Peter Mennigen wollte mit seinem neuen "Cotton Reloaded" "Stadt der Toten" vieles, im Grunde alles anders machen. Herausgekommen ist eine seltsame Mischung aus Actionabenteuer in der Tradition eines Robert Rodriguez mit einem weich gespülten Cotton in der Schwarzenegger, Willis oder nur Banderas Rolle. Da Cotton nicht gänzlich der Vigilanten Justiz - egal wie sehr der Charakter gereizt wird - verfallen darf, müssen insbesondere während des cineastischen Showdowns Zufälle helfen. Cotton als brutaler Rächer geht nicht, auch wenn er entschlossen ist, zu Gunsten der im Grunde aussichtslosen Mission seine Dienstmarke abzugeben.
Ciudad Juarez ist die Stadt der Toten. Nahe der amerikanischen Grenze auf der mexikanischen Seite wird sie von brutalen Banden beherrscht und dient amerikanischen Jugendlichen als interessantes Ausflugsziel. Man sich köstlich amüsieren und Drogen gibt es zu erschwinglichen Preisen im Überfluss. Als die Tochter eines hochrangigen in Mexiko stationierten Diplomaten während eines Ausflugs von ihrer Universität mit ihrer Freundin in der Stadt verschwindet, werden Decker und Cotton los geschickt, um die Mädchen zu finden. Ein Freundschaftsdienst von Mr. High, der ihm seinen Job kosten könnte. Viel schlimmer ist, dass Mr. High auch noch die Polizeibehörden vor Ort vom Eintreffen der beiden FBI Beamten informiert. So werden Decker und Cotton relativ schnell gewarnt, dass man die örtlichen Banden in Ruhe lässt, da ansonsten ein Grab auf der örtlichen Müllkippe und für Decker Arbeit in den zahllosen Bordells droht.
"Stadt der Toten" ist ein ambivalenter "Cotton Reloaded" Roman. Wie schon angesprochen muss sich der Autor auf einem sehr schmalen Grad bewegen. Die Figuren müssen trotz der widrigen Umstände weiterhin authentisch erscheinen und dürfen als Beamte des amerikanischen Staats nicht zu roher, aber zumindest zu Gewalt greifen. Das gipfelt schließlich neben dem Diebstahl oder der aktiven Leihe eines Hummers im Eindringen in ein Bordell, dem Festsetzen des Bandenchefs und einer spektakulären Flucht. So sehr sich Peter Mennigen auch bemüht, in diesen Szenen Spannung zu erzeugen, so wenig mag der Leser glauben, dass Cotton oder Decker wirklich etwas passieren könnte. Daher fehlt diesen Szenen die intime Spannung einzelner Filme/ Serien unabhängiger Romane. Die handlungstechnischen Zufälle werden auch eher distanziert und humorlos beschrieben, es fehlt diesen Sequenzen die Exzentrik eines "Machette" - der auch unter einer Drogenbande aufräumt -, welche die Schwächen des Plots hätte ausgleichen können. Zu naiv tappen die beiden Agenten in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung in verschiedene Fettnäpfchen und brüskieren im Grunde neben den korrupten Behörden auch verschiedene Drogenbosse. Das Interessante an dieser Idee ist, dass Peter Mennigen sie konsequent durchgeplant hat. So weist Drogenboss Nummer eins sie aus Mexiko aus. Sie müssen bis Mitternacht mit oder ohne die Mädchen verschwunden sein. Dabei während Cotton und Decker die einzigen, die bei einem positiven Abschluss ihrer Ermittlungen wieder für Ruhe sorgen könnten. Die Tochter eines einflussreichen amerikanischen Diplomaten könnte auch eine konzertierte Aktion von amerikanischen Spezialeinheiten und mexikanischen Truppen hervorrufen. Anstatt also Cotton und Decker auf dem kleinen Dienstweg das Problem aus der Welt schaffen zu lassen, erschwert er es eher.
