Sherlock Holmes und die Geheimwaffe

Sherlock Holmes und die Geheimwaffe, Titelbild, Rezension
Andreas Zwengel

Andreas Zwengel hat im Laufe seiner Karriere eine Reihe von phantastischen Romanen beginnend mit einer Fortsetzung von H.G. Wells “Krieg der Welten” und endend bei seiner Mitarbeit  an „Ren Dhark“ verfasst.  “Sherlock Holmes und die Geheimwaffe“   ist die erste Kanonarbeit.

Dabei handelt es sich weniger um einen klassischen Deduktionsroman mit Sherlock Holmes in einer wichtigen, seiner Persönlichkeit entsprechenden Position, sondern eine phantastische Abenteuergeschichte mit einem mystischen Hintergrund und zahlreichen politischen Anspielungen. 

Der Handlungsbogen beginnt 1851 auf der Weltausstellung in London.  Ein Pavillon ist noch abgedeckt. Neugierige versuchen herauszufinden, was sich unter der Plane des Standes befindet, der aus der Region Australiens und damit einem Kontinent kommt, der eine ganz besondere Beziehung zu Großbritannien pflegt. Es handelt sich um ein Monster, das  irgendwie vergleichbar einer Mischung aus gigantischer Echse und dem Godzilla erscheint, der inzwischen die japanischen Monster abgelöst hat. Die Bestie erwacht und beginnt eine Art Verwüstungszug.  Nicht nur das Militär ist rechtzeitig zur Stelle, auch die sich kennenlernenden Adrian Panofsky als Assistent eines Professors wobei die Tochter aus  bestem Hause Olivia Morrissey werden die der Gefahr konfrontiert. Sie schweißt sie aber zusammen.

Die nächsten vierzig Jahre verbringen sie mit der Suche nach der verschwundenen Echse. Als ihr inzwischen angetrauter Mann ebenfalls spurlos verschwindet, wendet sie sich an Sherlock Holmes, welcher gerade Lestrade einen wichtigen Ermittlungserfolg zugestanden hat. 

Sherlock Holmes soll ihren Mann suchen, woran dieser erst einmal nicht interessiert ist.

Der Roman ist ein eher ambivalentes  Lesevergnügen.  Zu den Stärken gehört ohne Frage die Zeichnung der Figuren, wobei Andreas Zwengel  manchmal zu Lasten der Glaubwürdigkeit den Bogen überspannt. Während Doktor  Watson im Grunde bis zum Ende hin in mehrfacher Hinsicht ein tragischer Stichwortgeber ist, dessen Moralvorstellungen nicht mehr mit der Realität eines sich paranoid an allen Fronten bedrohten britischen Empires übereinstimmen, steht Sherlock Holmes lange Zeit auch im Schatten von Olivia Morrissey.

Zu den besten Szenen gehört die  erste Begegnung zwischen Sherlock Holmes und die nicht mehr so jungen, aber sehr attraktiven wie intelligenten Frau, die in eine Art Tomb Raider Rolle geschlüpft ist. Sherlock Holmes versucht sie mit seiner Beobachtungsgabe zu beeindrucken, was sie mit pragmatischen Kommentaren und vor allem einer Entschlüsselung der offensichtlichen Hinweise kontert. 

Im Laufe der Handlung ist sie bis auf die finale Rettung für  alle brenzligen Situationen verantwortlich. Sie erschießt kaltblütig während des Finales einige „Angreifer“, sie schneidet während der Fahrt in  Wild West Manier ein schwerverletztes Pferd aus dem Kutschengeschirr, um eine Weiterfahrt zu ermöglichen und rechtzeitig kommt sie Sherlock Holmes sowie Doktor Watson zu Hilfe,  als die nach ihrer ersten Untersuchung eines abgeschieden gelegenen Ortes vor den feindseligen Bewohnern fliehen müssen. Olivia ist furchtlos, entschlossen, resolut, verbal schlagfertig und mehr Amazone  als britische Lady.  Sie kümmert sich nicht um die aus ihrer Sicht überholte britische Moral und wenn sie die Dienerschaft im Diogenes Club provoziert,  greift sie auch gerne auf weibliche Mittel zurück. 

Sherlock Holmes bleibt beginnend beim verlorenen anfänglichen verbalen Schlagabtausch zwar auf Augenhöhe, aber ermittlungstechnisch manchmal zu hintergründig. Alleine das Gespräch mit Mycroft Holmes beinhaltet verklausuliert eine entsprechende Warnung, die im Umkehrschluss aber auch die entscheidende Spur ist, welche Olivia und ihren Ermittlern weiterhilft. Aber das wirklich im Sonne des für  die Regierung arbeitenden Bruders gewesen ist, hinterfragt  der Autor  während des Showdowns selbst. 

