
„Einige werden Überleben“ ist Algis Budrys erster Versuch, allerdings aus Kurzgeschichten eine Art Mosaikroman zu bilden. Der erste Entwurf hieß noch „False Night“ und erschien 1954. Sieben Jahre später hat er das Buch grundlegend überarbeitet und unter dem jetzt bekannten Titel publiziert. Die in den achtziger Jahren veröffentlichte Ausgabe im Rahmen der Moewig Science Fiction Reihe ist allerdings nicht die Fassung aus den Achtzigern, sondern eine 1978 noch einmal grundlegend überarbeitete Version. Der damalige Herausgeber der Moewig Science Fiction Reihe weist auf diese dritte Version nicht gesondert hin, sondern spricht von Algis Budrys erstem Roman, was angesichts der gewählten Struktur unabhängig publizierter und durch einen unvollständigen Rahmen miteinander verbundener Kurzgeschichten auch nicht gänzlich richtig ist.
Der Rahmen ist auch verführerisch. Der Protagonist sucht nach einer Legende, einem Mann, der erst nach der Katastrophe aus den Überlebenden New Yorks eine neue Gemeinschaft, eine wehrhafte Schutzburg basierend auf den theoretischen Prinzipien der amerikanischen Verfassung geformt hat. Jahre später haben ihn subversive Kräfte des Verrats angeklagt, zum Tod verurteilt und seinen Körper an einem der wenigen funktionierenden Wagen durch die Straßen geschleift. Aber niemand weiß wirklich, ob es sich bei dem Toten um den charismatischen Anführer gehandelt hat. Legenden sagen, dass er unauffällig im Westen in einer der kleinen sich jetzt bildenden Siedlungen leben soll. Die Expedition soll beweisen, dass es sich nur um Legenden handelt. Auf den Rahmen greift Budrys in den folgenden Geschichten immer wieder zurück. Sie wirken wie ein nicht immer effektives verbindendes Glied, während die zugrunde liegenden Texte der Kurzgeschichte individuelle Episoden der sozialen Rückeroberung des amerikanischen Kontinents nach der großen Katastrophe zeigen.
Interessant ist, dass zum Beispiel das besondere gepanzerte Kettenfahrzeug direkt oder indirekt Roger Zelazny zu „Straße der Verdammnis“ inspiriert haben könnte. In der ersten Geschichte wird der Plot offen gelegt. Die Prämisse ist ausgesprochen einfach und dient nur als eine Art Katalysator. Eine mysteriöse Seuche grassiert und tötet neunzig Prozent der Erdbevölkerung innerhalb kurzer Zeit. Die Überlebenden können die Zivilisation im bisherigen Umfang nicht aufrechterhalten und Barbarei macht sich breit.
Im Gegensatz zu vielen anderen Post Doomsday Geschichte verzichtet Algis Budrys vor allem während des starken, sehr distanziert, aber effektiv erzählten Auftakts auf fast alle Klischees. Es gibt weder Zombies noch Mutanten; die Krankheit tötet lautlos, effektiv wie absolut und es gibt keine Vorboten. Niemand kann erkennen, ob jemand infiziert worden ist oder nicht. Die katastrophalen Auswirkungen inklusiv der um sich greifenden Furcht vor den Mitmenschen; die hilflose Propagandamaschine der Politiker und schließlich die fatalistische Propaganda werden nicht auf Augenhöhe beschrieben. Der Leser erfährt meistens nur von den Folgen durch die einzelnen Gespräche der Überlebenden untereinander. Nur an wenigen Stellen muss der Autor diese subjektive Art der Faktenübermittlung unterbrechen und beschreibt pragmatisch, in kurzen pointierten Sätzen den Ablauf der Katastrophe. In dieser Auftaktepisode werden auch alle wichtigen Figuren der folgenden, sich über einige Jahrzehnte hinstreckenden Chronik vorgestellt. In dieser Hinsicht erinnert der Aufbau und vor allem ein Teil des Ablaufs an Stewarts „Leben ohne Ende“, in dem es auch um den Wiederaufbau einer Zivilisation nach der großen, ebenfalls nicht atomaren Katastrophe geht.
Während Stewart aber einen heroisch epischen Ton angeschlagen hat und sich handlungstechnisch auf eine Siedelung im Meer der Barbarei konzentrierte, springt Budrys der Kurzgeschichtenstruktur geschuldet hin und her.
Rote Fäden bilden der Rahmen mit dem militärischen Commander Joe Curtis dieser Expedition, der im Auftrag der wieder auseinander brechenden Regierung des Stadtstaates Chicago nach dem legendären Berendtsen sucht, dem ehemaligen Anführer der bewunderten wie gefürchteten Vereinigungsarmee. Berendtsen hat – ebenfalls in Episoden erzählt – die östlichen USA und Kanada mit Waffengewalt aber auch logischen Argumenten wiedervereint und aus den zahllosen kleinen Siedlungen eine Nation geformt, welche zwar nicht den technologischen Standard vor der Katastrophe erreichen konnte, in welcher die Menschen aber wehrhaft friedlich leben durften.
