Tau Zero

Tau Zero, Titelbild, Rezension
Poul Anderson

„Tau Zero“ gehört ohne Frage zu Poul Andersons interessantesten, vielleicht auch intensivsten Romanen. Auch wenn vor allem in seinem in den fünfziger und sechziger Jahren publizierten Werk die Erforschung des Alls eine wichtige Rolle gespielt hat, vergaß der Amerikaner mit skandinavischen Wurzeln niemals das Erbe seiner Vorfahren und fügte vor allem komplexe familiäre Strukturen seinen Romanen hinzu.

 „Tau Zero“ ist in dieser Hinsicht ein differenzierter zu betrachtendes Buch. Der stringente Roman ist 1967 erschienen und könnte nicht auf den ersten, aber ohne Frage auf den zweiten Blick tatsächlich die New Wave mit der klassischen, vielleicht sogar ein wenig klischeehaften Hard Science Fiction verbinden.

Die Grundidee des Buches ist relativ einfach. Ein Raumschiff wird mit sechsundzwanzig Männern und die gleichen Anzahl von Frauen ins All geschickt. Sie sollen einen Planeten untersuchen und im Grunde besiedeln. Im Gegensatz allerdings zu vielen anderen  Genenrationenraumschiffromanen und vor allem in mehrfacher Hinsicht auch ein direkter Vorläufer zu Kim Stanley Robinsons „Aurora“ zeichnet Poul Anderson sich durch eine erstaunlich differenzierte und moderne Charakterisierung nicht unbedingt der einzelnen Figuren, aber vor allem ihrer Aufgaben in einem derartig abgeschlossenen, intellektuell hoch stehenden „Universum“ aus. Dabei übernehmen nicht nur die Männer die Initiative. Nicht selten stehen sie für ihre Aufgaben. So ist der Kommandant mehr eine Chiffre, der spätestens nach dem Eintreten der Katastrophe die Kontrolle über das Raumschiff an die logisch unterkühlt denkenden Wissenschaftler verloren hat. In entscheidenden Momenten überträgt er als eine Art Legislative seine Macht an die Exekutive in Form eines heroischen Übermannes, dessen Wurzeln beginnend mit dem Namen skandinavisch ist. Er ist die polizeiliche Ordnungsmacht an Bord. Dabei wird er immer wieder mit nicht nur kleinen Gesetzesübertretungen konfrontiert, sondern muss zwischen den Regeln/ Gesetzen und den eigenen aus Emotionen heraus geborenen Entscheidungen differenzieren. Auch wenn Poul Anderson diese Ideen nicht konsequent zu Ende bringt und dem Roman ein interessantes, aber auch konstruiert erscheinendes Happy End verleiht, ist es vor allem die extrem konservative vordergründige Auffassung von Beziehungen, die vor allem von weiblicher Seite immer wieder unterminiert wird.

 Noch vor der Mission sind es die Frauen, die sich aktiv ihre „Partner“ suchen. Auch wenn die Beziehungen über einen begrenzten Zeitraum monogam sind, haben die Frauen nicht selten die schwere Entscheidung, zwischen ihren Gefühlen und dem Wohl des ganzen Schiffes sich entscheiden zu müssen. Dieser Druck führt zu einigen Beziehungen, die nicht reinen Herzens, sondern aus Verstandesbasis eingegangen worden sind. Im Umkehrschluss müssten diese Vernunftpartnerschaften – es gibt ja keine Ehen – zu weiteren Konflikten führen. Diese Idee deutet Poul Anderson im Grunde nur an, weil immer wieder herausfordernde Aufgaben die überragenden Fähigkeiten seiner speziell ausgesuchten Besatzung auf einer inzwischen zur Mission in die Unendlichkeit gewordenen Reise herausfordern. Es ist über weite Strecken alleine der Verstand, welche die Männer und Frauen vor dem Wahnsinn rettet. Wie in dem gut fünfzig Jahre später veröffentlichten Roman „Aurora“ sind die Männer eher ausführende Organe der Ideen, die ohne wissenschaftlichen Hintergrund im Verstand der Frauen nicht selten als Ablenkungsstrategie entstanden sind.

 Kritisch gesprochen wirken aber Poul Andersons Frauen und Männer eher wie Symbole einer nach außen strebenden Epoche. Sie dürfen auch Schwächen und Gefühle wie Einsamkeit zeigen, die nicht selten mit Zitaten aus vor allem nordischen Balladen und Liedern ein wenig schmalzig pathetisch zusammengefasst werden. Der Autor hätte sich positiv einen Gefallen getan, wenn er die Geschichte umfangreicher gestaltet und seine Protagonisten dreidimensionaler charakterisiert hätte. Auf der anderen Seite will er wie vielleicht ebenfalls knapp vierzig Jahre früher Olaf Stapledon den Menschen in seine mindere Bedeutung in einen direkten Kontrast zu der Unendlichkeit des Alls stellen.

 Während das erste Drittel des Buches ausschließlich der Reisevorbereitung und damit dem Beginn der zwischenmenschlichen Beziehungen gewidmet worden ist, ist es der Mittelteil des Romans, der sich mit den allerdings physikalisch eher theoretisch extrapolierten Hindernissen auseinandersetzt. Auf ihrer Reise zu der fernen Welt gerät das Raumschiff „Leonora Christine“  in eine Art Nebel, der bewirkt, dass es nur noch beschleunigen, aber nicht mehr abbremsen kann. Das Atomtriebwerk ist entsprechend beschädigt worden. Die Idee der Mannschaft ist es, kontinuierlich zu beschleunigen und auch die eigene Galaxis mit fast Überlichtgeschwindigkeit zu verlassen, um dann in zwanzig bis dreißig Jahren die Anziehungskraft einer weiteren Galaxis auszunutzen, um wieder ohne maschinelle Hilfe abbremsen und einen erdähnlichen Planeten finden zu können.

 Diese Katastrophe wird von den Protagonisten aus unterschiedlichen Perspektiven und vor allem mit sich natürlich für so ein Team auch ergänzenden wissenschaftlichen Hintergründen beschrieben. Stoisch wird die Disziplin eingehalten und die verschiedenen Sitzungen aller Mannschaftsmitglieder dienen eher dazu, neue Ideen auszuprobieren und Hoffnung auszusäen als der in mehrfacher Hinsicht unabänderlichen Konsequenz entgegen zu sehen. Eine Rückkehr auf die Erde und vor allem zu allen Bekannten/ Verwandten ist nicht mehr möglich. Auch die Chance, eine neue Erde zu finden, erscheint astronomisch klein, wobei in dieser Hinsicht Poul Anderson kurzzeitig zum ersten und einzigen Mal einen der Wissenschaftler zusammenbrechen lässt. Am Ende dieser emotional überzeugenden, aber distanziert erzählten Sequenz muss er natürlich eingestehen, dass der Faktor Chance immer eine Rolle spielt.

 Gegen Ende mit einer Geschwindigkeit nach des Lichts reisend vergehen im Raum im Grunde Jahrmillionen, während es für die Mannschaft eher wie Tage aussieht. Olaf Stapledon hat in seinen Epen diese Vergänglichkeit der Zeit vor allem immer in einen direkten Zusammenhang mit dem Menschen gestellt. Poul Anderson differenziert zwischen der durch Beschreibungen für den Leser schwer begreiflichen Zeitverzerrung und dem Auffinden eines Zielplaneten, der plötzlich auch ohne die immer wieder formulierten Unmöglichkeiten angeflogen werden kann. Das Ende des Buches mit dem Fokus auf ein Happy End nach einer langen Reise wirkt im Gegensatz zu den kosmopolitischen Anspielungen stark konstruiert. Die Unendlichkeit des Alls, die vergangene Zeit und schließlich die Weite der ganzen Reise werden immer wieder heraufbeschworen, aber es fehlt dieser letzte Schritt, das Beschriebene abschließend dreidimensional darzustellen. Selbst der Vergleich mit dem fliegenden Holländer erscheint eher als eine Art Kompromiss, den ohne Frage interessanten und angesichts seiner Dimensionen auch sehr lesenswerten Plot griffiger zu gestalten.

 Unabhängig von den wissenschaftlichen Kompromissen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Schiffes und der Idee, immer weiter beschleunigen zu können, bis diese „Tau Zero“ Geschwindigkeit ausreicht, um ein „Ziel“ zu erreichen, ist der vorliegende sehr komprimierte und extrem fokussiert geschriebene Roman ein guter Einstiegspunkt in das umfangreiche Science Fiction Werk Poul Andersons. Die meisten HUGO und Nebula Preise hat der Amerikaner vor allem für seine Kurzgeschichten bekommen, aber in den außerhalb der mystischen Fantasy verfassten Hard Science Fiction Büchern hat er vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren immer wieder die wissenschaftlichen Grenzen ausgetestet, aber dabei trotz der vorhandenen Schwächen in der Charakterisierung aufgrund der neuen, der Isolation im Schiff angepassten Gesellschaftsstrukturen die emotionale Seite niemals richtig vergessen.      

  • Taschenbuch: 192 Seiten
  • Verlag: Gollancz; Auflage: New Ed (9. Februar 2006)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0575077328
  • ISBN-13: 978-0575077324