Visionen & Wirklichkeit

Michael Haitel & Jörg Weigand

„Visionen & Wirklichkeit“ haben die beiden Herausgeber Michael Haitel und Jörg Weigand die Geburtstagsschrift zu Rainer Eisfelds achtzigstem Geburtstag genannt. Auch wenn Jörg Weigand die wichtigsten Aspekte von Rainer Eisfelds beruflichem Schaffen und seinem „Hobby“ exzellent und pointiert zusammenfasst, könnte Hans- Dieter Furrers „Coeurl und die Folgen“ einen guten Auftakt darstellen. Furrer berichtet von seiner ersten Begegnung mit einem Utopia Großband (die Nummer 50 von Alfred Elton van Vogt, übersetzt unter Pseudonym von Rainer Eisfeld) über Eisfelds exzellente Werner von Braun Studie bis zu den verschiedenen Cons, auf denen sie sich begegnet sind, aber auch begegnet sein könnten. Furrer kommt zu der Erkenntnis, das die Science Fiction und damit das Fandom eine einzigartige, Jahrzehnte umfassende Gemeinschaft ausgebildet haben. Und er persönlich verdankt es Rainer Eisfeld.

 Jörg Weigand geht auf Rainer Eisfeld im Grunde exemplarischen Werdegang als Fan, als professioneller Übersetzer und schließlich auch als Politologe ein. „Zielstrebig und mutig“ fasst ohne Frage sein Leben zusammen. Vor allem mutig, weil er bei seinen Forschungen sich nicht davor scheute, Ikonen vor allem hinsichtlich ihrer braunen Vergangenheit zu demontieren, aber auch als Herausgeber und schließlich auch Sachbuchautor seine Meinung offen und konträr zu vertreten. Wie es sich für einen Journalisten gehört, fasst Jörg Weigand alle wichtigen Aspekte in dieser lesenswerten, sehr kompakten Einleitung passend zusammen. 

 Der dritte wichtige Beitrag ist das lange und ausführliche Interview Bernd Schuhs mit Rainer Eisfeld. Rainer Eisfeld gibt nicht nur einen ergänzenden Einblick in seine Jugend, aber auch die damaligen Verbandsstrukturen vor allem des SFCDs, sondern die beiden Gesprächspartner im positiven Sinne des Wortes diskutieren verschiedene Aspekte, aber auch Autoren des Genres. Dabei reicht das Spektrum von Van Vogt über Ursula K. Leguin oder George Benford bis zu Wolfgang Jeschke. Dabei erweist sich Rainer Eisfeld mehrmals als Verteidiger des Genres, in dem er wie beim Western nicht die Erschöpfung des Genres in den Mittelpunkt stellt, sondern auch dank des sozialen wie technischen Fortschritts der Science Fiction eine kontinuierliche inhaltliche Erneuerung sieht. Interessant ist, dass Bernd Schuh nicht selten wie bei den angeblich so schreiend bunten Titelbildern der Ursula K. LeGuin Romane im Heyne provokative Antworten sucht. Auf dieses Eis begibt sich Rainer Eisfeld in seinen fundierten und vor allem basierend auf Erfahrung und Wissen auch vielschichtigen Entgegnungen nicht. Rainer Eisfeld verteidigt nicht die Science Fiction per se, sondern arbeitet die positive Aspekte der vielschichtigen Literaturgattung nachhaltig, fundiert und vor allem auch immer überzeugend heraus.