Der zweite rote Faden ist die fast tragisch zu nennende Geschichte zweier Familien. Der Garvins und der Berendtsen. Der neunzehnjährige Matt Garvin hat die Suche nur überlebt, weil er während der Ausbreitung an einem Fieber gelitten hat. Ebenfalls ein fast klassisch klischeehaftes Motiv, dessen Grundidee an den sehenden Überlebenden in John Wyndhams „The Triffids“ erinnert. Während seiner Flucht durch die fast leeren Straßen Manhattans trifft er auf einen der Berendtsen, der früh gelernt hat, mit einer Mischung auf Effektivität wie Rücksichtslosigkeit zu überleben. Er nimmt Matt Garvin sowie eine junge Frau, die Garvin auf den Straßen gefunden hat, unter seine Fittiche. Viele der kommenden Ereignisse auf dem Weg zur Gründung einer zweiten kleineren USA werden vor allem aus Matt Garvins teilweise bewundernder, aber auch kritischer Perspektive erzählt.
Politisch beschreibt Algis Budrys den Fall einer Nation und die schwierige Phase des Wiederaufbaus aus dem Zeitalter der Anarchie. Ohne in die Details zu gehen und dadurch im direkten Vergleich zu „Leben ohne Ende“ auf den ersten Blick simpler gestrickt zu erscheinen werden wichtige Meilensteine wie das friedliche erneute Zusammenleben; der Aufbau einer Infrastruktur und Selbstversorgung sowie schließlich das Abwehren von durch das Land streifenden Banden beschrieben. Auf demokratischen Grundlagen basierend hackt der Autor jeden wichtigen Punkt ab. Entgegen seiner provokanten Romane wie „Who“ oder „Rogue Moon“, viel seichter als zum Beispiel auch „Michaelismas“, aber der Zeitraffertradition seines letzten Buches „Hard Landing“ entsprechend wirkt „Some will not Die“ wie der Versuch, eine Balance zwischen Handlung und politisch sanfter Botschaft direkt an das Ende des Zweiten Weltkriegs während des Koreakrieges zu finden.
Viele Szenen werden abrupt, zu hektisch erscheinen. Auch die Auflösung des Rahmens erscheint eher pragmatisch als nachhaltig genug konstruiert. Vor allem fehlt Budrys das Gespür, episch zu erzählen und trotzdem auf den Punkt zu kommen. Zu den Stärken des Episodenromans gehört ohne Frage die analytische Fähigkeit des Autoren, die Stärken und Schwächen jeglicher Form von Demokratie in einem direkten Vergleich zu den barbarischen Diktaturen dreidimensional, überzeugend, aber nicht bewertend darzustellen. Es ist kein Wunder, dass zu den schockierenden Szenen Berendtsens politischer Fall gehört, der von den Meuchelmördern unter seinen politischen Freunden initiiert wird. Budrys macht klar und deutlich, dass die Stunde der Helden nur Sekunden in der Menschheitsgeschichte sind und das sich politische Ränkespiele durchsetzen.
Es ist keine Überraschung, dass selbst eine Generation nach der Haupthandlung sein Panzerkommandant Joe Curtis desillusioniert auf die Rückreise begeben muss, auch wenn er sein Ziel seiner Mission zumindest vordergründig erreicht hat. Die Unterbrechung der Chronik durch die Einschübe vor jeder Geschichte irritieren anfänglich und Budrys muss ein wenig umständlich erläutern, warum er einen chronologisch Handlungsstrang zu Gunsten dieser Struktur ignoriert, am Ende fallen die einzelnen Mosaiksteine aber vor allem für diese Art von Fugenromanen sehr überzeugend zusammen und fatalistisch schenkt der Autor seinen Lesern zumindest eine Art Ausblick.
Die Zeichnung der Figuren ist eher pragmatisch, wobei insbesondere die weiblichen Protagonisten eher eindimensional charakterisiert und auf die Rolle von Stichwortgebern reduziert worden sind. Vor allem direkt oder indirekt hängt der Roman an den Lippen Ted Berendtsens, der mit seiner rücksichtslosen im demokratischen Sinne, geradlinigen und ausgleichenden Art die Zivilisation wieder aufbaut, während sein bester Begleiter Jim Garvin damit leben muss, dass ausgerechnet seine Familie seinem Idol den Dolch in den Rücken sticht. Ohne in die Details zu gehen beginnen seine Figuren eher aus ihren Handlungen als ihren Träumen, Vorstellungen oder auch nur Monologen heraus in einem engen Rahmen einer theatralischen Tragödie zu leben. Es ist eine interessante Mischung aus Nähe vor allem in den ersten Abschnitten und notwendiger Distanz zu den abschließenden Grabenkämpfen, welche das Buch zeitloser erscheinen lassen als es vielleicht die Beschreibung eines New Yorks der fünfziger Jahren im ersten Kapitel erscheinen lässt.
Budrys beste Arbeiten sind Kurzgeschichten. Seine Handvoll Romane sind immer sehr kompakt, sehr prägnant und vor allem inhaltlich sehr geradlinig geschrieben worden. „Some will not Die“ ist im Grunde eine perfekte Symbiose aus seinen sehr guten Kurzgeschichten und einem inhaltlich weiterreichenden Rahmen. Trotz kleinerer Schwächen steht „Some will not Die“ zu Unrecht im Schatten von „Who?“ und „Rogue Moon“.
- Broschiert
- Verlag: Moewig, (1981)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3811835173
- ISBN-13: 978-3811835177