„Dämonenstadt“ ist der zweite Mystery Thriller aus der Feder Frank W. Haubolds. Vor einigen Jahren erschien „Die Kinder der Schattenstadt“ im Blitz Verlag. Dazwischen hat Frank W. Haubold mit seiner „Götterdämmerung“ Trilogie das geschafft, was er seinem Protagonisten Markus Blau in diesem Buch verwehrte. Ein herausforderndes, modernes und barockes zu gleich Science Fiction Epos. Markus Blau steckt in einer Schaffenskrise, es geht mit dem abschließenden Band der Serie nicht unbedingt voran.
Da kommt ihm ein Anruf eines alten Freundes fast recht. Kurze Zeit später wird der Freund bestialisch ermordet aufgefunden. Seltsame Träume locken Markus Blau in die unwirtliche Heimat Raunburg zurück, aus welcher er mit Erleichterung als Jugendlicher quasi geflohen ist.
Frank W. Haubolds Plots agieren selten auf nur einer Ebene. „Die Kinder der Schattenstadt“ wirkt vor allem als übernatürliche Geschichte zu stark konstruiert und teilweise nicht spannend genug aus sich selbst heraus entwickelt. „Dämonenstadt“ ist vor allem im direkten Vergleich die ohne Frage elegantere Arbeit, die auf verschiedenen Ebenen funktioniert.
Dabei stellt sich allerdings auch die Frage, ob das Buch nicht als klassischer Thriller ohne übernatürliche Elemente effektiver gewesen wäre. Teilweise hat der Leser im zweiten, deutlich origineller aufgebauten Teil des Romans das Gefühl, als stünden sich wie die beiden „Killer“ die Rache von jenseits des Grabes Story und der in der ehemaligen DDR vor der Wende spielende Plot quasi im Wege. In einer Szene kommt der Geist buchstäblich zu kurz. Vor ihren Augen wird das angepeilte Opfer quasi weggesäubert.
Timo Kümmel hat die dunkle Stimmung der Stadt sehr gut in seinem Titelbild eingefangen. Der Prolog stellt im Grunde wie bei vielen Horrorgeschichten zu früh die Fronten klar. Eine Familie, welche Republikflucht begehen wollte, wird bestialisch ermordet. Anscheinend gibt es eine kleine Gruppe, die sich darauf spezialisiert hat, diese Menschen wegen ihres Geldes zu berauben, in dem sie das Bargeld nehmen oder Immobilien weit unter Wert ankaufen und sie dann töten. Die Frau und das Kind werden viele Jahre später – hier gibt es keine zufriedenstellende Erklärung für die vergangene Zeit – Rache an den Tätern nehmen und dabei auf ihrem Feldzug viele Unschuldige umbringen. Während des fast hektisch zu nennenden Showdowns führt der Autor eine Erklärung ins Feld, die aber nicht gänzlich überzeugend ist. Zum einen wirkt die Erklärung der Frau aus dem Jenseits angesichts der vorangestellten Ereignisse wenig überzeugend, zum anderen greift Frank W. Haubold noch auf eine weitere Inkarnation zurück, die sich mit ihren Taten brüstet. Das Finale ist im Grunde enttäuschend und wirkt eher wie ein Klischee. Zum Glück verkneift sich der Autor ein heldenhaftes Eingreifen seines literarischen Alter Egos, so dass im Grunde weiterhin zwischen der übernatürlichen Ebene und dem grundlegenden Kriminalfall differenziert werden kann. Aber trotz Feuer und Flamme wirkt die Auflösung ein wenig bemüht.
Markus Blau wird mehr und mehr von verschiedenartigen Alptraumen heimgesucht, wobei auch einige erotische Achterbahnfahrten dabei sind. Später zusammen mit einem älteren Polizeibeamten versucht er auf der einen Seite den Mord nicht nur an seinem Freund aufzuklären, er wird in einer Überschneidung der realistischen und der übernatürlichen Handlungsebene auch zu einer Art Werkzeug.
