Doctor Who- Wunderschönes Chaos

Gary Russell

Gary Russell- der als Schauspieler der Dick in der britischen „Fünf Freunde“ Serie – hat mit „Wunderschönes Chaos“ einen interessanten „Dr. Who“ Roman geschrieben, der handlungstechnisch den in der alten Serie etablierten Schemata positiv wie negativ entspricht, in Bezug auf die Charakterisierung allerdings behutsam das Verhältnis zwischen dem Doktor und seiner Begleiterin Donna, sowie die Interaktion einer durch zwei Verluste gekennzeichneten Familie untersucht. In der Ära des zehnten Doktor spielend erschien der Roman schon im Jahre 2008 in England.

In Bezug auf die zahlreichen Anspielungen konzentriert sich der Autor auf die Tom Baker Ära mit „The Masque of Mandragora“  aus dem Jahr 1976. Neben dem Wiedererscheinen der Mandragora Helix ist der Hinweis wichtig, dass der Doktor seit 1492 – interessanterweise auch das Jahr der Entdeckung Amerikas und damit in der Theorie ein Aufbruch in eine neue Ära – kein vernünftiges Essen mehr gehabt hat. Neben der Tom Baker Episode hat Gary Russel auch auf „the Mark of Mandragora“ zurückgegriffen, einer Geschichte aus dem von Russel lange editierten „Dr. Who“ Magazine. Nicht jedem Fan werden die Anspielungen auf die „The Sarah Jane Adventures“ auffallen, der populärsten Begleitung des Doctors aus der alten, ersten lange währenden Ägide der britischen Science Fiction Serie. Der Fan der neuen, sehr viel Action orientierteren Serie braucht diese zahllosen Querverweise im Grunde nicht verstehen, da sie für die Tiefe des Plots nicht unbedingt nötig sind. Wie in vielen Episoden der Fernsehserie wirft der Doktor diese Anspielungen eher beiläufig in den Plot ein, um ein Band mit den langjährigen Fans zu knüpfen. 

 

Auch wenn die grundlegende Handlung eher vorhersehbar und die Feinde sowie deren Vorgehensweise – vieles erinnert ein wenig an die letzte „Quatermass“ Episode „The Quatermass Conclusion“ – für aufmerksame Leser zu schnell zu erkennen sind, ist es die Verbindung zwischen emotionalen Szenen und einer geradlinigen Handlung, welche der Roman aus der Masse hervorstehen lassen.

Der zehnte Doktor begleitet Donna zur Erde. Vor einem Jahr ist ihr Vater bei der Rettung der Erde verstorben und an diesem Jahrestag möchte sie bei ihrer Mutter sein. Der Empfang ist kühl. Schließlich hat sich Donna innerhalb dieses Jahres nur per Postkarte und Mail bei ihrem Großvater gemeldet. Das Verhältnis zwischen Donna und ihrer Mutter ist eine der drei Kernbeziehungen dieses Romans. Beide Frauen haben Schutzschilde gegenüber der Welt aufgebaut, um den persönlichen Verlust zu verkraften und weiterleben zu können. Beide bemerken nicht, das sich diese Schilde ausgerechnet gegen die richten, die selbst Hilfe und Unterstützung benötigen. Es dauert seine Zeit, bis sie wieder miteinander kommunizieren können, ohne sich Vorwürfe zu machen. Interessant ist, dass Gary Russell dabei der ehemals flippigen Donna eine Vorreiterrolle zugesteht. Die Abenteuer mit dem Doktor, die zahllosen Hilfsaktionen in den Tiefen der Galaxis und eine gewisse mütterliche Fürsorge dem unsterblichen „Time Lord“ gegenüber haben in Donna ein Verständnis auch gegenüber ihrer anfänglich aggressiven Mutter wachsen lassen. Wenn am Ende des Buches beide erkennen, dass Freiheit und Anhänglichkeit keine Widersprüche sein müssen, dann hat der Leser einen Reifeprozess verfolgt, der sich täglich tausendfach in zahllosen Nachbarsfamilien abspielen müsste, es aber nicht tut.

