Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra

Robin Sloan

 

Der 1979 geborene Robin Sloan hat vor seiner Karriere als Bestsellerautor für mehrere Online Plattformen gearbeitet. Vielleicht wirkt daher diese liebenswerte Hommage an das Buch und damit auch die Buchhandlung, die wirklich alles hat, auch auf den ersten Blick so seltsam. Ein Mann des Internetzeitalters schaut wehmütig auf die Ära der Bücher zurück. Die Heyne Taschenbuchausgabe besteht aber nicht nur aus dem 2012 geschriebenen Roman, sondern bringt als Extra die Vorgeschichte „Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra“.

Es ist nicht notwendig, die Vorgeschichte zuerst zu lesen. Beide Texte ergänzen sich, aber um das Flair San Franziskos der 1969er am Ende des Sommer des Liebe aufzusaugen; um zahlreiche auch im Roman direkt oder indirekt vertretende Protagonisten und vor allem diese fast magisch zu nennende Buchhandlung kennen zu lernen, lohnt es sich, mit der Novelle anzufangen.

 1969 hat der an einer besonderen Universität mit einer einzigartigen Bibliothek angestellte Mr. Penumbra einen besonderen Auftrag. Wie seine Mitangestellten soll er auf die Suche nach verschollenen Büchern gehen. Das hört sich leichter an als gesagt. Eine Kollegin hat ein inzwischen von Ureinwohnern in Pullover eingeflochtenes Inkabuch gefunden. Ein anderer Kollege ist bei der Mission schwer verwundet worden und erlag schließlich seinen Verletzungen. Penumbra soll ausgerechnet ein seit zweihundert Jahren verschollenes Buch über Weissagungen finden. Vorher hat er an der Universität studiert. Der Computer hat ihm einen Science Fiction Fan und einen der ersten Informatikstudenten zugewiesen. Die beiden jungen Männer verbindet ihre Liebe zu Büchern, auch wenn es sich um verschiedene Genres handelt.

Eine Spur führt Penumbra nach San Franzisko. Schließlich sogar in eine Buchhandlung, die 24 Stunden um die Uhr geöffnet hat, in welcher man Mitglied sein muss, um Bücher auszuleihen und weniger zu kaufen. In der Filmstudenten wie George (Lucas) oder Francis ( Ford Coppola) in der Filmecke rumlungern und wo man versucht, einen zerlesenen „Dune“ gegen Ballards „Karnival der Alligatoren“ zu tauschen. Dessen Besitzer Mo anscheinend über mehr Wissen verfügt, als zwischen die Buchdeckel passt. Allerdings könnte Mr. Penumbra früh scheitern, denn der in einem zweihundert Jahre nach dem Verschwinden in einem Brief benannte William Grey ist kein Mensch... sondern ein Schiff, das vor mehr als sechzig Jahren im Hafen versenkt worden ist. Von einem der ersten Besitzer der Buchhandlung, damals noch auf einem Schiff.

 Es ist eine liebenswerte Geschichte, die auf einem schmalen Grat zwischen Hommage und Exzentrik eine ausgesprochen geradlinige Suche, im Grunde eine Quest nach Penumbras Heiligem Gral beschreibt. Natürlich ist er am Ende erfolgreich, aber er findet sehr viel mehr als ein Buch. Penumbra findet eine neue Bestimmung und damit ist das Ende der Kurzgeschichte nicht der Anfang des Romans, aber dessen Quelle. Wegen der Charaktere und der liebevoll minutiös gestalteten Atmosphäre ist es vielleicht doch wichtig, am Anfang eines Buches zu beginnen, das im Grunde kein Ende hat.

Der eigentliche Roman heißt  im Original „Mr Penumbra´s 24-Hour-Bookshop“ und erschien 2012. Das Buch gehörte zu den erfolgreichsten Debütbüchern des Jahres und landete unter anderem auf der Bestsellerliste der New York Times. Das Buch ist in alle wichtigen Sprachen übersetzt worden.

Im Gegensatz zur zwei Jahre später veröffentlichten, aber früher spielenden Novelle setzt sich der Roman weniger nur mit der Welt der Bücher auseinander, sondern versucht, den Generationenwandel vom analogen Datenträger zur digitalen Welt besser darzustellen. In der Novelle ist Mr.  Penumbra noch ein Besucher, der schließlich zu einem Angestellten wird. Mo scheint der Chef der seltsamen, rund um die Uhr geöffneten Buchhandlung zu sein, während Corvian nur ein immer im Laden befindlicher Angestellter ist. Im Roman wird diese Konstellation verändert. Übernommen worden sind die eisernen Regeln für Angestellte.

