Abenteuer Unterhaltung

Jörg Weigand

Mit dem Titel macht der Autor, Herausgeber von zahlreichen Anthologien,  ZDF Redakteur und schließlich auch Sammler - dabei reicht das Spektrum über chinesische Papierkunst zu Feldpostausgaben und Leihbüchern -  deutlich, dass es ihm in seiner reichhaltig und exzellent bebilderten Schrift weniger um den Menschen Jörg Weigand und seine eigene Person geht,  sondern um die zahllosen Begegnungen mit Unterhaltungsliteratur, Autoren, Verlagen und Redakteuren, sowie irgendwie auch um das Leben als Ganzes und nicht wie bei den meisten Autobigraphien auf den Autoren  konzentriert. Trotzdem steckt sehr viel  Jörg Weigand in diesem Buch. Im Grunde direkt und indirekt  ist alles Jörg Weigand. Der Band bietet nur mittelbar eine Ergänzung zu Rainer Eisfeld "Die Zukunft in der Tasche" mit dem Schwerpunkt Entstehung des deutschen Fandoms und Heinz J. Galles persönlichen Erinnerungen an ein Lese-  und Sammelleben,  die über mehrere Bände verteilt ebenfalls  im Verlag Dieter von Reecken erschienen sind. 

 Jörg Weigand schreibt in seinen Erinnungen gleich in der Einleitung, dass es nicht immer ein bequemes Buch wird. Das er durchaus auch bereit ist, Kollegen zu kritisieren.  Nicht jeder kann sich noch wehren, aber Jörg Weigand als erfahrener Journalist kennt die Grenze zwischen Polemik und aus seiner Sicht fundierter  Kritik,  die er genauso wie die Agitation vor allem von  links  bis mit Wolfgang Jeschke konservativ mittig erfahren hat. Dabei  kann Jörg Weigand zwischen Gruppendynamik und einzelnen Personen sehr gut unterscheiden, wie im Bereich der Begegnung  mit Kollegen gleich am Anfang Hans Joachim Alpers steht, der  als  Mitglied der linksorientierten UTOPROP auch gegen die gängige Science Fiction kommerzieller Art gewettert hat. Beim persönlichen Besuch zeigte sich aber, das die Faszination für die bunte Unterhaltungswelt  mehr verbindet als trennt.  Hier muss erwähnt werden, dass  die Andienung eines  Uwe Anton oder Thomas Zieglers an die "Perry Rhodan"  und damit einem langjährigen Feindbild kritisiert wird. Auch Hans Joachim Alpers hat mit allerdings einem feinen Händchen Science Fiction im Moewig Verlag publiziert,  dem Haus des Bösen  in Hinblick auf  die Perry Rhodan Serie. Diesen Punkt streift Jörg Weigand nur. 

 Wolfgang Jeschke wird mehrfach für  seine Haltung gegenüber jungen Autoren kritisiert. Auch etablierte Autoren wie T.R.P.  Mielke scheinen später nach überzeugenden Erfolgen aus dem Verlag gedrängt worden zu sein. Dem widerspricht allerdings, dass insbesondere der Heyne Verlag in den goldenen achtziger Jahren sehr viele Erstlinge deutscher Autoren auch experimenteller Art veröffentlichte und es anscheinend auch Stimmen gibt, die positiv for Wolfgang  Jeschke gesprochen habe.  Solche kritischen Punkte müssen aus der subjektiven Brille des Alleinherrschers - des Autoren - über "Abenteuer Unterhaltung" gesehen werden.  Ein Widerspruch ist natürlich weder möglich noch wirklich gewollte.  Er würde den Umfang dieser Monographie sprengen, aber auch dem Buch seine positive Schärfe nehmen. Wie bei seinen journalistischen Arbeiten versucht Jörg Weigand einen Standpunkt, seine  Meinung zu Papier zu bringen, über die ohne Frage diskutiert werden kann und wahrscheinlich auch gesprochen werden sollte. Ohne diese Ecken und Kanten ganz abseits der blinden Vereinsmeierei, für die Jörg Weigand niemals wirklich etwas übrig hatte,  würde der Beschäftigung mit dem phantastischen Genre die Würze fehlen.  

 Von Beginn an macht Jörg Weigand unabhängig von seiner in einem engen Zusammenhang stehenden Auseinandersetzung als Herausgeber von Anthologien mit neuen, jungen und lernfähigen Autoren klar, dass es ihn immer fasziniert hat, wer die Bücher - egal ob Heftroman oder Leihbuch oder Hardcover -  geschrieben hat. Die Beschäftigung mit den Autoren des Unterhltungsgenres und nicht nur der Phantastik nimmt einen sehr breiten, aus heutiger Sicht historisch einzigartigen Blick ein, denn viele der besuchten Autoren leben nicht mehr. Begleitet von den angesichts der Vorlagen immer noch mindestens zufriedenstellend bis sehr gut abgebildeten Fotos ein wunderbares zeithistorisches lebendig geschriebenes Dokument, das vielleicht bei einzelnen Schriftstellern sogar noch ein wenig mehr "Raum" verdient hätte. 

 Den Menschen Jörg Weigand lernt der Leser vor allem in den Eingangskapiteln kennen. Aufgewachsen in einem sehr strengen Elternhaus mit einem dominanten Vater, der jegliches "Unterklassedenken" aus seinen vier Wänden verbannen wollte,  lernte er wie viele der Science Fiction Leser dieses Genre an den Zeitungskiosken an Hand der schreiend bunten Titelbilder kennen.  Es ist aus heutiger Sicht immer wieder faszinierend,  welche Mühen die Leser auf sich genommen haben, um das Taschengeld für  die damals  noch nicht so zahlreichen Heftromane zu verdienen und wie oft sie nicht gesteuert durch eine zielgerichtete Suche  mit Hilfe des Internets in den zahllosen Leihbüchern/ Antiquariaten oder auf Flohmärkten fündig geworden sind.  Das Studium teilweise in Frankreich zur Zeit der Studentenproteste hat ihn geprägt und neben der Beschäftigung mit der deutschen phantastischen Literatur ist Jörg Weigand einer der Herausgeber von Anthologien, die immer Wert auf die französische Phantastik gelegt haben.  Historisch ist es erstaunlich, dass diese Beschäftigung mit der Science Fiction wahrscheinlich besser aufzeigt,  dass bei der nächsten Generation viele vom Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten der Nazis nicht mehr so im Vordergrund gestanden haben wie bei deren Eltern.  

 Ausgehend vom autobiographischen Teil auf  dem Weg zu eigenen Arbeiten spricht Jörg Weigand eine Reihe von Teilsparten der Science Fiction an und kritisiert die positive Ghettohaltung der damaligen Leser, die sich als etwas Besseres,  als  eine Art literarischen Geheimbund gesehen haben, während die Allgemeinheit deren Lektüre als Schund verdammte.  Vielleicht eine typische Haltung, wenn etwas in der breiten Öffentlichkeit abgelehnt wird.  Oder man überträgt dieses  Phänomen auf andere Bereiche. Auch in der freiwilligen Feuerwerk jedes Ortes fühlen sich die Kameraden als  auf sich selbst  gestellte Zweckgemeinschaft.  Oder die Briefmarkensammler mit ihren Treffen. Selbst Fußballfans organisieren sich in Fanclubs und schauen nur selten auf die Allgemeinheit, sondern fühlen sich in ihrer Liebe zum Verein und damit teilweise auch anderen Fangruppen gegenüber isoliert wie überlegen.  Es  ist also eine fast menschliche Haltung. Gegenbeispiele  für eine Öffnung dieser isolierten Gruppen über ein gewisses bekehrendes Sendungsbewusstsein hinaus kann Jörg Weigand auch nicht anbieten.    

 Der autobiographische Teil als Grundlage seiner späteren Tätigkeiten sowohl für die Welt  oder das ZDF wie auch Autor und Herausgeber zahlloser Anthologien gabelt sich auf.  Einmal der Autor und dann der Herausgeber. Hinzu kommen die "Hobbies" wie das Aufdecken von Pseudonymen, das Jörg Weigand in einem angefeindeten Lexikon publizierte.

Zwar laufen die Themen immer wieder zusammen, aber Jörg Weigand versucht an Hand kleinerer Kapitel mit Schwerpunkten dem Leser eine bessere Orientierung zu geben. Einige Eckpfeiler schlägt Jörg Weigand aber gleich ein. Er kann wenig mit der utopischen Literatur der ehemaligen DDR anfangen und über das Genre hinausblickend unterscheidet der Autor nicht zwischen angeblicher Hochliteratur im Form teilweise überteuerter Hardcover oder der Schundliteratur in Heftformat oder Leihbuchform. Es  kommt ihm immer positiv auf das geschriebene Wort an und seine Bemerkungen in sachlicher, begründet und vor allem auch für den Leser nachvollziehbar. Dabei geht er mit den  Mitgliedern der UTOPROP auch hart ins Gericht. Interessant ist seine Entgegnung auf die Bemerkung von Frau Pukallus, dass nur Freischaffende publizieren dürften. Thomas  Le Blanc und er werden dafür kritisiert, dass sie immer gegenseitig in den von ihnen herausgegebenen Anthologien Geschichten veröffentlichen.  Nicht selten  sind in ihren Anthologien auch eigene Geschichten.  Im  Gegenzug muss klar gestellt werden, dass diese Art des Protektionismus auch in der relativ großen UTOPROP Familie vorgeherrscht hat und selbst heute noch Gang und Gäbe ist.   Berlin sei hier exemplarisch erwähnt.  Jörg Weigand versucht die Qualität im Einzelnen  zu suchen.  

 Der Weg als Kurzgeschichtenautor zieht sich wie ein roter Faden durch die zweite Hälfte des Buches.  Jörg Weigand dokumentiert, dass ihm nicht nur aufgrund der beruflichen Verpflichtungen die Kurzform mehr gelegen hat.  Auch  sein positiv wie negativ journalistisch kompakter Stil sprechen eher für die Kurzgeschichte als den Roman, von denen er bislang einen alleine und mehrere Heftromane zusammen mit seiner zweiten Frau veröffentlicht hat.  Wahrscheinlich hilft ihm der Unruhestand.

 Jörg Weigand ist sichtlich stolz auf die eigenen Kurzgeschichten. Auch bei seinen sekundärliterarischen Arbeiten oder den Anthologien verweist er immer wieder auf verschiedene Erfolge, Übersetzungen, Ankäufe selbst durch den amerikanischen Geheimdienst. Immer ein wenig am Rande der Selbstbelobigung aber irgendwie auch verständlich. Abseits des Publikationszirkus hat Jörg Weigand eigenen Angaben basierend durchaus auf Fleiß; dem Wunsch und Mut zur Förderung von jungen Autoren zusammen mit Thomas  Le Blanc und einigen guten Ideen, sowie seinen ausgezeichneten  Frankreichkontakten eine beeindruckende Liste von Anthologien veröffentlich und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kurzgeschichte überlebt hat.  

 An einigen anderen Stellen ist er aber auch ein wenig zu dogmatisch.  So behauptet  er, das die Zeit der Magazine vorbei ist, wobei gerade heute mehr professionelle und semiprofessionelle Magazine abseits der Taschenbücher erscheinen als seit fast dreißig Jahren. Phantastisch, Exodus oder Nova seien genauso genannt wie die Themenanthologien in Verlagen wie p.machinery oder Fabylon.  Die Kleinverlagsszene hat dazu beigetragen, dass die Schwächen der großen Verlage nicht nur ausgeglichen werden, sondern sich eine gänzlich neue Bühne für  vor  allem deutsche Autoren aufgetan hat. Vielleicht klingen Jörg Weigands Anmerkungen ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen oder sollen nur provokativ das Gestern mit dem Heute vergleichen, aber sie unterminieren viele ausgezeichnete und pointierte anderen Anmerkungen.

 Die interessanten sekundärliterarischen Beiträge bestimmen den zweiten Teil des Buches. Beginnend mit seiner Vorliebe für  Pseudonyme und Leihbücher- beides in gesonderten Fachbüchern ausführlich und minutiös recherchiert abgehandelt -  über die Jagd nach dem ersten "Jerry Cotton" Autoren zu einem sehr kurzen, vielleicht zu  kurzen Abstecher zu den "Landser" Autoren und ihrer nicht immer blütenweißen Vergangenheit im Dritten Reich und über den Jugendschutz gehend endend chronologisch nicht ganz richtig im mittleren Abschnitt der Begegnungen.  Hier stellt Jörg Weigand eine ganze Reihe von Autoren -  später auch einige Politiker - aus einer persönlichen, subjektiven, aber auch abwechslungsreichen Perspektive vor. Bei einigen Autoren wird der Leser genauso überrascht wie es damals Jörg Weigand gewesen ist, andere entsprechen den Erwartungen. Vor allem die fast panische Angst vor dem Heftroman als Einkommensquelle der Schande ist einigen der Schriftsteller  förmlich ins Gesicht geschrieben, während andere Autoren es pragmatisch sehen.  Am Ende dieser Rubrik öffnen sich interessierten Lesern zumindest einige Möglichkeiten, neue Bücher kennenzulernen und alte Bekannte  wieder zu besuchen. Da auch Verlage zum Beispiel auf die Western eines  Küglers  wieder aufmerksam geworden sind, vielleicht der  optimale Einstieg.  

 Über die Schwierigkeiten eines Autoren und  Herausgebers berichtet Jörg Weigand kontinuierlich aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven. Einmal der  respektlose Umgang mit urheberrechtlich geschützten Material, dann die Schwierigkeit, als Lektor auch jungen Autoren spätestens nach dem zweiten Kurzgeschichtenverkauf noch etwas beizubringen.

 Neben den Exkursen in die  Musik - eine neue Beschäftigung des rastlosen Jörg Weigand -  schließt das Buch vor der üblichen Veröffentlichungsliste mit dem Ausblick auf die Autorengruppe "Phantastischer Oberrhein", wobei  sich hier auch der Kreis zu Rainer Schorm schließt. Gemeinsam arbeiten sie an Projekten und Jörg Weigand muss sich den Vorwurf gefallen lassen, an einer anderen Stelle das Perry Rhodan Neo Projekt ohne nachhaltige Begründung über den grünen Klee zu loben, ohne anscheinend wirklich viele Romane der Serie gelesen zu haben. Ansonsten könnte ein derartig versierter Kritiker nicht so  im  luftleeren positiven Raum argumentieren. Während der langjährige Freund und Wegbegleiter Thomas  le  Blanc deutlich ambivalenter vorgestellt wird,  wirkt dieser Querverweis auf "Perry Rhodan  Neo" ein wenig befremdlich.    

 Damit soll auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, dass Jörg Weigands „Abenteuer Unterhaltung“ reine Vetternwirtschaft betreibt.  Meistens hält sich der Herausgeber und Autor mit Kritik im Rahmen.  Auf der anderen Seite verleitet seine Position in der vorliegenden Form auch zu einer gewissen Unnahbarkeit, einer manchmal fehlenden Selbstreflektion.  Alles wirkt sehr glatt und im Gegensatz zu Rainer Eisfelds fast positiv wieder kindlich naiver Rückbesinnung auf nicht perfekte, aber schöne Zeiten zu wenig emotional geschrieben. Jörg Weigand erzählt  viel  über sich, hält trotzdem wie in einigen seiner relevanten Kurzgeschichten den Leser trotzdem auf Distanz. Was dieses Werk aber positiv  auszeichnet und als natürliche Ergänzung zu Rainer Eisfeld und Heinz J. Galles Arbeiten erscheinen lässt, sind die gefühlt Millionen von kleinen Episoden und Fakten vor allem in den Bereichen, in denen Jörg Weigand sich wirklich eine Expertise erarbeitet hat:  Pseudonyme und die Suche nach den Menschen dahinter; Leihbücher fast aus allen Genres und schließlich als Herausgeber von Anthologien, in denen er immer wieder zusammen mit Thomas le Blanc über Jahrzehnte eine  Bresche für die Kurzgeschichte geschlagen hat. 

 Dazu kommen wie erwähnt die vielen seltenen Fotos, die nicht nur Publikationsgeschichte, sondern Fandomhistorie – auch wenn Jörg Weigand mit dem Fandom an  sich nichts, mit vielen Menschen darin aber sehr viel anfangen kann -  dokumentieren und auf diese Art und Weise vorbildlich der Nachwelt erhalten bleiben.

 

Erinnerungen an 60 Jahre als Leser, Autor und Kritiker
Klappenbroschur, 241 Seiten, 118 Abb., Register
17,50 € — ISBN 978-3-945807-28-6

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