Auch die beiden männlichen amerikanischen Studenten geben ihre Informationen eher spärlich preis. Damit soll Spannung erzeugt werden, ihre Motivation - außerhalb von Feigheit und Angst - ist aber zu wenig nachhaltig herausgearbeitet. Interessant ist auch, dass eine potentielle Informantin selbst nach einer gesprächigen Nacht mit Decker nicht zumindest einen Hinweis hinterlässt und das sich die Agenten nicht fragen, wo und wie sie an wichtige Informationen gekommen sein könnte. Immerhin ist die Stadt der Toten etwas größer und da muss sie unmittelbar mit den Mädchen in Kontakt gekommen sein, um Hilfe bei der Suche nach ihrer Schwester zu erbitten. Und das Cotton und Decker ohne direkte Bedrohung ihre Waffen abgeben und in ein fremdes Auto steigen, erscheint als letzter Schwachpunkt fragwürdig. Zumindest einer hätte zurückbleiben können und müssen, um eine Chance auf einen erfolgreichen Abschluss der Mission zu haben.
Im Gegensatz allerdings zu den aufgezählten Schwächen verfügt der vorliegende Roman über eine Reihe von Stärken. Das beginnt bei der nihilistischen Atmosphäre einer Stadt, die vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Eine hilflose wie korrupte Polizei, Drogenbarone und Frauen, die wie Sklaven entweder in den Fabriken schuften oder zur Prostitution gezwungen werden. Mit teilweise drastischen und unangenehm realistischen Beschreibungen - die dunkelsten der Serie bisher - und einer kontinuierlichen Bedrohung der beiden Protagonisten erschafft Peter Mennigen eine paranoide Atmosphäre, die deutlich länger nachhallt als der zu stringente, zu einfache Plot des Romans.
Im Verhältnis zwischen Decker und Cotton zeigen sich weiterhin drastische Unterschiede. Interessant ist, dass Decker auf der einen Seite trotz der von Beginn an ungesetzlichen Mission zumindest an einigen "Richtlinien" oder besser imaginären Leitplanken festhalten möchte, während Cotton relativ schnell die Sache persönlich nimmt und spätestens mit der perfiden Ermordung der einzigen Informantin den Fall erfolgreich abschließen möchte oder im Notfall bereit ist, sein Leben zu opfern. Deckers Motivation schwankt insbesondere angesichts der gemachten Erfahrungen zwischen Pflicht und Kür. Als Frau wird sie insbesondere zu Beginn zu affektiert und vor allem zum wiederholten Mal in der Serie als zu naiv beschrieben - das gipfelt wieder in einer gefährlichen Szene, die einer erfahrenen Agentin niemals so passieren wird -, während sie während des Showdowns wieder entschlossen zugreift. Es wird Zeit, Decker über ihre gehobene Herkunft hinaus als engagierte Agentin zu beschreiben, die nicht immer davon spricht, beruflich falsch abgebogen zu sein. Diese Floskeln haben sich in letzter Zeit zu sehr eingebrannt, als dass sie noch überzeugen können.
Cotton dagegen wirkt außerhalb der engen Dienstregeln wie befreit. Nicht jede seiner Handlungen ist logisch und trotz des emotionalen Drucks wirkt sein Handeln teilweise zu ambivalent bis naiv, aber als regelbefreiter Actionheld ist es für ihn fast eine andere Rolle, welche die im Vergleich zur Originalserie ein wenig zu stereotype Figur befreiter, dreidimensionaler, allerdings auch positiv gesprochen pulpartiger erscheinen lässt.
Zusammengefasst durchbricht "Stadt der Toten" die Handlungsmuster. Es ist vielleicht auf die Serie bezogen der bislang frechste, originellste und modernste Roma, wobei der Plot reichlich sich im "Vigilanten" Filmgerne wie angesprochen ein wenig weich gespült bedient.
Bastei Entertainment
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Ersterscheinung: 13.02.2014
ISBN: 978-3-8387-4727-9
100 Seiten