Das Buch beginnt dadurch mit einem anderen Ich- Erzähler. Clay Jannon hat in der Wirtschaftskrise seiner Arbeit als Webdesigner für einen Donut-Shop von Ex Google Angestellten – der Mediengigant spielt auf allen Ebenen des vorliegenden Romans eine gewichtige Rolle – verloren. Er konnte nicht genug Expertise sammeln, um leicht einen anderen Job zu finden. Im Gegensatz zu seinem Mitstudenten Neel, der mit einer Softwarefirma für Busensimulationen Millionen verdient hat. Auch in der Novelle wird der Protagonist – in diesem Fall Mr. Penumbra – auf einen Freund aus dem Studium angewiesen sein, der dank seiner Programmierfähigkeiten nicht nur reich geworden ist, sondern einen entscheidenden Hinweis aufgrund seiner Arbeiten an einer neuen U- Bahn  Trasse durch die Frisco Bay liefert. Im vorliegenden Roman ermöglicht es Neel seinem Freund, rechtzeitig am richtigen Ort zu sein.  Penumbras Freund ist ein Science Fiction Fan gewesen und Asimovs „Foundation“ Trilogie vielleicht ein wichtiger Wegweiser. Clay Jannons Kumpel ist ein  begeisterter Rollenspieler und die Aussicht auf ein neues, dieses Mal echtes Abenteuer lockt Neel aus seinem exzentrischen Büro über den Privatjet nach New York.

Vorher landet Clay Jannon auf seiner Jobsuche endgültig in der analogen Welt. Er findet eine “Aushilfe gesucht” Anzeige an der Ladenfront von Mr. Penumbras 24- Stunden Buchhandlung. Er soll die Schicht zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens übernehmen.  Im vorderen Teil des  Ladens werden normale Bücher verkauft. Im Anhang dieses Romans findet sich eine Auflistung der Bücher, welche 1969 auf den Ladentischen lagen. Im hinteren Teil mit den hohen Regalen sind Bücher, die keine ISBN haben und nirgendwo verzeichnet sind.  Der Inhalt der Bücher scheint aus sinnlosen kryptischen Buchstabenfolgen zu bestehen. Diese Bücher werden nur an exzentrische Mitglieder eines geheimnisvollen Clubs verliehen, die ihre Mitgliedsausweise mit seltsamen Zahlencode präsentieren.  Die Bücher scheinen ihre Leser süchtig zu machen.

Mr.Penumbra hat Clay verboten, in diesen Büchern zu lesen. Eines Tages betritt aufgrund Clays heimlich initiierten Online Marketings (über Google mit einem Budget von 10 Dollar) eine junge hübsche Frau den Laden, die nicht nur für Google arbeitet, sondern selbstständig Programmieren kann. Sie scheint intelligenter als Clay zu sein. Fasziniert beginnt Clay die Grenzen zu verletzen, welche Mr. Penumbra ihm gesetzt hat. Die beiden jungen Leute verfolgen mittels moderner Technik die Ausleihspuren und erhalten ein seltsames, dreidimensionales Abbild des geheimnisvollen Gründers.

Die Novelle ist eine Hommage an das geschriebene Wort. Auch wenn Computer eine kleine Rolle spielen, geht es vor allem um Bücher und die geheimnisvolle Magie ihrer Geschichten. Ob die Leser genau wie die Universitätsmitglieder daran glauben oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle. Eine geheimnisvolle Buchhandlung, eine perfekte Höhle für Papiernerds; ein Platz, wo sich die Intellektuellen treffen können. Ab und zu wird man aufgefordert, das Buch zu kaufen, in dem man seit Tagen heimlich liest, aber die Buchhandlung ist eine Oase, die aus der Zeit gefallen und abseits jeglicher kommerzieller Interessen funktioniert.  

Der Roman setzt sich in der ersten Hälfte mit dem Konflikt zwischen digital und analog auseinander. Der digitalen Fraktion ist klar, dass sie zwar technisch der nächste Schritt der Evolution sind, aber ohne das über Jahrtausende angesammelte analoge Wissen nichts haben, auf dem sie ihre Berechnungen basieren lassen können. Heiße  Luft hat nun einmal keinen Nenner. Die digitalen Bezüge auf Google, Wikipedia, Amazon, das Programmieren von Algorithmen oder die graphische Darstellung von Zahlen dominieren die erste Hälfte des Buches. Mit dem unglaublichen Fund basierend auf den alten internen Aufzeichnungen unter der Ladentheke dreht sich der Fokus der Geschichte und aus der Konfrontation zwischen den beiden konträren Welten wird eine spannende Verschwörung Geschichte, in welche die jugendlichen Protagonisten fast in der Tradition der Paranoiathriller eindringen müssen. Bis dahin lernt der Leser eine perfekte, vielleicht auch perfektionierte Welt der Technik kennen. An der Seite des Protagonisten dringt er aufgrund einer Einladung in die Google Zentrale ein. Die Angestellten werden gehätschelt, gefüttert, bespielt, damit sie Hochleistungen natürlich zu Gunsten der Allgemeinheit erzielen können. Alles wirkt so beschaulich, so positiv, dass man zweimal schauen muss, ob das Buch nicht von Google gesponsert worden ist.  Der Autor Robin Sloan hat neben Twitter für verschiedene Online-Plattformen gearbeitet und der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wenn sich Sloan in die perfekte Google-Welt hineinträumt und das Buchschreiben sein persönlicher Türöffner ist. Die eigentliche Geschichte um die Buchhandlung, um die seltsamen Kunden und den geheimnisvollen Sponsor sowie den allgegenwärtigen Mr.  Penumbra wird förmlich in den Hintergrund gedrängt.    

