Gegen Unendlich 11

Gegen Unendlich, Titelbild, Rezension
Michael J. Awe, Andreas Fieberg und Joachim Pack

Mit „Gegen Unendlich“ 11 kehrt das Online Kurzgeschichtenmagazin zum Papier zurück. Neben einer Sammlung der besten Kurzgeschichten, die im Verlag p.machinery vor kurzem erschienen ist, wollen die Herausgeber Michael J. Awe, Andreas Fieberg und Joachim Pack in Kooperation mit Michael Haitels Verlag jede neue Ausgabe ihres Online Magazines auch in Druckform dieses Mal mit einem schönen Titelbild von Luca Oleastri anbieten. 

 Herausgeber Michael J. Awe eröffnet „Gegen unendlich“ mit „Das Gegenteil der Mozartkugel“. Es ist eine der Geschichten, in denen sich der Leser mehr Hintergrundinformationen zu dieser seltsamen Sternenfahrerrasse auf einer unbekannten Mission mit starren Hierarchien wünscht. Vor allem scheint mehr als ein Raumschiff in Richtung des unbekannten Zieles unterwegs zu sein und sich zu unterschiedlichen Zeiten der Erde zu nähern. Der Auftakt entspricht einer Folge der „Twilight Zone“. Drei Außerirdische als alte Menschen „verkleidet“ genießen das süße Leben auf der Erde, als plötzlich vor dem Gartentor ein weiteres Mitglied ihrer Rasse steht und sie um Hilfe bietet.

Ein sehr schöner überzeugender Auftakt. Die zweite Hälfte wirkt ein wenig zu gerafft, der Zufall hilft ein wenig, bevor der Autor zu einem bittersüßen Ende ansetzt und zeigt, dass die Rasse sich zumindest ihrer einzelnen Mitglieder ein wenig auf einem Irrflug befindet. Die zweite Hälfte kann nicht mehr so überzeugen, da der Plot zu schnell ablaufen muss und einige Passagen ein wenig zu opportunistisch konstruiert erscheinen, aber vor allem der schöne Auftakt mit seiner Mischung aus Phantastik und im Grunde Alltagsgeschehen einschädigt abschließend.   

 Monika Niehaus „Ein Auge für Details“ beschreibt die Werksführung durch eine Firma, die alles künstlich züchten kann. Dabei wird – wie die Pointe zeigt – nicht nur künstlich erzeugt, sondern auch „verarbeitet“. Eine kurzweilige Geschichte mit einer fast aus dem Nichts kommenden Pointe, die allerdings besser und weitergehend hätte extrapoliert werden können.

Auch Joachim Packs „Invasion!” fängt sehr überzeugend mit den intelligenten Küchengeräten und ihrer interaktiven Kommunikation an, während der Plot zum Ende hin sich nicht nur dreht, sondern die neue Idee nicht harmonisch oder nachvollziehbar genug erscheint.

 Peter Nathschlägers „Das Dorf der anderen“ – Der Titel ist kein Schreibfehler – beschreibt wie Joseph Conrads „Herz der Dunkelheit“ die Reise einer kleinen Gruppe von Überlebenden aus den inzwischen verwüsteten Großstädten Brasiliens in den Dschungel und zu einem Dorf, in dem ein Überleben möglich erscheint. Der Auftakt ist stimmig, die Grundidee solide aufgebaut und vor allem die Charaktere überzeugen, bevor der Autor wie Joachim Pack zu viel in die Handlung einbauen möchte, um schließlich den Plot mit einer Art offenen Fragen zu beenden. Die Ausgangslage hätte für eine Novelle gereicht. Reisen auf Flüssen mit Gefahren an den Ufern haben grundsätzlich etwas Faszinierendes und wenn der Autor die Handlung vor einem exotischen Hintergrund – keine amerikanische Großstadt steht im Mittelpunkt der Katastrophe – beschreibt, dann hat er die Leser auf seiner Seite. Wenn er sich schon zu einem offenen Ende mit einer hinterfragenswerten Pointe entschließt, dann sollte er auf der negativen Seite aber diese Idee ausreichend vorbereiten, um den Leser in seinen Gedankenfluss besser einzubauen. In dieser Hinsicht enttäuscht die anfänglich so stark beginnende Kurzgeschichte.

