Der dritte Roman um Merlin von Amber ist im Original “Sign of Chaos“ betitelt worden. Strukturell passt der Titel auch auf den Vorgängerband „Blood of Amber“, in dem Roger Zelazny als eine Art Quadratur des Kreises auf verschiedenen Baustellen mitgespielt hat, aber weder die grundlegende Handlung vorantreiben wollte noch sich entschlossen hat, bislang oberflächliche Informationen zu extrapolieren oder wichtige Fakten in die Räume der vielen Spiegelwelten gestellt zu relativieren.
Wie in den Corwin Bänden spielt der Hintergrund seines Protagonisten eine wichtige Rolle. Schon im insgesamt siebenten Roman hat Zelazny mit einem opportunistischen, aber im Rahmen der Handlungsstruktur auch nicht gänzlich befriedigenden Zeitsprung in Merlins Jugend die Idee eines weiteren, bislang unbekannten, aber sehr langen Feindes entwickelt. Angesichts der zahlreichen Anschläge auf Merlins Leben, der zwei Verursacher der Leser direkt wie indirekt kennengelernt hat, wirkt die Einführung eines weiteren potentiellen Attentäters ein wenig zu übertrieben, so dass der Handlungsbogen unter dem nicht nur in dieser Hinsicht zusätzlichen Ballast zu leiden beginnt.
Schon die Vätergeneration mit insgesamt neun Prinzen und zusätzlich einigen eher im Hintergrund agierenden Prinzessin entwickelte sich zu einer sehr verschachtelten Familie, deren einzelne Zweige eher opportunistisch eingesetzt worden sind. Höhepunkt dieser Verbindungen ist ohne Frage ein Treffen der bislang überlebenden Ambers gewesen, in deren Verlauf nicht nur ein Attentat auf Corwin stattfand, sondern die einzelnen Brüder und Schwestern sich irgendwie vertrauen mussten. Unterstrichen durch pointierte, doppeldeutige und hervorragende Dialoge gehörte dieser eher unfreiwillige Kaffeeklatsch zu den besten Szenen der bisherigen Serie. In den Merlin Romanen geht Roger Zelazny einen zu komplizierten Weg. Nach dem langen Rückblick im letzten Drittel von „Das Blut von Amber“ führt Zelazny jetzt die beiden Halbbrüder Jurt und Mandor ein.
Mit dem Großvater - Oberon diente auch als Schattenfigur in der ersten Teilserie – als eine Art Zeus der Amberwelt, der mit allen verfügbaren Frauen nicht nur geschlafen, sondern zahllose Kinder gezeugt hat – versucht Roger Zelazny diesen Familienclan zu fokussieren. Im Grunde macht der Autor aber getreu den achtziger Jahren den Fehler vieler Soap Operas wie eben „Dallas“ oder „Denver“, irgendwo sich nahe am Inzest zu bewegen und trotzdem sauber zu bleiben. Geschwister und Halbgeschwister aus dem Hut zu zaubern und sie nach wenigen Szenen wieder verschwinden zu lassen. Dazu eine möglichst personifizierte wie ambivalente Drohung.
Auch wenn das vorliegende Handlungsmuster bekannt ist, entwickelt sich vor allem Merlin im Gegensatz zum deutlich aktiveren und intelligenten Vater Corwin nicht weiter. Schon in den ersten beiden Bänden dieser zweiten Miniserie war es erstaunlich, dass sich Merlin wichtige Mitgliedern der Amber Familie nicht anvertraute und statt dessen immer den gleichen Fehler machte, in dem er auf die Menschen auch im zweiten oder dritten Anlauf hörte, die ihm bekanntlich bislang geschadet haben. Wahrscheinlich wäre eine Audienz beim König, seinem Onkel, effektiver gewesen und hätte die vordergründigen Verschwörungen schon unterbunden.
Neben diesen unglaubwürdigen Vertraulichkeiten stört ein weiterer Aspekt. In den ersten Romanen ging es um das Schicksal Ambers. Zum einen den Kampf um den Thron, der aus Corwins nicht unberechtigter Sichtweise ihm gehören sollte. Anschließend ging es um die Bedrohung durch die Burgen des Chaos und deren Intrigantin. Ein deutlicher Hinweis auf die Legende um King Arthur und den Fall des mystischen Reichs aus den eigenen Blutsreihen heraus.
Die Fronten waren klar umrissen und auch wenn das Wechseln zwischen den einzelnen Ebenen mehr und mehr zu einem psychedelischen Trip ausartete, behielt der Leser den Überblick und konnte die einzelnen Fronten ohne Probleme zuordnen. Im vorliegenden Roman ist das nicht mehr der Fall.
Schon in den ersten beiden Merlin Abenteuern konnten die Menschen/ Wesen ihre Gestalt wechseln und in verschiedenen, nur bedingt zuzuordnenden Gestalten auftreten. Im vorliegenden Buch wird diese unnötige Chamäleon Fähigkeit unübersichtlich. Vor allem, wenn der Autor zusätzlich auch noch „Tote“ auferstehen lässt und damit zusammen mit den Zauberern, welche mehr oder minder lebendige Illusionen erschaffen, die bisherigen Fakten auf den Kopf stellt.
Wenn ein Autor den personellen Überfluss einer stringenten Handlung unterordnet oder wie in den ersten fünf Amber Bänden es in Form einer Reise mit zahlreichen Zwischenstationen gestaltet, dann ist diese Vorangehensweise vielleicht noch nachvollziehbar, aber wie in „Das Blut von Amber“ springt Zelazny unnötig hin und her.
Merlins Erfinder „Ghostweel“ wird mehr und mehr auf eine Art philosophischen Ratgeber reduziert. Offen gesprochen könnte diese Erfindung als archaischer Vorläufer der künstlichen Intelligenzen gelten, welche in den verschiedenen Formen inzwischen das Science Fiction Genre überschwemmen. Nur wirkt Merlins Umgang mit seiner Erfindung vom ersten Buch bis zu diesem dritten Band zu ambivalent, zu sehr aus der Luft gegriffen, als das der Leser dem Plot in dieser Hinsicht Glauben schenken kann oder nur zu folgen mag.
Das Roger Zelazny die „Amber“ Romane zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr ganz ernst genommen hat, zeigt sich an zwei Stellen. Das Ende ist derartig frustrierend offen, das er in den Leser in Cliffhanger Manier förmlich dazu zwingt, den nächsten Roman zu lesen. Die drei bisherigen „Merlin von Amber“ Bücher verfügten über derartig offene Ende, aber in Hinblick auf mögliche Klischees hat der Amerikaner diesem dritten Buch buchstäblich eine Art Narrenkrone aufgesetzt.
Die Auftaktsequenz mit der anscheinend von Drogen initiierten Mad Hatter Tea Party ist aus dem zweiten Buch übernommen worden, obwohl diese Sequenz nicht das eigentliche Ende von „Das Blut von Amber“ darstellte. Es finden sich zahllose Anspielungen natürlich auf Lewis Carroll sowie die König Arthur Legende ergänzt um dieses Mal keltische Mystik und das königliche Drama von erkennbare Shakespeare Dimensionen. Wer genau hinschaut, wird auch einige kleinere Hinweise auf Gestalten auf Henry Kuttner und C.L. Moore Science Fantasy Storys aus den goldenen Vierzigern erkennen können.
Aber insgesamt bewegt sich die Handlung wie auch bei „Das Blut von Amber“ viel zu wenig, um nachhaltig überzeugen zu können. In diesen Punkten sind die ersten fünf „Amber“ Bücher dem Sohn überlegen und zweitens kann Zelazny das inhaltliche Chaos und die Ambivalenz, mit welcher er Positionen unentschlossen hin und her schiebt, nicht wirklich ordnen, um einen packenden und unterhaltsamen Roman zu präsentieren, welcher die vielschichtige und weites gehend unentdeckte Welt Ambers extrapoliert und nicht durch Ignoranz demontiert.
Originalausgabe erschienen 1987
„Sign of Chaos“,
deutsche Ausgabe erstmals 1995 Heyne Verlag
285 Seiten
ISBN 3-453-08008-4.