Die zwölfte Ausgabe von „Gegen Unendlich“ ist die zweite gleichzeitig gedruckte Nummer des bekannten E Book Magazins. Insgesamt sieben Geschichten und eine literarische Abrechnung mit der DDR präsentieren die drei Herausgeber. In einem Nachdruck wird Herbert W. Franke zu seinem neunzigsten Geburtstag gewürdigt.
„Baumschulung“ von Hubert Katzmarz bildet den Auftakt. Die Story stammt aus dem Nachlass des Autors. In einer nicht unbedingt fernen Zukunft leben die Menschen in gigantischen Hochhäusern, da die Natur und die Atmosphäre verseucht worden ist. Der bizarre Höhepunkt der beschriebenen Party ist ein Aufenthalt auf dem Balkon mit Gasmasken, Sauerstoffflaschen und in Gummianzügen. Auf der Party befindet sich aber auch ein Biologie, der mit der Rekultivierung der Erde beauftragt worden ist. Die zynische, schon anfänglich nihilistische Story steuert auf die Pointe sehr direkt zu, wobei diese auch ein wenig als Paukenschlag konstruiert worden ist und seine Wirkung bei näherer logischer Betrachtung ein wenig verliert.
Bei Douglas Adams gab es den berühmten Übersetzerfisch, bei Silke Jahn- Awe ist es eine Babbelschnecke namens „Mister Kawobel“. Zusammen mit seiner Besitzerin Miss Louisa – die beiden Namen bilden auch den Titel der Geschichte – bewohnt sie in der Abwesenheit der Besitzer Häuser.
Im großen Haus auf einer fernen Welt angekommen überschlagen sich die Ereignisse und zwingen den Besitzer, früher aus dem Nichts heraus wieder aufzutauchen. Warum der Mann plötzlich materialisiert wird genauso wenig erklärt wie die Tatsache, dass sie Haushüterin im Grunde überflüssig ist. Zusätzlich baut die Autorin auch noch die Engelsymbolik ein und die Zwiegespräche mit der ein wenig exzentrische Schnecke wirken aufgesetzt. Unabhängig von diesen Ecken und Kanten verstecken sich in der Geschichte so viele originelle Ideen, die mehr Raum als nur die wenigen Seiten einer Kurzgeschichte verdienen. Vor allem bleiben dem Leser in dieser zusammengedrängten Form die interessanten Figuren fast zu fremd.
Joachim Pack beschreibt in „Generation virtuell“ ein fast alttägliches Problem. Die Jugend lebt nur noch in ihren Handys und damit irgendwo zwischen Internet und Communities. Auf der Reise nach Norwegen wird es nach einem „Unglück“ für die beiden Jugendlichen und Verwandten des Erzählers herausfordernd. Als der Text gerade richtig interessant wird und der Leser angesichts der potentiellen Schlagzeilen in Bild Schriftgröße zu schmunzeln beginnt, ist die Geschichte dank der unerklärten und unerklärlichen Pointe wieder zu Ende.
Armin Möhle bringt es in seiner Geschichte „Ein perfekter Handel“ im Grunde mit dem Titel fertig, seinen Plot zusammenzufassen. Außerirdische und Menschen versuchen sich gegenseitig übers Ohr zu hauen, wobei ihre jeweiligen Ausreden einen Teil der Prämisse ausmachen. Solide geschrieben, aber vom Grundprinzip nicht sonderlich originell handelt es sich um eine der kürzesten Storys dieser Ausgabe.