Wie vieles bleibt die Strukturierung der Handlung eher ambivalent. Mit den richtigen Hinweisen in den Händen ist es plötzlich leicht, den verschiedenen Spuren zu folgen und schließlich zum Ziel zu kommen. Wie in den französischen Sherlock Holmes Comics bemüht sich Andreas Zwengel vor dem viktorianischen Hintergrund auch um eine semiphantastische Atmosphäre und zeigt schließlich eine Untergrundeinrichtung, die Ken Adams James Bond Sets in nichts nachsteht.  Dazu noch ein Querverweis auf Alexandre Dumas „Der Mann mit der eisernen Maske“ und der Plot kann Action lastig, aber auch ein wenig zu hektisch abgeschlossen werden.    

Als  Ermittler braucht Sherlock Holmes zu wenig den Verstand gebrauchen als den zu offensichtlich ausgelegten Spuren vor allem im Angesichts eines derartig gewaltigen Geheimnisses zu folgen.  In dieser Hinsicht ist der Roman ein wenig zu unterentwickelt und vor allem auch deutlich zu kurz. 

Ein weiterer Punkt ist die darüber hinausgehende Hintergrundentwicklung. Das Monster wird eher oberflächlich beschrieben und soll deswegen bedrohlicher erscheinen. Es gibt aber keine weiteren Hinweise auf dessen Herkunft und manchmal erinnert einiges an die Mär  von der „Riesenratte von Sumatra“, deren Geschichte auch erst spät  und dann teilweise zu profan im Rahmen einer Pastiche  aufgeklärt worden ist.  Dass die Briten diese Geheimwaffe in den letzten Jahren immer  wieder per  Luftschiff zu verschiedenen Konflikten geflogen und entsprechend eingesetzt haben, mag der Leser im Gegensatz zum erbosten Watson noch zähneknirschend akzeptieren, dass es aber keine Gerüchte gegeben hat und vor allem alle auch unschuldigen Zeugen konsequent ermordet worden sind, erscheint genauso konstruiert wie das die Arbeiter in der Nacht der Weltausstellung vor  vierzig Jahren alles wieder hergerichtet haben.

Dieser Pakt des  Schweigens ist inhaltlich stark konstruiert und nimmt einigen interessanten Diskussionsansätzen  leider die Glaubwürdigkeit.  Natürlich stellt sich die seit dem Atombombeneinsatz über Japan diskutierte Frage, ob der effektive Einsatz einer Geheimwaffe auf längere Sicht mehr Leben rettet als ihre unmittelbaren Folgen nehmen.  Die Protagonisten allen voran Mycroft Holmes fühlen sich mit dieser  These bestätigt, alleine  wie schon angesprochen der fast stoisch dickköpfig erscheinende Watson beharrt auf dem ehrenwerten Kampf Soldat gegen Soldat ohne Waffen, die an Massenmord erinnern.

Aber es bleibt die Frage,  ob wie die Atombombe eine derartig exotische Waffe überhaupt  kontrollierbar ist. Hinzu kommen eine Reihe von oberflächlichen Andeutungen und theoretisierenden  Diskussionen buchstäblich um das zum Monster gewordene goldene Kalb, ohne das sich  Andreas Zwengel abschließend für  seine  Protagonisten auf eine Position festlegen möchte. 

„Sherlock Holmes und die Geheimwaffe“ ist ohne Frage eine sehr kurzweilige,  teilweise aber auch zu oberflächlich konstruierte  Lektüre,  mit einem solide charakterisierten Sherlock Holmes, aber einer dominanten wie dominierenden Olivia Morrissey, der  man den vorhandenen Handlungsverlauf betrachtend  durchaus zutraut, auch ohne den Ballast Holmes und Watson ihren Mann aus der unterirdischen Folterhölle des britischen Empires zu befreien. Durch diese Verlagerung der Verantwortung  geht dem Roman ein Teil seines für dieses Subgenres wichtigen Charme verloren, zumal zu viele Fragen  im Grunde von den ersten, ein wenig selbstironisch geschriebenen Seiten an konsequent umschifft, aber an keiner Stelle beantwortet werden.        

 

Taschenbuch, 172 Seiten

direkt beim Verlag bestellbar

www.blitz-verlag.de

Kategorie: