, mit der Decker wie schon angesprochen schlechte Erfahrungen gemacht hat und selbst der ehemalige kulinarische Verehrer scheint Umgang mit diesem sehr einflussreichen Clan zu haben. Als im Magen des Toten noch etwas Ungewöhnliches entdeckt wird, macht Cotton den Fall öffentlich und beginnt mit seinen Ermittlungen. Da Timothy Stahl auf eine chronologische Erzählstruktur verzichtet und mit Rückblenden in die Zeit des Baus des Hoover Staudamms 1934 die Gegenwart zu erläutern sucht, nimmt er sich teilweise selbst die Spannung. Vor allem wirkt der Brückenschlag ein wenig zu stark konstruiert. Sinnvoller wäre es, die Vergangenheit und Gegenwart in Form eines Clangedanken, eines Symbols oder eines Omens zu verbinden. Die beiden Entwicklungen haben nur bedingt miteinander zu tun. Dazu kommt noch, dass Timothy Stahl der Kraft seiner Ermittlungen nicht gänzlich vertraut und zusätzlich die Idee einer freien Jagd - ebenfalls als Brückenschlag gedacht, aber zu wenig mit den damaligen tragischen Ereignissen verbunden - quasi auf den letzten Seiten einführt.

Alle Ideen alleine sind schon pervers genug, aber der Versuch, daraus einen Kult zu machen, eine neue Welle wäre ohne den Rückgriff auf manches Klischee sinnvoller und effektiver gewesen. Betrachtet man den pervertierten ultimativen Geschmack und die Idee, das Stärke auf eine besondere Art und Weise von einer Generation zur nächsten transportiert werden kann. Dann würde der Roman sehr gut funktionieren und die zufälligen Erkenntnisse passen inklusiv der absichtlichen Falle sehr gut zueinander. Betrachtet man zusätzlich die Idee, welche Schockwellen diese Erkenntnis bei den labileren Familienmitgliedern auslösen würde, dann würde der Spannungsbogen zufriedenstellend abgeschlossen werden.

In der Vergangenheitsebene ist die Entwicklung beginnend mit der Ermordung eines Stamms von Cree Indianern, dem einzigen Überleben in seinem unzugänglichen Versteck und schließlich die Ausarbeitung eines Racheplans nachvollziehbar, der gruselig, aber nicht "grausam" aus sich heraus ist. Nur wirken die beiden Ebenen zu wenig verbunden, die Idee eines nachkommenden Clans, der sich an die indianischen Regeln hält zu oberflächlich herausgearbeitet.  Das Bemühen ist da, aus den beiden konträren Grundhandlungsverläufen - basierend auf einem einzigen Ereignis - einen zufriedenstellend abgeschlossenen Roman zu machen, es wirkt aber gegen Ende zu mechanisch.

Im Gegensatz zu vielen anderen "Cotton Reloaded" Autoren ist sich aber Timothy Stahl nicht zu schade, interessante Nebenfiguren plötzlich und grausam zu töten. Hinzu kommt wie schon angesprochen, dass sich zumindest Decker selbst retten muss, um am Ende den ihr zugetanen Überlebenden der einen Familie möglichst schonend die Fakten zu erläutern, während auf der anderen Seite Cotton die Verwandte einer der Toten aufsuchen muss. Stahl macht seine Helden ausgesprochen menschlich und subversiv unterhöhlt er auch die Ansicht des Lesers, dass Decker ein verwöhntes, arrogantes und selbstverliebtes Biest gibt. Sie gibt einige Schwächen zu. Zusätzlich impliziert anscheinend Stahl, dass Decker mehr als nur kameradschaftliche Sympathien für den so "einfachen", bodenständigen und so typisch amerikanischen Jeremiah Cotton empfinden könnte, während auf der anderen Seite Cotton in erster Linie auf die Ereignisse zu reagieren kann. Natürlich zeigt er auch Eigeninitiative, aber im Vergleich zu den unkontrollierten und schwerlich mit Kollegen abgestimmten „Mission impossible“ Standards folgt Cotton den Regeln, informiert seinen Vorgesetzten und holt sich ein Ermittlungsmandat, das er überwiegend umsetzt.   

Durch den bizarren, an viele Horrorfilme erinnernden Hintergrund ragt "Wüste der Vergeltung" - der Titel ist nur bedingt richtig, da die Vergeltung schon lange dem perversen Vergnügen gewichen ist - aus den letzten wieder einfallsloser werdenden "Cotton Reloaded" positiv heraus und zeigt das Potential auf, das die Serie in sich trägt.                  

 

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 2086 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 98 Seiten
  • Verlag: Bastei Entertainment (11. September 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
Kategorie: