Fireman

Fireman, Titelbild, Rezension
Joe Hill

Joe Hills dritter umfangreicher Roman “Fireman” beginnt mit dem Hinweis, dass manche Idee vom Vater Stephen King “entliehen” worden ist. Diese Bemerkung ist ironisch zu verstehen, denn auch wenn Joe Hill nach seinem Romandebüt „Horns“ mit „NOS4A2“ einen sehr ungewöhnlichen Vampirroman wie Stephen King mit „Salems Lot“ vorgelegt hat, entspricht „Fireman“ nicht unbedingt einer Mischung aus „The Stand“ und „Firestarter“ seines Vaters. 

Auf der anderen Seite nähert sich Joe Hill auch Stephen King an. Interessant wäre es, wenn Textteile dieses Buches ohne Namensnennung veröffentlicht worden wären. Auch wenn es ein Joe Hill Roman ist, erscheinen einzelne Facetten direkt dem Werk des Vaters entnommen und perspektivisch nicht unbedingt modernisiert, aber zumindest verändert worden zu sein. Herausgekommen ist ein Post Doomsday Roman, in dem der Weltuntergang schrecklich schön ist. Herausgekommen ist aber auch ein Buch, in dem der Autor im Grunde relativ schnell, erschreckend schnell die nur ambivalente Prämisse eines besonderen Sporenbefalls zur Seite schiebt und sich wie Stephen King um die zwischenmenschlichen Beziehungen, die religiösen Wahnvorstellungen und schließlich den verrückten Ehemann/ Vater/ Freund kümmert, der das Leben der standhaften, wie auch schwangeren Protagonistin bedroht. „Fireman“ ist ein Epos, das vor allem im mittleren, sehr langen Abschnitt gar kein Epos sein will und nicht mit einer zu langen Beschreibung des alltäglichen Lebens in einem mehr und mehr zu einem Gefängnis werdenden Lager der Überlebenden in den eigenen Maschen verfängt, bevor Joe Hill mit einem auch aus Actionszenen bestehenden Marsch der Verzweifelten inklusiv des makabren  vorläufigen Endes eine interessante, diskussionswürdige Variation abliefert.   

Joe Hill entwickelt vor allem sprachlich starke Bilder. Es ist eine Parabel über ein fiktives Fegefeuer, durch das ein Teil der Menschheit gehen muss. Menschen erkranken. Es zeigen sich seltsam schöne Muster auf/ unter ihrer Haut, bevor sie buchstäblich von einer Sekunde zur anderen in Flammen aufgehen und verbrennen. Die bestehende Zivilisation bricht zusammen, die leicht erkennbaren Kranken werden gejagt und ermordet. Warum eine Spore für diese Erkrankung verantwortlich ist und warum vielleicht die Stimulation einzelner Centren im Gehirn diese Evolution wenn nicht verhindern, so doch zumindest verzögern kann, wird genauso wenig erklärt wie die Tatsache, dass in einigen traumatischen wie phantastischen Szenen anscheinend einzelne Menschen zu übernatürlichen „Wesen“ wie einem brennenden Phönix werden  können oder nach dem Tod noch einmal Rettung in letzter Sekunde anbieten. Stephen King hat es sich mit dem schwarzen Mann  bei „The Stand“ deutlich einfacher gemacht. Natürlich lässt sich Joe Hill dafür kritisieren, dass er konsequent Antworten verweigert und jegliche objektive wie wissenschaftliche Erforschung dieser Erkrankung nicht stattfindet oder nicht stattfinden kann.

Die Geschichte wird überwiegend aus der Perspektive Harpers geschrieben, einer engagierten Krankenschwester, die innerhalb kurzer Zeit feststellt, dass sie erstens auch erkrankt und zweitens schwanger ist. Ihr Ehemann ist ein klassischer Psychopath, der als Autor an seinem großen Roman schreibt und nichts auf die Reihe bekommt. Aus Angst vor der Krankheit zieht der Hypochonder aus. Harper hat in der Isolation ihrer Wohnung die Chance, sein unvollendetes Buch bestehend aus weinerlichen Szenen, erotischen Traumphantasien und schließlich realen Affären zu lesen. Angewidert wendet sie sich ab. Wie es sich für Stephen King und Joe Hill gehört, wird Harper dieser widerlichen Kreatur immer wieder begegnen und mehrfach ist ihr Leben in Gefahr.

Nach den ersten knapp zweihundert Seiten hat Joe Hill auf jeden Falls Harpers Verzweiflung genauso manifestiert wie das globale Chaos auf einen einzelnen Satz reduziert: Maine entspricht inzwischen Mordor. Es sind diese wunderbaren einzelnen Sätzen, welche den Leser mit dem Trivialliteraturwissen festhalten und aufrütteln. 

Sie flieht schließlich in das Camp Wyndham – vielleicht eine weitere Anspielung – in dem sie nicht nur den „Fireman“ vom Titel kennenlernt, sondern anfänglich in einer Gemeinschaft lebt, die mit gemeinsamen Gesangsstunden nicht nur religiöser Lieder das Entflammen aufgeschoben haben. Für Harper eine kleine Chance, so lange zu leben, bis ihr Baby geboren wird. Dieser Abschnitt in Camp Wyndham nimmt einen zu großen Umfang ein. Natürlich setzt sich Joe Hill mit den Schwächen der Menschen auseinander. Die Lebensmittel werden knapper und einzelne Menschen beginnen zu hungern. Auch Selbstmorde können nicht mehr ausgeschlossen werden. Eine Vaterfigur – wieder ein menschlicher Vertreter, der kein Priester ist, sondern nur als solcher angesehen wird – hält die Gemeinschaft zusammen, bis er einen Dieb in den eigenen Reihen stellen muss. Er wird schwer verletzt und seine fanatische Tochter übernimmt die Kontrolle. Die bizarren Strafen werden härter und die Vernunft weicht einer Mischung aus Mißtrauen, Paranoia und schließlich totaler Kontrolle inklusiv der angesprochenen Rückkehr von Harpers Ehemann in einer dieser Szenen, in denen Joe Hill kritisch gesprochen den Bogen überspannt und Spannung ohne Not erzeugen möchte.

Das vorläufige Ende allerdings mit einer kleinen einschränkenden „Deus Ex Machina“ Rettung ist dagegen sehr gut strukturiert und hier baut der Autor wieder aus dem Handlungsbogen die notwendige Dramaturgie und vor allem überzeugende Dramatik auf, um eine Welt mit einer zweifelhaften Moral zu zeigen, in denen mehr und mehr die Ideen des Nationalsozialismus Einzug halten. Joe Hill beschreibt vor allem, er urteilt nicht.

Die Faszination dieser Welltuntergangsstory liegt vor allem in der dreidimensionalen Zeichnung der Protagonisten. In dieser Hinsicht folgt Joe Hill nicht nur seinem Vater, sondern noch stärker als in dem ergreifenden, inhaltlich aber in einem direkten Vergleich deutlich mehr überzeugenden „NOS4A2“  sind es Menschen, denen das Schicksal  teilweise grausame Streiche sind. Während die Schurken beginnend mit Harpers egoistischen weinerlichen Mann über die Tochter des Paters bis hin zu den Ordnungskräften an der Küste, welche die erkrankten Menschen eigentlich auf eine Insel vor der Küste bringen sollen, erstaunlich pragmatisch charakterisiert worden sind und ihre Funktionalitäten bis in den Bereich des Klischees erfüllen, sind es die Helden wider Willen, welche dem Leser vielleicht sogar längere als der Handlungsbogen im Gedächtnis bleiben.