In einer der besten Geschichten dieser Sammlung greift Michael J. Awe zwar in „Buster Keaton lächelt nicht“ auf das altbekannte Thema der zweiten Chance im Leben - ein alter Schriftsteller erhält verjüngt aus unerklärlichen Gründen eine zweite Möglichkeit, wieder als jüngerer Mann zu beginnen – auf, ihm gelingt es aber durch die melancholische Stimmung symbolisiert an einem alten kleinem Kino, das gerne Stummfilme zeigt, den Leser nachdenklich zu stimmen. Der Protagonist steht vor der schwierigen Entscheidung, wie er dieses zwei Mal gestalten soll. Auch wenn er keine abschließenden Entscheidungen trifft und sich auf möglicherweise eine neue Liebe einlässt, zeigt Michael J. Awe auf, dass im Grunde alle Wege nach Rom, zum Tod führen und es auf den Moment ankommt. Stilistisch ansprechend ohne Kitsch geschrieben mit einem Auge für die kleinen stimmigen Details verzeiht der Leser die ungezählte Variation eines bekannten Themas.
In den Bereich des Grusels von Lovecrafts Dimension führt Uwe W. Applebe in „Leute eurer Art“. Ein Lehrerpaar, aus unterschiedlichen Gründen aus dem Schuldienst entlassen, fährt nachts übers Land zu ihrem neuen Wohnort. Neben der Begegnung mit einem einsamen Tankwarts steht eine sie verfolgende weiße Limousine im Mittelpunkt der stimmungsvollen, aber durch das zu offene Ende auch nicht gänzlich zufriedenstellenden Story. Die Charaktere sind solide gezeichnet, wobei Applebe sich manchmal auch in Plattitüden flüchtet. Das Finale ist eine Mischung aus erotischen Andeutungen und der Möglichkeit, fremden Wesen zu begegnen.
„Ein Kyborg namens Joe“ von Herbert W. Franke ist ein pointiertes Kammerspiel um den Forscher Ed auf einem fernen, unwirtlichen Planeten, seinem Kyborg Joe mit einem menschlichen Gehirn und Lori auf der fernen Erde, die zwischen Mensch und Maschine stehen könnte. Geradlinig entwickelt läuft der Plot auf die ab einem bestimmten Abschnitt auch erkennbare Pointe zu.
Als Ergänzung der Geschichte von Herbert W. Franke berichtet Thomas Franke von seinen Erfahrungen in der ehemaligen DDR bei der Zusammenarbeit mit Frankes Verlag Suhrkamp; den Schwierigkeiten, bei einer der seltenen Veröffentlichungen westlicher Science Fiction in der DDR seine künstlerischen Vorstellungen umzusetzen und schließlich dem von den Behörden untersagten Gastseminar an der Universität Bielefeld. Passend hat Thomas Franke seinen Beitrag „Zone und Null“ genannt. Thomas Franke versucht die Ereignisse künstlerisch expressiv in Form einer Art literarischer Monographie zu verarbeiten und übersieht dabei teilweise den potentiellen formationsgehalt seiner Schrift. Anstatt alles eher sachlicher und damit prägnanter zu beschreiben, versucht er es künstlerisch zu verklausulieren und agiert in der Tradition Kafkas mit den überdimensionierten „Feindbildern“ und unterminiert die Idee der begründeten Paranoia im Überwachungsstaat DDR. Weniger wäre in diesem Fall sehr viel mehr gewesen und als Ergänzung der verschiedenen Würdigungen Herbert W. Frankes zu seinem neunzigsten Geburtstag lobenswert. So zwingt Thomas Franke seine Leser, sich nicht nur zwischen den Zeilen und Andeutungen durchzuarbeiten, sondern die bittere inzwischen historische Realität förmlich zu suchen.
Stefan Böttcher hat mit „24-7“ ein buntes Titelbild zu „Gegen Unendlich“ beigesteuert. Wie bei anderen Ausgaben des Online Magazins ist das Themenspektrum breit und die Storys sind alle mindestens solide auf die jeweiligen Pointen zusteuernd verfasst worden. Aus den sieben Geschichten ragen allerdings nur wenige Texte durch die originelle Interpretation teilweise bekannter Ideen heraus.
Phantastische Geschichten
AndroSF 73
p.machinery, Murnau, Februar 2018, 86 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 122 8 – EUR 8,90 (DE)
E-Book-ISBN 978 3 7438 6541 9 – EUR 3,99 (DE)