Die zweite Beziehungsebene ist im Grunde eine Dreieckskonstellation. Wilfred Mott hat ebenfalls vor einem Jahr seinen Sohn, Donnas Vater verloren. Donna hat mit ihm in Kontakt gestanden, während seine Schwiegertochter sich eher mechanisch aus Pflichterfüllung um ihn gekümmert hat. Vielleicht liegt auch der Vorwurf in der Luft, dass nicht die älteste Generation zuerst abgetreten ist. Für Donnas Mutter wiegt die Zurückversetzung gegenüber dem Großvater auch schwer. Der Aufbau einer „normalen“ familiären Beziehung ist nicht so intensiv wie zwischen Donna und ihrer Mutter, aber die zarten Knospen beginnen am Ende des Buches in einer vielleicht ein wenig zu kitschigen Szene wieder zu blühen. Die dritte tragische Beziehung ist zwischen Wilfred Mott und Netty, die an Alzheimer erkrankt ist. Gary Russel beschreibt die heimtückischen Folgen dieser schleichenden Krankheit mit einer überzeugenden Mischung aus schwarzen Humor – Netty gelingt es noch, über ihre Black Outs zu scherzen – und Ergriffenheit. Insbesondere Wilfred Mott möchte die zweite, sehr späte Liebe seines Lebens nicht verlieren und muss wie alle Menschen dieser Geschichte opfern bringen. Vielleicht werden einige Kritiker Gary Russell einen schlechten Geschmack vorwerfen, weil er Krankheit und Rettung der Erde in einen Topf geworfen hat. Aber er sollte für den Mut gelobt werden, der Geschichte ein ungewöhnliches Ende gegeben zu haben. Diese drei Beziehungen laufen parallel zueinander ab. Der Doktor steht in allen drei Fällen direkt oder indirekt zwischen den Fronten, wobei insbesondere das Verhältnis zu Wilfred Mott, der ihm väterlich gegenüber steht, im Verlaufe der Handlung auf tragische Art und Weise belastet wird. Gary Russel macht nicht den Fehler, seinen Doktor zu einem allwissenden Ratgeber zu machen- viel öfter steht der Timelord überfordert den Menschen gegenüber und kann sich nur in Phrasen retten. Aber diese Hilflosigkeit gepaart mit eiserner Entschlossenheit haben bewirkt, dass David Tennant den Doktor zu einem Publikumsmagneten für eine neue Ära gemacht haben. Im Vergleich zu vielen anderen der gegenwärtig publizierten „Dr. Who“ Geschichten funktioniert „Wunderschönes Chaos“ auf der hintergründigen, zwischenmenschlichen Ebene sehr gut, während der Doktor selbst erstaunlich blass geblieben ist. Das Verhältnis zwischen Donna und dem Doktor inklusiv der zahllosen pointierten Dialoge sind die Höhepunkte dieses Romans.     

Wie schon angesprochen ist die eigentliche Handlung sehr stringent, vielleicht sogar zu einfach gehalten. Eine alt bekannte Macht greift wieder nach Erde und will alle Menschen Untertan machen. Dazu benutzt sie neben dem allgegenwärtigen Chaoskörper, der erstaunlich blass in die Handlung eingebunden ist, die Technikaffinität der Menschen. Ein neuer Computer – die Anlehnung an Apple und dessen Produkte ist nicht zu übersehen – soll das Tor öffnen. Dabei übersieht Gary Russell, das selbst Apple insbesondere in der dritten Welt keine „Macht“ ausüben kann. Da der Autor die Schurkin sehr früh einführt und auch der Doktor die Gefahr, sowie die Vorgehensweise seiner alten Gegnerin – das bezieht sich auf die vierte Inkarnation – zu früh ahnt, baut Gary Russell kaum Spannung auf. Zu mechanisch verläuft das Grundgerüst der Handlung und im Gegensatz zu den Protagonisten ahnt der Leser sehr früh die tragischen Zusammenhänge zwischen Nettys Krankheit und der Rettung der Menschheit. Obwohl Gary Russell dank seiner Emotionalität diese Szenen sehr gut beschreiben kann, ist selbst die finale Idee weder für den „Doctor Who“ Kosmos noch das Genre wirklich neu. Für die Auflösung scheint der eigentliche Plan zu kompliziert. Eine Mischung aus High Tech – die beschriebenen Computer – und Aberglaube – Sternenkonstellationen spielen anfänglich eine wichtige Rolle, die Gary Russell zu wenig extrapoliert – sind für die Eroberung der Erde notwendig. Das der Doktor im richtigen oder falschen Moment auftaucht, ist eine Frage der Perspektive. Natürlich soll „Wundervolles Chaos“ auch eine klassische Rachegeschichte sein, wobei der Doktor nur ein Teilobjekt der Begierde ist. Nicht selten bleibt der Eindruck, als wenn sich Gary Russell positiv zu sehr in seine menschliche Charakter verliebt hat, als das er ihnen nachhaltig weh tun möchte. In dieser Hinsicht mag der Leser manche Schwäche im zu stereotypen Handlungsaufbau verzeihen, weil der Autor auf der anderen Seite so viele Stärken präsentiert, das „Wunderschönes Chaos“ trotzdem oder gerade deswegen zu den besten neuen „Doctor Who“ Romanen der Serie gehört. Alleine der Marsch durch das nächtliche London mit seinen vielen, persönlichen Details; der Besuch der königlich astronomischen Gesellschaft, wo Wiff für die Entdeckung eines „neuen“ Sterns ausgezeichnet werden soll und schließlich das finale Gespräch zwischen Donnas Mutter und Wiff seien hier nur stellvertretend erwähnt. Auch wenn Donna durch ihre Reisen mit dem Doktor zahllose Wunder verschiedener Galaxien und Zeiten besucht hat, beinhaltet die zeitlich begrenzte Rückkehr zur Erde, der Besuch der Verwandten auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, die eigentliche Stärke dieses empfehlenswerten und kurzweiligen „Doctor Who“ Abenteuers, dessen Stärken fast ausschließlich in der Charakterisierung der handelnden Personen liegen, während der Plot ein wenig mehr Chaos – egal ob wunderschön oder einfach nur provozierend – verdient und benötigt hätte.

 

Verlag Cross Cult
260 Seiten, 
Preis: 12,80 €
ISBN 978-3-86425-311-9
Erschienen im November 2013