In der zweiten Hälfte treffen die  neue digitale und die analoge Welt in Form der altehrwürdigen, in New York beheimateten Geheimgesellschaft der unberührten Buchrücken aufeinander.   Es ist kein klassischer Konflikt zwischen gut und böse, zwischen Moderne und Traditionen, zwischen Helden und Schurken. Es ist eher eine ambivalente Abhandlung über die gute alte Zeit mit seinem auf Papier niedergeschriebenen Wissen und dem digitalen, aber teilweise auch inhaltsleeren Fortschritt. Die Rätsel der Vergangenheit können die Computer in Reihenschaltung angehen, aber nicht immer lösen. Sehr zur Verblüffung einer ganzen Generation von Google Programmierern. Auf der anderen Seite braucht die alte Zeit, die Vertreter der Gesellschaft auch einen Zugang zur neuen Welt, um nicht in der Isolation metaphorisch  sterben zu müssen. Penumbra ist der Mann für diesen Wandel. Mehr als dreißig Jahren hat er den Status Quo fast sklavisch bewahrt. Seine einzige Rebellion gegen Corvian ist das Verkaufen von modernen Büchern gewesen.  Ein Staffelstab, den Penumbra von eben diesem Corvian übernommen hat, wie die anhängende Novelle zeigt. 

Clay Janon versucht Penumbra nicht immer auf legalen Wegen zu helfen. Dabei lernt er die eigene Vergangenheit in Form seines Lieblingsautoren und dessen Fantasytrilogie aus anderen Augen kennen. Aber nicht nur das geschriebene Wort ist veränderlich, eine andere inzwischen fast antiquierte Form der Adaption führt weiter in die zumindest angedeuteten Abgründe dieser Geheimgesellschaft hinein, deren Ziele im Grunde im Dunkeln liegen. Zumindest streben sie als Büchermenschen nicht die Weltherrschaft an. 

Auch wenn der Autor immer tiefer in die Materie der Geheimgesellschaft eindringt, baut er nicht im gleichen Verhältnis eine Spannungsatmosphäre auf. Dazu wirken die Computernerds zu aufdringlich, selbst verliebt und ihren (Google) Fähigkeiten zu sicher. Dazu fehlen dramatische Szenen. Vieles spielt sich in einem geruhsamen Tempo ab. Zusätzlich in der virtuellen Realität der Computer Sphären. Selbst die Entdeckung eines Einbruchs inklusive des illegalen Scanners von Lebensbüchern - eine faszinierende Idee, die final auch nicht überzeugend ausgeführt wird -  führt nicht zu einer Konfrontation mit den Oberschurken, sondern zu einem weiteren indirekten Hilfsangebot. 

Die Novelle lebt von der Faszination einer Buchhandlung, die schon in den sechziger Jahren aus der Zeit gefallen ist und die Nerds anzieht. Der Roman versucht das “Alte” mit der neuen modernen Computertechnik und einer Welt voller in ihrer eigenen Oase lebender Computerfreaks zu verbinden. Clay Janon ist neben seinem Freund Neel auf der einen Seite, Mr. Pemumbra auf der anderen Seite der einzige Charakter in diesem nicht an Figuren armen Buch, der sich aktiv auf die jeweils andere Seite zubewegt und gemeinsame Lösungen sucht. Das kostet ihn schließlich auch seine Freundin, aber er gewinnt die  Herzen der Leser und wächst über seine Jugendtraumata hinaus. Das macht den Reiz dieser lesenswerten, aber hinsichtlich der Hommage an das geschriebene Wort in Kombination mit dem mehrfach angesprochenen, aber irgendwie als Farce entwickelten Geheimbund aus. Die zwei Jahre später entstandene Novelle ist origineller, kraftvoller, im positiven Sinne auch selbstverliebter als der ein wenig zu glatt geschriebene Roman mit seiner wundervollen Ausgangsbasis und der leider zu mechanisch entwickelten Handlung. 

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Erstmals im TB Edition (8. September 2015)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 432 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 345341845X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453418455
  • Originaltitel ‏ : ‎ Mr. Penumbra's 24-Hour-Bookstore