 Viele Artikel drehen sich um den persönlichen Einfluss nicht nur des Fans Rainer Eisfeld, sondern des streitbaren Politologen und Menschen Rainer Eisfeld. Thomas leBlanc lobt seine Van Vogt Übersetzungen inklusiv der umfassenden Nachwörter in der „Heyne SF Bibliothek“. Klaus N. Frick zeigt auf, welchen Einfluss der anfängliche geradlinige Fan und spätere Sachbuchautor auf den eigenen Weg vom Fan über den  Aktiven im Fandom zum schließlich dem Perry Rhodan Chefredakteur gehabt hat. Franz Rottensteiner zollt Rainer Eisfeld Respekt, auch wenn beide aus unterschiedlichen Richtungen dem Genre qualitativ weitergeholfen haben und somit auch „gleichgestellt“ sind. Auf Franz Rottensteiners Suhrkamp Reihe nimmt Rainer Eisfeld in dem langen Interview auch expliziert Bezug. Dieter von Reeken hat mit Rainer Eisfeld bei mehreren Büchern zusammengearbeitet. „Die Zukunft in der Tasche“ ist dabei für das Fandom genauso wichtig wie „Mondsüchtig“ für eine breitere Masse. Auch Dieter von Reeken hat Rainer Eisfeld erst aus der Distanz als Mitarbeiter beim „Utopia“ Magazin kennen gelernt. Wie die Fotos beweisen, hat Rainer Eisfeld aber auch bei Dieter von Reeken einen Umdenkungsprozess in Hinblick auf Werner von Braun in Gang gesetzt.  Jürgen vom Scheidt spricht in einer erweiterten und um eine persönliche Note ergänzten Rezension vor allem von Eisfelds „Die Zukunft in der Tasche“, wenn Heinz J. Galle in seinem eigenen Archiv kramt und einzelne Erinnerungen ans Tageslicht fördert.

 Aber Rainer Eisfeld hat nicht nur Science Fiction übersetzt, sondern auch Krimis und Western. Dem Western widmet der Autor zwei unterschiedliche sekundärliterarische Werke. Auf diesen Aspekt in Rainer Eisfelds Schaffen gehen Dietmar Kuegler und Herbert Kalbitz ein.  Kalbith präsentiert eine Vielzahl von farbigen Leihbuchtitelbildern und eine Geschichte des Colts als Synonym des Wilden Westens und der Frontier.  Dietmar Kuegler dagegen unterstreicht die Ernsthaftigkeit auf positiv gesprochen amerikanischen Niveau, mit welcher Rainer Eisfeld sowohl in den „100 Jahren deutsche Westernmythen“ als auch der Biographie Wild Bill Hickocks“ sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat.            

 Neben den Glückwünschen, Erinnerungen und sekundärliterarischen Beiträgen finden sich auch eine Reihe von Kurzgeschichten in dieser Jubiläumsschrift.

Rainer Schorm ist mit zwei sehr unterschiedlichen Beiträgen vertreten. „Anno termini“ ist die bessere der beiden Geschichten. Ein älterer Mann erhält Besuch von seinem seltsamen Vertreter. Ihm wird eine besondere Jahresuhr verkauft. Fasst man den Plot sachlich zusammen, kann Rainer Schorm keine inhaltliche Überraschung anbieten. Es ist viel mehr die intensive Stimmung, der Hang zu kleinen Details, der aus dieser Übergangsgeschichte kein literarisches Meisterwerk, aber zumindest eine interessante, wenn auch wenig zu einem Geburtstagsbuch passende Geschichte macht. „Offenbarung“ erinnert ein wenig an „A wie Andromeda“. Auf drei Level bzw. besser Erzählebenen wird eine besondere Botschaft von den Sternen analysiert. Das Ende wirkt eher schwach und konstruiert.

 Bernd Schuhs „Die Würde der Menschen“ ist als Politsatire lange Zeit überzeugend. Immer neue Belastungen fürs Volk, keine Eigeninitiative der Regierenden und schließlich der obligatorische, aber auch undemokratische Wachwechsel mit den gleichen Floskeln. Aber trotzdem will der Funke nicht überspringen. Wahrscheinlich weil der Hintergrund der Geschichte zu wenig nachhaltig herausgearbeitet ist und abschließend zu viel in das offene, aber pragmatische Ende einfließt.

 Tim Piepenburgs „Unterwasserastronaut“ schließt sich Rainer Schorms „Offenbarung“ an. Die Begegnung mit dem Unbekannten, dieses Mal in Form einer Expedition in die Tiefen des Meeres auf einem anderen Planeten. Viele Ideen werden auf zu wenig Raum zusammengefasst, so dass das Ende zwar eine Art Deja Vu impliziert, aber abschließende Antworten verweigert.  

 Bernd Schuhs „Simulachron 0“ ist nicht nur eine Hommage an Galoyes zweimal verfilmten Roman, sondern eine interessante Paranoia Geschichte. Der Protagonist reist zu einem Interview mit Professor Z in einen kleinen Ort. Am nächsten Tag erscheint alles verändert. Der Autor gibt keine Antworten. Auch die Erklärungen von Professor Z. könnten eine weitere simulierte Ebene darstellen. Aber die Verschachtelung der Handlung und vor allem die gut geschriebenen Dialoge unterhalten ausgesprochen gut.

 Karla Weigands „Der Friedenstifter“ – mit einer kleinen Verbeugung vor der phantastischen Bibliothek in Wetzlar – ist eine unterhaltsame „Kneipengeschichte“ von außerirdischen Besuchern, denen vor allem die Getränke der Menschen nicht schmecken. Sie drohen mit schrecklicher Rache, wenn beim dritten und dann auch letzten Besuch nicht alles perfekt ist. Natürlich gibt es nur ein Gericht und ein Getränk, das ihren Ansprüchen schließlich entspricht. Kurzweilig und humorvoll geschrieben mit einem entsprechenden Augenzwinkern.

 Monika Niehaus dagegen hat mit „Feinsliebchen“ eine Weird Fiction Geschichte verfasst. Eine junge Frau wandert nachts über einen alten Friedhof und wird am nächsten Morgen verstört aufgefunden. Die Pointe unterstreicht eine möglicherweise übernatürliche Begegnung, die sich niemand erklären kann. Vor allem legt die Autorin auf eine passende Stimmung Wert. Es sind die kleinen Details, welche die geradlinige Gruselstory so lesenswert machen.

 Frank Gerigks „Lockstoff“ ist die letzte Story.  Der Autor fasst den Plot am Ende in einer ironischen Pointe noch einmal zusammen, ohne seinem Handlungsbogen einen echten Abschluss zu geben. Der Tod oder vielleicht auch Mord an einem Incubus von einer anderen Ebene, eine übergewichtige Prostituierte und ein Polizist nicht am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber zumindest ohne wirkliches Interesse an dem Fall sind dabei einzelne Prämissen, die für solide Unterhaltung stehen. Durch den abrupten Wechsel auf die Analyseebene verliert die Geschichte allerdings an Kraft.

 Die beste und gleichzeitig wahrscheinlich auch am meisten umstrittene Geschichte ist Karl- Ulrich Burgdorfs „Unternehmen Sternenstaub“. In einer alternativen Welt mit dem Endsieg der Nazis spielend baut der Münsteraner Autor nicht nur die Persönlichkeiten des Dritten Reiches während des Countdowns zum ersten Flug zum Mond ein, die Grundidee stammt aus der Perry Rhodan Serie und der Titel ist eine Anspielung natürlich auf „Unternehmen Stardust“. Fandompersönlichkeiten wie die beiden Bingenheimer mit ihrer Versandbuchhandlung spielen ebenso eine Rolle wie Karl- Heinz Scheer als futuristischer theoretischer Waffenschmied oder der bekannte Walter als Vorsitzender des Vereins „Mondsüchtig“, der natürlich Werner von Braun anhimmelt. Es ist die einzige Geschichte, in welcher Rainer Eisfeld selbst auftritt. Während der Countdown runtergezählt wird, berichtet er dem Vorsitzenden des Vereins von seinen Recherchen. Werner von Braun hat tausende, wenn nicht zehntausende von Menschen grausam in den Arbeitslagern und bei Experimenten geopfert, um diesen Flug zum Mond zu ermöglichen. Wie es Rainer Eisfeld hat ausführlich in „Mondsüchtig“ beschrieben hat. Vielleicht unbewusst, vielleicht absichtlich greift Karl Ulrich Burgdorf eine Kontroverse um den ersten im „Terranischen Club Eden“ erschienenen Artikel eines Herrn Thoms wieder auf, der Walter Ernsting wegen seiner bedingungslosen Freundschaft zu Werner von Braun basierend allerdings auf Rainer Eisfeld erst später der Öffentlichkeit bekannten Recherchen als zumindest mindestens auf einem Auge mehr als blind angefeindet hat.  Thom wirft Walter Ernsting vor, dass er sich im hohen Alter nicht von Werner von Braun distanziert hat. Für einen Gedenkband wahrscheinlich eine unglückliche Ausgangsposition, die argumentativ auch noch mehr als oberflächlich präsentiert worden ist. Der ursprüngliche Artikel ist inzwischen mehrfach überarbeitet und entschärft worden. Karl Ulrich Burgdorf nimmt mit dem Verhalten dieses klar erkennbaren wenig fiktiven Walter Ernstings diese These wieder auf und impliziert, dass Walter Ernsting zumindest Werner von Brauns braunem Hintergrund gegenüber absichtlich ebenfalls blind sein wollte. Zumindest zeigt Walter E. in dieser Satire noch ein menschliches Gesicht gegenüber Rainer Eisfeld. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, wenn sich Karl Ulrich Burgdorf eine andere Persönlichkeit außerhalb des Fandoms als Vorsitzenden des Vereins „Mondsüchtig“ gesucht hätte. Da nützen auch die zahllosen Querverweise und Anspielungen nicht viel. Ohne diese Flanke handelt es sich um eine exzellent geschriebene Satire auf die Großmannsucht der Nazis in enger Kombination mit Aspekten aus dem ersten „Perry Rhodan“ Roman. In „Mondsüchtig“ hat sich Rainer Eisfeld nur auf den bislang unbekannten, tief in das Terrorregime der Nazis verwurzelten Hintergrund konzentriert und keine Bezüge zu der in den sechziger Jahren noch bekannten Bewunderung Werner von Brauns im Fandom geschlagen. Zwar wurde er für die Veröffentlichung von „Mondsüchtig“ angefeindet. Mehrere Stellen erwähnen vor allem Jesco von Puttcamer, ebenfalls einen ehemaligen Fan und engen Mitarbeiter Werner von Brauns. An einer Stelle wird auch von dritter Stelle erwähnt, dass sich Walter Ernsting negativ über die Buchveröffentlichung von „Mondsüchtig“ geäußert haben soll. Bis aus die Erwähnung in diesem Gedenkband konnte aber keine weitere Stelle in anderen Büchern oder dem Internet gefunden haben. Rainer Eisfeld hat sich in den eigenen Memoiren nur zur direkten Zusammenarbeit Ende der fünfziger Jahre geäußert, die schließlich von Rainer Eisfelds Seite aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen beendet worden ist. 

Daher wirkt die Charakterisierung Walter Ernstings in Karl- Ulrich Burgdorfs Satire positiv gesprochen unglücklich, negativ gesprochen trotz Walter Ernstings auch vorhandener Ecken und Kanten an der Grenze der Respektlosigkeit.    

Lyrisch beendet Udo Weinbörner mit „Der Gang im Loch der Stratosphäre“ diesen Abschnitt des Gedenkbandes.

 Neben den Titelbildern von zahlreichen Western, aber auch immer wieder van Vogts Büchern, die Rainer Eisfeld übersetzt  bzw. neu herausgegeben hat, finden sich zahlreiche Aufnahmen von den Oldiecons. Sie sind auch in anderer Sicht ein einzigartiges Zeitdokument, da einige der dort abgebildeten Personen auch das Science Fiction Genre in Deutschland bzw. deren Fandom mitgestaltet haben und nicht mehr unter den Lebenden sind. Sie bilden einen perfekten Abschluss eines würdigen Gedenkbandes, der Kenner von Rainer Eisfelds Werk noch einmal dessen wichtigste Ideen und Thesen vor Augen führt, aber vielleicht Neulingen den Schlüssel in die Hand gibt, um dessen zeitlose, kritische und vor allem minutiös recherchierte Werke wie eben „Die Zukunft in der Tasche“, „Mondsüchtig“ oder auch die Sammlung von Aufsätzen aus mehr als fünfundzwanzig Jahren aus „Zwischen Barsoom und Peenemünde“ neu zu entdecken.

VISIONEN & WIRKLICHKEIT: Rainer Eisfeld zum 80. Geburtstag (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland...

  • Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (4. April 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Broschiert : 192 Seiten
  • ISBN-10 : 3957652324
  • ISBN-13 : 978-3957652324
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