In doppelter Hinsicht ist Martha Wells „Tagebuch eines Killerbots“ in der deutschen Version unglücklich zusammengestellt. Es handelt sich nicht um einen Roman, sondern um die ersten vier auf der Homepage des amerikanischen Tor Verlages veröffentlichten Novellen. Inzwischen liegen zehn Texte vor. Weiterhin ist der Titel unglücklich gewählt, denn es ist nicht das Tagebuch EINES Killerbots, der Protagonist hat diesen Namen angenommen und so passt der amerikanische Originaltitel der Sammlung „The Murderbots Diaries“ noch besser. In den vier Geschichten zeichnet der Protagonist seine Erlebnisse auf. Richtig ist, dass zwei der Novellen allerdings mit den wichtigsten drei Preisen (HUGO, Nebula und Locus Award) ausgezeichnet worden ist.
„Systemausfall“ führt den Killerbot ein, obwohl er eine Vergangenheit hat. Vor einigen Jahren hat er mehrere Dutzend Mienenarbeiter getötet, weil mit seiner Programmierung manipuliert worden ist. Bis zur Gegenwart hat sich der Killerbot ein eigenes Bewusstsein erarbeitet, in dem er geschickt mittels einiger Hacks die immer wieder aufgespielten Programme seines Arbeitgebers, eines großen Industriekonglomerats, unterminiert hat. Wie alle „Roboter“ besteht diese Bots überwiegend auch mechanischen austauschbaren Teilen, während die fleischlichen Komponenten nachgeklont werden können.
Die erste Novelle führt ihn mit einem Team von Forschern auf eine abgeschiedene Welt. Die Männer und Frauen sollen dort nach seltenen Bodenschätzen suchen. Er ist als Sicherheitsbot angeheuert worden.
Martha Wells erzählt die Geschichte von Beginn an mit einem hohen Tempo. Auf den ersten Seite muss er einige Forscher aus einem Krater retten, die dort einer Art Wurm begegnen. Einem gigantischen Wurm mit scharfen Zähnen. Bei der Analyse der vorliegenden Karten stellen die Menschen fest, dass ihre Vorlagen anscheinend manipuliert worden sind. Hinzu kommt, dass es keine Verbindung zur Heimatbasis gibt. Und fremde bewaffnete Bots ein zweites Forscherteam in ihrem Habitat gnadenlos umgebracht haben.
Auch wenn die Autorin auf ein hohes Tempo setzt, gelingt es ihr, vor allem den Killerbot dreidimensional zu zeichnen. Er ist der Erzähler, der wie zum Beispiel auch einige andere Cyborgs über einen Schuss Humor verfügt. Er ist eine fragile Persönlichkeit, die sich abseits ihrer Auftragsprogrammierung fast schämt, auf Augenhöhe mit den ihm freundlich zu gewandten Menschen zu sprechen. Der Killerbot liebt Soap Operas und Fernsehen. Hunderte von Stunden hat er sich illegal herunter geladen und schaut sie selbst auf dem Weg in den Einsatz als Ablenkung.
Die Herausforderung auf dieser abgeschieden gelegenen Welt fordert einen ganzen Killerbot, der nicht nur über Kraft, Geschicklichkeit und vor allem hinsichtlich der Nutzung eines breiten Arsenals von Waffen über Schnelligkeit verfügt; er muss am Ende zusammen mit der Missionsleiterin einen Bluff anwenden, um den Planeten verlassen zu können.
Das alles wird mit erstaunlich leichter, aber auch konsequenter Hand erzählt, so dass der Leser immer das Geschehen auf Augenhöhe verfolgt. Die Szenen, in denen der Killerbot ausgeschaltet ist, werden kurz von einem übergeordneten Erzähler kommentiert. Aber ansonsten gibt es keinen Wissensvorsprung, was die Handlung bis zum pragmatischen, den Raum für unterschiedliche Texte öffnenden Ende frisch und spannend zu gleich erscheinen lässt.
Die einzelnen Novellen bauen aufeinander auf. „Auf Paranoia programmiert“ nimmt den Faden der fatalen Ausschaltung der Bergbauarbeiter wieder auf. Der Killerbot sucht nach den Ursachen. Dazu nutzt er unbemannte von der Schiffsintelligenz betriebene Raumschiffe. Er taucht seine Mediathek gegen Freiflüge. An Bord eines neuen Raumschiffs trifft er auf eine besondere Schiffsintelligenz. Das gegenseitige Misstrauen wird erst im Laufe der Geschichte abgebaut.
Um Geld zu verdienen, aber viel wichtiger auf einem gesicherten Planeten mit einer Arbeitserlaubnis landen zu können, um den dessen Datenbanken zu forschen, verdingt er sich als eine Art privater Sicherheitsbeauftragter. Drei junge Forscher sind von einem Konglomerat um ihre Arbeit betrogen worden. Gegen Rückzahlung ihrer Boni wäre die Firma bereit, die Daten herauszugeben. Allerdings wittert der Killerbot eine perfide Falle.
Martha Wells hat spätestens mit der zweiten Novelle die richtige Balance zwischen Spannung und teilweise skurrilen Humor gefunden. So spricht der Killerbot immer wieder, aber nicht durchgehend mit den Lesern. Einige der Sprüche erinnern ein wenig an die „Deadpool“ Comics und die beiden Verfilmungen, wobei auch der Hang zu überdrehter Gewalt sich latent in den Novellen widerspiegelt.
Der Aufbau des Plots erinnert allerdings auch ein wenig an die Auftaktgeschichte. Die „Gegner“ müssen auf das richtige Gelände gelockt werden, um sie dort trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit auszuschalten. Der Killerbot erweist sich als ein Mann der Ehre, der eine Mission selbst bei unterdurchschnittlicher Bezahlung zu Ende bringt, weil er es als seine Aufgabe ansieht. Die Hintergründe des Datendiebstahls wirken aber nicht abschließend zufrieden stellend herausgearbeitet und an die Aufzeichnungen der fatalen Schießerei auf dem Mienenplaneten kommt der Killerbot auch zu leicht ran.
Vor allem die erste Begegnung mit der Schiffsintelligenz Fifo und ihr gegenseitiges Abtasten ist eine sehr gute Einleitung für die Geschichte und absolut lesenswert.
In der dritten Geschichte „Exit Strategie“ beklagt der Killerbot gegenüber den Lesern, dass er keinen interessanteren Charakteren wie der Schiffsintelligenz Fifo in letzter Zeit begegnet ist. Darunter leidet die Geschichte auch teilweise. Durch einen Zufall hört der Killerbot ein Gespräch mit, in dem es um ein Terraformingprojekt geht, das einen illegalen Abbau von wertvollen Mineralien tarnen soll. Das könnte auch das Geheimnis hinter seiner ersten Mission als Security Bot sein, denn viele der Hinweise passen auf den Planeten, auf dem seine erste Mission in dieser Sammlung furchtbar schief gegangen ist. Er entschließt sich, den zwei Terraformern zu helfen, als die dunklen Kräfte versuchen, das Geheimnis zu überdecken.
Der Plot ist deutlich geradliniger und der teilweise freche Humor kommt nur in wenigen Szenen durch. Wie eingangs erwähnt leider die Geschichte unter dem Mangel an skurrilen Nebenfiguren, so dass die Actionszenen vor allem vom Killerbot selbst und teilweise ironisch überdreht kommentiert werden müssen.
Die gesammelten Informationen fließen allerdings umgehend in die vierte und abschließende Novelle ein. „Schneller Abgang“ ist als Titel falsch gewählt, denn der Killerbot entschließt sich, zum Team aus der ersten Novelle zurückzukehren und seiner hypothetischen Besitzerin die gefundenen Informationen zu geben, welche eine Sabotage ihrer Terraformingmission beweisen. Nur ist sie entführt worden, was einem ehemaligen Killerbot die Wut in die Amplituden treibt.
Die vierte Novelle ist wie die Auftaktgeschichte in humanistischer Hinsicht die beste Story dieser Sammlung. Ohne ihn zu vermenschlichen wird der Killerbot immer wieder mit der Möglichkeit konfrontiert, dass das Hacken seiner Befehlszentren genau wie seine Liebe zu Soap Operas die ersten Schritte zu einer anderen Form von Menschsein sein könnte. Während die Mitglieder des Teams diese Möglichkeit trotz oder vielleicht sogar wegen seiner Flucht sehr viel leichter akzeptieren können als er selbst, läuft der Plot in eher bekannten Schemata ab. Die Entführung, die Lösegeldübergabe, die Hintergründe sowohl der ersten gescheiterten Mission als auch des Kidnapping sind nicht wirklich überraschende Momente. Die Actionszenen kennt der Leser aus den ersten Geschichten. Aber diese fast mechanische Vertrautheit sowohl innerhalb des Actiongenres wie auch in diesem Zyklus von Geschichten hilft auch, die zwischenmenschliche Beziehungen intensiver zu betrachten.
Der Humor ist beginnend mit den Selbstgesprächen pointierter und teilweise selbstironischer. Der Killerbot ist sich ja des Widerspruchs zwischen seiner Liebe zur Soap Opera genauso bewusst wie den Verantwortlichkeiten, die er stoisch wie ein tragischer Film Noir Detektiv gegen alle Wahrscheinlichkeiten bis zum normalerweise bitteren Ende übernimmt und den Fall unbedingt gegen alle Risiken abschließen möchte. Diese Dickköpfigkeit macht den Charakter unabhängig von seiner Vergangenheit zugänglicher. Und wer selbst analysiert, welche Art von Bots er bekämpft hat und welche noch auf seiner Liste stehen, kann kein eindimensionaler wie langweiliger Charakter sein.
Nicht umsonst sind die ersten beiden Geschichten mit allen wichtigen Preisen ausgezeichnet worden. Auch wenn der Leser die Idee einer kybernetischen Killermaschine nicht aus der Zukunft, sondern quasi aus der Transportkiste zu kennen glaubt, verfügen die Storys über ausreichend interessante Variationen und vor allem einen lebendig frechen Charakter, das man die Novellen entweder als Episodenroman in einem Stück lesen und auf die noch nicht übersetzten weiteren Geschichten erweitern kann oder man goutiert als isoliert stehende Novellen, deren Plot zufrieden stellend, effektiv und ein wenig pragmatisch am Ende der vierten Geschichte zusammenläuft. Lesenswert sind die vier Geschichten als Ganzes auf jeden Fall und die sorgfältige Übersetzung von Frank Böhmert ist ein zusätzlicher Pluspunkt dieser empfehlenswerten Veröffentlichung.
- Broschiert: 576 Seiten
- Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (14. Oktober 2019)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3453320344
- ISBN-13: 978-3453320345
- Originaltitel: The Murderbot Diaries: All Systems Red, Artificial Condition, Rogue Protocol, Exit Strategy