 Andreas Fiebergs „Rechnung mit einer Unbekannten“ beschreibt eine Expedition zu einem unbekannten Planeten. Die Raumschiffe können anscheinend Dimensionen durchbrechen und sich in Alternativlinien bewegen. Das betreffende Sonnensystem hat neben einem erdähnlichen Planeten auch über eine geheimnisvolle Welt verfügt, die in ihrem Umlauf dem im Sonnensystem befindlichen Asteroidengürtel folgt. In dieser Alternativschiene ist der Planet nicht durch einen Asteroideneinschlag zerstört worden. Der Plot wird stringent erzählt, aber der zur Verfügung stehende Raum wirkt für die zahlreichen, hier präsentierten Ideen zu gedrängt, so dass der Handlungsbogen ein wenig sprunghaft erscheint und nicht homogen dahin fließt. Auf der anderen Seite präsentiert Andreas Fieberg einen sehr ambitionierten Handlungsbogen, welcher dem Leser vor allem zu Beginn fast nur in Nebensätzen noch eine Reihe ungehobener Ideen präsentiert.

 Michael J. Awe stellt mit »Carl Grunert – Zukunftsnovellen vom Müggelsee« den romantisch utopischen Autoren aus der Zeit vor dem Erstzen Weltkrieg  vor. Allerdings hat Carl Grunerts Werk in den letzten Jahren sowohl von Dieter von Reeken aus Lüneburg mit einer empfehlenswerten Werksausgabe sowie ergänzend von Detlef Münch in seinem Synergen Verlag eine Wiederentdeckung erfahren, so dass dieser Nachdruck vor allem in einer käuflich zu erwerbenden Buchausgabe überflüssig erscheint. Es wäre sinnvoller gewesen, wenn sich die Herausgeber in einer Kooperation mit zum Beispiel Detlef Münch oder Dieter von Reeken die Mühe gemacht hätten, wirklich einen auch heute noch gänzlich unbekannten Autoren utopischer Stoffe zu finden und als eine Art Premiere vorzustellen.

Dieses Manko ändert aber nichts an der Qualität der Carl Grunert Story.Die abschließende Geschichte „Heimkehr“ ist einer der stärksten Arbeiten dieser Anthologie und hat auch nichts von seiner Atmosphäre  sowie Originalität verloren. Bei einer zufälligen Begegnung in einer Zugkabine greift der Erzähler nach der Schutzbrille des ihm gegenüber schlafenden Mannes, um diese vor dem Fall auf den Boden zu retten. Dabei schaut er durch und kann ins Innere, in die Seele, eines Menschen schauen. Ein weiterer Passagier plant für den nächsten Tag einen Überfall, der bebrillte Zuschauer nimmt fast an der zukünftigen Tag teil. Ein Blick auf die Zugbewandung führt ihn in die innere mechanische Struktur des Zuges, eine Betrachtung des grauen Himmels lässt in weitere zu den Sternen reisen. Kaum wacht sein Gegenüber auf, schwankt der Erzähler, aber die Geschichte nur ein Traum bist, bis sie sich durch eine Kleinigkeit bestätigen lässt. Stilistisch sehr gut bis zum ausklingenden, optimistischen Gedicht hält Carl Grunert seine Leser hier im Niemandsland zwischen Traum und wahrer Begebenheit gefangen. Mit seinen Beobachtungen baut sich der zu Beginn traurige Erzähler wieder auf und gleich dem kleiner werdenden Mann aus Jack Arnolds Film „Die unglaubliche Geschichte des Mr.C“ (allerdings nicht der zugrunde liegenden Geschichte von Richard Matheson) erkennt er seinen Platz im Universum und fängt einen neuen Lebensabschnitt an.

 Zusammengefasst sind die insgesamt sechs Geschichten in „Gegen Unendlich“ 11 mindestens solide bis unterhaltsam. Stilistisch ansprechend werden unterschiedliche Themen gestreift und das Potential zum Ausbau der Texte auch in Richtung Novellen ist ohne Frage vorhanden.  Nicht alle Geschichten wirken bis zum Ende hin zufrieden stellend durchstrukturiert, so dass nicht das ganze Potential gehoben wird. Aber „Gegen Unendlich“ 11 ist ein guter Einstieg, um die Serie auch in gedruckter Form einem neuen zusätzlichen Publikum zu präsentieren.  

  

  • Taschenbuch: 72 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel; Auflage: 1 (12. Februar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651212
  • ISBN-13: 978-3957651211