Nach dem Sturm

Michael Farris Smith

Michael Farris Smith "Nach dem Sturm" - im Original ist der Titel "Rivers" nicht packend genug - ist nach einem Kurzroman sein offizielles Debüt als Schriftsteller. Das Buch ist teilweise unter dem Eindruck der Schäden entstanden, die Katrina an der Golfküste hinterlassen hat. Hinzu kommt ein pessimistischer Blick auf die menschliche Kultur, der nicht nur durch die Geburt eines Kindes ein wenig aufgehellt wird. Handlungstechnisch erinnert der Roman allerdings phasenweise fatal an eine Mischung aus "The Road" und den Italo bzw. Spätwestern.

Nach Jahren verheerender, stetig wiederkehrender Stürme haben die USA an der Golfküste einen Streifen von etwa 90 Meilen förmlich aufgegeben. Jegliche Infrastrukturmaßnahmen oder humanitäre Hilfe werden unterlassen. Den Bewohnern ist dieses mitgeteilt worden. Wer trotzdem südlich der "Line" leben möchte, tut es auf eigene Verantwortung und die meisten Menschen unterschreiben ihr eigenes Todesurteil.  

Cohen gehört zu diesen Menschen. Während der Evakuierung sind seine Frau und seine kleine Tochter getötet worden. Cohen kehrte zurück, um sie auf seinem Grundstück zu begraben und hat nicht die Kraft gefunden, sie endgültig zu verlassen. Eindrucksvoll beschreibt der Roman, wie Cohen sich an den Bau des eigenen Hauses erinnert. Die Zeit, für ein Kinderzimmer, ist ihm nicht geschenkt worden. Nur das Fundament ist in den schlammigen Boden gelassen worden. Regelmäßig fährt Cohen mit seinem Jeep in eine kleine Siedlung und kauft von den immer wertloser werdenden Dollar Lebensmittel. Auf der Rückfahrt nimmt er gegen seine Überzeugung einen halbwüchsigen Jungen und seine erschöpfte Schwester mit. Sie überfallen ihn und stehlen seine Habseligkeiten. Mit letzter Kraft kehrt er nach Hause zurück und muss erkennen, dass sie auch sein Haus ausgeraubt und die Sachen seiner Frau gestohlen haben. Cohen schwört, sich seine Sachen zurückzuholen. Wie schon angesprochen folgt Michael Farris Smith im ersten Drittel des Buches den Mechanismen des Rachewestern. Cohen wird als "Licht" in diesem Dunkel beschrieben, obwohl er ein melancholisch, wehmütig in die Vergangenheit schauender Mann ist, dessen Leben mit dem Tod seiner Frau und Tochter erloschen ist.  Der Autor beschreibt ihn als Charakter, der im Grunde nur reagiert. An einigen Stellen macht es ihm Smith auch leicht. So muss er einen der Hintermänner der Diebe nicht töten, das erledigt eine wilde Bestie. Im Sterben verrät ihm der Mann wichtige Informationen. Die Suche nach den Sachen seiner Frau - er hat ihr Zimmer von der feuchten Welt isoliert und die Tür eingemauert - wird zu einer Obsession. Wer aber jetzt den obligatorischen Showdown erwartet, wird von der Verschiebung des Fokus ein wenig überrascht. Vom Western ausgehend nähert sich Smith in mehreren Anspielungen auf "Mad Max" der Idee einer elitären Sekte, die von dem fanatischen Prediger Aggie (einem weiteren Hintermann der Diebe) angeführt wird. Aggie entführt Frauen, vergewaltigt sie und will das immer wieder von Stürmen heimgesuchte Land wieder bevölkern. Der Konflikt und die Suche nach den gestohlenen Dingen geraten in den Hintergrund. Rückblickend bietet auch hier Smith dem "Helden" Cohen eine Hintertür an. Interessant ist, wie sich Cohen gegenüber Aggies Opfern stellt. Hilft er ihnen und reist er weiter in Richtung Grenzlinie? Vielleicht zieht der Autor aus dieser aufgeworfenen Situation zu wenig innere Spannung und stellt über seinen Protagonisten Cohen dem Leser zu wenig Fragen. Da Cohen zumindest zu Beginn des Buches als positiver Charakter dargestellt ist, bleibt nur eine Antwort offen. Und wie Mad Max in "the Road Warrior" beginnt er, Aggies Opfer zu führen. Dabei verzichtet Smith auf eine Glorifizierung seines Heldens und steht ihm einige Fehler zu. Die Figur wird zugänglicher, vielleicht auch offener, so dass das auf der emotionalen Ebene dunkle Ende weniger überrascht als konsequent erscheint. Diese Welt ist nichts mehr für die Cohen. Mad Max konnte zumindest einen Moment des Triumphs empfinden. Über Cohen hinaus bemüht sich Michael Farris Smith zwar, den Figuren Tiefe zu geben, nicht selten bleiben sie allerdings mechanisch oberflächlich.  Ob diese Distanz beabsichtigt ist, um die unwirtliche Umgebung noch dreidimensionaler, noch harrscher darzustellen, kann nicht eruiert werden. Aber wie "The Road" gehört "Nach dem Sturm" zu den provozierenden, schockierenden Romanen, die über weite Strecken auf jegliche menschlich emotionale Regung zu verzichten suchen.

Zu den Stärken gehört ohne Frage der Hintergrund des Buches. Smith malt ein dunkles, ein deprimierendes Bild der Post Katrina Zivilisation, wobei dem Leser erst während des Handlungsverlaufs klar wird, dass die Stürme sich in rasanter Folge abwechseln und es im Grunde unterhalb der "Line" kein "nach dem Sturm" geben kann. Die Feuchtigkeit hat die meisten Materialien zersetzt, ein Wiederaufbau einer vorindustriellen Zivilisation wäre selbst bei normalem Wetter nicht mehr möglich. Auf der anderen Seite zeigt Smith aber auch keine Leute, die aus Überzeugung - bis auf Cohens Trauer - in diesen Landstrichen bleiben. Es sind fanatische Sektierer, Wegelagerer, Glücksritter, die wie beim Goldrausch nach verborgenen Schätzen suchen. Aus dem Western ist ebenfalls die Idee übernommen, dass die Casino Besitzer im Vorgriff auf die kommenden abschließenden Naturkatastrophen ihre Bargeldbestände in Lastwagen an verschiedenen Punkten vergraben haben, um "danach" weiterhin flüssig zu sein. Inzwischen suchen ganze Gruppen nach diesen Lastwagen und die Begegnung mit einem Bagger, der den Strand abträgt, wirkt eher bizarr. Da diese Idee nicht aktiv in die laufende Handlung eingebunden worden ist, wirkt sie eher wie eine Art MacGuffin.

Die Spannung bezieht der Roman alleine aus dem Zusammentreffen von Cohens Leid und der überdurchschnittlich rauen, aber auch atmosphärisch so plastisch beschriebenen Natur. Michael Farris Smiths sprachliche Tiefe, die allerdings teilweise auch im Mittelteil die sich langsam, vielleicht sogar zu langsam entwickelnde Handlung förmlich unterdrückt, ist in der englischen Originalausgabe noch intensiver, obwohl die Übersetzung im Vergleich zu einigen anderen Postdoomsday Geschichten, in denen es auch auf die Atmosphäre ankommt, mindestens adäquat ist. Umfangtechnisch erscheint "Nach dem Sturm" etwas zu dick und der Leser muss sich über Cohens Depression erst in die Handlung einarbeiten. Die Konzentration auf eine einzige Figur zu Beginn der Handlung ist gewöhnungsbedürftig, der Verzicht auf Dialoge zu Gunsten der stimmungsvollen Beschreibungen ein wenig konstruiert, aber wenn der Leser Smith die Hommage an den Western bzw. teilweise auch an Geschichten in der Tradition "Mad Max" verzeiht, dann ist "Nach dem Sturm" ein gelungenes dunkles Debüt, das vielleicht weniger zum Nachdenken über die Bestie Mensch anregt als eindrucksvoll zeigt, das der Mensch der Natur im Grunde gar nichts entgegen setzen kann.     

 

Heyne Verlag, Taschenbuch, 448 Seiten

 ISBN 3-453-53437-9

Übersetzung ins Deutsche von Ronald Gutberlet