Allen voran natürlich Harper. Eine extrem bodenständige Frau mit einem pragmatischen Lebensansatz, die durchaus auch gerne geliebt werden möchte. Sie ist selbstkritisch, aber auch verträumt. Für sie ist das Wohl ihres ungeborenen Kindes natürlich wichtiger als das reine Überleben. Sie überschreitet niemals wirklich Grenzen und sich immer dem Wohl ihrer Mitmenschen bewusst. Sie durchlebt einige schreckliche Szenen und wirkt manchmal ein wenig zu naiv, in dem sie sich nicht wehrt oder auch den Menschen weiterhin helfen will, die ihr wehtun, aber sie ist eine wirklich dreidimensionale Protagonisten, welche das Geschehen gut dem Leser referiert. Interessant ist zusätzlich, dass sie bei allen Sequenzen anwesend ist und Joe Hill auch die Ich Perspektive hätte wählen können.

Der „Fireman“ – Ray Bradbury wollte  „Fahrenheit 451“ erst so betiteln – als Vater zweier Kinder ist ebenfalls ein interessanter Charakter. Vieles über seine fast tragische Vergangenheit erfährt der Leser auch seinen persönlichen Erinnerungen. Im Gegensatz zu Harper ist die Suche für ihn nicht nur ein Fluch, sondern aufgrund seiner ambivalenten und ein wenig zu phantastisch eingesetzten Fähigkeiten auch ein Segen. Sein trockner Humor zeichnet ihn aus. Joe Hill verzichtet darauf, aus ihm eine mystische Überfigur zu machen, sondern sieht in ihm nur anfänglich ein Symbol. Der Klappentext ist in diesem Punkt auch nicht ganz richtig. Nicht einmal der Fireman hat den Schlüssel zur Rettung vor der Seuche in seinen Händen. Im übertragenen metaphorischen Sinne könnte er für den nächsten Schritt der Menschheit stehen, aber so weit möchte Joe Hill nicht gehen.

In einem starken Kontrast zu klassischen Horror Romanen rettet auch Harper öfter ihren „Fireman“ als dieser sie. Natürlich wird diese Schuld im letzten Kapitel beglichen, aber bis dahin weigert sich der Amerikaner sehr geschickt, überdimensionale Heroen aufzubauen. 

An ihrer Seite stehen mit der intelligenten wie einfallsreichen Tochter sowie dem taubstummen kleinen Bruder zwei Jugendliche, deren Welt sich buchstäblich in Flammen auflöst. Mit der guten „Fee“, welche in den Auftaktkapiteln vor allem in den Krankensälen durch ihre kleinen Gesten den verzweifelten Menschen ein klein wenig Normalität schenkt, rundet Joe Hill die Gruppe seiner wie erwähnt dreidimensionalen, zugänglichen und überzeugenden Protagonisten zufriedenstellend ab.

Vor allem kann Joe Hill einen Roman zu Ende bringen und einen zufriedenstellenden Abschluss im Gegensatz zu vielen anderen Büchern seines Vaters präsentieren. Hier reiht er sich an dessen erste und  qualitativ herausragende Werke ein, wobei „The Stand“ wie „11/22/63“ kein Happy End, aber eine überzeugende Abrundung  des Handlungsbogens präsentiert. In „The Stand“  baut Stephen King eine aus den Fugen geratene Welt kontinuierlich aus und zeigt den mehr und mehr um sich greifenden Wahnsinn, während „Fireman“ das Chaos auf seine ersten Seiten packt und anschließend zeigt, dass der Mensch schnell nachzieht und jegliche Ordnung mit seinen Bemühungen unterminiert. Es ist ein anderer Ansatz, der zu einem vergleichbaren Ziel führt. „The Stand“ ist eine der kraftvollsten Weltuntergangsgeschichten, während „Fireman“ unter dem nicht konsequenten Tempo vor allem im mittleren Abschnitt leidet, sich aber intensiver mit seinen gebrandmarkten Protagonisten auseinandersetzt. Ohne Frage ist „Fireman“ ein sehr überzeugendes Buch, wer aber Joe Hill zum ersten Mal kennenlernen möchte, sollte eher auf „NOS4A2“ zurückgreifen.

   

  • Broschiert: 960 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (9. Mai 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345331834X
  • ISBN-13: 978-3453318342
  • Originaltitel: The Fireman