In Bezug auf die übernatürlichen Elemente bleibt Frank W. Haubold ein wenig zu ambivalent. Lange Zeit ist nicht klar, welche abschließenden Fähigkeiten die ermordete Frau wirklich hat. So muss sie führ ihr Kind Türen öffnen, an anderen Stellen kann sie ohne Probleme durch Wände gehen und sich quasi vor allem auch in Markus Blaus Bett materialisieren. Sie kann anscheinend Gedanken aussaugen, muss aber normale Werkzeuge wie ein Messer benutzen, um ihre Opfer zu foltern und schließlich zu töten.
Die erotischen Träume oder doch Abenteuer werden von einer anderen, lange Zeit fast passiven und höchstens die Protagonisten an der langen Leine führenden Materialisation bestimmt. Der Autor macht zwar deutlich, dass es sich um zwei gesonderte Erscheinungen handelt, deren Ursprünge nicht weiter erläutert werden. Nicht alles muss im Horror/ Mysterybereich erklärt werden, aber wie in diesem Fall sollten nicht zu viele Fragen offenbleiben.
Diese Ambivalenz mit einer lange Zeit auch vorhersehbaren ein wenig an Peter Straubs „Ghost Storys“ ohne die Fokussierung auf ein einzelnes Haus, aber ein begrenztes Umfeld konzentrierende Handlung unterminiert vor allem in der ersten, als Exposé wichtigen Handlungshälfte wichtige Teile des Spannungsmoments. Erst im zweiten Teil mit einer Dominanz der Kriminalhälfte schwimmt sich Frank W. Haubold von einigen ohne Frage gut erzählten, aber vorhandenen Klischees des Geistergenres frei und beginnt sich freier zu fühlen.
Lässt der Leser für einen Moment die übernatürliche Handlungsebene weg und konzentriert sich auf die realistisch kriminalistische Handlung, dann gewinnt „Dämonenstadt“ deutlich an Format.
Es ist kein rein autobiographisches Buch, das Frank W. Haubold hier präsentiert. Aber er ist eben in einer dieser Kleinstädte aufgewachsen, die ein Vorbild für Raunburg sein könnte. Ohne Melancholie oder Pathos, vielleicht nicht einmal ohne Verklärung beschreibt der Autor den Alltag der jungen Menschen noch in der DDR mit ihren Wünschen und Sehnsüchten. Handlungstechnisch spielen diese gedanklichen Monologe keine entscheidende Rolle, aber sie runden das Flair ab, auf dessen Fundament der Autor die gegenwärtige Handlung aufbaut.
Auch das kriminalistische Element allein wäre wie geschrieben überzeugend. Einmal die Schwierigkeit, überhaupt eine Flucht zu planen. Dann die Angst, sich den falschen Menschen anzuvertrauen und schließlich die Tatsache, dass verschiedene Elemente beginnend bei Anwälten und endend bei der nicht interessierten Polizei – Ausnahmen bestätigen die Regel – davon profitiert haben.
Selbst die Tatsache, dass die Wiedervereinigung inzwischen fast dreißig Jahre vollzogen ist, spielt nur bedingt eine Rolle. Es gibt genügend Opportunisten, welche vor und nach der Wende unrechtmäßig profitiert haben und die ein großes Interesse haben, das die Leichen buchstäblich im Keller bleiben.
Mit der Zufallsbegegnung zwischen Markus Blau und dem ehemaligen Kommissar Walter Hombach schafft Frank W. Haubold ein interessantes Ermittlerduo im Grunde wider Willen, aber aus persönlichen Gründen. Hombach hat in den achtziger Jahren beim Verschwinden der Menschen ermittelt. Er konnte aber weder konkrete Spuren noch die möglichen Hintermänner finden. Einzelne Hinweise wiesen auf Männer mit Einfluss in den entsprechenden Ämtern hin. Jetzt sieht Hombach die kleine Chance, den erkalteten Spuren wieder zu folgen, auch wenn es ihn persönliche Opfer fordert. Das Schicksal Hombachs ist auch eine der wenigen emotionalen Szenen des Romans, die den Leser nachhaltig berühren.
Frank W. Haubold zeigt auf unterschiedliche Art und Weise inklusiv des paranoiden Hackers, der nur mit kodierten Chats kommuniziert auf, dass bei einer gründlichen Suche auch nach dieser langen Zeit offene Flanken gefunden werden können. Aufgeschreckt engagiert die andere Seite auch einen Handlanger, welche die offenen Enden rigoros abschneiden soll. Die Vorgehensweise der beiden Protagonisten wird detailliert, realistisch und vor allem auch nachvollziehbar für Leser beschrieben, welche die einzelnen Zusammenhänge in der ehemaligen DDR nicht so kannten. Zynischer Höhepunkt ist ein Kurzbesuch auf Teneriffa, bei welchem den beiden ein absolut unangreifbares, im Grunde krankes, aber in der Geschichte immer wieder verwandtes „Motiv“ für die Taten präsentiert wird.
Im Gegensatz zu seiner „Götterdämmerung“ Trilogie, die barock interessant begonnen hat, aber dann unter immer weiteren roten Fäden handlungstechnisch leiden musste, zieht Frank W. Haubold nach einer die Örtlichkeiten ein wenig zu lange und zu verzerrt betrachtenden Einführung unmittelbar in Anschluss an den angesprochenen Paukenschlagprolog das Tempo nicht nur deutlich an, er strukturiert die einzelnen Handlungsbögen besser und konzentriert sich vor allem im letzten Drittel des Buches auf die entscheidenden roten Fäden.
Stilistisch findet Frank W. Haubold eine eigene Balance. Bei den Erinnerungspassagen agiert der Autor mit einem melancholischen Unterton, während der brutalen Szenen zieht er auch sprachlich das Tempo deutlich an, während die erotischen Träume weiterhin ein wenig distanziert erscheinen. Trotzdem ragt das Buch in technisch sprachlich Hinsicht über die meisten anderen Veröffentlichungen im Genre deutlich heraus.
Hinzu kommen die meistens mindestens überzeugend, teilweise trotz ihrer Ecken und Kanten realistisch gezeichneten Protagonisten, wobei der Autor vielleicht der Rächerin von jenseits des Grabes nicht gänzlich gerecht wird und bei ihr als Frauenfigur mit einem zu breiten Charakterpinsel malt, anstatt einzelne Sachen subtiler und dadurch vielleicht sogar gruseliger anzugehen.
Es wäre unfair, „Dämonenstadt“ entweder als Horrorthriller oder Krimi mit unerklärlichen sprich übernatürlichen Elementen zu katalogisieren. Als reiner Horrorroman bietet der Plot im Gegensatz zu den verschiedenen, atmosphärisch wirklich eindrucksvollen Traum- und Alptraumsequenzen wenig grundlegend Überraschendes. Zu stringent, zu vorhersehbar ist dieser Aspekt des Buches.
Als Kriminalgeschichte mit einem Blick in ein hoffentlich fiktives, aber auf gut recherchierten Fakten basierendes Element der DDR Geschichte überzeugt das Buch deutlich mehr und beginnt den Leser nicht nur wegen der Suche nach den gut vernetzten Hintermännern zu fesseln. Als stilistisch mit einem Augenzwinkern geschriebene fiktive Autobiographie überzeugt „Dämonenstadt“ auch mehr, wobei Markus Blau nicht unbedingt ein wirklich sympathischer Charakter ist. Zu weihleidig im übertragenen Sinne, zu empfindlich bis latent lebensuntüchtig erscheint er. Allein die Arbeit mit Walter Hombach lässt ihn reifen, der sich trotz seiner Eigenmotivation auch immer wieder ein wenig überwinden muss, um die Taten der Vergangenheit zu entreißen.
Zusammengefasst ist „Dämonenstadt“ vor allem auch die Mischung aus einem überzeugenden Krimi und einer nicht unbedingt notwendigen, aber als wenig nachhaltig erklärter Katalysator dienenden übernatürlichen Handlung eine kurzweilig Lektüre mit vielen sehr guten Szenen, aber auch einigen genretypischen Klischees, die Frank W. Haubold ein wenig zu willfährig bedient.
- Broschiert: 352 Seiten
- Verlag: Atlantis Verlag (15. Januar 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3864027012
- ISBN-13: 978-3864027017