Divided States of America

Divided States of America, Titelbild, Rezension
Claudia Kern

“Divided States of America” ist nicht nur Claudia Kerns erster Politthriller, sondern auch in einem direkten Vergleich zu ihren Fantasy Zyklen oder der „Homo Sapiens 404“ Saga

 ihr bisher am meisten ambitioniertes Werk, basierend auf den Wellen, welche die Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten hervorgerufen hat. Ihre Intention und Botschaft sind überdeutlich. Mit dem falschen Mann am Ruder kann der Schmelztiegel USA zerfallen und die in seinem Inneren brüchige wie widersprüchliche Union in einen Bürgerkrieg schlittern, wobei zynisch gesprochen ein Teil der Ursachen nicht in der grundlegend amerikanischen Problematik liegen, sondern wie die Autorin expliziert auch darstellt, in dem mittels Propaganda und nicht eigenen Erfahrungen importierten Faschismus des Dritten Reichs.

 Ihre Ausgangslage ist relativ realistisch gestaltet. Die USA haben einen harten Wahlkampf hinter sich und die Republikaner stellen mit Joseph Johnson einen neue Präsidenten, der wie Trump keine politischen Wurzeln hat, sondern aus der Unterhaltungsbranche kommt. Relativ früh verabschiedet Johnson wie Trump Dekrete und brüskiert seine politische Freunde. Eines dieser Gesetz sieht eine Ausweispflicht für alle Amerikaner und damit auch alle in die USA eingewanderten Menschen vor. Sklavisch folgen zu erst die Banken den Anweisungen und blockieren alle Konten  von Menschen, die nicht nachweisen können, dass sie in den USA geboren worden sind.

 Es ist aber nur der Beginn einer Kettenreaktion, an denen Ende zumindest die zeitweise Separation einiger Bundesstaaten und im Grunde ein im Hintergrund schwelender Bürgerkrieg stehen.

 Beginnend mit der Idee einer überforderten, patriotisch idealistischen Präsidenten und vor allem den politischen Opportunisten in Form seiner Ratgeber versucht Claudia Kern basierend auf einigen wenigen Fakten und viel politischer Extrapolation ein entsprechender Schreckensszenario zu entwickeln, dessen fatalistischen Verlauf sie aus verschiedenen Perspektiven beginnend ganz oben mit dem Präsidenten, seinem Berater und einer frisch angestellten Fotografin; dem Senator von Arizona und seiner Beraterin/ Geliebten; zwei Polizisten in Seattle; der weißen Unterschicht verführt durch eine arische Mythologie, Soldaten einer Pionierregiments oder dem einfachen illegal aus Mexiko eingereisten Arbeiter auf einem Foodtruck beschreibt. Diese Vorgehensweise ist wichtig, um nicht nur  die Komplexität der Grundidee aus den verschiedenen Perspektiven zu beschreiben und einzelne Handlungsverläufe gegen Ende zusammenlaufen zu lassen, sondern vor allem um die Schwierigkeit in sprachlich überzeugende Bilder zu bringen, aus denen der Leser die vordergründig komplizierten Verflechtungen erkennen könnte.

 Ohne Frage hat Claudia Kern ein ambitioniertes, vielleicht auch auf die eine oder andere Ar visionäres Buch verfasst, das aber an einigen entscheidenden Stellen auf Klischees zurückgreift und die diffizile Lage der Gegenwart nur oberflächlich literarisch aufarbeiten kann.

 Ihr Präsident Joseph Johnson trägt absichtlich viel Züge Trumps. Er ist eitel, im Grunde naiv dumm und voller Sendungsbewusstsein. Politisch fühlt er sich eher wie in einem John Wayne Western mit der entsprechenden schwarzweiß Zeichnung zwischen politisch rechtens und ideologisch gewünscht. Der geistige Zerfall des Mannes beschleunigt sich, je stärker die Krise wird und vor allem je weniger erfahrene Politiker um ihn herum sind. Mit dieser Vorgehensweise trifft Claudia Kern in ihrer politischen Version aber nur einen Teil des Problems und ist inzwischen von der Wirklichkeit überholt worden. Ihr Johnson ist eben keine Trumpkopie und das macht das Buch politisch auch einseitig und zweidimensional. Trump ist ein erfolgreicher, rücksichtsloser Immobilienspekulant gewesen, der mit den entsprechenden Geschäftsmethoden immer zu seinem eigenen Vorteil operiert hat. Diese in Zeiten der Globalität nicht geschätzte Vorgehensweise setzt er auch in seiner Politik um, in dem er mit America´s First das Bewusstsein der eigenen Nation stärkt und gleichzeitig seine Handelspartner brüskiert. Dabei stellt sich die Frage, ob er wirklich nur ein naiver Junge im politischen Spielzeugland ist oder seine Vorgehensweise Methode hat.

 Die Abschottung der eigenen Wirtschaft durch eine sich wie bei Reagan für spätere Generation fatal, aber in der Gegenwart viele Menschen begünstigenden Steuerpolitik in Kombination mit Zöllen und Strafen wirkt wie ein Rückgriff auf die finsteren achtziger Jahre, in denen die wirtschaftlichen Verflechtungen noch nicht so stark gewesen sind. Im Grunde folgt Trump damit auch den britischen Bestrebungen, eine Quadratur des Kreises zu erreichen, in der die eigene Wirtschaft zu Lasten der anderen Nationen blüht. Im Grunde zu Gunsten der eigenen Bevölkerung ein klassischer Rückschritt. Claudia Kern konzentriert sich vor allen durch die Ausweispflicht auf eine Isolation und schließlich Abschiebung der illegalen Einwanderer, während Trump ja mit seiner Mauer seine USA nach Süden abschotten möchte. Interessant ist, dass die USA auf der einen Seite von den billigen wie illegalen Arbeitskräften profitieren, auf der anderen Seite das Problem einer unkontrollierten Versorgung der USA mit Drogen aber von der liberalen Presse ignoriert wird.

 In Claudia Kerns Roman löst nicht nur das Ausweisdekret, sondern der inzwischen überall ausbrechende Faschismus in Form von illegalen Bürgerwehren, Naziparolen und schließlich einer Unterdrückung der Minderheiten eine Fluchtwelle aus, da sich einige demokratischen Staaten und schließlich auf Druck auch das republikanische Arizona gegen diese Gesetze stellen und Demokratie/ Menschlichkeit symbolisieren.

 Eine kleine Grenzstadt wird neben Seattle zum Fokus der Auseinandersetzungen, welche das ganze Land auseinander brechen lassen. In Seattle findet ein verheerender Anschlag statt, welche einer islamistischen Gruppe in die Schuhe geschoben wird, obwohl wie nach den Anschlägen des 11. Septembers auch nationalsozialistische erzkonservative Kräfte des politische Chaos für die eigenen Ziele ausnutzen. Dieser Anschlag spaltet endgültig das Land.

 In der kleinen Grenzstadt zwischen Kalifornien und Arizona kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen / linken Lobbyisten auf der einen Seite und Nationalsozialistischen – sie werden bis auf ihren kriminellen Anführer als debil, dumm und rassistisch dargestellt – auf der anderen Seite. In diese Konflikte greifen schließlich auch amerikanische Truppen ein.

 Auch diesen Konflikt beendet Claudia Kern mit einem buchstäblichen Paukenschlag, auch wenn im Gegensatz zum Giftgasangriff die politischen Motive und Opportunitäten weniger überzeugend und nachhaltig herausgearbeitet worden sind, sondern die Autorin einfach eine weitere Flanke benötigt, um die Separation voranzutreiben, die dann bis auf einige martialische Reden, heroische Fotos und einem neuen Präsidenten einer kleinen USA eher im Off stattfinden. Bis zu diesen markanten, den Titel des Buches bestimmenden Szenen hat die Autorin einen weiten, auch zufrieden stellenden Weg vor allem auf der persönlichen Ebene ihrer zahlreichen, aber gut voneinander zu unterscheidenden Protagonisten zurücklegt. Aber trotzdem wirkt das letzte Viertel des Buches ohne augenscheinliche Beweise hektisch, oberflächlich und stark auf eine vorläufige politisch ambivalente Lösung fokussiert.

 Mit dem Zusammenbruch Johnsons und dem Ausbrechen seiner Infantilität hat es die Autoren auch leichter als mit einem verschlagenen, erfahrenen, natürlich ins jede Fettnäpfchen springenden Trump, der vieles ist, aber nicht dumm, naiv und ein Elefant im Porzellanladen. Auch wenn sein ganzes Verhalten nur in diese eine Richtung deutet. Es sind die nicht selten von der Presse ignorierten Zwischentöne, die nachhaltig zeigen, dass Trump in seiner Funktion schockierend gefährlich ist und vor allem eine deutlich differenziertere Persönlichkeit darstellt als es der fiktive Johnson ist. In diesem Punkt wirkt „Divided States of America“  vielleicht zu oberflächlich.

 Weiterhin interessant ist Johnsons treuer Weggefährte und spätere Rivale Davenport, der von seiner intelligenten Geliebten Emma gelenkt irgendwo zwischen ängstlich überfordert und opportunistisch progressiv erscheint. Die Autorin gibt sich viel mehr Mühe, diese seltsame Synthese basierend eher auf der Suche nach Macht und weniger sexueller Anziehung oder Liebe nuancierter darzustellen. In einem direkten Vergleich ist Davenport vielleicht auch der gefährlichere Präsident, dessen Vision von einem wieder geeinten friedlichen Amerika errungen auf den Schlachtfeldern der Ehre einen genauso dunklen Ausblick darstellen könnte wie Johnsons Traum von der Herrschaft der rein arischen Rasse in einem wirtschaftlichen nicht mehr funktionierenden Land.

 Unabhängig von dieser ersten und zweiten Hierarchieebene, die globalen Auswirkungen komplett ignorierend konzentriert sich Claudia Kern bei den anderen Handlungsebenen auf eine Reihe von interessanten, unterschiedlich agierenden Figuren. Ein starker Kontrast ist der debile im Grunde politisch verführte Gefolgsmann des mystischen Odinkults, der nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Veränderungen seine Arbeit verloren hat. Verführt, gelockt folgt er dem natürlich blonden wie reichen neuen potentiellen Hitler ins eigene Verderben. Diese Erkenntnis kommt in einer der schockierenden Szenen viel zu spät, auch wenn die Sequenz basierend auf Aktion und Reaktion aus dem Nichts heraus zu wenig vorbereitet erscheint. Der Gegenentwurf ist die Polizistin Cheyonne, die mit ihrem muslimischen Kollegen die alten Werte der USA wie Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit verkörpert. Im Gegensatz zu allen anderen durch Zwänge von außen gesteuerten Figuren greift sie am Ende die Initiative und schlägt einer der politischen Hydras der Gegenwart den Kopf ab. 

 Für Juan ist es ebenfalls ein langer Weg. Auch wenn er sich illegal in den USA aufhält, arbeitet er für einen Foodtrack, hat eine attraktive in den USA geborene Freundin mexikanischer Vorfahren und lebt bescheiden, aber solide im Mittelstand. Ihm wird nicht nur die Existenz entzogen, er ist einer der Menschen, die instinktiv das drohende Unheil ahnen und reagieren wollen, in dem sie in einen der Bundesstaaten fliehen, in dem noch Ausweise ausgestellt werden. Es ist eine seltsame Odyssee, die ihn zu einem Mitglied der „Volksarmee“ macht, um sein Leben kämpfen und schließlich doch pragmatisch mit Kanada im Blick aufgeben lässt. Das Flucht und Exil keine abschließende Antwort auf Rassismus und Verfolgung sind, macht die Autorin fast nebenbei deutlich.

 Es sind sehr viele Personen, sehr viele Ereignisse, die Claudia Kern strukturell sehr überzeugend zu einem interessanten Mosaik, zum einem „was wäre wenn“ Portrait der amerikanischen Gegenwart zusammensetzt. Dabei baut sie berechtigt ihre schriftstellerischer Freiheit auf den in Ansätzen vorhandenen Exzessen der amerikanischen Gegenwartspolitik unter Trump auf, ohne die Komplexität der verschiedenen Verflechtungen oder gar die widersprüchliche „Tiefe“ der wichtigsten handelnden Politiker der Gegenwart aufs Papier zu bannen. Vielleicht wäre dann „Divided States of America“ auch kein Thriller geworden, sondern der Versuch, etwas literarisch zu adaptieren, was noch unverständlich und nicht einzuordnen ist.

 Die vielen Personen, die wechselnden Perspektiven und die flotte, aber politisch immer korrekte Erzählstruktur unterhalten rasend, teilweise nachdenklich stimmend überzeugend. Immer wieder setzt die Autorin Nadelstiche, welche zum Nachdenken anregen sollen. Sie zeigen, wie brüchig politische Systeme der Gegenwart sind und wie dieser Schmelztiegel mit seiner besonderen, manchmal absonderlichen Mentalität ausfließen kann. Es ist eine Fiktion, basierend auf einer interessanten, leider in Teilen auch realistischen Prämisse, aber es ist keine politische ultimative Version von „was wäre wenn“. Wahrscheinlich ist die Realität zu komplex, um sie als Roman zu bändigen, aber Claudia Kern hat einige faszinierend schockierende Teile eingefangen und führt den Leser auch indirekt, wie zielstrebig in die Tage nach dem 11. September vor dem Angriff auf Pakistan zurück, als Paranoia, Misstrauen, Opportunitäten und schließlich auch falsche wie fatale Signale die USA als Ideal, als Idee an den Rand des inneren Zusammenbruchs geführt haben.

 Bevor die Amerikaner mindestens einen neuen Feind entdeckten. In „Divided States of America“ ist es so banal es klingt ein falscher Mann im falschen Amt ohne politische Lobby und im Grunde bis zu ihrer inneren Selbstzerfleischung und Auflösung ohne Einfluss der Republikaner – eine weitere Schwäche des Buches - , der für vieles verantwortlich ist, aber nicht selten nur Öl ins loderne Feuer gegossen hat.

Verlag Cross Cult

Erscheinungsdatum: 06.11.2017

HC, 600 Seiten
ISBN 978-3-95981-499-7
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